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Herr Schmidtner, Sie sind Vorstandsvorsitzender der Bürgerenergie Chiemgau eG, die es seit 2017 gibt. Ziel der Genossenschaft ist es, sich für den Klimaschutz in der Region einzusetzen. Warum haben Sie sich für die Rechtsform eG entschieden?

David Schmidtner: Gemeinsam mit den späteren Gründungsmitgliedern der Genossenschaft haben wir verschiedene Rechtsformen diskutiert. Neben der eG standen beispielsweise die GmbH oder die AG zur Wahl. Wir haben uns schließlich für die Genossenschaft entschieden, weil sie mehrere Vorteile bietet. Erstens sind die Hürden für potenzielle Mitglieder gering. Dadurch ist es uns gelungen, einerseits schnell zu wachsen und andererseits sowohl Einzelpersonen als auch die Kommunen gleichberechtigt einzubinden. Zweitens gibt es keine Machtkonzentration. Jedes Mitglied hat unabhängig von der Höhe seiner Einlage eine Stimme. Drittens können wir unsere Projekte mit Eigenmitteln stemmen. Das macht uns unabhängig von fremden Kapitalgebern und sichert unsere Entscheidungsfreiheit. Und viertens legen wir die Energiewende in die Hände der Bürger. Das motiviert viele Menschen vor Ort, sich zu engagieren.

Wie haben Sie Unterstützer für das Projekt gewonnen?

Schmidtner: Bei uns in der Region gibt es viele Menschen, die sich seit mehreren Jahren für den Klimaschutz einsetzen. Beispielsweise haben sie selbstständig eine Photovoltaik (PV)-Anlage gebaut oder in Arbeitskreisen das Thema vorangetrieben. Nur eine gemeinsame und langfristig geplante Bewegung hat gefehlt. Deshalb bin ich auf diese Leute zugegangen und habe gefragt, ob sie sich bei einer Energiegenossenschaft engagieren möchten. Mein Argument war immer: Lasst uns den von euch eingeschlagenen Weg weitergehen und zusätzliche Maßnahmen zum Klimaschutz und zur regionalen Wertschöpfung gemeinsam entwickeln. Innerhalb von zwei Monaten sind auf diese Weise rund 30 Personen zusammengekommen. Anschließend habe ich auf insgesamt sechs Infoveranstaltungen die Menschen vor Ort eingebunden und in den Gemeinderäten für das Vorhaben geworben.

Gründer und Berater

David Schmidtner ist seit April 2016 Klimaschutzbeauftragter der Gemeinden Aschau und Bernau sowie Initiator und Vorstandsvorsitzender der Bürgerenergie Chiemgau eG. Zuvor hatte er Forstwissenschaft und Ressourcenmanagement sowie Erneuerbare Energie und Nachwachsende Rohstoffe an der Technischen Universität München studiert. Auch als Unternehmensberater hat er gearbeitet. In seiner Funktion als Klimaschutzbeauftragter gab er den Anstoß zur Gründung der Bürgerenergie Chiemgau.

Max Riedl ist seit 15 Jahren Gründungsberater beim Genossenschaftsverband Bayern. In dieser Zeit hat er unzählige Menschen bei der Genossenschaftsgründung beraten – von der Dorfwirtschaft bis zur Brauerei.

Ein wesentlicher Schritt jeder Genossenschaft im Gründungsprozess ist es, einen Geschäftsplan aufzustellen. Wie sind Sie vorgegangen?

Schmidtner: Ganz wichtig ist so früh wie möglich ein grobes, aber klares Konzept. So eines habe ich für die erste Informationsveranstaltung geschrieben. Anhand der Zahlen konnten die Teilnehmer nachvollziehen, welche Projekte die Genossenschaft umsetzen kann, wie die Finanzierung abläuft und mit welchen Erträgen zu rechnen ist. Wenn so ein Konzept fehlt, dann besteht meines Erachtens die Gefahr, dass ohne klare Richtung diskutiert wird. So konnten wir uns von Anfang an auf realistische Projekte konzentrieren. Anschließend haben wir den Geschäftsplan konkretisiert und auch nach der Gründung im Vorstand und mit der Rückmeldung des Aufsichtsrats sukzessive vorangetrieben.
 

Herr Riedl, Sie sind seit 15 Jahren Gründungsberater beim Genossenschaftsverband Bayern (GVB) und haben auch die Bürgerenergie Chiemgau eG begleitet. Was ist aus Ihrer Sicht wichtig, wenn es um den Geschäftsplan geht?

Max Riedl: Ein guter Geschäftsplan beschreibt detailliert die Geschäftsidee einer Genossenschaft. Er macht etwa deutlich, was das Ziel ist, wie die Teilhaber profitieren und wie der Betrieb organisiert ist. Auf diese Weise zeigt er potenziellen Mitgliedern, warum sie sich engagieren sollten. Ein besonderes Augenmerk sollte der Finanzierung gelten. Angedachte Projekte müssen nicht auf den Cent genau ausgerechnet werden, aber die Initiatoren sollten ehrlich und solide planen. Wir Gründungsberater vom GVB unterstützen dabei gerne und helfen, einen realistischen Finanzplan aufzustellen.

„Der Weg mit der Mustersatzung ist deutlich einfacher.“

Herr Schmidtner hat gesagt, dass die Bürgerenergie Chiemgau schon vor der Gründung erste Projekte geplant hatte. Macht es auch Sinn, Genossenschaften zu gründen, bei denen es noch kein konkretes Vorhaben gibt?

Riedl: Möglich ist es, aber meistens ist davon abzuraten. Die Erfahrung zeigt, dass die Menschen wissen wollen, was auf sie zukommt. Erst dann identifizieren sie sich mit der Genossenschaft und werden zu Mitgliedern. Wer also beispielsweise eine Energiegenossenschaft gründen möchte, sollte zumindest ein kleines Projekt wie eine PV-Anlage in Aussicht haben.
 

Die Satzung ist die innere Verfassung der Genossenschaft und damit ein essenzieller Bestandteil. Was ist bei der Erstellung zu beachten, Herr Schmidtner?

Schmidtner: Zunächst wollten wir unsere Satzung selbst schreiben. Dann hat uns Herr Riedl auf die Mustersatzung für Energiegenossenschaften aufmerksam gemacht. Die hat sehr gut gepasst: Sie ist nicht zu eng gefasst, um Potenziale einzuschränken, aber auch nicht zu weit gefasst, um beliebig zu sein. Deshalb haben wir die Mustersatzung weitestgehend übernommen. Die größte Änderung war, dass wir einen Beirat eingeführt haben. Dieser hat keine administrativen Pflichten und ist damit für Mitglieder geeignet, die große Kompetenz besitzen und sich produktiv einbringen möchten, gleichzeitig aber nicht so viel Zeit wie zum Beispiel die Vorstände entbehren können.

Riedl: Wichtig ist natürlich, dass sich das Vorhaben im rechtlich legitimen Rahmen bewegt. Deshalb stellen wir Genossenschaften im Gründungsprozess eine Mustersatzung zur Verfügung, die sie an ihren individuellen Geschäftszweck anpassen können. Gleichzeitig ist es möglich, ohne Mustersatzung zu gründen. Wer juristische Expertise hat, kann den Text selbst verfassen. Der Weg mit der Mustersatzung ist aber deutlich einfacher und daher in der Regel empfehlenswert.

Die Bürgerenergie Chiemgau eG im Portrait

2017 haben engagierte Bürger und mehrere Kommunen die Bürgerenergie Chiemgau eG gegründet. Mittlerweile sind 211 Mitglieder dabei, um sich für den Klimaschutz in der Region einzusetzen. Seit dem Start vor zwei Jahren hat die Genossenschaft sechs Projekte realisiert. Im Hallenbad BernaMare in Bernau am Chiemsee baute sie ein Blockheizkraftwerk. Es versorgt das Schwimmbad mit Wärme und Strom und zwar wesentlich effizienter und damit sparsamer als zuvor ein Gaskessel. Zudem hat die Bürgerenergie Chiemgau fünf PV-Anlagen installiert: In Aschau auf dem Rathaus, dem Schulhaus, dem Seniorenwohnheim und einer Kindertagesstätte sowie in Frasdorf auf dem Rathaus. Für 2019 und 2020 plant die Genossenschaft, vier weitere PV-Anlagen zu errichten.

Wenn Geschäftsplan und Satzung stehen, folgt die Gründungsversammlung mit anschließender Generalversammlung, in der alle Mitglieder die Gründung beschließen und den Vorstand sowie gegebenenfalls den Aufsichtsrat wählen. Was ist bei der Vorbereitung und der Versammlung zu beachten, damit alles korrekt abläuft?

Schmidtner: Wir hatten uns eng mit dem GVB abgestimmt und eine Blaupause erhalten. Die haben wir abgearbeitet und die Veranstaltung selbstständig durchgeführt. Es hat alles wie geplant funktioniert und das Vorgehen ist so auch zu empfehlen. Einzig beim Thema Satzung waren wir uns unsicher und haben diese komplett vorgelesen, um nichts falsch zu machen. Das hat über 45 Minuten gedauert und war im Nachhinein zu viel des Guten (lacht).

Riedl: Es gibt viele kleine Faktoren, auf die Genossenschaften bei der Gründungsveranstaltung achten sollten. Beispielsweise, dass die Gremien kompetent besetzt sind oder Vorstand und Aufsichtsrat Mitglieder sind. Wir Gründungsberater geben dazu gerne Praxistipps. Außerdem leiten wir auf Wunsch die Versammlung. Damit ist sichergestellt, dass alle Formalien eingehalten werden. Die Gründer nehmen das Angebot häufig an, ich leite in vier von fünf Fällen die konstituierende Sitzung.

„Teilweise standen sich Personen mit sehr unterschiedlichen Positionen gegenüber.“

Nach der Gründungsversammlung prüft der GVB die wirtschaftlichen Verhältnisse, Aussichten und Risiken der neuen Genossenschaft. Wie läuft die Zusammenarbeit ab?

Schmidtner: Der Prozess lief reibungslos. Wir haben den Geschäftsplan sowie die Satzung eingereicht und anschließend ein Feedback von Herrn Riedl bekommen. Daraufhin mussten wir lediglich einige Zahlen konkretisieren. Anschließend gab es die Zustimmung vom GVB. Mit dieser haben wir die Genossenschaft beim Registergericht eintragen lassen und mit dem Geschäftsbetrieb losgelegt. Der Prozess hat auch so gut funktioniert, weil wir schon im Anfangsstadium Kontakt mit dem GVB aufgenommen hatten. Meine Meinung ist: Je früher, desto besser. Das hat uns dabei geholfen, Anfangsfehler zu vermeiden. Herr Riedl hat uns da stets sehr schnell weitergeholfen. Das hat uns Zeit gespart und dazu geführt, dass alles ohne Probleme abgelaufen ist.

Riedl: In der Gründungsprüfung beurteilen wir die wirtschaftlichen Verhältnisse, Aussichten und Risiken der Genossenschaft. Konkret schauen wir beispielsweise danach, wie die Mitgliederverwaltung organisiert ist und wer sich um das Risikomanagement kümmert. Da wir die meisten Gründungen schon frühzeitig eng begleiten, gibt es meistens keine bösen Überraschungen. Häufig müssen nur wenige Zahlen konkretisiert oder Zuständigkeiten geregelt werden.
 

Herr Schmidtner, wenn Sie noch einmal auf den Gründungsprozess zurückblicken: Was waren die größten Herausforderungen?

Schmidtner: Eine zentrale Aufgabe war es, alle Mitglieder gleichberechtigt einzubinden. Teilweise standen sich Personen mit sehr unterschiedlichen Positionen gegenüber und ein Ausgleich war nicht immer möglich. Letztlich ist es uns – so hoffe ich – gelungen, im Interesse aller Mitglieder zu handeln. Eine weitere Herausforderung war die Namensfindung. Da stand die Frage im Raum, ob wir die Namen aller beteiligten Kommunen aufnehmen sollten. Letztlich haben wir uns für den Begriff Chiemgau entschieden, der das Handlungsfeld der Genossenschaft erweitert. Anfangs war mit dieser Entscheidung natürlich nicht jedes Mitglied einverstanden, auch, weil der Name ein emotional besetztes Thema ist. Mittlerweile sind aber alle davon überzeugt, dass es die richtige Namenswahl war.

Eine Genossenschaftsgründung braucht Zeit. Wie viel sollte eingeplant werden?

Riedl: Wie bei jeder Existenzgründung müssen sich die Initiatoren von Genossenschaften intensiv Gedanken über einen Geschäftsplan machen. Und das braucht natürlich seine Zeit – vor allem, weil bei Genossenschaften viele Menschen ihre Ideen einbringen. Wenn sich die Gründer schließlich einig sind und mit einem guten Konzept an uns wenden, geht es recht schnell. Erfahrungsgemäß dauert es anschließend zwischen sechs und zehn Wochen, bis die neue Genossenschaft gegründet ist.

Schmidtner: Die Zeit von der Idee bis zur Gründung war schon sehr intensiv. Allein für die Informationsveranstaltungen inklusive Vorbereitungen und Nachbereitungen habe ich mehrere Tage investiert. Man sollte sich einen zeitlichen Puffer einräumen, weil viel Unvorhergesehenes passieren kann. Wir hatten circa ein halbes Jahr gebraucht und waren damit recht schnell, auch weil die Gründungmitglieder sehr viel Zeit investiert haben. Wobei ich hinzufügen muss: Der Aufwand ist nicht hauptsächlich wegen der Regularien so hoch, sondern wegen des demokratischen Prozesses. Es braucht eben Zeit, bis alle Interessen unter einen Hut gebracht sind. Das ist nach der Gründung einfacher, wenn die Organisation und Arbeitsweise durch die Satzung klar geregelt sind.
 

Herr Schmidtner, war es rückblickend betrachtet die richtige Entscheidung, auf die Rechtsform Genossenschaft zu setzen?

Schmidtner: Auf jeden Fall, für unser Vorhaben war die Genossenschaft der richtige Weg. Wir können die Bürger einbinden, die Wertschöpfung in der Region halten, unabhängig von fremden Investoren agieren und verfügen über verhältnismäßig unkomplizierte Entscheidungsprozesse. Es ist toll, dass sich so viele Menschen zusammengeschlossen haben, um sich gemeinsam für den Klimaschutz und die regionale Wertschöpfung zu engagieren. Stünden wir heute noch einmal vor der Entscheidung, würden wir wieder eine Genossenschaft gründen.
 

Herr Schmidtner, Herr Riedl, vielen Dank für das Gespräch!

Mehr Informationen zum Thema Genossenschaften gründen

Sie möchten noch mehr erfahren? Der GVB hat eine Gründungsbroschüre veröffentlicht. Diese erklärt die Unternehmensform eG, lässt Gründer von Genossenschaften zu Wort kommen und gibt bewährte Tipps aus der Praxis. Weitere Informationen erteilen die Gründungsberater des GVB.

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