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Der Inhalt kurz zusammengefasst

Die deutsche Wirtschaft ist nicht gleichzusetzen mit dem deutschen Leitindex DAX40: Während das Börsenbarometer der internationalen deutschen Konzerne im Jahr 2024 Rekordhochs erreicht hat, stagniert die heimische Wirtschaft. Auf den Wirtschaftsstandort Deutschland ausgerichtete Unternehmen stehen nicht in der Gunst der Investoren. Damit sie als Investitionsziel wieder attraktiver werden, müssen dringend Wachstumsbremsen gelöst werden.

Die Diagnose ist ernüchternd. Seit gut zwei Jahren ist die deutsche Wirtschaft praktisch nicht mehr gewachsen, und eine rasche Belebung ist nicht in Sicht. Dagegen ist der deutsche Leitindex DAX40 rund um die Hälfte gestiegen, und konnte damit auf vergleichbarer Basis – ohne Dividenden, und in Euro gerechnet – dem breiten US-Aktienindex S&P 500 nicht ganz, aber fast das Wasser reichen. Demgegenüber haben sich die stärker auf die deutsche Wirtschaft ausgerichteten Unternehmen im MDax und SDax schwächer entwickelt. Damit zeigt sich: Der DAX ist nicht das Abbild der deutschen Wirtschaft.

„Es ist bitter, aber vereinfacht lässt sich sagen: Je weniger Unternehmen aktuell von der Entwicklung der deutschen oder europäischen Volkswirtschaft abhängig sind, desto besser ist ihr Wertpotenzial.“

Es ist bitter, aber vereinfacht lässt sich sagen: Je weniger Unternehmen aktuell von der Entwicklung der deutschen oder europäischen Volkswirtschaft abhängig sind, desto besser ist ihr Wertpotenzial. Insbesondere breit diversifizierte internationale Unternehmen, wie sie überwiegend im DAX40 zu finden sind, sind auf der Aktienseite interessant. Zumindest einige von ihnen können sich erfolgreich an neue Gegebenheiten anpassen und sich von der ökonomischen Entwicklung in Deutschland und Europa ein Stück weit abkoppeln. Das erklärt das Rätsel, weshalb der deutsche Leitindex neue Höchststände verzeichnet, während stärker binnenorientierte Indizes hinterherhinken. Die Kapitalmärkte haben für die deutsche Wirtschaft und die meisten hiesigen Unternehmen ein handfestes Standortproblem ausgemacht.

Doch unterhalb der Indexebene gibt es auch beim DAX40 ein hohes Maß an Differenzierung. So liegen Problembranchen wie die Autoindustrie und Chemiekonzerne abgeschlagen zurück. Dagegen haben zum Beispiel Konzerne mit hohem Umsatzanteil in den USA wie die Deutsche Telekom, SAP oder Siemens die Nase vorn. Die globale Ausrichtung des Geschäftsmodells allein reicht also nicht für eine gute Wertentwicklung, sondern es gilt branchenspezifische Faktoren zu beachten. Hohe Energiepreise belasten die Chemieindustrie, im Autosektor sorgen die Transformation auf Elektromobilität für Herausforderungen sowie der kontraproduktive regionale Fokus auf bestimmte Absatzmärkte wie China.

Stärken und Schwächen der deutschen Wirtschaft

Schauen wir uns aber einmal die Stärken und die Schwächen der deutschen Wirtschaft genauer an. Zu den Schwächen zählt derzeit der Produktmix. Der große Anteil an Wertschöpfung im Verarbeitenden Gewerbe mit hohem Exportanteil und einem hohen Anteil an Investitionsgütern sind ein Pfund, mit dem Deutschland grundsätzlich punkten kann. Aber es müssen mindestens zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Zum einen müssen die Produkte wettbewerbsfähig sein. Das war lange kein Thema, aber zuletzt hat die Wettbewerbsfähigkeit erkennbar gelitten: Ohnehin hohe Produktionskosten sind vor allem im Energiebereich weiter gestiegen. Außerdem hat die Konkurrenz schlicht aufgeholt, insbesondere China. So spielen deutsche Autobauer im chinesischen Markt für Elektrofahrzeuge derzeit fast keine Rolle mehr. Zum anderen muss die Nachfrage da sein, was vor allem der Fall ist, wenn die Wirtschaft weltweit gut läuft, der internationale Handel floriert und gerade ein globaler Ausrüstungszyklus Konjunktur hat. Aktuell sehen wir zwar kräftige Ausrüstungsinvestitionen in den USA, dagegen aber vergleichsweise wenig Dynamik in Europa und China. Das ist ein Grund, warum das deutsche Wachstum derzeit gebremst ist.

Nun ist bereits absehbar, dass mit der Wahl von Donald Trump zum nächsten US-Präsidenten der Welthandel weiter unter Druck geraten wird. So ist die Einführung von Importzöllen zu erwarten, was das stark auf die USA ausgerichtete Exportmodell Deutschland in manchen Sektoren treffen wird. Zudem befindet sich die chinesische Wirtschaft in einer strukturellen Anpassungsphase.  Das bedeutet: Der Außenhandel wird auf absehbare Zeit nicht als gutes Wachstumsmodell für Unternehmen taugen, die hierzulande Güter produzieren.

Nachteilig ins Gewicht fällt auch der Branchenmix. Wichtige Branchen weisen spezifische Probleme auf, wie energieintensive Produktionszweige aufgrund anhaltend hoher Energiepreise (etwa Chemie), aber auch durch eine steigender Konkurrenz aus China (Auto). Dagegen sind deutsche Unternehmen weniger prominent in stark wachsenden Branchen wie Künstliche Intelligenz, Halbleiter oder Digitalisierung vertreten. Zu den Ausnahmen gehört der Softwareriese SAP, der aber schon vor 52 Jahren gegründet wurde. Daran zeigt sich exemplarisch: Die Fähigkeit, neue Ideen zur Marktreife zu führen, ist nicht das Markenzeichen der deutschen Wirtschaft. Auch die Investitionspolitik ist kein Ruhmesblatt: Es gibt zu viel langfristige staatliche Förderung mit der Gießkanne, während es vielen Start-ups schwerfällt, bürokratische Hürden zu nehmen und den Durchbruch zu schaffen.

Ebenfalls negativ in die Waagschale fällt für Deutschland der demografische Wandel. Durch die Alterung der Gesellschaft spitzt sich in den kommenden fünf Jahren die Lage auf dem Arbeitsmarkt zu. Hinzu kommen die hohen Lohnnebenkosten, verbunden mit einer teilweise wenig effizienten öffentlichen Verwaltung sowie einem ebenso wenig effizienten Gesundheitssystem am Standort Deutschland. So ist die Lebenserwartung der Bevölkerung viel weniger gestiegen als in anderen europäischen Ländern, obwohl die Gesundheitskosten in Deutschland pro Kopf deutlich höher liegen. Darin zeigt sich die ineffiziente Nutzung der an sich erheblichen finanziellen Ressourcen in dem Land.

Auf der Haben-Seite der deutschen Wirtschaft steht dagegen die Qualifikation der Arbeitskräfte, die grundsätzlich in der Breite immer noch gut ausgebildet sind. Auch die Verlässlichkeit der Institutionen und der Infrastruktur waren bislang ein Plus im Standortwettbewerb. Doch hier bestehen inzwischen Fragezeichen, vor allem bei der Infrastruktur. Nicht zuletzt, weil der Staat über Jahrzehnte zu wenig in den Erhalt und die Modernisierung der Infrastruktur investiert hat, was sich nun beispielsweise mit Verkehrsbehinderungen oder Produktivitätsverlusten durch mangelnde Verfügbarkeit von Produktionsmitteln rächt. Auch die politischen Rahmenbedingungen sind zumindest vorübergehend schwer einzuschätzen nach dem Bruch der Ampelkoalition in Berlin. Eine stabile und entscheidungsfähige Regierung fehlt in den nächsten Monaten – und die Zeit drängt!

Wirtschaftliche Dynamik freisetzen

Aus Sicht des Kapitalmarkts gibt es daher eine Reihe von Dingen, welche die deutsche Wirtschaft und eine neue Regierung ändern müssten. Kein Weg führt an mehr wirtschaftlicher Dynamik vorbei. Nach unseren Prognosen findet sich diese – trotz der mit der Wahl Donald Trumps verbundenen Unsicherheit – vor allem in den USA. Auch in einigen EU-Peripheriestaaten sind die Aussichten etwas freundlicher als in Deutschland.

„Langfristig orientierte Investoren wollen mehr sehen – nämlich die Perspektive auf strukturelle Verbesserungen, die das Potenzial haben, das Wirtschaftswachstum über einen längeren Zeitraum zu heben.“

Die Fantasie der Anleger würde durch eine schlagkräftigere Wirtschaftspolitik einer neuen Regierungskoalition angeregt, die höhere und gezieltere Fiskalstimuli durchsetzen würde. Da unsere Staatsverschuldung im internationalen Vergleich immer noch niedrig ist, könnte sich Deutschland dies leisten. Aber: Gehen diese Stimuli in den Konsum, reicht das an der Börse möglicherweise nur für ein Strohfeuer. Langfristig orientierte Investoren wollen definitiv mehr sehen – nämlich die Perspektive auf strukturelle Verbesserungen, die das Potenzial haben, das Wirtschaftswachstum über einen längeren Zeitraum zu heben. Dazu gehören auf Unternehmensseite Kriterien wie Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität, bezogen auf den Staat vor allem substanzielle und rasche Investitionen in die Infrastruktur.

Ein entscheidender Beitrag zur Wachstumsbelebung wäre die Steigerung privater und öffentlicher Investitionen. Was die Frage der möglichen Schuldenfinanzierung solcher Investitionen angeht, sind die Kapitalmärkte in ihrer Sichtweise eher simpel gestrickt: Solange neue Schulden in Investitionen gesteckt werden, welche Zukunftserträge sichern, sind es aus Investorensicht gewissermaßen „gute Schulden“. Selbst die deutlich höhere Verschuldung in den USA wird von Kapitalmärkten bislang nicht sanktioniert, da die wirtschaftliche Dynamik dort vorhanden ist. Entscheidend ist also weniger die absolute Höhe der Verschuldung, sondern, in welche Vorhaben die Mittel investiert werden, und ob die Ausgaben für den Schuldendienst tragfähig sind.

Peripherie hängt Deutschland beim Wachstum ab

Ob es zu einer solchen Entwicklung kommt, bleibt abzuwarten. Was können Anleger auf aktueller Basis für das Jahr 2025 von Deutschland erwarten? Die makroökonomische Entwicklung im Heimatmarkt und in den relevanten Exportmärkten geben den Takt vor – und beides sieht derzeit nicht gerade rosig aus. Wir erwarten ein BIP-Wachstum für Deutschland im kommenden Jahr um 0,2 Prozent, während die Wirtschaft im Euroraum immerhin um 0,7 Prozent zulegen dürfte. Damit ist die deutsche Wirtschaft nicht ausgelastet. Dennoch bestehen konjunkturelle Chancen – vor allem darin, dass der Konsum noch einiges Potenzial besitzt. So verfügen die deutschen Haushalte weiterhin über hohe Ersparnisse, auch steigen die Reallöhne. In den Euro-Peripherieländern dürften weitere Investitionen durch die Vergabe der NextGeneration EU-Mittel angeschoben werden. Etwas Unterstützung erwarten wir für das Wachstum auch von der Geldpolitik, da die Europäische Zentralbank aufgrund einer rückläufigen Inflation die Möglichkeit hat, die Leitzinsen nun etwas zu lockern.

Was die Exportindustrie betrifft, ist auf den relevanten Exportmärkten zunächst wenig an Änderung zu erwarten. Die Konjunktur in den USA entwickelt sich solide, während China ohne Dynamik bleibt. In Abhängigkeit von Umfang und Geschwindigkeit, mit welcher die neue Regierung Trump ihre politische Agenda umsetzt, könnten neue Negativimpulse, beispielsweise durch Importzölle, für die deutsche Wirtschaft hinzukommen. Zum anderen besteht auch das Risiko, dass China aufgrund zusätzlicher Restriktionen in den USA seine Exportströme nach Europa umlenkt und dadurch mehr Konkurrenz für heimische Unternehmen entsteht. Insgesamt zeigt sich, dass der Druck auf Deutschland weiter steigen wird. Umso dringlicher, dass endlich die Weichen gestellt werden, damit die Investitionstätigkeit steigt.

Fazit: An den USA orientieren

Woran kann Deutschland sich dabei orientieren? Wenn man auf das Wachstum der letzten Jahre schaut, ist die Antwort naheliegend: an den USA! Die Amerikaner haben in den letzten Jahren mit geschickt konstruierten Investitionsanreizen erfolgreich multinationale Konzerne angelockt. Zumindest was dieses Thema angeht, sind die negativen Assoziationen, die viele Europäer mit dem Slogan „Make America Great Again“ verbinden, unangebracht. Joe Biden hat naturgemäß den Slogan nicht genutzt, seine wirtschaftspolitische Agenda ging aber exakt in die Richtung. Programme wie der Inflation Reduction Act sind kein „klein-klein“, sondern wahrlich groß gedacht. Die USA stehen deshalb vor einer erfolgreichen Reindustrialisierung.

In Deutschland geht es weniger um eine Reindustrialisierung in der Breite, sondern um eine Rekalibrierung existierender Industrien – und vor allem einen groß angelegten Ausbau so genannter Zukunftsindustrien. Wie so etwas gehen könnte, hat der ehemalige EZB-Präsident Mario Draghi für Europa vor einigen Wochen in einer umfassenden Analyse vorgezeichnet. Genau hier kann auf europäischer Ebene die neu konstituierte EU-Kommission ansetzen – und wenn Deutschland im Frühjahr eine neue Regierung hat, kann die Devise ebenfalls nur heißen: durchstarten!

Zur Person

Michael Herzum leitet seit 2024 das Team Economics & Macro Strategy im Portfoliomanagement bei Union Investment. Mit seinem Team entwickelt er den volkswirtschaftlichen Ausblick für die Anlagepolitik von Union Investment. Zudem ist er für das thematische Research und dessen Publikation verantwortlich.

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