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In den warmen Monaten ist Hauptsaison bei der Futtertrocknung Erkheim eG. Dann umweht der Duft von frisch geschnittenem Wiesengras den betonierten Platz vor der Produktionshalle. Alle paar Minuten fahren Traktoren oder Unimog-Zugfahrzeuge mit gigantischen Ladewagen vor, um neues Grüngut abzuladen. Die Trocknungstrommel in der Halle dröhnt unablässig wie das Triebwerk eines startenden Flugzeugs; sie strahlt eine enorme Hitze aus.

In der kalten Jahreszeit ist es stiller. Nur der Regen platscht auf den Asphalt. Die mächtige Trommel ruht im Winterschlaf. In den Lagerhallen stapeln sich Ballen sowie sogenannte Cobs – in Pellets gepresstes Futter. Sie warten darauf, verladen und zu Bauernhöfen gebracht zu werden. Doch obwohl die eigentliche Trocknungssaison vorbei ist, haben die rund 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ordentlich zu tun. Den Frühjahrsputz führen sie bereits im November und Dezember durch. Beispielsweise müssen sie die gesamte Anlage gründlich reinigen. Dazu werden die Maschinen, die von Frühjahr bis Herbst Tag und Nacht laufen, akribisch auseinandergenommen, gewartet und wieder zusammengebaut. Ältere oder störanfällige Teile gehen zur Generalüberholung an die Hersteller. „Das alles muss bis zum Jahreswechsel über die Bühne gehen, damit wir die Komponenten rechtzeitig zurückbekommen und die Anlage zur nächsten Trocknungssaison wieder in Betrieb nehmen können“, sagt Geschäftsführer Simon Miller. Los geht es in der Regel in der letzten April-Woche, in manchen Jahren je nach Witterung auch mal ein paar Tage früher oder später.

Was die Trocknungsgenossenschaft macht

Die genossenschaftlich organisierte Futtertrocknung Erkheim veredelt Wiesengras sowie Mais zu hochwertigem, gentechnikfreiem Futter für Nutztiere. Dazu werden die Feldfrüchte gehäckselt, im Trommel-Ofen bei extrem heißen Temperaturen getrocknet, anschließend gekühlt und schließlich zu den oben genannten Cobs gepresst oder als Ballen verarbeitet. Damit füttern Landwirte vor allem Rinder, Pferde und Schafe. Die Trocknung von Grüngut auf diese Weise bietet mehrere Vorteile im Vergleich zur Sonnentrocknung oder zur Lagerung in Silos: „Durch den schonenden Trocknungsprozess bleiben Nährstoff- und Vitamingehalt des Wiesengrases weitestgehend bestehen“, betont Miller. Zudem wirke sich das Futter bei den Tieren vielfach positiv aus: auf ihre Gesundheit, die Regulierung des Stoffwechsels, die Fruchtbarkeit, das Wachstum und die Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten.

Genossenschaft besteht seit einem halben Jahrhundert

Gegründet wurde die Genossenschaft im März 1973 von rund 150 Landwirten. Sitz und Produktionsstandort ist Erkheim, ein Markt im Landkreis Unterallgäu mit rund 3.200 Einwohnern, 15 Kilometer östlich von Memmingen gelegen. Das 50-jährige Bestehen im vergangenen Jahr hat das Unternehmen genutzt, um mit rund 700 Gästen zu feiern. Unter den Teilnehmern war Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek, Erkheim gehört zu seinem Stimmkreis. Er lobte die Genossenschaft dafür, dass sie alle Krisen überstanden habe und damals wie heute für Regionalität und Qualität stehe. Ebenfalls sehr positiv äußerte sich Ludwig Huber vom Genossenschaftsverband Bayern (GVB). Er betonte: „Was Ihr in den vergangenen 50 Jahren geleistet habt, ist ein Grund zum Feiern.“ Viele Bewährungsproben wie die Ölpreisschocks in den 1970er Jahren sowie die aktuellen Energiepreisschwankungen waren und sind zu bestehen. Die Futtertrocknung Erkheim habe bisher alle Herausforderungen erfolgreich gemeistert, so Huber. Sie stehe auf solidem finanziellem Fundament und sei eine Erfolgsgeschichte.

Für diese Aussage gibt es gute Gründe. Dass die Genossenschaft wirtschaftlich gesund ist und optimistisch in die Zukunft blicken kann, ist in der Branche keine Selbstverständlichkeit. Heute gibt es in ganz Deutschland nur noch 31 Grünfutter-Trocknungen. Vor einigen Jahren waren es deutlich mehr. Doch das Aus der EU-Beihilfen im Jahr 2013 hat alle Unternehmen in der Trocknungsbranche hart getroffen. In Ost- und Norddeutschland kamen mehrere schlechte Ernten dazu. Als Konsequenz mussten viele Betriebe aufgeben.

Warum es in Erkheim gut läuft

Was hat das Vorstandsteam in Erkheim richtig gemacht? Einerseits profitieren sie von den natürlichen Standortvorteilen. Im Süden Deutschlands, vor allem zwischen Donau und Alpen, wächst das Wiesengras aufgrund der hohen Niederschlagsmenge schneller und kann deshalb häufiger gemäht werden. Wo es viel Gras gibt, muss auch viel getrocknet werden. Andererseits haben die Führungskräfte mehrmals richtige strategische Entscheidungen getroffen. Geschäftsführer Simon Miller und der Vorstandsvorsitzende Stefan Bögle verweisen auf fünf Faktoren, weshalb es dem Unternehmen heute gut geht:

Erstens die gesunde finanzielle Basis. Die Genossenschaft hat stets ausreichend Rücklagen gebildet. Auf diese kann sie in wirtschaftlich herausfordernden Zeiten zurückgreifen. Das höre sich sehr logisch an, sei in der Praxis aber nicht immer leicht umzusetzen, erklärt Bögle. Ein gutes Geschäftsjahr kann dazu verführen, das Geld leichtfertig auszugeben. „Das haben wir in Erkheim nie gemacht“, bekräftigt er.

Zweitens ein konservatives Investitionsverhalten. Miller macht das an einem Beispiel deutlich. Viele Trocknungen hätten sich mit dem Aufkommen der Erneuerbaren Energien finanziell verhoben, etwa bei der Installation von ORC-Systemen. ORC steht für „Organic Rankine Cycle“, benannt nach dem schottischen Ingenieur William Rankine (1820-1872). ORC-Systeme nutzen vorhandene Prozesswärme, um damit Strom zu erzeugen und die Restwärme weiteren Zwecken zuzuführen. So lässt sich etwa die Abwärme einer Trocknung in ein Nahwärmenetz einspeisen. Das generiert zusätzliche Einnahmen. Was auf dem Papier hervorragend klang, ging im Echtbetrieb häufig nicht auf. Fossile Energie war günstiger, viele Hausbesitzer entschieden sich gegen einen Anschluss an das Wärmenetz. So blieben die Trocknungen auf den hohen Kosten sitzen. „Wir informieren uns stets über die neuesten technischen Entwicklungen, achten aber darauf, dass wir kein finanzielles Risiko eingehen“, resümiert Miller.

Drittens die konsequente Anpassung an die Marktbedingungen. Die Genossenschaft ist mit dem Bedarf ihrer Mitglieder gewachsen. Die bestehende Pelletpresse wurde um zwei weitere ergänzt. So werden Produktionsengpässe vermieden, ohne dass die Stückkosten aus dem Ruder laufen. „Wachstum ist wichtig, es muss aber gesund sein“, betont Miller. Die Anlage sei gut dimensioniert, weder zu groß noch zu klein.

Viertens die Treue der Mitglieder. Aktuell gibt es rund 620 Teilhaberinnen und Teilhaber. Die Landwirte in der Region würden die Vorteile sehen, die eine regionale Trocknung mit sich bringt. „Die Mitglieder können sich darauf verlassen, dass wir seit über 50 Jahren fest an ihrer Seite stehen und ihr Grüngut zu hochwertigen Futtermitteln verarbeiten“, sagt Bögle.

Fünftens die lange Betriebszugehörigkeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Viele seien seit Jahrzehnten bei der Genossenschaft. „Uns ist ein wertschätzender Umgang sehr wichtig. Die Menschen sollen gerne bei uns tätig sein und spüren, dass wir ihnen und ihrer Kompetenz vertrauen“, erklärt Bögle.

Hohe Energiepreise müssen weitergegeben werden

Also alles im grünen Bereich in Erkheim? Nicht ganz, denn natürlich muss sich die Genossenschaft anstrengen, wenn sie weiter erfolgreich bleiben möchte. Eine zentrale Herausforderung ist der Umgang mit den gestiegenen Energiekosten. Die Anlage wird mit Erdgas betrieben, die Preise dafür haben sich seit 2022 stark erhöht. Kurzfristig konnte die Genossenschaft diese Entwicklung gut verkraften, da sie sich am Terminmarkt mit Gas eingedeckt hatte und die Preiserhöhungen dadurch moderat halten konnte. Doch in Zukunft wird sie die höheren Kosten umfänglich an die Kunden weitergeben müssen. Es sei zu erwarten, dass einige der bisherigen Abnehmer künftig auf kostengünstigere Alternativen wie Sojafutter aus Übersee zurückgreifen werden, sagt Miller. Also gelte es, neue Kunden zu gewinnen.

Trocknen mit Hackschnitzeln oder Solarthermie?

Es gibt Alternativen zum Erdgas. Einige Trocknungsbetriebe setzen auf Holzhackschnitzel als Brennstoff. Die Futtertrocknung Erkheim hat sich die Kosten für eine Umstellung ausrechnen lassen: Je nach Größe und Leistungsfähigkeit der Anlage wären Investitionen zwischen fünf und dreizehn Millionen Euro nötig. Dazu kommt: Der Betrieb mit einer Hackschnitzelfeuerung sei komplizierter als derjenige mit Gas, sagt Miller. Außerdem sei die Logistik nicht zu unterschätzen, schließlich müssen die Hackschnitzel angeliefert und gelagert, die Asche entsorgt werden. Kurzum: „Eine Umstellung schließen wir nicht aus, derzeit ist sie uns zu risikobehaftet“, betont der Geschäftsführer. Ob sich die hohen Investitionskosten amortisieren würden, sei unklar.

Die Anlage mit Strom zu betreiben, wäre technisch möglich, aber nicht rentabel. Andere Verfahrensweisen werden derzeit erst erprobt. Vorstellbar wäre eine Kombination aus Blockheizkraftwerk und Hochtemperatur-Wärmepumpe. Ebenso gibt es Überlegungen, Wasserstoff-Brennstoffzellen oder Solarthermie zu nutzen. Doch das sei alles Zukunftsmusik, fasst Miller zusammen.

Die Folgen des Strukturwandels

Ein aktuell dringlicheres Problem ist der Strukturwandel. Auch im Unterallgäu geht die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe stetig zurück. Vorstandschef Stefan Bögle, der selbst Landwirt ist und einen Hof mit knapp 100 Milchkühen betreibt, kennt die Zahlen. Vor vier Jahrzehnten gab es im Landkreis noch über 100.000 Milchkühe. Heute seien es nur noch rund 60.000 Tiere. „Wir müssen der Realität ins Auge sehen: Der Strukturwandel ist da und wird sich nicht aufhalten lassen“, bekräftigt Bögle. Der Radius der Mitgliedsbetriebe hat sich bereits erweitert, manche liegen 50 Kilometer und mehr von Erkheim entfernt.

Bögle engagiert sich im Erkheimer Gemeinderat, zudem ist er in weiteren Unternehmen und Vereinen ehrenamtlich aktiv. Was ihn und vielen Mitgliedern sauer aufstößt, ist die fehlende Rückendeckung durch die politischen Entscheidungsträger. Beispielsweise müssen die landwirtschaftlichen Betriebe heuer vier Prozent ihrer Flächen stilllegen, wenn sie weiterhin ungekürzte Zahlungen aus dem EU-Agrarfördertopf erhalten möchten. „Wir leben in einer Zeit der starken Unsicherheiten, unser Selbstversorgungsgrad hat seit den 1990er Jahren abgenommen. Entscheidungen wie die Stilllegung von nutzbaren Flächen kann bei uns niemand nachvollziehen“, sagt der gelernte Landwirtschaftsmeister. Auch die jüngsten Diskussionen um die Abschaffung der Steuerbegünstigung für Agrardiesel und die mittlerweile zurückgenommene Einführung der Kfz-Steuer für land- und forstwirtschaftliche Fahrzeuge haben die Bauern auf die Palme gebracht. „Wie jedes Unternehmen benötigen wir verlässliche Rahmenbedingungen, um gut wirtschaften zu können. Viele meiner Kollegen fragen sich, was die Politik gegen heimische Lebensmittelerzeugung hat und sie deshalb so stark belastet“, sagt Bögle. Er befürchtet, dass weitere Landwirte ihren Betrieb aufgeben. Als Folge würde die Genossenschaft weniger Grüngut zum Trocknen erhalten.

Neue Wege im Vertrieb

Eine Folge des Strukturwandels ist bereits zu beobachten. Geschäftsführer Simon Miller berichtet, dass sich das Geschäft derzeit stark wandelt. In den vergangenen Jahrzehnten haben die Mitglieder in der Regel ihr Wiesengras angeliefert und dieses getrocknet in Form von Cobs oder Ballen wieder mitgenommen, um damit ihre Tiere zu füttern. 80 Prozent der Produktionsmenge wurden auf diese Weise vertrieben. Doch da immer weniger Tiere zu versorgen sind und die Genossenschaft gleichzeitig die hohen Energiekosten in Rechnung stellen muss, holen immer weniger Landwirte ihr verarbeitetes Grüngut wieder ab. Rund 50 Prozent der Produktionsmenge, die sich 2022 auf insgesamt rund 150.000 Dezitonnen belief, muss die Futtertrocknung Erkheim mittlerweile selbst vermarkten.

Es gilt folglich, neue Absatzwege zu erschließen. „Eine unserer zentralen Aufgaben ist es deshalb, die Vertriebspower zu erhöhen“, betont Miller. Zugute kommt der Genossenschaft, dass ihre Wiesengras-Cobs sehr gefragt sind, vor allem bei der Pferdefütterung. Immer mehr Pferdebesitzer würden auf getreidefreies Futter setzen, erzählt der Geschäftsführer der Trocknung. „Unsere Cobs sind reich an Nährstoffen sowie Vitaminen und damit ausgezeichnet für Pferde geeignet“, fügt er hinzu. Bereits heute gehen 85 Prozent der von der Genossenschaft vermarkteten Cobs in die Pferdefütterung. Die restlichen 15 Prozent kaufen die Halter von Rindern und Schafen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Ein neues Lager entsteht

Da die Genossenschaft nun mehr Cobs und Ballen direkt vermarktet, benötigt sie mehr Lagerfläche als zuvor. Aktuell kann sie am Standort 4.000 Tonnen lagern, zusätzlich hat sie ein Außenlager mit einer Kapazität von 1.000 Tonnen angemietet. Nun möchte sie ein weiteres Lager am Standort bauen. Dieses soll 5.000 Tonnen fassen. Derzeit läuft der Genehmigungsprozess, Baustart soll im Frühjahr sein. Wenn alles glatt geht, könnte das neue Lager im Laufe des Jahres 2024 in Betrieb gehen.

Ziel: Leistungsfähige und wirtschaftlich stabile Trocknung

Das Lager ist das bauliche Symbol dafür, dass die Genossenschaft auf die veränderten Rahmenbedingungen reagiert. Mit Blick auf die Historie betont Stefan Bögle, dass die Futtertrocknung Erkheim mehrere Bewährungsproben wie die bereits erwähnten Ölpreiskrisen in den Siebzigern oder den Wegfall der EU-Subventionen im Jahr 2013 bestanden habe. Nun gebe es neue Herausforderungen wie den Strukturwandel oder die hohen Energiekosten zu bewältigen. „Ich bin überzeugt, dass wir die richtigen Entscheidungen treffen, damit unsere Mitglieder auch in Zukunft eine leistungsfähige und wirtschaftlich stabile Trocknungsgenossenschaft in Erkheim vorfinden“, bekräftigt der Vorstandschef.

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