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Herr Gallena, mal angenommen, eine Genossenschaft plant eine Windkraftanlage – worauf muss sie sich grundsätzlich einstellen?

Reiner Gallena: Zunächst einmal muss sich die Genossenschaft darüber im Klaren sein, dass die Planungsphase bis zur Inbetriebnahme der Anlage etwa zwei bis vier Jahre in Anspruch nimmt. Gerade im Vergleich zu anderen Erneuerbare-Energien-Projekten, etwa Photovoltaik-Anlagen, ist das schon eine lange Zeit. Hierfür gibt es mehrere Gründe: Sie reichen von der Ausweisung geeigneter Flächen über langwierige Genehmigungsverfahren bis zu aufwendigen Gutachten, die zur Genehmigung erforderlich sind. Gerade in Waldgebieten, die sich als Standort grundsätzlich gut für Windkraftanlagen eignen, werden Umweltschützer auf den Plan gerufen. Aus Gründen des Tierschutzes sind deshalb in aller Regel umfangreiche Naturschutzgutachten erforderlich. Liegen diese nicht vor, wird eine Finanzierung dieser Anlagen von den Banken abgelehnt. Nicht selten gibt es auch Vorbehalte in der Bevölkerung gegen Windkraftprojekte: Viele Menschen sind nach wie vor skeptisch, wenn in unmittelbarer Wohnnähe ein großer Windpark geplant wird. Das sorgt immer wieder für Widerstand vor Ort.

„Durch den Krieg in der Ukraine haben sich die Vorbehalte vieler Bürger gegenüber Windkraft deutlich reduziert.“

Wie können die Bürgerinnen und Bürger bei Windkraftprojekten mitgenommen werden?

Gallena: Im Vergleich zu anderen Rechtsformen liegt in der Rechtsform eG großes Potenzial:  Die Einbindung der Bürger sorgt für breite Akzeptanz und das notwendige Engagement. Außerdem haben sich durch die Energiekrise, die durch den Krieg in der Ukraine ausgelöst wurde, die Vorbehalte vieler Bürger gegenüber Windkraft deutlich reduziert.


Dennoch ist das Engagement bayerischer Genossenschaften in Bayern bei der Windkraft überschaubar – woran könnte es liegen?

Gallena: Genossenschaften mit eigenen Windparks gibt es in Bayern tatsächlich noch relativ wenige – aber es gibt sie, zum Beispiel die Bürger-Energie Altertheim eG, die ÜZ Plus eG sowie die Neue Energie Dollnstein eG. Weitere Genossenschaften halten Anteile an Windparks in der Rechtsform der GmbH & Co. KG, zum Beispiel die BürgerEnergiegenossenschaft Haßberge eG und die ÜZ Mainfranken eG. Eine Reihe von Energiegenossenschaften wurde in den Jahren 2013/2014 gegründet, um neue Windkraftanlagen zu bauen und zu betreiben. Durch die Einführung der 10H-Regel im Herbst 2014 wurden viele dieser Vorhaben jedoch durch die Bayerische Landesregierung zunichte gemacht.

10H-Regel seit November 2022 gelockert

Die 10H-Regel besagt in Bayern, dass der Abstand von Windkraftanlagen zum nächsten Wohngebiet das Zehnfache ihrer Höhe betragen muss. Bei einem Windrad mit 200 Meter Höhe wären das also zwei Kilometer. Diese Regelung wurde im Herbst 2022 durch Beschluss der Bayerischen Staatsregierung gelockert. Für sogenannte Windkraft-Vorranggebiete gilt die 10H-Regelung nicht mehr. Stattdessen gilt nur noch ein Mindestabstand von 1.000 Metern zum nächsten Wohngebiet. Allerdings ist die Nachfrage nach solchen Vorranggebieten für Windkraft seither sehr stark angestiegen. Für einige dieser Gebiete haben Anlagenbetreiber bereits Pachtverträge mit den Grundstücksbesitzern abgeschlossen. Diese sind für andere Betreiber damit nicht mehr verfügbar.

Durch neue gesetzliche Regelungen auf Bundesebene, etwa im Erneuerbare-Energien-Gesetz und im Windenergie-an-Land-Gesetz, wurde die 10H-Regelung gelockert, sodass jetzt wieder mehr Möglichkeiten zum Bau von Windenergieanlagen in Bayern bestehen. Gibt das den Plänen der Genossenschaften neuen Schwung?

Gallena: So sieht es aus. Aktuell haben mehrere Energiegenossenschaften konkrete Pläne zum Bau solcher Anlagen. Das heißt: Das Engagement in Windenergie wird in den kommenden Jahren deutlich zunehmen.


Welche Hürden sehen Sie, bevor eine Windkraftanlage tatsächlich errichtet werden kann?

Gallena: Neben den ganzen Genehmigungen muss eine Windkraftanlage auch finanziert werden. Es muss mit Kosten von etwa 800 bis 1.000 Euro pro Kilowatt Leistung gerechnet werden. Dies entspricht mehreren Millionen Euro Investitionsvolumen. Je nach Anforderung der finanzierenden Bank muss häufig ein Teil der Investitionssumme als Eigenkapital über Genossenschaftsanteile oder Nachrangdarlehen abgedeckt werden. Hinzu kommt, dass in den ersten Jahren ein großer Teil der Erträge eines Windparks zur Deckung von Zins und Tilgung der Fremdfinanzierung benötigt wird. Erst wenn das Projekt die Gewinnzone erreicht, können Mitglieder mit Ausschüttungen rechnen. Das kann mehrere Jahre dauern. Hier ist ein langer Atem notwendig. Allerdings sind Energiegenossenschaften ohnehin auf einen langfristigen Betrieb ausgerichtet. Bei der zeitlich versetzten Umsetzung mehrerer Projekte kann die Ausschüttungsphase des einen Projekts die Anfangsphase des anderen Projekts ausgleichen.


Welche Voraussetzungen müssen die Genossenschaften erfüllen, damit der Kreditantrag für eine Windkraftanlage Aussicht auf Erfolg hat?

Gallena: Bevor die Genossenschaft bei einer Bank einen Kredit erhält, muss sie diverse Gutachten und andere Unterlagen vorlegen, zum Beispiel Machbarkeitsgutachten, Windgutachten, Naturschutzgutachten, Bauvoranfragen, Wirtschaftlichkeitsberechnungen, Angebote der Anlagenhersteller und einen bestehenden Wartungsvertrag. Liegen diese Dokumente nicht vor, wird die Bank kein Geld geben. Eine Kreditanfrage sollte aber möglichst frühzeitig gestellt werden, um die individuellen Anforderungen der finanzierenden Bank rechtzeitig zu erfahren.

„Wartung und Instandhaltung sind ganz entscheidend, um einen sicheren Betrieb einer Windkraftanlage über die ganze Laufzeit hinweg zu gewährleisten.“

Worauf sollten Genossenschaften achten, um einen zuverlässigen Betrieb der Windkraftanlage sicherzustellen?

Gallena: Besonders Wartung und Instandhaltung sind ganz entscheidend, um einen sicheren Betrieb einer Windkraftanlage über die ganze Laufzeit hinweg zu gewährleisten. Hier bieten viele Anlagenhersteller Wartungsverträge zu ihren Anlagen an. Die Hersteller mit den aktuell meisten verkauften Anlagen in Deutschland sind Vestas, Enercon Nordex, GE und Siemens. Es gibt aber auch unabhängige Wartungsunternehmen, die Anlagen verschiedener Hersteller warten. Laut dem Bundesverband Windenergie steigen die Wartungs- und Instandhaltungskosten nach zehn Jahren Betriebsdauer um 40 Prozent – von 10,5 auf 14,7 Euro pro Megawattstunde – und machen demnach 44 bis 55 Prozent der gesamten Betriebskosten aus. Das muss erst einmal erwirtschaftet werden.

Welche sonstigen Kosten müssen Genossenschaften während des Betriebs rechnen?

Gallena: Für Pachtflächen ist häufig eine vertraglich vorgesehene Rückbauverpflichtung zu berücksichtigen. Gerade in kommunalen Waldgebieten oder Flächen fixiert der Grundstückseigentümer im Pachtvertrag, dass nach dem Ende der EEG-Einspeisung oder der Betriebszeit die Anlage ordnungsgemäß rückgebaut wird. Die EEG-Vergütung erstreckt sich derzeit über 20 Jahre plus das Jahr der Inbetriebnahme, als Betriebszeit werden in der Regel 35 Jahre veranschlagt. Für den Rückbau der Anlage muss die Genossenschaft in den Jahresabschlüssen Rückstellungen bilden. In der Regel verlangen die Eigentümer hierfür eine Rückbaubürgschaft von den Betreibern, die meist von der Bank zur Verfügung gestellt wird. Dafür müssen durchschnittlich rund 175.000 Euro pro Windkraftanlage eingeplant werden. Darüber hinaus erwartet das Kreditinstitut einen Mindestsparbetrag, also die Bildung einer Mindestliquiditätsreserve, meist in Form einer Termineinlage. Sie dient als Sicherheit für die Bank, damit die Genossenschaft jederzeit Zins und Tilgung leisten kann und für Wartung oder Reparaturen sofort ausreichende Mittel bereitstehen. Die Termineinlage ist fixer Bestandteil des Kreditvertrags.


Welche weiteren Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit eine Windkraftanlage errichtet und betrieben werden kann?

Gallena: Das Netzanschlussbegehren muss nach der Netzverträglichkeitsprüfung positiv beschieden worden sein und die Einspeisezusage des Netzbetreibers vorliegen. Das sind ebenfalls zwingende Voraussetzungen für eine erfolgreiche Finanzierung. Letztere garantiert, dass der produzierte Strom in das Stromnetz der öffentlichen Versorgung eingespeist werden kann. Und nicht zu vergessen: Die Genossenschaft muss den Abschluss entsprechender Versicherungen nachweisen können. Dafür können je nach Anlagengröße rund 50.000 Euro im Jahr fällig werden.


Das hört sich knifflig an…

Gallena: … ist es auch. Aber die Genossenschaften stehen damit nicht alleine da – der Genossenschaftsverband Bayern kann hier unterstützen. Und die Mitglieder können vom Erfahrungsschatz anderer Genossenschaften profitieren. Nehmen wir mal ein Beispiel: Windkraftprojekte erfordern viel technisches Know-how. Das fängt bei der Wahl des richtigen Anlagentyps an – davon hängt unter anderem ab, wie viel Strom ein Windrad produzieren kann. Es gibt bereits genossenschaftliche Pioniere mit viel Erfahrung auf diesem Gebiet. Hier tritt der Verband auch als Vermittler und Netzwerkpartner auf.

„Die Unterstützung des Verbands beginnt bereits bei den allerersten Vorplanungen.“

Was kann der GVB ganz konkret leisten?

Gallena: Die Unterstützung des Verbands beginnt bereits bei den allerersten Vorplanungen: Sei es bei der Auswahl des geeigneten Standorts für eine Windenergieanlage oder bei technischen Fragen, wie: Welcher Windradtyp kommt für das Vorhaben grundsätzlich infrage? Welche Rotoreigenschaften eignen sich an welchen Standorten am besten? Hier kann der Verband mit Tipps und Kontakten unterstützen. Auch im Hinblick auf Wirtschaftlichkeitsberechnungen unterstützt der GVB seine Mitglieder: Sind die dafür erforderlichen Daten über Wartung oder technische Nutzung plausibel? Bei Fragen zur der Vermarktung des erzeugten Stroms kann die Genossenschaft ebenfalls auf den Verband bauen: Hier unterstützt der GVB bei der Vertragsgestaltung. Siehe dazu auch den „Profil“-Artikel in Ausgabe 6/2023.

Fragen zur Energiewende

Sie haben Fragen zur Energiewende? FAQs zum Thema stehen im Mitgliederportal des GVB zum Abruf bereit. Die Liste wird laufend erweitert. Bitte schicken Sie uns Ihre drängendsten Fragen dazu, wir nehmen sie gerne auf: mitgliederbetreuung(at)gv-bayern.de.

Welche Unterstützungsleistungen bietet der GVB noch an?

Gallena: Bei der Wahl des richtigen Netzverknüpfungspunkts hilft der Verband mit Kontakten zu Experten weiter: Je länger die benötigte Leitung ist, um den Windstrom in das übergeordnete Netz einzuspeisen, desto höher die Netzverluste.  Die Entfernung zum Netzverknüpfungspunkt beeinflusst zudem wesentlich die Investitionskosten. Hier gibt es bereits GVB-Mitglieder mit großem Erfahrungsschatz, die über die Stromnetze in Bayern sehr gut Bescheid wissen. Dazu zählt beispielsweise die ÜZ Mainfranken eG. Einzelne Mitglieder können so vom Wissen anderer Mitglieder des genossenschaftlichen Netzwerks profitieren.

„Wenn wir die Expertise des GVB an die Mitglieder weitergeben, werden wir in Bayern noch viele genossenschaftliche Windkraftprojekte sehen.“

Wie lautet Ihr Fazit?

Gallena: Die Bedeutung von Windkraft als Stromquelle ist groß – und sie wird in den nächsten Jahren deutlich größer werden. Gerade im Vergleich zu Photovoltaik-Anlagen, die gemessen an der Leistung sehr viel Fläche benötigen, liegt der große Pluspunkt von Windenergie im geringen Flächenbedarf. Ich sehe hier enorme Chancen für Genossenschaften: Die Rechtsform hilft dabei, Ressentiments in der Bevölkerung zu beseitigen, und sie hält die Wertschöpfung in der Region. Wenn wir die bestehende Expertise des GVB und der genossenschaftlichen Pioniere in einem breiten Netzwerk bündeln und an die Mitglieder weitergeben, statt sie teuer einzukaufen, dann werden wir in Bayern noch viele weitere genossenschaftlich betriebene Windkraftprojekte sehen.


Herr Gallena, herzlichen Dank für das Interview!

Weitere Leistungen der GVB-Energieberatung

Die GVB-Energieberatung bietet den Mitgliedern des Verbands eine ganze Reihe von Unterstützungsleistungen, die sich an alle GVB-Mitglieder richten. So unterstützt ein interdisziplinäres Expertenteam die GVB-Mitglieder sowohl bei der Vertragsgestaltung beziehungsweise Vertragsprüfung als auch bei der Wirtschaftlichkeitsberechnung von Erneuerbare Energien-Projekten (siehe dazu den Beitrag in „Profil“ 6/2023). Außerdem bietet der GVB seinen Mitglieder eine Energieberatung in Verbindung mit einem Energie-Audit an (siehe dazu den Beitrag in „Profil“ 4/2022). Der Bund fördert freiwillige Audits, die den Anforderungen der DIN-EN 16247-1 entsprechen, mit bis zu 80 Prozent des förderfähigen Beraterhonorars, maximal 6.000 Euro. Für Nicht-KMU schreibt das Energiedienstleistungsgesetz (EDL-G) ein Energieaudit vor. Auch dieses führt der GVB durch. Außerdem unterstützt der GVB bei der Umsetzung und laufenden Prüfung von Energiemanagementsystemen nach der Norm ISO 50001. Darüber hinaus erstellt der GVB Energiegutachten, die zum Beispiel für Anträge auf Marktstrukturförderung benötigt werden. Das ist vor allem für Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften interessant. Kontakt: Daniel Caspari, dcaspari(at)gv-bayern.de, +49 89 2868-3577.

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