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Bereits im Januar berichtete ich in meinem „Impuls“ über die wuchernde Bürokratie aus Brüssel und den einhelligen Bekundungen der Politik, diese abbauen zu wollen (zum Artikel). Die Realität sieht anders aus, das zeigt das aktuelle Fallbeispiel der Kleinanlegerstrategie. Hat die Kommission ein großes Gesetzespaket wie die Kleinanlegerstrategie einmal vorgelegt, ist die Erwartung in Brüssel und Straßburg, dies müsse unbedingt zum Abschluss gebracht werden – auch wenn das bedeutet, die Praxistauglichkeit hintanzustellen. Dabei werden Formelkompromisse erzeugt, die inhaltlich und fachlich nicht zusammenpassen. Die Regulierung wird dadurch komplexer und verfehlt ihr Ziel. Denn die politischen Spiele stehen im Vordergrund, nicht was das Gesetz am Ende bewirkt. Das hat fatale Auswirkung auf die Verbraucher und die Wirtschaftsleistung in Europa.

„Gut gemeint, aber schlecht gemacht“ ist häufig das Ergebnis, wie beispielsweise die EU-Nachhaltigkeitsberichterstattung um die Taxonomie zeigt, die zwar viel Bürokratie bringt, aber der grünen Transformation wenig nutzt. Die EU ist nun im Begriff, diesen Fehler bei der Kleinanlegerstrategie zu wiederholen.

Was läuft falsch im EU-Parlament?

Eine gemeinsame Parlamentsposition zu finden, ist in der EU nicht leicht. Das liegt einerseits daran, dass Abgeordnete sowohl nationale als auch Parteiinteressen abzuwägen haben. Zusätzlich ist das EU-Parlament in den letzten Dekaden immer mehr von populistischen und europaskeptischen Parteien besetzt. Damit es also überhaupt zu Mehrheiten kommen kann, müssen die Parteien der politischen Mitte eine Einigung finden. Man könnte sagen, die „europäische Ampel“ aus der sozialdemokratischen Fraktion, den Grünen und Renew (Liberale) sucht den Schulterschluss mit der „europäischen Union“ (EVP – Christdemokraten). Man kann sich vorstellen, dass hier politisch sehr unterschiedliche Weltsichten aufeinanderprallen, vor allem, wenn man bedenkt, dass die europäischen Fraktionen in ihren Positionen häufig heterogener und extremer sind als ihre nationalen Gegenstücke.

Häufig passen diese Positionen also nicht zusammen, trotzdem möchte man als europäisches Legislativorgan konstruktiv arbeiten.

Das ist auch der Anspruch der Berichterstatterin des EU-Parlaments zur Kleinanlegerstrategie, Stéphanie Yon-Courtin, aus Frankreich. Sie leitet die Verhandlungen des Parlaments für eine gemeinsame Position. Sie gehört zur liberalen Partei Renaissance des französischen Präsidenten und nimmt damit wirtschaftsliberale Positionen ein. In ihrem Bestreben, eine mehrheitsfähige Parlamentsposition zu finden, ist sie aber bereit, weit auf die Sozialdemokraten zuzugehen, die wiederum im europäischen Kontext weit sozialistischer sind als ihr deutsches Pendant.

Kompromiss heißt hier also Verbote, Bevormundung, staatliche Lenkung, Preisregulierung. Alles Maßnahmen, von denen wir seit Jahrzenten wissen, dass sie nicht nur ihr Ziel verfehlen, sondern dabei auch Wirtschaft und Endverbraucher schaden.

Konkret will Yon-Courtin den Fraktionen von Sozialdemokraten und Grünen bei Provisionsverboten für das beratungsfreie Geschäft in der Kapitalanlage entgegenkommen. Ebenso sollen behördliche Referenzbenchmarks für Finanzprodukte die Kosten für Endverbraucher niedrig halten. Zudem soll der Verbraucher noch besser über seine Anlageentscheidung informiert werden. In der Theorie hört sich das alles gut an. Die Praxiserfahrung beweist etwas anderes. Hier die wichtigsten Probleme dieser Theorie.

Falsch verstandener Verbraucherschutz

1. Informationsüberlastung der Kunden

In keiner Branche werden Verbraucherinnen und Verbraucher so sehr mit Informationen überhäuft wie im Finanzdienstleistungsgewerbe. Informationsblätter auf Basis der MiFID oder PRIIP-Verordnung, wie das Basisinformationsblatt, haben häufig 150 Druckseiten. Ebenfalls gibt es in keiner Branche eine ähnlich vergleichbare Pflicht zur Kostentransparenz, in der die Gesamtkosten in ihre Einzelkomponenten aufgeschlüsselt werden, wie in der MiFID geregelt. Durch die Geeignetheitsprüfung und die Risikoeinstufung werden Kunden bereits über Risiken ihrer Anlageentscheidung informiert.

Dem Gesetzgeber fehlt bei der Erstellung der Informationsanforderungen unserer Ansicht nach die Erfahrung aus der Praxis, insbesondere wenn es um die Einschätzung des Kundenverhaltens geht. Gerade in Deutschland sind Verbraucherinnen und Verbraucher sehr risikoavers. Kunden lesen die Informationen wegen ihres Umfangs entweder gar nicht oder werden durch die Masse an Unterlagen verunsichert und von einer Anlageentscheidung abgeschreckt.

Keine Art der Information kann den fundamentalen Zusammenhang zwischen Risiko und Rendite beseitigen. Auf dem Kapitalmarkt können Anleger zwar langfristig eine höhere Rendite erzielen als zum Beispiel in Bankeinlagen. Die Wertpapiere unterliegen jedoch Kursrisiken, die gerade Anleger in Deutschland oft scheuen. Diese Unsicherheiten lassen sich nicht durch eine zentralisierte Lenkung aus Brüssel beseitigen. Entscheidend hierfür ist eine gute Beratung sowie ein vertrauensvolles Berater-Kunden-Verhältnis und mündige Verbraucherinnen und Verbraucher.

Darüber hinaus benötigen die Finanzdienstleister auch den zeitlichen Spielraum, um sich auf das Wesentliche – eine fundierte Beratung ihrer Kunden – zu konzentrieren. Die zahlreichen von der Kommission vorgeschlagenen Pflichten wie zum Beispiel die Einführung von Referenzbenchmarks (Art. 16-a MIFID-E), die Berechnung zahlreicher neuer Kennzahlen in der Ex-Ante Kosteninformation (Art. 24b MIFID-E) oder pauschale Fortbildungsverpflichtungen (Art. 24d MIFID-E) werden die Bürokratielast der Dienstleister weiter erhöhen. Insgesamt läuft das extrem hohe Maß an Bürokratie den Ankündigungen der EU-Kommission zuwider, Bürokratie abzubauen. Die Kleinanlegerstrategie stellt einen massiven Aufbau von Bürokratie dar.

2. Fehlallokationen durch Steuerungseingriffe

Besonders kritisch ist die Idee der Kommission, Anleger durch Referenzbenchmarks (Artikel 16-a MiFID-E), Best-Interest-Tests (Artikel 24 MiFID-E) und Warnhinweise (z.B. Artikel 25 MiFID-E) in bestimmte Produktkategorien zu lenken. Nicht nur werden Kunden in ihren Anlageentscheidungen so stark bevormundet. Die Lenkungsfunktion dieser Vorschriften suggeriert ein falsches Bild von Sicherheit, indem es Produkte mit geringen Kosten und vermeintlich geringen Risiken favorisieren soll. Erstens respektiert die einseitige Fokussierung auf den Kostenaspekt die individuellen Bedarfe des Kunden nicht.

Zweitens kann die Lenkung zu gefährlichen Fehlallokationen führen. Wenn die Masse der Kleinanleger aufgrund behördlicher Steuerung einseitig in gewisse Produktkategorien investiert, steigen die stark gewichteten Titel dieser Indizes unweigerlich, unabhängig von ihrer realwirtschaftlichen Entwicklung, was zur Überbewertung und Blasenbildung führen kann. Diese Fehlallokation kann schwere Finanzkrisen auslösen und die vermeintlich sicheren Investments unsicher werden lassen.

3. Erschwerter Kapitalmarktzugang durch erzwungenen Dienstleistungsabbau

Um Kleinanleger für eine Kapitalmarktanlage zu gewinnen, muss die Einstiegslast für Kunden also reduziert werden. Dazu gehört auch, dass Finanzinstitute nicht in ihrer Dienstleistungsfähigkeit beschnitten werden dürfen. Das von der Kommission in Art. 24a der MIFID-E vorgeschlagene Verbot von Zuwendungen würde unweigerlich zu einer Verschlechterung des Dienstleistungsangebots führen.

Die EU ist im Begriff alle Formen der Beratungsdienstleistung, mit Ausnahme der Honorarberatung, zu verbieten oder stark einzuschränken. An anderer Stelle wurde bereits deutlich auf die Nachteile der Honorarberatung, die mitnichten frei von Fehlanreizen ist und gerade Kleinanleger von der Beratung ausschließt, eingegangen (Siehe Artikel „Provisionsverbot führt zu ernüchternden Ergebnissen“ in „Profil“ 10/2021). Selbst Rückvergütungsmodelle (Payment for Order Flow), die für den Endkunden kostenlos sind, werden verboten. Egal, wie innovativ sich die Finanzindustrie zeigt, um den Einstieg für Kleinanleger so hürdenlos und kostengünstig wie möglich zu machen, die Kommission baut weitere Hürden auf.

Es entsteht der Eindruck, die EU glaube, Finanzdienstleistungen seien kostenfrei. Auch wenn die Digitalisierung die Kosten stark senken kann, so sind Entwicklung und Betrieb der IT-Infrastruktur, gerade vor dem Hintergrund der Cybersicherheit, teuer. Der Abbau von Dienstleistungen ist zwangsläufig, da die Kosten für Finanzdienstleister steigen, gleichzeitig aber Ertragskomponenten durch Verbote und Lenkungsvorschriften beschnitten werden. Dieser Abbau wird sich vor allem auf die persönlichen Bedürfnisse der Kunden negativ auswirken und die Grundversorgung der Bevölkerung mit Finanzdienstleistungen weiter verschlechtern.

Letztlich sind zahlreiche Details des Gesetzes außerdem noch gar nicht vom Gesetzgeber definiert. So wurden wichtige Eckpunkte der Referenzbenchmarks (Art. 16-a MiFID-E) ohne nähere Vorgaben auf Behörden ausgelagert. Die damit einhergehende Rechtsunsicherheit belastet die Institute zusätzlich. Auch die Behörden werden die Aufgaben mit dem kalkulierten Personal- und Sachaufwand nicht bewältigen können. Die Handlungsfähigkeit der Behörden wird durch die Ausweitung der Aufgaben in den Steuerungsbereich überstrapaziert, was die Finanzstabilität gefährdet.

EU-Berichterstatterin Yon-Courtin hatte viele dieser Probleme ursprünglich bereits erkannt und Referenzbenchmarks sowie des Provisionsverbot in ihrem Bericht gestrichen. Sie hat sich dem Druck von S&D sowie den Grünen gebeugt, um einen Kompromiss zu erzielen.

Die EVP kann die Situation zum Positiven wenden

Was kann getan werden? Es kommt nun auf die Standhaftigkeit der EVP an. Ohne die stärkste Fraktion im Europaparlament geht fast nichts. Die Christdemokraten haben vor allem hierzulande für ein Bürokratiememorandum aus Europa geworben. „One-in-Two-out“-Slogans machen die Runde. Die Kleinanlegerstrategie ist jetzt eine Gelegenheit, diesen Worten auch Taten folgen zu lassen. Es wäre ein Gewinn für Verbraucher und Finanzwirtschaft.


Gregor Scheller ist Präsident des Genossenschaftsverbands Bayern (GVB).

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