Diese Website verwendet Cookies. Wenn Sie unsere Seiten nutzen, erklären Sie sich hiermit einverstanden. Weitere Informationen

BaFin-Liegenschaft in Frankfurt am Main.

Als graue Eminenz am deutschen Finanzmarkt bezeichnete Gerhard Schick, geschäftsführender Vorstand der Bürgerbewegung Finanzwende, vor geraumer Zeit die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Mit „Die Akte BaFin“ war der Report über die Bonner Behörde überschrieben, den er Ende 2019 vorlegte. Der Untertitel „zu mutlos, zu langsam, zu formal“ ließ auf einen Scoop schließen. Ob es am Ende einer war, liegt ganz im Auge des Betrachters und seiner politischen Bewertung. Aus Bankensicht wären jedenfalls auch andere Untertitel denkbar.

Unstrittig ist, dass die BaFin ein bedeutsames Regulativ auf dem deutschen Finanzmarkt ist. Das hat sie in den vergangenen Jahren auch gezeigt. War doch das zurückliegende Jahrzehnt für die von ihr beaufsichtigten Finanzinstitute regulierungsintensiv. Politisch wurde der Regulierungsrahmen deutlich verschärft. Die internationalen und nationalen Aufsichtsbehörden, somit auch die BaFin, erhielten infolge der letzten Finanzkrise ein straffes Mandat zur Exekution des politischen Willens. Ein solcher Machtzuwachs kann das behördliche Selbstbewusstsein mitunter erheblich steigern. So auch bei der BaFin?

Offen würde das in der Finanzbranche eher keiner sagen. In seinen Mund-Nasen-Schutz brummelt es gleichwohl mancher. Warum? Weil sich zunehmend etwas breitmacht, das man bislang vornehmlich aus der europäischen Finanzaufsicht kannte. Dort wabert Bankenregulierung immer wieder über den vom Gesetzgeber gewollten Rahmen hinaus. Aufsichtsbehörden testen ihren Handlungsspielraum konsequent aus. Schritt für Schritt und über die Zeit mit erheblichem Raumgewinn.

„Aufsichtsbehörden testen ihren Handlungsspielraum konsequent aus. Schritt für Schritt und über die Zeit mit erheblichem Raumgewinn.“

Woran lässt ich das nun in Deutschland festmachen? Auch die BaFin verändert schleichend bestehende Aufsichtsinstrumente, etabliert informelle Machtinstrumente und reizt sie mitunter bis an den Rand aus. Zwei Beispiele jüngerer Natur mögen als Pars pro Toto gelten.

Merkblätter der BaFin sind ein wertvolles Instrument. Helfen sie doch, eine verbindliche Auslegungsbasis von zum Beispiel gesetzlichen Vorgaben zu schaffen. Das hilft beiden Seiten, Aufsicht wie Beaufsichtigten. So weit, so gut. Wenn Merkblätter aber dem legislativen Gestaltungsprozess vorauseilen, dann schwindet die Konsistenz der demokratischen Legitimation. So zuletzt mit dem BaFin-Merkblatt „Zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken“. Die Aufseher würden spätestens jetzt unumwunden anführen, „dass verbindliche oder aufsichtliche Vorgaben im Hinblick auf Nachhaltigkeitsrisiken durch das Merkblatt weder abgeschwächt noch erweitert werden“.

Raimund Röseler, der Exekutivdirektor Bankenaufsicht der BaFin, hat diese im Merkblatt angeführte Sichtweise in einem Interview (Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen, 7/2020) schnörkellos auf den Punkt gebracht: „Das Merkblatt ist erst mal rechtlich unverbindlich. Es drückt lediglich unsere Erwartung aus. Aber wir als Aufseher setzen voraus, dass unsere Erwartungen ernst genommen werden. Das ist der Sinn, wenn wir so etwas veröffentlichen.“ Ähnlich hat sich BaFin-Präsident Felix Hufeld in einem Magazinbeitrag (Die Bank 3/2020) geäußert. Beiden Statements ist gemeinsam, dass die Aufsicht mit ihrer Autorität kokettiert. Aus einer reinen Erwartungshaltung wird faktisch Normsetzung. Auf diese Weise treibt die BaFin das Thema Nachhaltigkeit abseits des rechtlichen Rahmens aufsichtlich voran.

Im Zuge der Corona-Krise haben die Bonner Aufseher eine weitere „Erwartung“ geäußert. Nämlich die, „dass die sogenannten weniger bedeutenden Institute, die unter unserer direkten Aufsicht stehen, vorerst darauf verzichten, Dividenden oder Gewinne auszuschütten“ (BaFin-Journal 4/2020). Nun soll hier nicht das inhaltliche Für und Wider dieser Erwartung zur Debatte stehen. Stattdessen geht es um das Muster der „Erwartung“ als solches. Mit ihrer Erwartungshaltung bezieht die Bundesanstalt eine öffentliche Position, die einer rechtlichen Würdigung durch die betroffenen Kreditinstitute nicht zugänglich ist. Wenn diese Erwartungshaltung für den Fall der Nichterfüllung gar fundamentale Sanktionen zur Folge haben kann, dann werden in einem Rechtsstaat Grenzregionen beschritten. Die BaFin gebraucht zunehmend unverhohlen ihre in den letzten Jahren gewachsene Autorität. Einen Schritt mit souveräner Autorität wagt sie gleichwohl nicht. Der hätte im geschilderten Fall beinhaltet, sich eines justiziablen Instruments, derer der BaFin genügend zur Verfügung stehen, zu bedienen und damit den betroffenen Instituten Waffengleichheit anzubieten – also die Möglichkeit einzuräumen, den Klageweg zu beschreiten.

„Das Äußern von ‚Erwartungen' wird zunehmend zum Aufsichtsinstrument der BaFin.“

Die Erkenntnis aus beiden Beispielen: Das Äußern von „Erwartungen“ wird zunehmend zum Aufsichtsinstrument der BaFin. Damit erweitert die Bonner Behörde ihr aufsichtliches Handlungsset ohne Rechtsgrundlage und zugleich abseits rechtlicher Reaktionsmöglichkeiten der Finanzinstitute unter ihrer Aufsicht.

Nun nützt der Befund alleine nichts. Die Frage nach dem „Was ist zu tun?“ ist angebracht und eröffnet zugleich ein weites Feld. Auf diesem sind mehrere Akteure gefordert. Zum einen die BaFin selbst: An formellen Instrumenten, um ihren Aufträgen gerecht zu werden, mangelt es ihr wahrlich nicht. Sie zu nutzen steht ihr zu. Sie am Gesetzgeber vorbei zu erweitern, nicht. Zum anderen ist das Parlament, der Deutsche Bundestag, gefordert. Hier wird in Deutschland Recht gesetzt, nicht in Behörden. Hier liegt die Verantwortung für die Kontrolle der Exekutive. Das schließt die intensive Überwachung der Handlungsprinzipien der BaFin mit ein. Einerseits durch die Kontrolle der Bundesregierung, der die BaFin als „Anstalt des öffentlichen Rechts in Bundesträgerschaft“ zugeordnet ist. Andererseits durch die Mitwirkung im Verwaltungsrat der BaFin. Er überwacht die Geschäftsführung der Bonner Behörde. Ihm gehören neben Vertretern von Bundesministerien und Experten aus Wirtschaft und Wissenschaft auch fünf Mitglieder des Bundestags an.

Gemeinsam sollten alle Akteure an einem großen Ziel arbeiten: Den Nimbus der BaFin als graue Eminenz der Finanzmärkte zu stärken. Um diesem gerecht zu werden, braucht sie keinen erhobenen Zeigefinger. Die Attitüde des Oberlehrers steht der grauen Eminenz auch nicht gut zu Gesicht. Denn ein Rasputin der Finanzmärkte passt nicht in unser politisches System.
 

Dr. Jürgen Gros ist Präsident des Genossenschaftsverbands Bayern (GVB). Er twittert als @JGros_GVB und ist Mitglied des Netzwerks LinkedIn.
 

Dieser Beitrag erschien zuerst in leicht gekürzter Fassung in der „WirtschaftsWoche“ (WiWo) Nr. 23 vom 29. Mai 2020.

Artikel lesen
Positionen