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Herr Radwan, die EU-Kommission hat sich ehrgeizige Ziele gesetzt, um den Klimawandel zu bremsen. Für wie wichtig halten Sie grundsätzlich eine stärkere Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten in der Wirtschaft?

Alexander Radwan: Der Klimawandel ist eine große, globale Herausforderung. Dies können wir leider regelmäßig an den Katastrophen feststellen, die auf unserem Kontinent passieren. Darum hat die UNO 2015 in Paris ambitionierte Ziele vereinbart. Es ist daher wichtig und richtig, dass die EU-Kommission sich dieser Themen mit Ehrgeiz annimmt. Eine Strategie, dem Klimawandel zu begegnen, macht nur auf europäischer beziehungsweise internationaler Ebene Sinn. Wenn Europa ambitionierte Ziele definiert, können wir auch andere Länder und Regionen dafür gewinnen, sich diesem Thema in gleicher Weise zu widmen. Dies erfasst natürlich auch die Wirtschaft als wichtigen Teil des Ganzen. Dort werden Nachhaltigkeitsaspekte bereits berücksichtigt. Exemplarisch nenne ich die Branchen Bau-, Kraftfahrzeug- und Energiewirtschaft.

Umstritten ist, mit welchen Maßnahmen die EU-Gesetzgeber ihre Klimaziele erreichen wollen. Im Kern geht es bei dem Aktionsplan für ein nachhaltiges Finanzwesen darum, mehr privates Kapital in klimafreundliche Projekte zu lenken. Halten Sie die Vorschläge insgesamt für zielführend?

Radwan: Es ist klar, dass der Gesetzgeber den Rahmen definieren und vorgeben muss. Am besten wäre es, wenn innerhalb dieses Rahmens die Wirtschaft die besten Lösungen im Wettbewerb findet. Diese Projekte brauchen natürlich eine Finanzierung. Ein entsprechender Markt hat sich auch schon entwickelt. Es gibt Anleger und Investoren, die genau dieses Segment suchen und bedienen. Hierbei geht es auch, aber aus meiner Sicht nicht nur, um diesen aktuellen Vorschlag, wie mehr privates Kapital in nachhaltige Investitionen gelenkt werden soll. Wichtig ist die Frage, wohin diese Entwicklung führt. Wo stehen wir bei dem Thema in zehn Jahren? Man muss sich darüber im Klaren sein, dass der Vorschlag der Kommission erst der Anfang ist. Am besten wäre es, wenn es der Markt selbst regeln könnte. Die Nachfrage ist ja da.

„Es besteht die Gefahr, dass die Stabilität des Finanzsystems nicht mehr oberstes Ziel bleibt. Das darf nicht sein.“

Umstritten ist die Idee der EU-Kommission, dass Banken „grüne“ Kredite für Klima- und Umweltschutz sowie „grüne“ Anleihen („Green Bonds“) in Zukunft mit weniger Eigenkapital unterlegen müssen – auch wenn sie nicht per se risikoarm sind. Besteht darin nicht die Gefahr der Blasenbildung an den Kredit- und Kapitalmärkten?

Radwan: Ich halte diesen Ansatz für höchst problematisch. Das Ziel der Regulierung der Finanzmärkte ist es, diese sicherer zu machen. Die letzte Finanzmarktkrise hat uns vor Augen geführt, wie komplex das System ist und wie schnell es geht, dass es zu Turbulenzen kommt, bis zum Zusammenbruch. Letztendlich mussten Staaten eingreifen. Unser Ziel danach war es, dass die Märkte stabiler werden, die Banken mit mehr Eigenkapital ausgestattet werden und dass es keine Haftung des Steuerzahlers mehr geben soll. „Green Bonds“ sind von sich aus nicht risikoärmer als „Brown Bonds“. Es besteht die Gefahr, dass nicht mehr risikoadäquat Eigenkapital zu unterlegen ist und die Stabilität des Finanzsystems nicht mehr oberstes Ziel bleibt. Das darf nicht sein.

Welche Konsequenzen sehen Sie?

Radwan: Klimarisiken sind langfristig, Finanzrisiken können sich kurzfristig realisieren. Der Unterschied ist aufzulösen. Weiter darf eine entsprechende Bevorzugung nicht zu Fehlallokationen führen. Die Finanzströme werden staatlich in eine bestimmte Richtung gesteuert und die Gefahr der Blasenbildung wäre die Folge. Gerade dies will die Kapitalmarktregulierung verhindern. Die Ungleichbehandlungen bei der Finanzierung können auch zu prozyklischen Effekten führen. Bekommt zukünftig ein konventioneller landwirtschaftlicher Betrieb, der alle gesetzlichen Aufgaben erfüllt, die gleichen Konditionen wie der Biobetrieb? Wird ein Zulieferer von Dieselmotoren zukünftig, in einer sowieso schwierigen Zeit, schlechtere Kreditkonditionen bekommen, weil er nicht ausschließlich E-Mobilität produziert? Dies würde insbesondere kleine und mittlere Betriebe treffen. Wird die Baufinanzierung zukünftig teurer, obwohl alle gesetzlichen, energetischen Vorgaben eingehalten werden, es aber eben noch bessere gibt?

„Es gibt kein gemeinsames Verständnis von Nachhaltigkeit in Europa.“

Kritiker befürchten außerdem eine zunehmende „Öko-Bürokratie“. So sollen Banken in Zukunft verpflichtet werden, ökologische, soziale und unternehmerische Risiken bei ihren Anlagen und Krediten zu identifizieren und in ihrem Risikomanagement zu berücksichtigen. Das hieße beispielsweise auch, dass sie von ihren kleinen und mittelständischen Betrieben zusätzliche Daten abfragen müssten. Ist eine solche Zusatzbelastung angemessen?

Radwan: Wir stehen erst am Anfang einer Entwicklung. Ich befürchte, dass in zehn Jahren die Finanzmarktrichtlinie MiFID II als letzte „Entbürokratisierungs“-Initiative der EU gefeiert wird, wenn das eintritt, was sich bereits jetzt abzeichnet. Erstens wird sehr viel Bürokratie durch die Regulierung entstehen. Jeder muss dann einen Nachhaltigkeitsnachweis führen und mit entsprechenden Daten belegen. Die Details werden wieder in europäischen Expertengruppen definiert werden, deren Komplexität gar nicht absehbar ist. Auch gibt es noch gar keinen Konsens, was „grün“ ist. Aus der Sicht Frankreichs sind Atomkraftwerke positiv zu bewerten, da sie keine Emissionen haben. Das sehen wir in Deutschland natürlich anders. Dies zeigt auf, dass es kein gemeinsames Verständnis für Nachhaltigkeit gibt. Mir kommt bei den bisherigen Vorschlägen der Ansatz der regionalen Wirtschaft viel zu kurz. Diese sind von Hause aus nachhaltiger. Auch wird entscheidend sein, wer zukünftig in diesen Gremien sein wird. Natürlich werden daneben Nichtregierungsorganisationen, Rating-Agenturen, wissenschaftliche Institute oder Transparenzinitiativen darüber wachen, dass die sich selber angehafteten grünen Labels auch wirklich eingehalten werden. Es wird hier sehr schnell zum „blame and shame“ kommen und Finanzdienstleister werden mit der Frage konfrontiert sein, warum sie zwar in dem einen Segment die Vorgaben einhalten, in einem anderen aber Finanzierungen tätigen, die deren Ansprüchen nicht gerecht werden. So wird sehr schnell aus einer positiven Marketingkampagne ein negatives Image.

„Gesellschaftspolitische Diskussionen gehören in die Parlamente, aber nicht in Expertengruppen der Finanzmarktregulierung.“

Anleger sollen nach den Plänen des EU-Gesetzgebers bei der Finanzberatung ihre Einstellung zu Umwelt- und Klimafragen preisgeben. Welche Folgen hätte das für die Bankkunden?

Radwan: Durch den gewählten Ansatz wird Umweltpolitik in die Finanzmarktregulierung verlagert. Aber das ist erst der Anfang. Die ersten reden bereits über weitere Aspekte wie gesellschaftliche Verantwortung und Genderfragen. Ich will nicht falsch verstanden werden. Die Ziele sind wichtig und richtig. Aber haben die etwas in der Regulierung der Finanzmärkte verloren? Gesellschaftspolitische Diskussionen gehören in die Parlamente, aber nicht in Expertengruppen der Finanzmarktregulierung, die kaum noch politisch kontrolliert werden. Und was passiert, wenn ein Kunde bei der Abfrage von diesen Vorgaben abweicht?

Die Pläne des EU-Gesetzgebers werden zuerst in Brüssel diskutiert und entschieden. Wie können Sie als Bundestagsabgeordneter zugunsten des bayerischen Mittelstands und der Anleger Einfluss nehmen?

Radwan: Deutschland wird durch den Bundesfinanzminister im Rat der EU-Finanzminister (EcoFin) vertreten. Es ist wichtig, dass die größte Regierungsfraktion, die CDU/CSU-Fraktion, rechtzeitig signalisiert, welche Prioritäten sie hat und was sie von ihm erwartet. Ein „sich hinter Brüssel verstecken“ darf es nicht geben. Deutschland entscheidet mit am Ratstisch. Unsere Kollegen im Europäischen Parlament nehmen unmittelbar Einfluss auf die Gesetzgebung. Darum ist die Europawahl im Mai so entscheidend. Bei der Bewertung der Vorschläge ist es für uns natürlich wichtig, wie sie sich auf mittelständische Unternehmen und Kreditinstitute wie die Regionalbanken, die den Mittelstand finanzieren, auswirken werden. Wir dürfen dabei nicht aus den Augen verlieren, wie andere Regionen mit dieser Frage umgehen. Werden die USA ihre Finanzmärkte auch entsprechend regulieren? Gibt es im Wettbewerb entsprechende Ungleichgewichte?
 

Sie waren von 1999 bis 2008 selbst Mitglied des Europäischen Parlaments und kennen den EU-Betrieb aus eigener Erfahrung. Wer sind nach Ihrer Ansicht die treibenden Kräfte hinter der Initiative der EU-Kommission?

Radwan: Es gibt verschiedene Gruppen. Natürlich die klassischen Parteien und Fraktionen wie SPD, Linke und Grüne, die über diesen Weg ihre Politik realisieren wollen, selbst wenn sie in den Parlamenten dafür keine Mehrheit haben. Treibende Kräfte sind auch die Nichtregierungsorganisationen wie zum Beispiel Greenpeace oder der WWF. Sie sind sehr schlagkräftige Lobbyisten in diesen Fragen mit einer cleveren Strategie, großer Kampagnenfähigkeit und entsprechend ausreichenden finanziellen Mitteln. Zu meinem Erstaunen kommt die Forderung, ja teilweise das Flehen nach mehr Regulierung auch aus der betroffenen Branche. Sie erhoffen sich durch diese neuen Produkte entsprechend bessere Rendite. Durch diese kurzfristige Hoffnung nimmt man langfristige Folgen in Kauf. Es heißt zwar immer adäquate Regulierung. Eins ist aber sicher, dieser Begriff wird sehr unterschiedlich gesehen werden. Das Ergebnis wird anders sein als das, was man sich heute erhofft.


Vielen Dank für das Interview!
 

Zur Person
Alexander Radwan (*1964) kennt den politischen Betrieb auf Kommunal-, Landes-, Bundes- und europäischer Ebene aus eigener Erfahrung. Nach seinem Abschluss als Flugzeugbau-Ingenieur studierte er zusätzlich Jura. 1995 wurde er als Rechtsanwalt zugelassen. 1999 wurde er in das Europäische Parlament gewählt und spezialisierte sich auf die Themen Wirtschaft und Finanzen. 2008 wechselte er als Abgeordneter in den Bayerischen Landtag. Seit 2013 vertritt Radwan im Deutschen Bundestag den Wahlkreis Bad Tölz-Wolfratshausen – Miesbach.

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