Aufbruch: Was muss passieren, damit die deutsche Wirtschaft wieder Fahrt aufnimmt? GVB-Präsident Stefan Müller hofft auf Klarheit, Verlässlichkeit und Mut.
Herr Holstein, die US-Amerikaner haben Donald Trump am 5. November 2024 wieder zu ihrem Präsidenten gewählt, nur einen Tag später zerbrach die Ampel-Koalition. Welche Folgen haben diese beiden Ereignisse für die deutsche Wirtschaft?
Michael Holstein: Beides wird die Wirtschaft in Deutschland – zumindest vorübergehend – belasten. Die von Trump angedrohten Zölle werden die Ausfuhren in Deutschlands wichtigsten Exportmarkt verteuern und damit erschweren. Und das Regierungs-Aus in Berlin sorgt dafür, dass wichtige Investitionsausgaben in die Infrastruktur um bis zu sechs Monate verschoben werden. Ganz allgemein wird das transatlantische Verhältnis konfrontativer. Hierfür braucht es eine Bundesregierung, die handlungsfähig ist.
Die US-Präsidentenwahl und der Bruch der Ampel-Koalition sind zwei Faktoren von vielen, die Einfluss auf die Entwicklung der deutschen Wirtschaft haben. Welche anderen Faktoren erachten Sie als relevant?
Holstein: Die deutsche Wirtschaftskraft beruht auf der Stärke der heimischen Industrie, die sehr exportabhängig ist. In China, einem der wichtigsten Handelspartner der letzten Jahre, stocken die Geschäfte aufgrund der dortigen Krise. In den USA drohen Zölle. Die heimische Produktion leidet unter der hohen Kostenbelastung, vor allem durch steigende Energiepreise und hohe Löhne. Dazu kommt der Rückstand in der Infrastruktur und zu viel Bürokratie.
Wie können die Unternehmen mit diesen Entwicklungen umgehen?
Holstein: Durch Innovationen und Kosteneinsparungen. Das geht häufig zulasten der Arbeitsplätze.
Trotz einer vorübergehenden Aufhellung der Konjunktur erwarten viele Fachleute, dass das deutsche Bruttoinlandsprodukt nach 2023 auch 2024 sinken wird. Inwiefern bereitet Ihnen das Sorge?
Holstein: Eine sinkende Wirtschaftsleistung ist immer ein Grund zur Sorge, insbesondere angesichts der steigenden Sozialausgaben, die sich schon allein aus der demografischen Entwicklung in den nächsten Jahren ergeben werden.
„Eine Entlastung der Firmen bei Steuern und Bürokratie sollte im Vordergrund stehen.“
Ist ein Strukturwandel unvermeidlich, damit die deutsche Wirtschaft wieder in Schwung kommt?
Holstein: Ein Strukturwandel ergibt sich sowohl aus den veränderten Angebotsbedingungen wie auch aus den Verschiebungen auf der Nachfrageseite. Höhere Energiekosten machen die Produktion in der Grundstoffindustrie in Deutschland zunehmend unprofitabel. Zudem verändern Trends wie die E-Mobilität die Geschäftsgrundlage für die deutsche Autoindustrie. Schnelle und umfassende Reformen zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit sind deshalb umso wichtiger. Eine Entlastung der Firmen bei Steuern und Bürokratie sollte im Vordergrund stehen. Auch die hohen Abgaben auf private Einkommen kurbeln in so volatilen Zeiten den Konsum nicht an. Zudem braucht es einen verlässlicheren Rahmen bei der Energieversorgung. Die Senkung der Stromsteuer ist ein Anfang.
Welche Impulse braucht die deutsche Wirtschaft, um aus eigener Kraft wieder erfolgreich zu werden?
Holstein: Wichtig wäre eine Verbesserung der Angebotsbedingungen am Standort Deutschland. Dazu gehören die Qualität der Infrastruktur, die Höhe der Energiepreise, die Steuersätze auf Gewinne und vor allem auch eine Entlastung bei der immer umfangreicher werdenden Bürokratie.
„Was ich kritisch sehe, ist eine Feinsteuerung durch Regulierung und Subventionen.“
Wie sollte die Politik den Wirtschaftsstandort Deutschland unterstützen? Was sollte sie dabei unterlassen?
Holstein: Es geht um eine Verbesserung der Standortbedingungen. Was ich kritisch sehe, ist dagegen eine Feinsteuerung durch Regulierung und Subventionen.
Wirtschaftswachstum benötigt Investitionen, die finanziert werden wollen. Wie bewerten Sie das aktuelle Investitionsklima in Deutschland, auch im Hinblick auf die regulatorischen Rahmenbedingungen bei der Finanzierung?
Holstein: Das Investitionsklima leidet unter den verschlechterten Standortbedingungen. Mängel – etwa im Vergleich zu den USA – gibt es insbesondere auch bei der Finanzierung von Startup-Unternehmen und der Verfügbarkeit von Wagniskapital.
„Es hapert in der Regel nicht an der Finanzierung, sondern an profitablen Investitionsmöglichkeiten.“
Regionale Geldinstitute wie VR-Banken und Sparkassen sind ein wichtiger Finanzierungspartner des Mittelstands. An welchen Stellschrauben sollte die Politik drehen, damit diese Banken ihrem Auftrag, den Mittelstand zu finanzieren, bestmöglich nachkommen können?
Holstein: Der Mittelstand fühlt sich ausreichend finanziert, wie wir auch aus unserer regelmäßigen DZ Bank-Mittelstandsumfrage ablesen können. Es hapert in der Regel nicht an der Finanzierung, sondern an profitablen Investitionsmöglichkeiten.
Deutschland war um die Jahrtausendwende wirtschaftlich „der kranke Mann Europas“, fand dann aber zu alter Stärke zurück. Was waren damals die Gründe, dass die Wirtschaft wieder in die Erfolgsspur zurückgefunden hat, und was können wir heute daraus lernen?
Holstein: Die Bedingungen für die Unternehmen müssen sich wieder verbessern. Damals wurde das nicht zuletzt durch eine Flexibilisierung des Arbeitsmarkts erreicht. Heute brauchen wir aus meiner Sicht einen noch breiteren Ansatz, um die Standortbedingungen in Deutschland zu verbessern.
Herr Holstein, vielen Dank für das Interview!