Diese Website verwendet Cookies. Wenn Sie unsere Seiten nutzen, erklären Sie sich hiermit einverstanden. Weitere Informationen

Wenn Hans-Jürgen Maul die Vorjahreskurse der wichtigsten Agrarprodukte mit den aktuellen Preisen vergleicht, kann er nur den Kopf schütteln.

  • Stickstoffdünger (Kalkammonsalpeter): plus 200 Prozent,
  • Heizöl: plus 100 Prozent,
  • Raps: plus 75 Prozent,
  • Weizen: plus 60 Prozent,
  • Mais: plus 40 Prozent,
  • Diesel: plus 30 Prozent

(Vergleichszeitraum für alle Angaben November 2020/2021, maximale Preisdifferenz, gerundet).

„Es wird immer schwieriger, die Märkte und ihr Risiko einzuschätzen“, sagt der Geschäftsführer der Raiffeisen-Lagerhaus Amberg-Sulzbach GmbH. Das Problem seien die enormen Preissprünge. „Die Preise für Dünger wie zum Beispiel Kalkammonsalpeter haben sich innerhalb von drei Monaten von unter 300 Euro auf jetzt rund 600 Euro pro Tonne mehr als verdoppelt und im Jahresverlauf sogar verdreifacht, sagt Maul. Wer da nicht aufpasse und Risikopositionen aufbaue, laufe große Gefahr, in Schieflage zu geraten. So sei es in der aktuellen Situation extrem riskant, Termingeschäfte abzuschließen, wenn die entsprechende Menge an Getreide von den Landwirten beziehungsweise Düngemittel von der Industrie noch gar nicht eingekauft wurde. Ein privater Landhändler aus Nordwestdeutschland sei deswegen schon in die Insolvenz geschlittert.

Gefährdet sind nach Ansicht von Maul auch Verarbeiter aus der Agrar- und Ernährungswirtschaft, die vom Lebensmitteleinzelhandel abhängen. Dazu zählen Mühlen, Mälzereien oder Brauereien. „Wenn die Verarbeiter durch längerfristige Kontrakte an den Lebensmitteleinzelhandel gebunden sind, jetzt aber die Rohstoffe zu höheren Preisen einkaufen müssen, kann das noch zu einem großen Problem werden und das eine oder andere Unternehmen in Schieflage bringen“, sagt Maul.

Die hohen Getreidepreise erklärt Maul mit einer Reihe von schlechten Ernten. „Global gesehen wird seit Jahren etwas mehr Getreide verbraucht als geerntet, deshalb schrumpfen die Lagerbestände. Und weniger Ware bedeutet höhere Preise“, sagt der Geschäftsführer des Raiffeisen-Lagerhauses Amberg-Sulzbach. Auch in Deutschland sei die Getreideernte in den vergangenen Jahren wiederholt unterdurchschnittlich ausgefallen.

Zudem halten die Landwirte in Erwartung weiter steigender Preise einen Teil ihrer Ernte zurück. Das treibe die Märkte zusätzlich, weil das Angebot künstlich reduziert werde. Maul hält das für eine riskante Strategie. „Wenn die Preise fallen, kommt zu viel Ware auf den Markt, weil die Landwirte noch schnell verkaufen wollen. Dann kippen die Märkte umso schneller.“

Beim Raiffeisen-Lagerhaus Amberg-Sulzbach werden deshalb keine Lagerbestände aufgebaut, weder beim Getreide noch bei Düngemitteln. „Teuer einkaufen kann ich immer, wenn ich die Ware auch wieder losbringe. Aber wenn die Landwirte nicht kaufen wie aktuell beim Dünger, dann kaufen wir auch nicht“, sagt Maul. Wer volle Lager mit unverkauften Mengen zu hohen Preisen hat, setze sich in der derzeitigen Situation unnötigen Zwängen aus. „Da kann es passieren, dass man zu billigeren Marktpreisen verkaufen muss, sollte der Düngerpreis nachgeben“, sagt Maul. Trotzdem sei das Raiffeisen-Lagerhaus Amberg-Sulzbach weiterhin sowohl für die Landwirte als auch für Kunden wie Mühlen, Kraftfutterwerke oder Mälzereien da. „Wir bedienen die Märkte kontinuierlich, aber wir achten streng auf unser Risikomanagement und kennen unsere Grenzen“, sagt Maul.

Warenumschlag innerhalb von wenigen Tagen

Ähnlich verfährt die Raiffeisen-Handels-GmbH (RHG) mit Sitz in Rotthalmünster. „Ziel ist es, alle Positionen innerhalb von wenigen Tagen, spätestens aber nach wenigen Wochen umzuschlagen. So bauen wir keine Lagerbestände auf und können beim aktuellen Tagespreis mithalten“, sagt Geschäftsführer Thomas Bruckmeier. Das sei auch im Sinne der Kunden. „Wir handeln täglich und sitzen nicht auf der Ware. Wenn der Landwirt uns braucht, sind wir für ihn da.“ Zwar sei bei solchen Geschäften die Handelsspanne kleiner, aber das nehme die RHG in Kauf.

Trotzdem kommt auch die Raiffeisen-Handels-GmbH den Preissteigerungen nicht aus, vor allem im Energiesektor. Zum Beispiel trocknet die RHG rund 25.000 Tonnen Mais pro Jahr. „Wir haben uns frühzeitig einen guten Preis für das Erdgas gesichert, aber nicht früh genug, sodass wir tiefer in die Tasche greifen müssen als normal. Im Schnitt passt es aber noch für uns und die Landwirte“, sagt Bruckmeier. Auch die Logistik leide unter den hohen Energiepreisen.  Die Raiffeisen-Handels-GmbH betreibt 20 Lastwagen, das ist vergleichbar mit einer mittleren Spedition. Die Flotte legt pro Jahr etwa 1,2 Millionen Kilometer zurück. „Unsere Lastwagen verbrauchen im Schnitt 30 bis 35 Liter auf 100 Kilometer. Da schmerzen die hohen Dieselkosten natürlich schon“, sagt Bruckmeier. Bei einem Preissprung von 30 Cent pro Liter Diesel kommen so schnell Mehrkosten von 100.000 Euro und mehr pro Jahr zusammen. Der Geschäftsführer geht deshalb davon aus, dass die RHG ihre Frachtpreise im kommenden Jahr anpassen muss.

Fahrermangel in der Logistik: Bald britische Verhältnisse?

Die Logistik werde sich in absehbarer Zeit noch aus einem anderen Grund verteuern, ist Thomas Bruckmeier überzeugt: „Die Branche leidet unter einem akuten Fahrermangel, wir steuern auf britische Verhältnisse zu“, warnt der Geschäftsführer der Raiffeisen-Handels-GmbH (RHG). Er würde sofort drei neue Fahrer einstellen, um die Flotte der RHG von 20 Lkw auszulasten, aber es melde sich niemand. „Wenn wir die Stellen bis zum neuen Jahr nicht besetzen können, dann wird uns nichts anderes übrig bleiben, als einen der Lkw abzugeben“, sagt Bruckmeier. In den kommenden Jahren werde sich das Problem weiter verschärfen. „Viele unserer Fahrer sind 55 Jahre oder älter, die ihren Lkw-Führerschein noch in der Bundeswehr gemacht haben. Sie sind absolut zuverlässig, aber sie gehen in absehbarer Zeit in Rente. Und es kommt niemand nach“, klagt der Geschäftsführer. In Deutschland fehlten jetzt schon bis zu 80.000 Lkw-Fahrer. Letztlich bleibe den Speditionen wohl nichts anderes übrig, als den Fahrern deutlich mehr zu bezahlen, um den Job wieder attraktiver zu machen. „Das wird die Transportkosten nochmal um 15 bis 20 Prozent verteuern“, schätzt Bruckmeier. Auf Billigspeditionen aus Osteuropa zu setzen, kommt für ihn nicht infrage. „Wir bedienen auf der letzten Meile unsere Kunden in der Region, die von uns eine hohe Lieferqualität erwarten. Ohne gute Ortskenntnisse und vor allem ohne Sprachkenntnisse bei den Fahrern würde das nicht funktionieren“, sagt Bruckmeier.

Zusätzlich habe der Preis für Adblue in den letzten Monaten stark angezogen, berichtet Bruckmeier. Die Harnstofflösung wird modernen Dieselmotoren zur Abgasreinigung beigegeben. Grund für die Preissteigerung sind auch hier die hohen Energiepreise. Verschiedene Hersteller haben ihre Produktion deshalb schon zurückgefahren. Denn Adblue basiert auf Ammoniak, das auch der Grundstoff für viele Düngemittel ist und von der Industrie mit einem hohen Energieaufwand hergestellt wird.

Während die Fahrer von neueren Diesel-Pkw nur ein bis zweimal im Jahr Adblue tanken und sich vorerst nur wenig Sorgen machen müssen, stellt sich die Situation für Landwirte und Spediteure anders dar. Denn deren dieselbetriebene Traktoren und Lastwagen benötigen wegen des höheren Spritverbrauchs auch deutlich mehr Adblue. Das Problem: Geht den Maschinen der Zusatzstoff aus, springen sie nicht mehr an. „Wir haben für etwa zehn Monate Adblue auf Lager, wir können unsere Kunden also weiterhin ganz normal bedienen“, beruhigt Bruckmeier.

Standort am Hafen Straubing: Niedrigwasser behindert Logistik

Seit der Fusion mit der Raiffeisen Straubing GmbH im Jahr 2020 verfügt die Raiffeisen-Handels-GmbH über einen Standort am Donauhafen Straubing-Sand. „Der Hafen ist für uns Fluch und Segen zugleich“, sagt Geschäftsführer Thomas Bruckmeier. „Wenn der Export läuft, bietet der Hafen super Vermarktungschancen. Dann können wir unser Getreide über die Donau schnell und kostengünstig in aller Herren Länder verschiffen. Dafür sind die Kosten deutlich höher als bei einem Standort ohne Hafenlogistik.“ Das könne auch zum Problem werden. „Aktuell könnten wir zum Beispiel viel Getreide nach Holland liefern. Aber das geht nicht, weil die Donau Niedrigwasser hat. Die hohen Kosten des Standorts bleiben aber. Das ist der Nachteil an einer solchen Lage“, erklärt Bruckmeier.

Während Diesel und Adblue zwar teuer, aber noch problemlos verfügbar sind, seien bei den Düngemitteln Lieferengpässe zu befürchten, vermutet Bruckmeier. Er rät den Landwirten deshalb, trotz der hohen Düngerpreise nicht nur abzuwarten, sondern zumindest eine Teilmenge schon jetzt einzukaufen und bei sich einzulagern. „Viele Düngemittelhersteller produzieren wegen der hohen Energiekosten gar nicht oder auf Sparflamme. Selbst wenn die Energiepreise wieder fallen, dauert es seine Zeit, bis die Produktion wieder hochläuft und ausreichend Ware zur Verfügung steht. Deshalb sollte für das kommende Jahr zumindest die erste Düngergabe bis April gesichert sein“, sagt der Geschäftsführer.

Abgesehen davon unterstützt die Raiffeisen-Handels-GmbH die Landwirte auch bei der Suche nach alternativen Düngemitteln. „Als Alternative zum wichtigsten Stickstoffdünger Kalkammonsalpeter bieten wir zum Beispiel Produkte an, die den Stickstoff aus der Luft oder aus der Gülle binden und im Boden anreichern. Das ist billiger. Zudem müssen diese Alternativen nicht in der Stoffstrombilanz berücksichtigt werden, in der die Landwirte die zugeführten und abgegebenen Mengen an Stickstoff und Phosphor dokumentieren müssen“, erklärt Bruckmeier. Die RHG biete den Landwirten an, diese Alternativen einfach mal zu testen.

Die hohen Düngemittelpreise werden aber durch die ebenfalls hohen Getreidepreise wieder ausgeglichen, sodass sie für den Landwirt nicht ganz so schwer ins Gewicht fallen. Im Herbst vergangenen Jahres habe der Weizenpreis bei rund 180 Euro pro Tonne gelegen, aktuell erhält der Landwirt 280 Euro und mehr pro Tonne. Die Maiskurse kletterten von November 2020 bis November 2021 von etwa 180 Euro auf rund 250 Euro pro Tonne. Ob die Preise auf diesem hohen Niveau verharren, sei jedoch alles andere als ausgemacht, warnt Bruckmeier. Auf weitere Kurssteigerungen zu setzen, sei riskant. „Wir raten deshalb dazu, einen Teil der diesjährigen und auch der nächstjährigen Ernte schon jetzt zu vermarkten und nicht auf noch höhere Preise zu warten. Die Rechnung geht trotz der hohen Düngerkosten auf“, sagt der Geschäftsführer.

Agrar-Zentrale der Raiffeisen-Handels-GmbH Rottal.

Aufnahme aus der Luft: Die neue Agrar-Zentrale der RHG Rottal.

Agrar-Zentrale der Raiffeisen-Handels-GmbH Rottal.

Einkaufen: Im Haus- und Gartenmarkt gibt es zahlreiche Produkte - von Gartengeräten…

Agrar-Zentrale der Raiffeisen-Handels-GmbH Rottal.

…bis zur Heimtiernahrung.

Agrar-Zentrale der Raiffeisen-Handels-GmbH Rottal.

Von außen betrachtet: Der Eingangsbereich zum Haus- und Gartenmarkt.

Die Teilabsicherung der Ernte gehöre eigentlich zu einem stringenten Risikomanagement. „Die Gefahr, dass die Preise ins Rutschen geraten, ist gegeben“, sagt Bruckmeier. Er nennt dafür ein Beispiel: Was passiere, wenn Russland seine Zurückhaltung bei den Gaslieferungen aufgibt und deutlich mehr Erdgas nach Europa schickt? „Die Preise für Erdgas, Rohöl und pflanzliche Öle – zum Beispiel aus Raps – hängen eng zusammen. Wenn der Knoten platzt und der Gaspreis sinkt, dann fallen auch die Kurse für pflanzliche Öle und für Raps“, erklärt der Geschäftsführer. Die Preise für andere Agrarprodukte könnten dann schnell folgen, weil Landwirtschaft und Handel nervös werden und zu viel Ware auf den Markt werfen. Zumindest beim Raps gehen die Kurse nicht mehr nur nach oben. Im Jahresvergleich lag der Kurs im Herbst 2020 bei rund 400 Euro pro Tonne Raps, aktuell werden rund 700 Euro aufgerufen. Mitte November gab der Kurs jedoch kurzfristig nach und rutschte auf 680 Euro ab.

Auf den Raiffeisen-Warenhandel sieht Bruckmeier noch aufregende Zeiten zukommen. „Bei dem aktuellen Preisniveau müssen Landwirte wie Händler höllisch aufpassen, was sie tun. Da kann jede Fehlentscheidung schwere Konsequenzen haben. Das nächste Jahr wird auf jeden Fall sehr spannend. Mal sehen, was da noch auf uns zukommt.“

Artikel lesen
Topthema