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Als Horst Seehofer am 14. März 2018 sein neues Amt als Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat antrat, wurde nicht nur an vielen Stammtischen heiß diskutiert: Braucht Deutschland einen Heimatminister? Welche Aufgaben soll er erfüllen? Und was versteht die Politik unter Heimat?

Seehofer beruft sich auf ein Vorbild, das er selbst geschaffen hat. Als Ministerpräsident ergänzte er nach der Landtagswahl 2013 das Bayerische Finanzministerium um die Bereiche Landesentwicklung und Heimat. Nordrhein-Westfalen folgte dem Beispiel des Freistaats im Juni 2017 mit dem neuen Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung. Inzwischen haben alle politischen Parteien das Thema „Heimat“ für sich entdeckt und tragen es in die Wahlkämpfe.

Der Fokus der Politik macht deutlich: Heimat hat wieder Konjunktur – nicht nur in Bayern, sondern in ganz Deutschland. 92 Prozent der Deutschen bewerten den Begriff positiv, wie eine Umfrage Ende vergangenen Jahres ergeben hat. Aber warum ist das so?

Sehnsucht nach Orientierung

Matthias von Bechtolsheim führt insbesondere die „Entgrenzung der Welt“ ins Feld. „Wir haben in Europa eine einheitliche Währung und können reisen, wohin wir wollen. Markenkonzerne treten weltweit mit identischen Produkten und Geschäften auf und dank der Digitalisierung können wir theoretisch von überall aus arbeiten. Das ist nicht nur positiv, sondern stresst die Menschen auch“, sagt der Geschäftsführer der Werbeagentur „Heimat“. Also suchen die Menschen nach einem Anker – und finden ihn in der Heimat. „Die Menschen sehnen sich nach Orientierung in einem Umfeld, das immer globaler wird“, so von Bechtolsheim. Seine Agentur verantwortet unter anderem die aktuelle Werbekampagne „Kann was“  der Volksbanken und Raiffeisenbanken, für die auch das Münchner Original „Obst-Didi“ vor der Kamera stand.

Mit der Globalisierung sind viele Identitäten und Symbole verloren gegangen, die den Menschen früher Halt gaben. Dazu gehöre zum Beispiel die D-Mark als Symbol für Stabilität und Aufschwung, sagt von Bechtolsheim. Auch die vermehrte Zuwanderung nach Deutschland habe bei vielen Menschen dazu geführt, sich wieder stärker mit der eigenen Identität zu beschäftigen. „Viele nehmen die Welt als instabil wahr. Deshalb besinnen sie sich auf ihre Wurzeln. Heimat ist ein Gegentrend zur Globalisierung“, sagt Marketingexperte von Bechtolsheim.

Das sieht auch der bayerische Heimatminister Albert Füracker so: „Heimat ist ein Schlüsselthema der heutigen Zeit. Kulturelle und regionale Identität werden in Zeiten zunehmender Globalisierung und Digitalisierung wichtiger denn je.“ Berufliches und damit einhergehendes privates „Nomadentum“ verstärkten die Suche nach einem Anker der Stabilität, sagte Füracker gegenüber „Profil“. „Heimat ist heute der Ort, an dem man sich wohlfühlt und zu dem man immer wieder zurückkehrt.“

Unbeschwerter Umgang mit Heimat

Diese Rückbesinnung auf die Heimat hat dazu geführt, dass der Begriff an Renommee gewonnen hat, nachdem er durch die Verwendung im Nationalsozialismus lange Zeit belastet war. Markus Kerber, Staatssekretär im Bundesheimatministerium, setzt sich für einen unbeschwerten Umgang mit dem Begriff ein und verwahrt sich gegen eine Vereinnahmung durch radikale Gruppierungen: „Heimat ist in vielerlei Hinsicht ein zentraler Lebensbegriff – überall auf der Welt.“

Auch die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland mit ihrem Motto „Die Welt zu Gast bei Freunden“ habe zum positiven Image beigetragen, sagt Werber von Bechtolsheim. „Bis zur WM waren die Deutschen für ihre Effizienz bekannt, aber nicht für ihre Herzlichkeit. Doch mit dem Sommermärchen und unserer lockeren und leichten Art haben wir die Herzen der Menschen in aller Welt gewonnen. Seitdem fällt es uns leichter, uns über Symbole und Produkte zur eigenen Heimat zu bekennen.“

Regionale Produkte zählen wieder etwas

Auch in der Wirtschaft ist Heimat inzwischen ein Megatrend, befördert durch das wachsende ökologische Bewusstsein in der Bevölkerung. „Die Menschen wenden sich immer mehr gegen die Plastikgesellschaft made in China. Sie suchen das Original. Das Handwerk und das Handgemachte zählen wieder etwas“, sagt von Bechtolsheim. Bestes Beispiel dafür ist das stetig wachsende Angebot von Lebensmitteln aus regionaler Herstellung. „Wir wollen essen, was in der Region wächst, und dadurch die Heimat fördern“, so der Chef von „Heimat“.

Auch bei den bayerischen Genossenschaften ist das spürbar. Viele der Lebensmittel produzierenden Betriebe fokussieren sich auf hochwertige Spezialitäten aus der Region und fahren gut damit. Die genossenschaftlichen Brauereien im Freistaat beispielsweise besetzen zwar nur eine Nische, doch sie profitieren von der emotionalen Bindung zu ihren Mitgliedern und Kunden. „Bier schafft Heimat“, sagte die Bloggerin und Bier-Sommelière Nina Anika Klotz in einem Interview im Juni-„Profil“.

Sicherheit sorgt für Heimat

Zu guter Letzt macht von Bechtolsheim noch auf zwei weitere Faktoren aufmerksam, die den positiven Umgang mit der Heimat insbesondere in Bayern befördern: die hohe soziale und öffentliche Sicherheit sowie der wirtschaftliche Wohlstand im Freistaat. „Beide Umstände tragen dazu bei, dass sich die Menschen in ihrer Region zuhause fühlen und stolz auf sie sein können. Stolz auf die eigene Heimat führt wiederum zu mehr Identifikation“, sagt der Marketingexperte. In armen Ländern falle es den Menschen bisweilen schwerer, sich mit ihrer Heimat zu identifizieren. „Wenn der Missstand zum Beispiel durch marode Straßen und Gebäude im öffentlichen Raum sichtbar wird und die Menschen den Zerfall hautnah erleben, dann entzweien sie sich irgendwann mit ihrer Heimat.“

Damit genau das nicht passiert, unterstützt die Bayerische Staatsregierung den ländlichen Raum seit 2013 mit einem eigenen Heimatministerium. Dessen zentrale Aufgaben sind die Landesentwicklung und der Breitbandausbau. Im Februar 2014 wurde der zweite Dienstsitz des Ministeriums in Nürnberg eröffnet. Ein Schritt mit hoher Symbolkraft. So wollte der damalige Heimatminister und heutige Ministerpräsident Markus Söder demonstrieren, dass er den Verfassungsauftrag zur Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse in ganz Bayern mit Leben erfüllt. Denn in Artikel 3 der Bayerischen Verfassung heißt es: „Der Staat schützt die natürlichen Lebensgrundlagen und die kulturelle Überlieferung. Er fördert und sichert gleichwertige Lebensverhältnisse und Arbeitsbedingungen in ganz Bayern, in Stadt und Land.“

Eine umfassende Gestaltungsaufgabe

Inzwischen ist Albert Füracker Chef des Heimatministeriums. Heimatpolitik sei kein Modethema, sondern Politik für die Menschen vor Ort, in Stadt und Land, sagt der Oberpfälzer. Heimat könne nur dort sein, wo lebenswerte Bedingungen und gute Arbeitsplätze vorhanden sind. Heimatpolitik vereine daher harte und weiche Faktoren: „Sie ist weit mehr als nur Brauchtumspflege, sie ist eine umfassende Gestaltungsaufgabe“, so Füracker. Die Menschen dürften sich nicht abgehängt fühlen. Dafür brauche es gute ökonomische Rahmenbedingungen und eine gut funktionierende Infrastruktur.

Die Bundesregierung setzt ähnliche Schwerpunkte. Im Koalitionsvertrag nimmt der Abschnitt „Heimat mit Zukunft“ vier Seiten ein. Unter anderem wollen die Regierungsparteien die Strukturschwächen im ländlichen Raum bekämpfen und die Kommunen bei den Herausforderungen des demografischen Wandels unterstützen. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der Belebung von Orts- und Stadtkernen. „Unser Ziel sind gleichwertige Lebensverhältnisse in handlungs- und leistungsfähigen Kommunen in städtischen und ländlichen Räumen, in Ost und West“, heißt es in dem Papier.

Das Heimatverständnis der Bundesregierung

„Heimat ist dort, wo sich Menschen wohl, akzeptiert und geborgen fühlen. Heimat hat nichts mit Enge zu tun, sondern gibt Orientierung und vermittelt einen festen Halt, die Herausforderungen des Lebens zu bestehen und nach vorne zu blicken.
Heimatpolitik ist als gemeinsame Gestaltungsaufgabe zu verstehen. Der tiefgreifende Wandel unserer Zeit bewegt viele Menschen in ihrem Lebensalltag. Deutschland hat sich durch Globalisierung, Digitalisierung und Zuwanderung in den letzten Jahren stark verändert.
Wenn Gemeinschaften vielfältiger werden, sind die Fragen der Identität und der Identifikation mit unserem Land umso wichtiger. Die Antworten darauf müssen im Kernbereich des Zusammenlebens normativ verbindlich sein. Zu den unverrückbaren Werten zählen nicht nur die Grundrechte als Basis unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, sondern auch die Achtung und Wertschätzung der hier tradierten Lebensweise.
Aber Heimat heißt auch Zukunft und Verständnis, gesellschaftliche Veränderungen anzunehmen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Denn Heimat war und ist immer auch ein Raum sozialer Beziehungen, Ausgleich und Einbindung – Integration. So verstanden ist Heimat Lebensmöglichkeit und nicht nur Herkunftsnachweis. Heimat ist nicht Kulisse, sondern Element aktiver Auseinandersetzung.“


Quelle: Drucksache 19/3559 des Deutschen Bundestags

Matthias von Bechtolsheim begrüßt den neuen Heimattrend, schließlich trägt seine Agentur den Begriff im Namen. „Wir haben uns bei der Gründung für ‚Heimat‘ entschieden, weil wir damit unsere Verbindlichkeit gegenüber unseren Kunden ausdrücken wollen. Heimat braucht Substanz und Seele. Wir wollen nicht marktschreierisch und laut auftreten, sondern Werte vermitteln. Dazu passt Heimat sehr gut.“

Um das Thema bei den Mitarbeitern präsent zu halten, dürfen diese hinten auf ihre Visitenkarte ein Bild drucken lassen, was für sie Heimat bedeutet. Von Bechtolsheim hat damit gute Erfahrungen gemacht – ganz abgesehen davon, dass die Bilder ein guter Anknüpfungspunkt für ein Gespräch über Heimat sind. „Die Fotos sind emotional und sehr persönlich. Ich habe schon eine Portion Pommes, den Kölner Dom oder die Ultraschallaufnahme eines Babys auf den Visitenkarten gesehen. Das zeigt, wie intensiv sich die Menschen inzwischen mit ihrer Heimat auseinandersetzen.“

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