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Eine Union, die mehr erreichen will und eine Führungsrolle in der Welt übernimmt: Das ist das ambitionierte Ziel der neuen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für ihre bis 2024 laufende Amtszeit. Dazu möchte sie unter anderem einen europäischen „Grünen Deal“ abschließen, den Kontinent für das digitale Zeitalter fit machen und der Demokratie neuen Schwung verleihen. Auch im Bereich Wirtschaft und Finanzen plant die neue Kommission unter der Überschrift „Eine Wirtschaft, deren Rechnung für die Menschen aufgeht“ zahlreiche Initiativen. Unter anderem will sie die umstrittene EU-Einlagensicherung zum Abschluss bringen.

Viele der Vorhaben werden die tägliche Arbeit der bayerischen Genossenschaften und insbesondere der Volksbanken und Raiffeisenbanken beeinflussen. „Profil“ hat sich angesehen, welche Projekte in den nächsten fünf Jahren konkret anstehen – und wer die Kommissare sind, die für die Umsetzung  verantwortlich sind.

Ein Vize-Präsident für die Wirtschaft

Ein besonderes Augenmerk liegt auf dem Aufgabenfeld des EU-Kommissars Valdis Dombrovskis. Er ist einer von drei Exekutiv-Vizepräsidenten, die ressortübergreifend Themen vorantreiben sollen. In dieser Position koordiniert der Lette die Arbeiten der Kommissare Paolo Gentiloni (Wirtschaft), Elisa Ferreira (Kohäsion und Reformen), Nicolas Schmit (Arbeitsplätze) und Phil Hogan (Handel). Für die Finanzmarktregulierung ist er allein zuständig.

Der sparsame Lette

2008 stand Lettland vor dem Staatsbankrott. Nur dank massiver Kredite vom Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Union konnte eine Pleite des baltischen Landes mit knapp zwei Millionen Einwohnern verhindert werden. Dem damals 37-jährigen Ministerpräsidenten Valdis Dombrovskis fiel anschließend die Aufgabe zu, den Staatshaushalt zu sanieren.

Um das zu erreichen, setzte er eiserne Sparmaßnahmen durch – beispielsweise erhöhte er die Mehrwertsteuer und senkte die Gehälter im öffentlichen Dienst um bis zu 40 Prozent. Dombrovskis Reformen waren erfolgreich: Die Finanzlage verbesserte sich schnell. Bei der Parlamentswahl im Jahr 2010 wurde er im Amt des Ministerpräsidenten bestätigt. Nach dem Einsturz eines Supermarkts in der lettischen Hauptstadt Riga im November 2013 übernahm er die politische Verantwortung und trat zurück. Ein Jahr später wurde er in der Kommission unter Jean-Claude Juncker Vizepräsident sowie Kommissar für den Euro und den sozialen Dialog. Dombrovskis spricht fließend Deutsch – er verbrachte ab Oktober 1995 ein Auslandsjahr am Institut für Physik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Er gilt als sorgfältiger Zahlenmensch, der sich stundenlang durch Statistiken arbeiten kann.

Bei seiner Anhörung vor dem EU-Parlament hinterließ Dombrovskis einen guten Eindruck. Der Europa-Abgeordnete Markus Ferber dazu: „Wir haben wichtige Aufgaben zu bewältigen: die Finanzmarktregulierung, die Strukturreformen bei der nationalen Haushaltsplanung und eine faire Unternehmensbesteuerung in allen EU-Ländern. Mit Valdis Dombrovskis haben wir die richtige Person am richtigen Ort.“

In der kommenden Zeit soll Dombrovskis in seiner Rolle als Vize-Präsident im Bereich Wirtschaft vor allem Maßnahmen gegen den drohenden Konjunkturabschwung entwickeln. In seiner Anhörung vor dem EU-Parlament machte er deutlich, dass Mitgliedsstaaten mit hohen Schulden zwar weiter sparen müssten. Gleichzeitig sollten Länder mit einer gesunden Finanzlage weiter investieren, fordert Dombrovskis. Damit meint er vor allem Deutschland.

Daneben hat Dombrovskis eine konkrete Agenda abzuarbeiten. „Im Bereich der Finanzmarktregulierung treibt die Kommission zahlreiche Themen voran. Dombrovskis wird sich darum kümmern müssen, diese mit Inhalten zu füllen und Mehrheiten zu gewinnen“, sagt Bert Van Roosebeke, Finanzmarktexperte am Freiburger Centrum für Europäische Politik (cep). Der Fokus liegt vor allem auf den Feldern Banken- und Kapitalmarktunion, Green Finance und Digitalisierung. Konkret geht es vor allem um sieben Projekte, in denen Dombrovskis tätig werden soll.

  1. Backstop für den einheitlichen Bankenabwicklungsfonds SRF: Ein milliardenschwerer Sicherungstopf soll bei Bankenpleiten einspringen, wenn die Mittel des SRF nicht ausreichen. Das soll zu mehr Finanzstabilität in Europa führen. Roosebeke: „Die Verhandlungen zum neuen ESM-Vertrag und den Backstop darin sind weit fortgeschritten. Auch wenn es derzeit politische Unruhe in Italien über die geplanten Umschuldungsklauseln gibt, ist davon auszugehen, dass der Sicherungstopf aufgelegt wird.“
  2. Europäische Einlagensicherung (EDIS): Auch die neue Kommission unter Ursula von der Leyen möchte die umstrittenen Pläne weiter vorantreiben. Dabei sollen Banken Beiträge in einen europäischen Sicherungsfonds zahlen, der im Krisenfall die Sparer entschädigt. In Deutschland gibt es einen breiten Widerstand gegen das Vorhaben – wie sich zuletzt beim Vorstoß von Bundesfinanzminister Olaf Scholz gezeigt hat. „Die Pläne von Scholz sind Stückwerk“, kommentierte unter anderem Jürgen Gros, Präsident des Genossenschaftsverbands Bayern (GVB). Der Verband weist darauf hin, dass in den vergangenen Jahren wenige Fortschritte beim Abbau notleidender Kredite erzielt worden sind. In Ländern wie Griechenland gilt die Hälfte aller Kredite als ausfallgefährdet. Zudem halten viele Banken nach wie vor hohe Bestände an Staatsanleihen ihrer hochverschuldeten Heimatländer. Solche Risiken sollten zunächst reduziert werden, bevor über eine Teilung von Haftungsrisiken in Europa diskutiert wird. Unterstützung für diese Position gibt es auf breiter Front, unter anderem von Markus Söder: „Zunächst müssen die Risiken im Bankensektor in etlichen Ländern abgebaut werden. Da sich hier aber kaum etwas bewegt, ist eine europäische Einlagensicherung nicht sinnvoll. Das Risiko für die deutschen Sparer ist einfach zu hoch“, sagte der bayerische Ministerpräsident in einem Zeitungsinterview. Europa-Experte Roosebeke zu den Scholz-Plänen: „Aufgrund der Sensitivität der Vorschläge und der ablehnenden Haltung anderer Mitgliedsstaaten ist eine rasche Einigung erst einmal sehr unwahrscheinlich.“
  3. Kapitalmarktunion: Die Kommission möchte eine Strategie vorschlagen, wie für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) der Zugang zu den Kapitalmärkten verbessert werden kann. Darunter fällt beispielsweise ein öffentlich-privater Fonds. Roosebeke: „Große Knackpunkte sind nach wie vor die Harmonisierung des Insolvenzrechts sowie steuerrechtliche Fragen. In diesem Bereich muss Dombrovskis dicke Bretter bohren.“
  4. Green Finance: Einen europäischen „Green Deal“ aufzulegen, ist eine der zentralen Leitlinien der neuen EU-Kommission. Eigentlich ist Exekutiv-Vizepräsident Frans Timmermans für dieses Ressort zuständig. Wenn es um detaillierte Steuerungsmaßnahmen im Bereich der Finanzmärkte geht, muss er sich jedoch eng mit Dombrovskis abstimmen. „Es wird interessant zu beobachten sein, wie die Vize-Präsidenten zusammenarbeiten“, sagt Roosebeke. Konkrete Maßnahmen, die Banken betreffen, sind beispielsweise Standards für Grüne Anleihen (EU-Green Bond Standard), ein europäisches ECO-Label für Finanzmarktprodukte sowie die Verpflichtung, bei Beratungsgesprächen nach Nachhaltigkeitspräferenzen zu fragen. Ebenso soll die Europäische Investitionsbank in die Klimabank Europas umgewandelt werden. Der GVB spricht sich gegen verpflichtende Vorschriften und für eine freiwillige Taxonomie aus. Roosebeke: „Das Thema ist eines der Kernanliegen der neuen Kommission und gewinnt rasch an Fahrt. Entscheidend für den weiteren Verlauf der Verhandlungen wird sein, ob die Mitgliedsstaaten, das Parlament und die Kommission bei der Taxonomie zusammenkommen.
  5. Verbraucherschutz: Im Bereich des finanziellen Verbraucherschutzes gibt es zahlreiche Baustellen, die Dombrovskis angehen muss. Beispielsweise hat die Finanzmarktrichtlinie MiFID II wegen ihrer überzogenen Verbraucherschutzvorschriften für viel Ärger gesorgt. Derzeit wird sie in Brüssel evaluiert, der GVB wirkt seit Längerem auf Nachbesserungen hin. Ein weiteres Beispiel: Der EU-Zahlungsverkehrsmarkt ist stark fragmentiert, Abhilfe soll ein grenzüberschreitendes System für Instant Payments bringen. Roosebeke: „Dombrovskis hat klargemacht, dass er hohen Wert auf Verbraucherschutz legt. In diesem Feld wird sicherlich einiges passieren. In welche Richtung sich die Diskussion entwickeln wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt jedoch schwer abzuschätzen.“
  6. Basel III: Ende 2017 hat der Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht die internationalen Bankenregeln Basel III finalisiert. Diese müssen bis 2022 in EU-Recht umgesetzt werden. Dabei geht es besonders um die Überarbeitung der Verfahren zur Risikomessung in den Banken. Für die bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken sind dabei die Änderungen am Kreditrisikostandardansatz wichtig, weil dieser nach Berechnungen der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde (EBA) zu einer Erhöhung der Eigenkapitalanforderungen führen wird. Die Kommission hat eine Konsultation initiiert, auf deren Basis einen Gesetzesvorschlag entworfen wird. Der GVB bringt sich in die Verhandlungen ein. Roosebeke: „Natürlich gibt es internationalen Druck, die finalisierten Basel-Standards auch in Europa einzuführen. Dazu werden wir in Zukunft intensive Debatten erleben.“
  7. Kryptowährungen: Die EU-Kommission befürchtet, dass virtuelle Währungen wie Facebooks Libra zur Gefahr für die Finanzmarktstabilität werden. Deshalb soll ein einheitliches Regelwerk geschaffen werden. Roosebeke: „Es ist sehr wahrscheinlich, dass Kryptowährungen reguliert werden.“

Wird der Bock zum Gärtner?

Neben den genannten Aufgaben koordiniert Dombrovskis die Arbeiten der anderen Kommissare im Bereich Wirtschaft. Relevant für Bayerns Genossenschaften ist vor allem Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni: Der Italiener soll sich unter anderem um die Einhaltung des europäischen Stabilitäts- und Wirtschaftspakts kümmern. Dazu gehört es, die Haushalte der Länder zu überwachen. „Wenn ein italienischer Sozialdemokrat die Aufsicht über den Euro-Stabilitätspakt bekommen soll, fragen sich viele, ob hier nicht der Bock zum Gärtner gemacht wird“, kommentierte Markus Ferber. Wie Gentiloni die Regeln auslegen wird, machte er in der Anhörung vor dem EU-Parlament deutlich: „Ich werde die Flexibilität im Pakt wenn nötig nutzen“, versprach der Italiener. Die EU-Konvergenzkriterien, nach denen das jährliche Haushaltsdefizit nicht mehr als drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen darf, wird er wohl nicht besonders ernst nehmen.

The Italian Job

In seiner italienischen Heimat wird Paolo Gentiloni scherzhaft „er moviola“ genannt. Eigentlich beschreibt der Begriff eine Wiederholung in Zeitlupe, beispielsweise bei Kinofilmen oder Sport-Übertragungen. Bei Gentiloni soll er deutlich machen, dass der 64-Jährige bedächtig sowie unaufgeregt spricht – und dadurch wie eine Schlaftablette wirkt, so zumindest die Meinung seiner politischen Gegner. Wie auch immer: Mit seiner besonnenen Art bildet Gentiloni einen Gegenpol zu schrillen Politikern wie Silvio Berlusconi oder Matteo Salvini.

Gentiloni stammt aus einem römischen Adelsgeschlecht und spricht neben Italienisch, Englisch sowie Französisch auch etwas Deutsch. Er ist Mitglied der Partito Democratico (PD) und saß von 2001 bis 2019 im italienischen Parlament. Erstmals ins internationale Rampenlicht kam Gentiloni im Jahr 2014, als er zum Außenminister im Kabinett von Matteo Renzi berufen wurde. Nach Renzis Rücktritt im Dezember 2016 übernahm Gentiloni das Amt des Ministerpräsidenten und hielt den Posten bis zur Parlamentswahl 2018 inne. „Gentiloni hat in der Zeit als Ministerpräsident keine großen Sprünge gemacht, sondern das Erbe von Matteo Renzi verwaltet. Zugute halten muss man ihm, dass er mit seiner konsensorientierten Art für Stabilität gesorgt hat. Viele Experten hatten erwartet, dass er sich nicht lange an der Regierungsspitze halten kann“, zieht der Politikwissenschaftler und Italien-Experte Roman Maruhn aus Palermo Bilanz.

Nun ist Gentiloni Wirtschaftskommissar in Brüssel. „Die vorherige Regierung Italiens hat bei den europäischen Partnern viele Sympathien verspielt. Mit der Berufung des erfahrenen Gentiloni, der zudem als überzeugter Europäer gilt, will Rom ein klares Zeichen für einen Neuanfang der Beziehungen setzen“, sagt Maruhn. Bei der Anhörung vor dem EU-Parlament machte Gentiloni jedoch einen durchwachsenen Eindruck. Beobachter sprechen ihm zu, dass er sich einerseits intensiv vorbereitet hatte und die Fragen frei beantwortete. Andererseits seien seine Äußerungen sehr vage geblieben. Das deckt sich mit den Eindrücken von Markus Ferber: „Wir brauchen einen Währungskommissar, der sich darum kümmert, dass der Euro dauerhaft stabil bleibt. Ich bin noch nicht voll überzeugt und erwarte echtes europäisches Engagement, um diese Herausforderungen für die Eurozone zu meistern.“

Auch Gentiloni hat einige Arbeitsaufträge erhalten:

  1. Europäische Arbeitslosenrückversicherung: Die EU-Kommission möchte ein System einrichten, bei dem Länder in Krisenzeiten ein Darlehen abrufen können, um ihre Arbeitslosenversicherung zu stützen. Später sind Zuschüsse geplant. Gentiloni soll ein passendes Konzept erstellen.
  2. Gemeinsamer EU-Haushalt: Ein zusätzliches Budget soll Mitgliedsstaaten bei Reformen für mehr Wachstum und bei Investitionen unterstützen. Die Idee stammt vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Zuletzt haben sich Europas Finanzminister grundlegend auf einen Extra-Geldtopf geeinigt, der rund 17 Milliarden Euro für sieben Jahre betragen soll. Gentiloni befürwortet das Projekt.
  3. Schulden reduzieren: Einige Mitgliedsstaaten gefährden mit ihrem hohen Schuldenstand die Stabilität der Wirtschafts- und Währungsunion. Um die Widerstandsfähigkeit zu erhöhen, sollen die hohen Schulden abgebaut werden. Gentiloni ist dafür zuständig, Defizitverfahren einzuleiten.
  4. EU-Steuerpolitik: Die EU-Kommission möchte eine CO2-Grenzsteuer einführen, damit klimaschädliche Produkte nicht außerhalb der EU produziert und anschließend importiert werden. Der „Klimazoll“ könnte – so befürchten Experten – dazu führen, dass andere Staaten ebenfalls protektionistische Maßnahmen einführen. Das Konzept zur CO2-Grenzsteuer soll Gentiloni gemeinsam mit Frans Timmermans ausgestalten. Daneben könnte die Idee einer Digitalsteuer für große Tech-Firmen wiederbelebt werden.

Europäische Champions?

Zumindest aus dem Augenwinkel sollten die bayerischen Genossenschaften das Ressort von Margrethe Vestager verfolgen. Die Dänin gehört – wie Dombrovskis und Timmermanns – zu den drei Exekutiv-Vizepräsidenten. Sie soll Europa fit für das digitale Zeitalter machen, in ihrem Aufgabenbereich liegen Themen wie die Industriepolitik oder die technische Souveränität Europas.

Die „tax lady“ aus Dänemark

Der ganz große Wurf ist Margrethe Vestager nicht gelungen. Nach der Europawahl hatte sich die 51-jährige Dänin kurzzeitig Hoffnungen auf das Amt als Kommissionspräsidentin gemacht. Letztlich ging der Plan nicht auf, doch es gibt nicht wenige Abgeordnete, die sie gerne an der Spitze der Kommission gesehen hätten. Vestager, Mitglied der sozialliberalen Partei Radikale Venstre, hat in den vergangenen Jahren enorm an Popularität gewonnen. Das hat vor allem mit ihrem Posten als EU-Kommissarin für Wettbewerb zu tun, den sie 2014 antrat. In dieser Funktion hat sie zahlreiche Kartellstrafen in Milliardenhöhe verhängt, unter anderem gegen die Tech-Konzerne Apple und Google. Das brachte Amerikas Präsident Donald Trump auf die Palme: „Your tax lady, she really hates the U.S.“, schmetterte Trump dem damaligen Kommissionschef Jean-Claude Juncker entgegen.

Ablehnung ist Vestager indes gewöhnt. Zwei weitere wenig schmeichelhafte Spitznamen – „Eiskönigin“ und „Eiserne Lady“ – erhielt sie in der Zeit als dänische Wirtschaftsministerin. Dort setzte sie harte Sozialreformen durch. Eine Gruppe Langzeitarbeitsloser schenkte ihr daraufhin eine Hand aus weißem Gips mit ausgestreckten Mittelfinger. Heute steht die Skulptur in ihrem Büro im zehnten Stock des EU-Kommissionsgebäudes. Diese erinnere sie daran, dass es immer Menschen mit einer anderen Meinung gebe, sagte Vestager in einem Interview.

In der neuen Kommission soll Vestager nicht nur den Wettbewerb kontrollieren, sondern auch die Digitalwirtschaft fördern. Das kann zu Interessenkonflikten führen, wie bei der Anhörung im EU-Parlament deutlich wurde. Dazu Markus Ferber: „Frau Vestager ist fachlich geeignet, das steht außer Frage, aber wir müssen uns überlegen, ob der Ressortzuschnitt dauerhaft so bleiben kann. Es wäre peinlich, wenn künftig der Europäische Gerichtshof Wettbewerbsentscheidungen der EU-Kommission kassieren würde, weil sie nicht unabhängig zustande gekommen sind.“

Gemeinsam mit Dombrovskis soll Vestager eine langfristige Strategie für die industrielle Zukunft Europas entwickeln. Unklar ist, wie die beiden zum Thema „europäische Champions“ stehen. Unter diesen Titel fällt die Überlegung, bei der Bewertung von Fusionen nicht wie bisher auf den europäischen Markt zu schauen, sondern den Wettbewerb auf globaler Ebene als Maßstab zu nehmen. Auf diese Weise würde die Politik die Bildung von Großunternehmen und grenzüberschreitende Fusionen fördern. So könnten etwa weitere europäische Großbanken entstehen. Der GVB weist in diesem Zusammenhang darauf hin, auch die Anliegen von kleinen und mittelgroßen Kreditinstituten zu beachten – beispielsweise bei der Umsetzung der finalen Basel III-Standards in europäisches Recht. Die Detailarbeiten zur Neufassung des Wettbewerbsrechts werden vom Kommissariat für Binnenmarkt geleistet, das in französischer Hand ist. Das EU-Parlament hatte die erste Kandidatin Sylvie Goulard abgelehnt und erst den zweiten Anwärter Thierry Breton bestätigt. Der geborene Pariser war zwischen 2005 und 2007 französischer Finanzminister und arbeitete zuletzt als Vorsitzender und CEO des IT-Unternehmens Atos.

Weitere Kommissare im Fokus

Für die bayerische Genossenschaftsorganisation sind weitere neue EU-Kommissare relevant. Beispielsweise der Pole Janusz Wojciechowski: Er soll als Agrarkommissar die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) reformieren. Seine Aufgabe ist es, eine Strategie für eine nachhaltige Lebensmittelkette vom Erzeuger bis zum Verbraucher zu entwickeln. Wojciechowski war zwischen 2004 und 2016 Abgeordneter im EU-Parlament, anschließend ging er zum Europäischen Rechnungshof. Ebenfalls interessant wird sein, wie Kadri Simson ihre Position als EU-Kommissarin für Energie ausgestaltet. Sie soll sich dafür stark machen, den Ausbau von erneuerbaren Energien zu fördern und den Grundsatz „Energieeffizienz zuerst“ in allen Bereichen zu verankern.

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