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Seit Anfang des Jahres 2021 sind die Verbraucherpreise in Deutschland rapide nach oben geklettert. Die Inflationsrate ist zwischen Januar und November von 1,0 auf 5,2 Prozent gestiegen. Seit fast 30 Jahren hat die Teuerungsrate in Deutschland nicht mehr so hoch notiert wie zurzeit. Angetrieben wird die Entwicklung aktuell vor allem von den Energiepreisen. Nicht nur Heizöl und Benzin, sondern vor allem auch Gas und Strom haben sich im Vergleich zum Vorjahr enorm verteuert. Dazu kommen Rohstoff- und Materialengpässe, beispielsweise bei Computer-Chips, die zuletzt die Preise für industrielle Güter in die Höhe schnellen ließen, sowie der Basiseffekt aus der vorübergehenden Mehrwertsteuersenkung in der zweiten Hälfte des Krisenjahres 2020.

Die mit der wirtschaftlichen Erholung von der Corona-Krise einsetzenden Materialengpässe, Lieferkettenprobleme und Energieverknappung dürften noch eine Weile anhalten und die Verbraucherpreise weiter antreiben. Für Dezember rechnen wir mit einer Teuerung von 5,1 Prozent. Für den Jahresdurchschnitt 2021 liegt unsere Inflationsprognose für Deutschland damit bei 3,1 Prozent. Die privaten Haushalte machen sich also zu Recht Sorgen, dass die Preissteigerungen an der Zapfsäule, im Restaurant, beim Weihnachtseinkauf und auf der Nebenkostenabrechnung einen steigenden Anteil ihres Einkommens auffressen.

Bei der EZB läuten die Alarmglocken noch nicht

Auch im gesamten Euro-Raum ist die Teuerungsrate zuletzt merklich angestiegen. Im November lag sie bei 4,9 Prozent und damit auf dem höchsten Stand seit Beginn der Messung im Jahr 1997. Es ist zu befürchten, dass auch hier das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht ist. Bei der Europäischen Zentralbank hat das allerdings noch nicht zu einem Läuten der Alarmglocken geführt. Die EZB-Vertreter zeigen sich mehrheitlich davon überzeugt, dass der gegenwärtige Teuerungsschub nur von temporärer Natur ist. Einzelne Währungshüter fürchten allerdings, dass sich die Preissteigerungen als hartnäckig erweisen und die Lohnentwicklung treiben könnten.

Nach Einschätzung von EZB-Chefvolkswirt Philip Lane sind zwar angesichts des Inflationsschocks einmalige Lohnsteigerungen nicht auszuschließen, doch sieht er keine Anzeichen für eine in Gang kommende Lohn-Preis-Spirale. Vor diesem Hintergrund erscheint der Zentralbank eine übereilte Abkehr vom eingeschlagenen geldpolitischen Kurs nicht geboten. Marktseitig sind zwischenzeitlich dennoch Zinserhöhungsfantasien aufgekommen. Die EZB-Forward Guidance für den Leitzins spricht allerdings gegen eine verfrühte Straffung der Zinszügel. So muss nach der neuen EZB-Strategie die Inflation nicht nur deutlich vor dem Ende des EZB-Projektionszeitraums die Zwei-Prozent-Marke erreichen, sondern auch auf diesem Niveau verbleiben. Die Währungshüter gehen aber bislang davon aus, dass die Teuerungsrate im Jahr 2023 auf 1,5 Prozent zurückfällt. Vor diesem Hintergrund dürften sich etwaige Zinserhöhungsfantasien am Markt in den kommenden Monaten wieder verflüchtigen.

Anleihekäufe dürften perspektivisch auslaufen

Eine Leitzinsänderung steht wohl für geraume Zeit noch nicht auf der Agenda. Die Notenbank-Oberen dürften bei ihrem Meeting Mitte Dezember dennoch über eine Adjustierung des geldpolitischen Kurses beraten. Im Fokus stehen hierbei die Wertpapierkaufprogramme – insbesondere das PEPP (Pandemic Emergency Purchase Programme). Die Corona-Pandemie ist noch keinesfalls ausgestanden, sie erscheint angesichts des Impffortschritts für die weitere Konjunkturentwicklung in der Eurozone aber etwas weniger bedrohlich. Zuletzt kamen angesichts der neuen Omikron-Variante allerdings neue Befürchtungen auf. Die EZB dürfte die Anleihekäufe im Rahmen des PEPP-Notprogramms perspektivisch auslaufen lassen. Doch werden die PEPP-Käufe im März 2022 sicherlich nicht Knall auf Fall beendet. Mit einem ab April 2022 nach und nach verminderten Ankauftempo könnte die Notenbank noch bis in den Sommer hinein Wertpapierkäufe tätigen. Im Hinblick auf das ebenfalls noch laufende Asset Purchase Programme (APP) ist wohl davon auszugehen, dass dieses mit dem bisherigen Ankauftempo von 20 Milliarden Euro pro Monat bis auf Weiteres fortgeführt wird.

Möglicherweise wird die EZB auch im Zuge der Dezember-Ratssitzung ein neues Kaufprogramm (APP 2.0) im Volumen von etwa 500 Milliarden Euro auf den Weg bringen. Dieses könnte bei Verspannungen an den Anleihemärkten gezielt zum Einsatz kommen. Würde beispielsweise der Risikoaufschlag eines einzelnen EWU-Lands übermäßig ansteigen und dabei Ansteckungsgefahr drohen, könnte die Notenbank mit gezielten Wertpapierkäufen dämpfend einwirken. Letztlich gehen wir davon aus, dass die EZB im kommenden Jahr mit einer Verminderung ihrer Wertpapierkäufe im PEPP einen ersten vorsichtigen Schritt in Richtung geldpolitischer Normalität unternimmt. Zugleich wäre ein APP 2.0 eine Art Versicherung gegen unerwünschte Verwerfungen an den Anleihemärkten.

Was macht die US-Notenbank Fed?

Stärker unter Druck könnte die EZB allerdings kommen, wenn die US-Notenbank Fed ihre Geldpolitik schneller straffen sollte, als derzeit erwartet. Denn die US-Inflationsrate bewegt sich aktuell weiter oberhalb der Fünf-Prozent-Marke, ein ganzes Stück höher als im Euro-Raum. In den Vereinigten Staaten war die Fiskalpolitik im Zuge der Erholung aus der Corona-Krise deutlich expansiver als in Europa, und die US-Wirtschaftsleistung bewegt sich bereits heute oberhalb ihres Vorkrisenniveaus. Angesichts der hohen staatlichen Unterstützungsleistungen und der noch in Aussicht gestellten Investitionsprogramme ist eine Überhitzung der Wirtschaft durchaus möglich, was zu einem weiteren Ansteigen der Inflationsrate führen könnte. Um ihre Glaubwürdigkeit nicht zu verlieren, müsste die Fed in diesem Fall handeln und die Zinsen schneller nach oben führen. Das könnte dann auch die EZB früher zum Handeln bewegen, als das von den meisten Beobachtern derzeit erwartet wird.
 

Michael Holstein ist Chefvolkswirt der DZ Bank und leitet die Abteilung Volkswirtschaft. 

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