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Herr Holzenkamp, Sie haben im Bundestag zwölf Jahre die deutsche Agrarpolitik mitgestaltet, seit einem guten halben Jahr vertreten Sie als Präsident des Deutschen Raiffeisenverbands (DRV) die Interessen der genossenschaftlichen Agrar- und Ernährungswirtschaft. Was hat Sie gereizt, dieses Amt anzutreten?

Franz-Josef Holzenkamp: Es war immer schon mein Antrieb, Politik und Wirtschaft – insbesondere die Agrarwirtschaft – aktiv mitzugestalten. Das war auch der Grund meines langjährigen politischen Engagements. Mit genauso viel Herzblut bin ich aber auch seit vielen Jahren Genossenschaftler und Landwirt. Mein Fachwissen und meine Erfahrung aus diesem Dreiklang kann ich nun gebündelt in mein verbandspolitisches Ehrenamt beim DRV einbringen. Deshalb habe ich diese Aufgabe sehr gerne übernommen.

 

Welche Arbeitsschwerpunkte haben Sie sich vorgenommen?

Holzenkamp: Im Wesentlichen sind es vier Herausforderungen, mit denen sich die deutsche Agrar- und Ernährungswirtschaft auseinandersetzen muss. Erstens sind das die gestiegenen Ansprüche unserer Gesellschaft an die Landwirtschaft und ihre Produkte.

Zur Person

Franz-Josef Holzenkamp (Jahrgang 1960) ist seit 1. Juli 2017 als Nachfolger von Manfred Nüssel Präsident des Deutschen Raiffeisenverbands (DRV). Von 2005 bis 2017 gehörte er dem Deutschen Bundestag an. Dort engagierte er sich im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft, außerdem war Holzenkamp von 2011 bis 2017 Agrarpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Der Niedersachse ist gelernter Landwirt.

Wir kommen nicht umhin, darauf zu reagieren. Das setzt eine positive Bereitschaft der Genossenschaften voraus, sich zu verändern. Nur so lassen sich Trends frühzeitig erkennen und daraus neue Angebote entwickeln. Eine zweite Herausforderung sind die internationalen Märkte. Wir wollen für den lokalen Wochenmarkt genauso wie für den Weltmarkt produzieren und gemeinsam mit der Politik die Türen zu anderen außereuropäischen Ländern aufstoßen. Lebensmittel „Made in Germany“ sind weltweit gefragt und anerkannt. Darauf sollten wir aufbauen. Dritte große Aufgabe ist die Digitalisierung. Sie verändert Prozesse und Organisationsstrukturen auch im Genossenschaftswesen nachhaltig. Ich sehe darin aber keine Bedrohung, sondern eine Chance, weil darin noch viele Erfolgspotenziale liegen. Und viertens müssen wir uns verstärkt der Öffentlichkeitsarbeit widmen. Ein Großteil der Gesellschaft hat eine sehr romantische Vorstellung von Landwirtschaft, die mit der Wirklichkeit nur wenig zu tun hat. Hier müssen wir Aufklärungsarbeit leisten.

„Kleinere Genossenschaften können ihre individuellen Stärken ausspielen und insbesondere die steigende Nachfrage nach regionalen Produkten bedienen.“

Wie können Genossenschaften die von Ihnen genannten Herausforderungen in der Agrar- und Ernährungswirtschaft bewältigen?

Holzenkamp: Wenn man sich die weltweiten Agrarmärkte ansieht, ist klar: Im Wettlauf um die geringsten Produktionskosten können die deutschen Genossenschaften nicht mithalten. Deshalb müssen sie auf unterschiedliche Bausteine setzen, um sich auf dem Markt zielgerichtet zu positionieren. Dazu gehört der Fokus auf Alleinstellungsmerkmale, die Vernetzung mit anderen Genossenschaften, aber auch die Diversifizierung. Dabei zeigt sich zum Beispiel in Bayern, dass kleinteilig strukturierte Regionen nicht von Nachteil sein müssen. Ich sage immer: Größe allein ist kein Garant für Erfolg. Kleinere Genossenschaften können ihre individuellen Stärken ausspielen und insbesondere die steigende Nachfrage nach regionalen Produkten besser bedienen, zum Beispiel als Direktvermarkter oder mit regionalen Marken und Spezialitäten. Sie haben dabei die Chance, in ihrer Nische Spezialprodukte anzubieten und sich so von der Masse abzuheben. Viele haben das bereits erkannt und erfolgreich umgesetzt.

In der Region verwurzelt: Genossenschaftliche Unternehmen in Bayern

Die genossenschaftlichen Unternehmen in Bayern reagieren auf den Strukturwandel in der Landwirtschaft. So setzt die Raiffeisen-Waren GmbH Iller-Roth-Günz (ab Sommer: Raiffeisen Ware Schwaben Allgäu GmbH) auf moderne Standorte und Präsenz in der Fläche…
… die Molkerei Berchtesgadener Land verfolgt eine konsequente Markenstrategie…
… und die Sennerei Bremenried vermarktet ihre Käseprodukte sowohl im Internet als auch vor Ort im „Bremenrieder Käslädele“.
Die Brauerei-Genossenschaft Lang Bräu Freyung setzt auf Regionalität und erfüllt den Wunsch der Freyunger Bürger nach einem eigenen Bier.
Gemeinsam stark: Fünf bayerische Trocknungsgenossenschaften vertreiben ihre Produkte gemeinsam unter der Marke „Edelgrün“, darunter die Raiffeisen-Trocknungsgenossenschaft Prebitz.
Die Winzerkeller Sommerach eG betreut ihre Mitglieder intensiv, damit sie im Herbst hochwertige Trauben für beste Weine ernten können.
Verbraucherwunsch: Die Viehvermarktungs-genossenschaft Oberbayern-Schwaben vermarktet Fleisch von Tieren, die nur Futter ohne Gentechnik erhielten. Foto: picture alliance/CTK digifoodstock

Zumal das Internet auch kleineren Genossenschaften eine große Reichweite ermöglicht…

Holzenkamp: … damit sind wir wieder beim Thema Digitalisierung, das viel mit Vernetzung zu tun hat. Wer bei großen Online-Versandhäusern einkauft, weiß oft nicht, wo die Ware herkommt, unter welchen Bedingungen sie hergestellt wurde und wo das dazugehörige Unternehmen seinen Sitz hat. Viele Verbraucher wollen jedoch genau das wissen. Bei unseren Genossenschaften erhalten sie diese Informationen, weil wir flächendeckend vor Ort sind, gerade im ländlichen Raum. Diese Kundennähe ist ein enormer Vorteil, den wir konsequent nutzen sollten. Was fehlt, ist die Vernetzung, um unsere Produkte und Dienstleistungen in der Breite anzubieten. Deshalb entwickelt der DRV im Verbund mit Primärgenossenschaften verschiedene digitale Plattformen, die sich sowohl an Unternehmen als auch an Verbraucher richten. Es muss ja nicht jede Genossenschaft für teures Geld ihre eigenen Erfahrungen machen, sondern wir können voneinander lernen, getreu Raiffeisens Motto, was einer nicht schafft, das schaffen viele.
 

Die Digitalisierung geht jedoch weit über gemeinsame Internetplattformen hinaus. Wie wird „Smart Farming“ den Raiffeisen-Warenhandel verändern?

Holzenkamp: Das Zusammenspiel zwischen Landwirt und Genossenschaft wird intensiver. Nehmen Sie als Beispiel die Umsetzung der Düngeverordnung. Der Dokumentationsaufwand ist handschriftlich nicht mehr zu meistern. Hier kann der Warenhandel den Landwirt mit digitalen Lösungen tatkräftig unterstützen. Bordcomputer mit Satellitennavigation helfen, Düngemittel und Pflanzenschutz exakt nach Bedarf auf dem Feld auszubringen. Das schützt die Umwelt und spart bares Geld. Auch bei der Tiergesundheit und beim Tierwohl bieten sich Ansätze. Wenn etwa der Melkroboter nicht nur die Milchmenge, sondern auch Indikatoren für die Tiergesundheit protokolliert, dann kann der Landwirt viel früher reagieren und in der Folge den Einsatz von Antibiotika nachweislich reduzieren. Es ist die Aufgabe der Genossenschaften, den Landwirten entsprechende Angebote zu machen. Schließlich sind sie die Eigentümer.

Holzenkamp in Straubing

DRV-Präsident Franz-Josef Holzenkamp wird auf den Agrarimpulsen 2018 ein Grußwort sprechen. Der Agrartag der bayerischen Genossenschaftsorganisation findet am 21. Februar 2018 in Straubing statt und steht unter dem Motto „Freier Welthandel in Gefahr – Trump, Brexit & Co. und die Folgen“. Weitere Informationen zu den Agrarimpulsen 2018 gibt es für GVB-Mitglieder im Mitgliedernetz.

Sie haben eingangs die internationalen Märkte als Herausforderung genannt. Wie können sich Genossenschaften gegen die zunehmenden Preisschwankungen auf den Weltmärkten wappnen?

Holzenkamp: Eine Möglichkeit, Agrarpreise abzusichern, sind Warenterminbörsen. Dazu bieten wir zum Beispiel den Mitgliedern von Molkereigenossenschaften Schulungen an. Genauso wichtig ist es, den Markt intensiv zu beobachten, um frühzeitig reagieren zu können. Auch dabei unterstützen wir die Genossenschaften. Darüber hinaus wurde Anfang 2017 die Interessengemeinschaft Genossenschaftliche Milchwirtschaft ins Leben gerufen. Dort diskutieren wir weitere Möglichkeiten zur Abfederung der Marktvolatilität, etwa Modelle auf Festpreis- oder Prämienbasis.


Das Bundeskartellamt hat das Musterverfahren gegen die Deutsche Milchkontor eG (DMK) eingestellt. Ist die Diskussion um die genossenschaftlichen Milchlieferbeziehungen damit ausgestanden?

Holzenkamp: Die Einstellung des Musterverfahrens gegen die Deutsche Milchkontor eG ist eine sachgerechte Entscheidung. Sie unterstreicht die Satzungsautonomie der genossenschaftlichen Molkereien. Darauf hat der DRV wiederholt und mit Nachdruck hingewiesen. Die vom DMK vorgenommenen Änderungen in seinen Lieferbeziehungen zeigen, dass es bei Bedarf in den Genossenschaftsmolkereien durchaus auf Basis demokratischer Entscheidungen zu Veränderungsprozessen kommt. Ich gehe aber davon aus, dass das Bundeskartellamt den gegenüber globalen Angebots- und Nachfrageschwankungen empfindlichen Michmarkt weiterhin aufmerksam beobachten wird.

„Unsere Genossenschaften verfügen über eine flächendeckende Infrastruktur. Das macht sie stark.“

Die Genossenschaften stehen auch von Seiten des Lebensmitteleinzelhandels unter Druck. Einige Konzerne gehen dazu über, sich an Erzeugern und Veredelungsbetrieben zu beteiligen oder sie gleich ganz zu kaufen. Laufen die Primärgenossenschaften Gefahr, ihre Eigenständigkeit zu verlieren?

Holzenkamp: Ja, diese Gefahr sehe ich. Ich erkenne darin eine ähnliche Entwicklung wie in der Automobilindustrie, die ihre Zulieferer eng an sich gebunden hat. Teile des Lebensmitteleinzelhandels versuchen, denselben Weg zu gehen. Dazu kommt, dass einige Agrarkonzerne angefangen haben, Produktionsmittel direkt an die Landwirte zu vertreiben. Darauf müssen wir zeitnah Antworten finden. Unsere Genossenschaften verfügen über eine flächendeckende Infrastruktur. Das macht sie stark. Dennoch müssen sie untermauern, dass ihre Eigenständigkeit sowohl für die Mitglieder als auch für den Lebensmitteleinzelhandel von Vorteil ist.


Was können die Genossenschaften tun?

Holzenkamp:  Immer mehr Kunden legen Wert auf regionale Produkte. Wenn die Genossenschaften diesen Trend bedienen und mit einer geeigneten Marketing-Strategie flankieren, schaffen sie ein Alleinstellungsmerkmal. So können sie sich und ihre Erzeugnisse gegenüber dem Lebensmitteleinzelhandel besser positionieren, weil sie weniger austauschbar sind. Gleiches gilt, wenn sie keine Standardware anbieten, sondern veredelte Produkte, die es anderswo so nicht gibt. Grundsätzlich gilt: Es reicht nicht mehr, nur günstig Produktionsmittel zu liefern beziehungsweise die Erzeugnisse des Landwirts zu guten Preisen zu vertreiben oder zu veredeln. Wir müssen uns vielmehr durch ein umfangreiches Dienstleistungsangebot von den Wettbewerbern abheben und unsere Mitglieder bestmöglich beraten und unterstützen. Wenn diese hinter uns stehen, dann können wir auch gegenüber Geschäftspartnern mit dem nötigen Selbstbewusstsein auftreten.


Eine persönliche Frage zum Schluss: Sie kommen aus dem Oldenburger Münsterland. Die Menschen dort sollen den Bayern in manchen Dingen wesensverwandt sein – etwas eigen, aber selbstbewusst. Ist da etwas dran?

Holzenkamp: (lacht) Man sagt uns im Oldenburger Münsterland nach, dass wir manchmal etwas dickschädelig und vielleicht auch etwas wortkarg sind. Aber wenn jemand mit meiner Heimat warm geworden ist, will er nicht mehr weg. Denn bei uns geht es sehr herzlich zu. Insofern will ich gewisse Ähnlichkeiten mit Bayern nicht ausschließen.


Herr Holzenkamp, herzlichen Dank für das Interview!

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