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Die Soziale Marktwirtschaft hat dieses Land wirtschaftlich erfolgreich gemacht. Bisherige Krisen hat Deutschland besser gemeistert als andere Staaten. Freier Markt, Verantwortung für Schwächere und ein Staat, der Regeln vorgibt und diese überwacht, ohne in wirtschaftliche Kreisläufe und unternehmerische Entscheidungen einzugreifen, sind das einfache Rezept dieses ökonomischen Systems, das weltweit als Vorbild dient. Es steht nicht für das freie Spiel der Kräfte, ebenso wenig für dirigistische Eingriffe seitens der Politik, die sich als besserer Unternehmer gerieren will.

Auch in der Corona-Krise bewährt sich dieses Modell. Denn der Staat leistet hier lediglich Hilfen für Unternehmen, die aufgrund eines staatlich verordneten Lockdowns mit Problemen zu kämpfen haben. Anders als dies von manchem Akteur derzeit propagiert wird, zeigt der Umgang mit der Corona-Krise nicht die Schwächen, sondern gerade die Stärken der Sozialen Marktwirtschaft. Gleichwohl gilt auch hier: Die Grenzen des Systems dürfen politisch nicht überdehnt werden.

„Es ist erstaunlich, dass der sich abzeichnende Weg in eine nachhaltige Zukunft bewährte Regeln über den Haufen wirft und die Marktwirtschaft infrage stellt.“

Ihre Stärke und Anpassungsfähigkeit wird die Soziale Marktwirtschaft auch ausspielen, wenn es darum geht, die Wirtschaft künftig an Nachhaltigkeitszielen auszurichten – wenn man sie lässt. Ressourcen zu schonen, Klima und Umwelt zu schützen, hohe Anforderungen an Unternehmensführung und soziale Standards zu stellen, stehen zu marktwirtschaftlichen Prinzipien in keinem Widerspruch.

Umso erstaunlicher ist, dass der sich nun abzeichnende Weg in eine nachhaltige Zukunft bewährte Regeln über den Haufen wirft und Marktwirtschaft infrage stellt. In der Hektik, möglichst viel möglichst schnell bewegen zu wollen, wird der Hebel an allen Stellen gleichzeitig angesetzt, auch an den falschen. Mitunter scheint man zu vergessen, dass Marktakteure jene Wachstumsperspektive und Planungssicherheit brauchen, die nachhaltiges Wirtschaften erst möglich machen.

Keine Nachhaltigkeit ohne langfristiges Wachstum

Klimaziele werden nicht von selbst zur Realität. Den dazu notwendigen Umbau der Wirtschaft gilt es zu finanzieren. Das wiederum geht nicht ohne langfristiges Wachstum. Mit Dirigismus, Verboten und planwirtschaftlichen Zwangseingriffen wird das nicht gelingen. Genauso wenig aber mit dem Schwadronieren über ein Ende des angeblichen Wachstumswahns. Marktwirtschaft und langfristige Wachstumsperspektiven gehören zusammen. Dass es gelingen muss, Wachstum mit Ökologie und Klimaschutz zusammenzubringen, stellt niemand infrage. Ähnliches gilt für die weiteren Nachhaltigkeitsziele, gute Unternehmensführung und soziale Standards, die aber in der derzeitigen Debatte weniger im Zentrum stehen.

Die Rolle des Staats sollte es sein, Rahmenbedingungen zu setzen und Veränderungen mit Mitteln der Politik herbeizuführen. Zentral ist dabei, Probleme dort zu lösen, wo sie entstehen. Dies kann über Anreize oder gezielte Förderung geschehen. In manchen Fällen auch über Verbote. Selbstredend stellt jede Form staatlichen Handels einen Eingriff dar. Zentral ist jedoch, dass stets ein verlässlicher Rahmen bleibt, innerhalb dessen die Marktakteure agieren können. Dirigistische Vorgaben, Versuche der Lenkung über die falschen Instrumente, ständig neue bürokratische Vorgaben und die Übernahme unternehmerischer Entscheidungen durch staatliche Stellen widersprechen bewährten marktwirtschaftlichen Regeln und gefährden damit die Grundlage des Erfolgs dieses Lands.

Politischen Steuerungshebel an der richtigen Stelle ansetzen

Die Frage ist also nicht, ob der Staat eingreifen und Vorgaben machen darf. Entscheidend ist die Frage: Setzt der Staat seine Steuerungsimpulse da, wo ein Problem entsteht und überlässt er es dem Markt, eine Lösung innerhalb eines gewissen Rahmens zu suchen?

Leider, so muss man feststellen, werden manche Planungen, die derzeit auf dem Tisch liegen, um Nachhaltigkeit umzusetzen, diesem Anspruch nicht gerecht. Ein Beispiel ist der „Green Supporting Factor“, der grünen Anlagen Vorfahrt gewähren soll. Banken müssten demzufolge entsprechende Kredite mit weniger Eigenkapital hinterlegen. Die bewährte Logik, Kredite anhand ihres Risikos zu bewerten, wäre damit durchbrochen. Stattdessen versucht die Politik, mithilfe der Banken Steuerungswirkung in die Realwirtschaft zu entfalten. Damit wäre aber ein marktwirtschaftliches Prinzip verletzt: Der „Green Supporting Factor“ setzt nicht dort an, wo umweltschädliches Verhalten entsteht. Er setzt vielmehr künstliche Anreize und entkoppelt Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge.

Um eine Vorfahrt für grüne Investitionen überhaupt zu ermöglichen, bedarf es einer klaren Einteilung. Eindeutige Definitionen für grüne Finanzprodukte sind zu begrüßen. Denn sie ermöglichen es Banken ebenso wie Anlegern, klar zu unterscheiden, womit sie es zu tun haben. Die inzwischen bestehende Taxonomie leistet dazu einen Beitrag. Solange sie der Transparenz für alle Marktteilnehmer dient, ist der Ansatz richtig. Wenn sie aber benutzt wird, damit die Finanzwirtschaft eine Aufteilung in „gute“ und „schlechte“ Unternehmen vornimmt, setzt das die Marktmechanismen außer Kraft und führt zu unerwünschten Nebenwirkungen auf die Finanzmarktstabilität. Soll das die Zukunft sein?

Politischer Mut nötig

Was wäre stattdessen zu tun? Theoretisch gesprochen: marktwirtschaftliche Strukturen erhalten. Praktisch bedeutet das, Anreize für gewünschtes Verhalten dort zu schaffen, wo es sich zeigt. Das kann geschehen durch steuerliche Erleichterungen, gezielte Unterstützung durch staatliche Förderbanken, das Vorantreiben von Forschung und Entwicklung, um ökologische Verbesserungen durch technischen Fortschritt und Innovation zu erreichen. Und wenn die eine Erkenntnis die ist, dass nach wie vor zu viel an CO2 ausgestoßen wird, gehört dazu eine weitere Erkenntnis: Der Ausstoß von CO2 hat bislang praktisch keinen Preis – zumindest keinen, von dem eine effektive Lenkungswirkung ausgeht. Warum aber funktioniert das mit dem Handel von CO2-Zertifikaten nicht? Eine reelle Bepreisung von CO2 würde enorme Widerstände auslösen, das hat die Debatte um das Klimapaket der Bundesregierung im vergangenen Jahr bereits gezeigt. Das sollte aber nicht dazu führen, dass die Politik stattdessen die Banken zu Öko-Sheriffs macht, weil ihr zu anderen, wirksameren und marktwirtschafts-konformen Maßnahmen der Mut oder die Durchsetzungskraft fehlt.

„Den Markt für nachhaltige Geldanlagen gibt es längst. Dem wird sich keine Bank und kein Unternehmen verschließen.“

Manchmal sind staatliche Eingriffe auch völlig unnötig. Bezeichnenderweise gilt dies beispielsweise für nachhaltige Geldanlagen. In den vergangenen Jahren ist die Summe nachhaltiger Geldanlagen in Deutschland deutlich gewachsen. Zwischen 2014 und 2018 alleine um 75 Prozent, wie das „Forum nachhaltige Geldanlage" ermittelt hat. Im Jahr 2019 wurden weltweit grüne Anlagen im Volumen von rund 239 Milliarden Euro emittiert – das waren 51 Prozent mehr als im Jahr davor. Europa und insbesondere Deutschland gehören zu den Spitzenreitern, hat die „Climate Bonds Initiative" errechnet. 2019 stammten 45 Prozent der emittierten nachhaltigen Anleihen aus Europa – zehn Prozent aus Deutschland. Der Markt hat sich auch ohne größere Regulierungsinitiativen gut entwickelt. Wenn die Politik mehr tun will, um nachhaltige Anlagen weiter zu fördern und sie aus ihrem Nischendasein, das sie immer noch fristen, herausholen will, sollte sie bei den Projekten selbst ansetzen. Zu denken wäre hier etwa an einfachere Genehmigungs- und Planungsverfahren für erneuerbare Energien.

Den Markt für nachhaltige Geldanlagen gibt es längst und es gibt Anleger, die sich in ihren Investitionsentscheidungen von ethischen Motiven leiten lassen oder schlicht an die Zukunft nachhaltigen Wirtschaftens und die damit verbundenen Renditechancen glauben. Dem werden sich keine Bank und kein Unternehmen verschließen. Nur sind die notwendigen Projekte nötig, in die es sich zu investieren lohnt. Den Rest regelt der Markt dann von ganz alleine.

Staat steht eigenen Zielen im Weg

Hier aber erweist sich die Politik, die unbedingt Banken zu irgendwelchem Verhalten zwingen will, nur allzu oft als Hemmschuh. Ein Beispiel: Investitionsanreize im Finanzbereich für Investitionen in die Energiewende werden verpuffen oder zu Blasenbildung führen, solange man Planungsverfahren für Windräder nicht vereinfacht oder den Betreibern von Photovoltaikanlagen mit dem – erst in allerletzter Minute doch noch abgeschafften – 52-Gigawatt-Deckel jede Planungssicherheit nimmt. Wenn man dagegen den Geschäftsmodellen, die in Wind- und Solarenergie stecken, den Weg ebnet, kommen die Investitionen von ganz alleine, weil sich die Investition dann nach dem klassischen Risiko-Kriterium lohnt. Es sind also allzu oft weder die Banken noch die Investoren oder die wirtschaftlichen Akteure, die einer Entwicklung zu mehr Nachhaltigkeit im Weg stehen, sondern der Staat selbst.

Wer ein bestimmtes Verhalten anderer erreichen will, tut gut daran, selbst mit gutem Beispiel voranzugehen. Auch der Staat kann durch sein Handeln Vorbild sein. Staatliche Ausschreibungen, die an Nachhaltigkeitskriterien gekoppelt sind, könnten hierzu dienen. Und warum sind die staatlich geförderten Rentenmodelle wie Riester und Rürup nicht mit einem Zuschlag für nachhaltige Anlagen versehen? Warum bezuschusst der Staat nicht Sparmodelle, die in – vom Staat anerkannte – nachhaltige Anlagen investieren, indem er bei der Rendite den einen oder anderen Prozentpunkt draufpackt?

Auf die Kraft des Bewährten vertrauen

Es ist also nicht notwendig, immer nach mehr Regulierung zu rufen. Es würde schon helfen, schlichte Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge zu verstehen. Das bedeutet kein Laisser-faire und auch kein Vertrauen auf Bekenntnisse zu Freiwilligkeit. Der Staat kann und soll einen Rahmen setzen. Der Rest ist Sache des freien Markts. Warum also so wenig Vertrauen in die Kraft und Anpassungsfähigkeit der Sozialen Marktwirtschaft? Warum auf einmal Ideen zu immer mehr Dirigismus, strikten Verboten, Verengungen der Debatten und einem Verleugnen bewährter Strukturen, die dieses Land seit Jahrzehnten erfolgreich und widerstandsfähig machen?

Ziel der Politik muss es sein, erwünschtes Verhalten mit Anreizen zu versehen und dafür zu sorgen, dass sich nachhaltiges Wirtschaften weiterentwickeln kann. Dann werden entsprechende Investitionen von alleine attraktiv oder sind es bereits. Nachhaltigkeit ist längst anerkannt, von der Finanzbranche ebenso wie von der Realwirtschaft. Bislang Bewährtes künstlich unattraktiv zu machen, nutzt am Ende niemandem – am allerwenigsten dem Ziel der Nachhaltigkeit.


Dr. Jürgen Gros ist Präsident des Genossenschaftsverbands Bayern (GVB). Er twittert als @JGros_GVB und ist Mitglied des Netzwerks LinkedIn.


Dieser Beitrag erschien zuerst am 26. Mai auf der Webseite der Wirtschafts- und Finanzzeitung „Handelsblatt“ (Paywall).

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