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Die zwölf Corona-Thesen von Union Investment im Überblick

These 1: Die Monetisierung von Staatsschulden gewinnt an Akzeptanz. Ein Problem ist das vorerst nicht, vielmehr eine Notwendigkeit.

Bewertung heute: Stimmt – und auch in der Post-Krisen-Zeit könnte das „Teamwork“ zwischen Währungshütern und Staatenlenkern bestehen bleiben.

Schon im Frühjahr 2020 wurde deutlich: Die staatlichen Ausgabenprogramme werden in Höhe und Konzentration vieles vorher Dagewesene in den Schatten stellen. Die Staatsschuldenquoten schnellten nach oben. Ein ernsthaftes Problem ist das vorerst nicht. Kurzfristig finanzieren zum einen die privaten Haushalte bereitwillig einen Großteil der staatlichen Nettokreditaufnahme. Die zusätzliche Ersparnis, die etwa aus dem erzwungenen Konsumverzicht bei personennahen Dienstleistungen resultiert, gelangt so teilweise zurück in den Wirtschaftskreislauf. Zum anderen haben insbesondere die Zentralbanken dafür gesorgt, dass die erhebliche Flut am Anleihemarkt zu niedrigen Zinsen und ohne große Verwerfungen über die Bühne gegangen ist.

Zwar sind im Zuge dessen die Zentralbankbilanzen deutlich angewachsen. Doch der Erfolg gibt den Währungshütern recht: Die Stützung von Staaten, Unternehmen und Banken erhielten das Vertrauen in die Liquidität der verschiedenen Schuldner und die Kreditkanäle blieben offen. Auch eine sprunghaft anziehende Inflation durch eine allzu expansive Notenbankpolitik blieb bisher aus.

Fest steht: In Krisenzeiten ist die Stabilisierung der Rentenmärkte durch die Geldpolitik vor allem für die (Re-)Finanzierung von Staats- und Unternehmensschulden alternativlos. Wie es nach der Krise weitergeht, das ist noch offen.

These 2: Low for much longer – das Niedrig- bzw. Negativzinsumfeld ist nun erst recht zementiert.

Bewertung heute: Stimmt – zumindest in Europa. In den USA steigen die Renditen wieder und erste Zinserhöhungen sind zumindest in der Ferne sichtbar.

Vor dem Corona-Schock galt als Gleichung insbesondere in Europa: „Wenig Wachstum + wenig Inflation = kein Spielraum für Zinserhöhungen.“ Die Krise ist noch lange nicht ausgestanden, aber dass sich die Gleichung nicht grundlegend geändert hat, dürfte klar sein. Zwar gibt es aktuell einige Ausschläge bei der Inflation, von Dauer dürften die aber nicht sein. Bei der EZB sollte der erste Zinsschritt daher noch länger auf sich warten lassen, die Renditen bleiben niedrig.

Die Wirtschaft in den USA hingegen wächst schon wieder kräftig, der Markt erwartet auch ein wenig echte Inflation, weshalb es dort einen moderaten Anstieg der langfristigen Nominalzinsen gegeben hat. Aber die zyklischen Inflationskräfte sind (noch) zu wenig ausgeprägt. Im Gegensatz zum Markt erwartet Union Investment einen Zinsschritt erst Ende des Jahres 2023 oder Anfang 2024. Dennoch führt die Pandemie zumindest in den Vereinigten Staaten nicht zu einer noch längeren Phase extrem niedriger Zinsen.

These 3: Die Spielräume für staatliche Investitionen auch im Kampf gegen den Klimawandel werden „eigentlich“ deutlich enger sein. Solide Staaten könnten trotzdem Gas geben – wann, wenn nicht jetzt?

Bewertung heute: Stimmt – im Gegensatz zu der Zeit nach der Finanzmarktkrise ist von Austerität aktuell wenig die Rede. Ein schneller Ausstieg aus der expansiven Fiskalpolitik ist damit unwahrscheinlich.

Die Corona-Krise könnte rückblickend als Startschuss für die aktivere Förderung von Zukunftsthemen im Gedächtnis bleiben. Viele Staaten und Staatenbünde verknüpfen ihre Wirtschaftshilfen mit Strukturreformen und Zukunftsinvestments. Das von US-Präsident Joe Biden forcierte, bis zu zwei Billionen US-Dollar schwere Infrastrukturprogramm enthält eine erhebliche Zukunftskomponente. Die Europäische Union geht mit rund 1,8 Billionen Euro die Herausforderungen der Corona-Krise an. Laut Leitlinien des Programms sollen Wirtschaft und Gesellschaft in Europa nachhaltiger und krisenfester werden. So fließen fast 30 Prozent der Mittel in vielfältige Projekte zur Bekämpfung des Klimawandels. Das zeigt, dass die Bewältigung der Pandemie das Megathema Klima nur kurz verdrängt hat. Zudem stehen die Zeichen gut, dass die westlichen Staaten nicht kurzfristig aus der expansiven Haushaltspolitik aussteigen werden.

These 4: Der Druck auf die EU zu mehr Integration und Solidarität wird nochmals steigen. Die Voraussetzungen für Fortschritte sind gemischt!

Bewertung heute: Stimmt – der europäische Wiederaufbaufonds ist ein Paradebeispiel für Solidarität. Die Impfpolitik wurde von den Bürgern subjektiv als unglücklich empfunden – Folgen ungewiss.

Die regional unterschiedlichen Auswirkungen der Corona-Krise haben sich in den Monaten nach der ersten Welle nochmals verschärft. Doch bei aller daraus folgenden politischen Spaltung ist die Impfstoffbeschaffung ein Paradebeispiel für gelebte europäische Solidarität. Die EU trat als ein starker Akteur bei den Verhandlungen mit den Anbietern auf. Pro Kopf erhalten alle Länder dieselbe Anzahl an Impfdosen. Umso unglücklicher: Bei den Bürgern wurde dieses eigentlich vorbildliche Vorgehen als zu zögerlich und zu bürokratisch empfunden und dadurch entwertet.

Hingegen ist der Europäische Wiederaufbaufonds eine echte Zäsur in der europäischen Fiskalpolitik. Zum einen, weil mehr als die Hälfte der 750 Milliarden Euro nicht als Kredite, sondern in Form von Zuschüssen ausgereicht werden. Zum anderen, weil die EU die erforderlichen Gelder erstmals direkt über die Kommission am Kapitalmarkt aufnimmt.

Für den künftigen fiskalpolitischen Kurs der EU wird nun entscheidend sein, ob mit den Geldern Reformen durchgesetzt und über zukunftsweisende Investitionsprojekte Wachstumspotenziale gehoben werden.

These 5: Die Corona-Krise gibt den Briten einen Eindruck, wie ein harter Brexit wirken könnte. Vielleicht lässt sie das moderater werden.

Bewertung heute: Stimmt eher nicht – Großbritanniens Premierminister Boris Johnson blieb ebenso hart wie die EU. Aktuell werden die ökonomischen Konsequenzen des Brexits teilweise von der erfolgreichen UK-Impfkampagne überdeckt.

Die Unsicherheit über den neuen Status und die Corona-Pandemie sorgten in Großbritannien für einen historisch tiefen Einbruch der Wirtschaft. Ist die Corona-Krise ein Vorgeschmack auf die Wirkung des Brexits? In jedem Fall deutet sich an, dass die gefundene Lösung keine besonders „softe“ ist. Britische Exporte nach Deutschland gingen im Januar und Februar 2021 um fast 40 Prozent zurück. Deutsche Ausfuhren nach Großbritannien brachen um rund 20 Prozent ein.

Zumindest in einem Punkt dürften sich die „Brexiteers“ allerdings bestätigt sehen: Die britische Impfkampagne läuft besser als in der EU. Das ist nicht nur gut für die Gesundheit auf der Insel, sondern auch für die Wirtschaft. Frühere Öffnungen bedeuten ein schnelleres Anspringen der Konjunktur. Und damit könnte so mancher Nachteil aus den Brexit-Verhandlungen überdeckt werden.

These 6: Es wird auch Insolvenzen profitabler Unternehmen geben. Die Herausforderung: Das sinkende Produktionspotenzial und die Nachfragesteuerung so ausbalancieren, dass Inflation oder Deflation vermieden werden.

Bewertung heute: Noch nicht wirklich absehbar – bis dato verzerren in vielen Ländern Staatshilfen und die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht das Bild. Aber: Insolvenzen oder „Zombifizierung“ größerer Unternehmen sowie erhöhte Inflationsraten werden kein beherrschendes Thema.

Im Zuge der Corona-Krise in Schieflage geratene Firmen gehen nicht zwangsläufig in die Insolvenz. Die Staaten und das Niedrigzinsumfeld helfen. Aber sie werden vermutlich nach der Krise höher verschuldet sein. Zur Gefahr wird das erst, wenn chronisch unprofitable „Zombie-Unternehmen“ durch ihre Überkapazitäten die gesunden Konzerne belasten. Das Problem ist dabei weniger, dass „gute“ Unternehmen deshalb kein Kapital bekommen. Vielmehr bekommen „schlechte“ Unternehmen gemessen am Risiko ihr Kapital zu günstig.

Für den Kapitalmarkt ist letztlich entscheidend, jene Kombinationen aus schwachen Firmen und schwächelnden Banken herauszufiltern, um eine breitere Ansteckung auszuschließen. Zu langfristigen Preiskapriolen dürften diese Entwicklungen nicht führen. Die Corona-Krise ist ein (vorübergehender) Nachfrage- und Angebotsschock. Der Nettoeffekt auf die Inflation dürfte im Euroraum moderat ausfallen.

These 7: Nach vielen Krisen werden die Starken noch stärker. Bei Corona gilt das vor allem für die Digitalunternehmen.

Bewertung heute: Stimmt – Digitalisierung wird noch viel mehr zum Trumpf. Auch am Kapitalmarkt.

Zwei Zahlen belegen den Siegeszug der „Big-Tech“-Unternehmen: Fast 50 Prozent legte der auf Technologieaktien fokussierte US-Index Nasdaq 100 im Krisenjahr 2020 zu. Und acht von zehn der nach Marktkapitalisierung wertvollsten Unternehmen der Welt kommen inzwischen aus dem Technologiebereich. Besonders gut zeigt sich der Krisengewinn bei Amazon. Der Online-Händler profitierte enorm von den Schließungen bei der stationären Konkurrenz.

Widerstand gegen diese Krisengewinnler regt sich in der Politik. Auch in die Diskussion über die traditionell schwer zu besteuernden, internationalen „Big Tech“-Konzerne kommt Bewegung: US-Finanzministerin Janet Yellen fordert eine globale Mindeststeuer für diese Konzerne. Die kritischen Stimmen, dass die Kosten der Krise – wie bereits 2008/2009 – eher solidarisiert, die Gewinne aber privatisiert würden, werden in jedem Fall lauter.

These 8: Krisen legen Schwächen schonungslos offen. Sie setzen aber gleichzeitig auch besondere Energie für Innovationen frei.

Bewertung heute: Stimmt – beim Thema Gesundheitssystem stehen wir aber noch am Anfang der Entwicklung.

Vor Jahresfrist hatten wir zu Recht die Gesundheitssysteme weltweit als klare Sollbruchstellen identifiziert. Die Systeme waren nur unzureichend auf eine Pandemiesituation vorbereitet. In der Nachbereitung der Krise werden deshalb Liberalisierungs- und Privatisierungsschritte der vergangenen Jahre und Jahrzehnte auf den Prüfstand gestellt werden. Der staatliche Einfluss im Gesundheitssektor dürfte wieder wachsen.

Allerdings ist nicht in allen Fällen mehr staatliche Initiative die Lösung, gerade wenn es um Neuerungen geht. So entfaltetet sich an anderer Stelle das Innovationspotenzial in atemberaubender Geschwindigkeit: in der Pharma- und Biotech-Industrie sowie in der Medizintechnik. Impfstoff-, Test- und Medikamentenentwicklungen erhielten durch die Krise einen enormen Schub.

These 9: Krisen zwingen zur Improvisation. Und vieles, was zunächst Improvisation war, wird dann auch als dauerhaft wertstiftend empfunden.

Bewertung heute: Stimmt – und das Home Office ist erst der Anfang.

Für viele Unternehmen war es der sprichwörtliche Sprung ins kalte Wasser. Millionen Arbeitnehmer wechselten im vergangenen Jahr von einem auf den anderen Tag ins Home Office – bis heute. Die Arbeitsorganisation hat einen erheblichen Flexibilitätsschub erhalten, der auch nach der Krise seine Wirkung entfalten wird.

Aber damit nicht genug: Die Improvisation aus der Krise könnte mittel- bis langfristig für eine gewisse „Demokratisierung“ von Bildung und Wissen sorgen. Heute scheitert das digitale Lernen etwa an Schulen und Universitäten häufig noch an der nötigen Infrastruktur, die insbesondere Menschen mit weniger Einkommen von diesen Angeboten abschneidet. Die Erfahrungen aus der Krise könnten punktuelle Staatseingriffe auslösen, die dann eine weitere Verbreitung digitaler Lernangebote möglich machen.

Gleiches gilt beim Thema „digitale Medizin“. Auch hier würden aktuell akut unterversorgte Regionen am meisten profitieren – mit entsprechend positiven Auswirkungen auf Gesundheit, Wohlstand und Wirtschaft.

These 10: Die mit Krisen häufig verbundene Zerstörung setzt im „Wiederaufbau“ Innovationspotenziale frei und beschleunigt den Einsatz bereits vorhandener Technologien.

Bewertung heute: Abwarten. Das Potenzial ist in jedem Fall da. Wirkt die Kombination vorhandener und neuer Technologien transformativ, ist ein höheres Produktivitätswachstum zu erwarten.

Die Krise ist zunächst einmal ein tiefer Einschnitt mit immensen Kosten, sowohl für Staaten und Unternehmen als auch für die gesamte Gesellschaft. Der Gesundheitsnotstand auf der einen und massive Nachfrageeinbrüche und Liquiditätsengpässe auf der anderen Seite zwingen förmlich zu einer höheren Innovations- und auch Investitionsbereitschaft. Vor allem im Bereich der Digitalisierung ist die Krise ein erheblicher Schub.

Doch warum sollte die Digitalisierung gerade jetzt für einen gesamtwirtschaftlichen Produktivitätssprung sorgen? Im vergangenen Jahrzehnt waren die Wachstumsraten eher verhalten. So hatten mehr Roboter im Produktionsprozess zwar zu mehr Effizienz geführt, doch den Prozessablauf veränderten diese nicht grundlegend. Demgegenüber bieten die heute an der Schwelle stehenden Technologien die Chance auf eine echte Transformation und Neustrukturierung von Prozessen. Denn auch die Unternehmen nutzen mehr und mehr jene Freiräume, die ihnen die oftmals schmerzhafte „Zerstörung“ bietet.

These 11: Die Corona-Krise wird den Konflikt zwischen den USA und China und die Tendenz zu einer neuen Blockbildung weiter verschärfen.

Bewertung heute: Stimmt – die beiden Nationen befinden sich im strategischen Wettbewerb um die globale Vormachtstellung.

Im Wettbewerb mit China werden die USA versuchen, Allianzen zu bilden, um gemeinsam gegen die unfairen Geschäftspraktiken Chinas vorzugehen und vor allem, um dessen Aufstieg im High Tech-Bereich auszubremsen. China wird seinerseits versuchen, die Beziehungen gerade auch nach Europa weiter zu vertiefen. Nach der „Maskendiplomatie“ im letzten Frühjahr versucht man es jetzt mit Impfstoff. Doch wie werden sich der „alte Kontinent“ und insbesondere auch Deutschland in diesem Spannungsfeld bewegen? Da der Druck von beiden Seiten zunimmt, dürfte die Strategie der neutralen Mitte in der aktuellen Form nicht mehr funktionieren. Europa wird sich für eine Seite entscheiden müssen. Um seine Erpressbarkeit durch die Abhängigkeit zu verringern, muss Europa in die eigene Innovationsfähigkeit investieren.

These 12: Die Corona-Krise wird die weltwirtschaftliche Integration deutlich verändern. Eine trendartige, systematische „De-Globalisierung“ wird es aber nicht geben.

Bewertung heute: Stimmt – resilientere Lieferketten und mehr Autarkie in kritischen Bereichen wie Impfstoffen sind ein Thema. Das wahre Ausmaß ist aber noch nicht absehbar.

Corona hat eine Entwicklung beschleunigt, die schon seit der Finanzkrise im Jahr 2008 zu beobachten ist: Die Hyperglobalisierung wird abgebremst und zumindest teilweise zurückgedreht. Durch die Pandemie sind die Schwächen internationaler Arbeitsteilung deutlich zutage getreten. Die hohe direkte und indirekte Abhängigkeit von chinesischen Exporten in strategisch wichtigen Bereichen und die Störfälligkeit von hochkomplexen Lieferketten sind im Krisenfall fatal.

Kurzfristig lässt sich daran wenig ändern. Die aktuellen Lieferschwierigkeiten bei Mikrochips, die vornehmlich in Asien produziert werden, lassen sich nicht einfach durch heimische Produkte beheben. Allerdings werden in strategisch wichtigen Sektoren staatliche Eingriffe und Investitionsanreize zunehmen. Denn Versorgungssicherheit wird etwa in den Bereichen Hightech, Medizin und kritische Infrastruktur immer mehr zur Frage der nationalen Sicherheit. Grundsätzlich dürften Unternehmen und Staaten dabei allerdings mit Augenmaß vorgehen. Die Globalisierung schafft in Summe immer noch erheblichen Wohlstand für die Welt.
 

Jörg Zeuner ist seit Juni 2019 Chefvolkswirt und leitet den Bereich Research & Investment Strategy.

Janis Blaum ist Senior Spezialist für Finanzkommunikation von Union Investment.

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