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Am 24. Mai 2018 hat die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) den Leitfaden zur „Neuausrichtung der aufsichtlichen Beurteilung bankinterner Risikotragfähigkeitskonzepte und deren prozessualer Einbindung in die Gesamtbanksteuerung“ (RTF-Leitfaden) veröffentlicht. Das Dokument beschreibt einen Paradigmenwechsel in der Gesamtbanksteuerung, da die Berechnung der Risikotragfähigkeit in Zukunft nicht mehr an das Handelsgesetzbuch (HGB) angelehnt wird, sondern an ein barwertiges Konzept. Allerdings können die Volksbanken und Raiffeisenbanken bis 2019 und gegebenenfalls darüber hinaus wie gehabt den „Going-Concern-Ansatz“ verwenden.

Im Jahr 2016 hatte die Bankenaufsicht der Europäischen Zentralbank (EZB) ihre Erwartungen an die zukünftige Ausrichtung der bankinternen Risikotragfähigkeitskonzepte ICAAP und ILAAP (Internal Capital/Liquidity Adequacy Assessment Process) formuliert. 2017 folgte die BaFin mit einem ersten Entwurf des neuen RTF-Leitfadens, zu dem der GVB zusammen mit dem Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) und der Deutschen Kreditwirtschaft Stellung genommen hat. Dabei wurde erreicht, dass der Grundgedanke der Proportionalität in die Endfassung des RTF-Leitfadens aufgenommen wurde. Allerdings stellte die BaFin klar, dass sie ihre aufsichtlichen Erwartungen an die bankinternen RTF-Konzepte im Kontext der europäischen Harmonisierung am ICAAP-Leitfaden der EZB ausrichtet.

Warum wurde der RTF-Leitfaden geändert?

Die bankinternen Verfahren zur Sicherstellung der Risikotragfähigkeit sind für die Banksteuerung von großer Bedeutung. Wie diese auszusehen haben, ist im Kreditwesengesetz (KWG) sowie den Mindestanforderungen an das Risikomanagement der Banken (MaRisk) geregelt. Die Kriterien und Maßstäbe der Aufsicht zur Beurteilung dieser Konzepte sind im Leitfaden zur aufsichtlichen Beurteilung bankinterner Risikotragfähigkeitskonzepte (RTF-Leitfaden) niedergelegt. Aufgrund signifikanter Änderungen der europäischen Aufsichtsstruktur und -praxis haben die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) und die Deutsche Bundesbank den Leitfaden grundlegend überarbeitet und neu strukturiert. Damit stellen sie die Kriterien zur Beurteilung bankinterner Risikotragfähigkeitskonzepte (ICAAP) auf eine aktuelle Basis.

Going-Concern-Ansatz bleibt vorerst erlaubt

Immerhin erlaubt der neue RTF-Leitfaden den Banken im Anhang (dem sogenannten „Annex“), bei der Berechnung der Risikotragfähigkeit bis auf Weiteres den sogenannten „Going-Concern-Ansatz“ anzuwenden. Dabei wird die Risikotragfähigkeit der Institute so gesteuert, dass der Geschäftsbetrieb selbst dann aufrechterhalten werden kann, wenn alle kalkulierten Risikoszenarien auf einmal eintreten. Die BaFin gibt jedoch keine Garantie für eine dauerhafte Akzeptanz des Going-Concern-Ansatzes. Der GVB setzt deshalb mit dem BVR und der Deutschen Kreditwirtschaft den Dialog mit der Aufsicht fort, um eine Beibehaltung bis mindestens Ende 2020 zu erreichen.

Was ändert sich bei der Risikotragfähigkeit?

Der neue RTF-Leitfaden enthält eine normative sowie eine ökonomische Perspektive, die in Zukunft gleichzeitig erfüllt werden müssen. Diese Vorschrift gilt für alle Kreditinstitute unabhängig von deren Größe. Die weitaus einfacher zu erfüllende Vorschrift stellt die normative Perspektive dar. Sie ist nahezu identisch mit der Planung der externen Eigenkapitalanforderungen. Diese basiert auf den Daten der Eckwertplanung und gibt im Kern darüber Auskunft, wie die aktuellen und zukünftigen Eigenkapitalanforderungen in einem Plan-Szenario bei einem normalen Bilanzsummenwachstum erfüllt werden. In mindestens einem weiteren Szenario muss zusätzlich eine gegensätzliche (adverse) Betrachtung durchgeführt werden. Der Fokus liegt dabei auf einer spürbaren Belastung der Eigenkapitalausstattung durch widrige makroökonomische Entwicklungen, die den Auswirkungen einer simulierten Rezession gleich kommen. Der GVB wird den Instituten dazu Hilfestellung bei der sachgerechten Darstellung anbieten.

Neue ökonomische Perspektive

Die unbestritten anspruchsvollere Aufgabe wird es sein, die ökonomische Perspektive zu implementieren. Diese stellt, kurz gesagt, eine barwertige Risikotragfähigkeit dar, die von einer handelsrechtlichen Perspektive losgelöst ist. Allgemein wird mit der Barwertmethode der Wert aller Aktiva und Passiva eines Unternehmens zum aktuellen Zeitpunkt berechnet, um darauf aufbauend vergleichbare Aussagen zu deren künftiger Wertentwicklung treffen zu können.

Controllerforum in Ingolstadt

Beim 21. Controllerforum der bayerischen Genossenschaftsbanken am 25. September im Stadttheater Ingolstadt erhalten Fachvorstände, Controller, Innenrevisoren sowie Führungskräfte aus Betrieb und Vertrieb für ihre praktische Tätigkeit im Controlling die neuesten Informationen über Verbandspolitik, Aufsichtsrecht und damit zusammenhängende aktuelle Fragen. Auch der RTF-Leitfaden wird Thema sein. Erstmals können ausgewählte Vorträge des Controllerforums auch im Live-Streaming verfolgt werden. Weitere Informationen gibt es auf der Webseite der Akademie Bayerischer Genossenschaften (ABG)  sowie im Mitgliederbereich der GVB-Webseite.

Das Grundprinzip entspricht dabei der heutigen Vorgehensweise: Einer Risikodeckungsmasse werden die einzelnen Risikoarten gegenübergestellt. Die Risikotragfähigkeit ist gegeben, wenn die Risikodeckungsmasse größer ist als die Summe der Einzelrisiken. Dabei gibt es eine entscheidende Neuerung: Das zur Aufrechterhaltung der Eigenmittelanforderungen benötigte Eigenkapital wird nicht mehr von der Risikodeckungsmasse abgezogen. Insgesamt werden sich die Risikodeckungsmassen im Vergleich zum Going-Concern-Ansatz spürbar erhöhen.

Im Gegenzug verlangt die Aufsicht, dass die Risiken sehr viel schärfer gerechnet werden. Barwertig muss mit einem Konfidenzniveau von 99,9 Prozent gemessen werden. Das heißt, dass die kalkulierten Risiken nur in einem von 1.000 Fällen eintreten. Damit wird ein äußerst hohes Sicherheitsniveau für den möglichen Eintritt von Risiken gewahrt.

Erleichterungen für kleine Banken

Im RTF-Leitfaden kam die Aufsicht dem Drängen der Deutschen Kreditwirtschaft nach, konzeptionelle Erleichterungen in der ökonomischen Perspektive gemäß dem Proportionalitätsprinzip zu ermöglichen. So besteht ein gewisser Freiheitsgrad bei der Wahl der Methoden zum Aufbau einer Risikotragfähigkeit. Die Aufsicht unterscheidet dabei zwischen einer barwertigen, einer barwertnahen und einer „Säule 1 Plus“-Konzeption. Letztere ist vorgesehen für „sehr kleine und wenig komplexe“ Institute. In diesem „Säule 1 Plus“-Ansatz werden für nicht hinreichend in Säule 1 berücksichtigte Risiken vereinfacht quantifizierte Risikowerte für wesentliche Risiken addiert.

Da derzeit noch keine Erfahrungswerte vorliegen, welche Banken die Kriterien „sehr klein und wenig komplex“ erfüllen, ist die Entscheidung über den anzuwendenden Ansatz (barwertig, barwertnah oder „Säule 1 Plus“) von jeder Bank selbst zu treffen. Der GVB bietet seinen Mitgliedern bei der Entscheidungsfindung seine Unterstützung an. „Säule 1 Plus“-Banken dürfen unabhängig von der Bilanzsumme keine komplexen Geschäfte im Kunden- und Eigengeschäft tätigen. Die Grenzen zwischen barwertig und barwertnah sind fließend. So können beispielsweise Marktpreisrisiken mit dem Risikomaß „Value at Risk“ (VaR) in der historischen Simulation in der Anwendung „VR-Control Zinsmanagement“ barwertig oder durch Ansatz des Baseler Zinsrisikokoeffizienten barwertnah quantifiziert werden.

Bei der Ermittlung der Risikodeckungsmasse beschreibt die barwertige Variante die exakte (barwertige) Berechnung aller Assets, Risikoprämien, Provisionen und Verwaltungskosten. Bei der barwertnahen Variante wird hingegen vereinfachend auf das bilanzielle Eigenkapital zurückgegriffen, das gegebenenfalls um stille Reserven in Immobilien, Beteiligungen und im Zinsbuch ergänzt wird. Es bleibt festzuhalten, dass eine barwertnahe Ausrichtung den Banken mehr Freiheit lässt, da nicht für jede einzelne Risikoart ein VaR-Verfahren zwingend umgesetzt werden muss. Allerdings zeigen erste Proberechnungen des BVR, das pauschalere Verfahren – egal ob barwertnah oder „Säule 1 Plus“ – tendenziell zu einem höheren Risikoausweis führen.

Wie ist das neue RTF-Konzept zu bewerten?

Der GVB hat sich im Rahmen der laufenden Betreuung der Institute in Erfahrungsaustausch-Gruppen ein erstes Bild über Chancen und Risiken der neuen Risikotragfähigkeitsberechnung verschafft. Noch kann keine allgemeingültige Aussage gegeben werden, ob das neue Konzept die Risikotragfähigkeit verschärft oder entlastet. Das liegt im Wesentlichen an den barwertigen Effekten und der unterschiedliche Parametrisierung der Risikomessung. Dazu zwei Beispiele:

  • Ein hoher barwertiger VaR-Wert wird in der heutigen Risikotragfähigkeit gegebenenfalls durch einen hohen Bestand an stillen Reserven in Wertpapieren kompensiert. Diese fließen im Going-Concern-Ansatz nur sukzessive ab, sodass erhöhte Marktpreisrisiken in einer handelsrechtlichen Betrachtung erst viel später wirksam werden.
  • Durch die Erhöhung des Konfidenzniveaus von 95 oder 99 Prozent im aktuellen Going-Concern-Ansatz auf 99,9 Prozent in der ökonomischen Perspektive können Risiken deutlich höher bewertet werden, als dies bisher der Fall war.

Was empfiehlt der GVB?

Der Genossenschaftsverband Bayern (GVB) empfiehlt den bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken, sich frühzeitig mit den neuen Konzepten zur Berechnung der Risikotragfähigkeit zu beschäftigen und spätestens im kommenden Jahr Proberechnungen durchzuführen. Durch diesen parallelen „Testbetrieb“ können die Institute bereits heute eine Historie mit bankindividuellen Zahlen aufbauen und Erfahrungen sammeln, wie geschäftspolitische Entscheidungen in beiden Welten der Rechnungslegung – Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) nach HGB sowie Barwert – wirken. Die Institute sollten jedoch nicht verfrüht das neue RTF-Konzept anwenden, da beispielsweise erst die Auswirkungen auf das aufsichtliche Meldewesen gemäß der Finanz- und Risikotragfähigkeitsinformationenverordnung (FinaRisikoV) zu klären sind.

Unterstützung durch den Verband

Der Genossenschaftsverband Bayern (GVB) wird die bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken dabei unterstützen, das notwendige Wissen zur Risikotragfähigkeit aufzubauen: Geplant sind ein Seminar sowie eine Muster-Arbeitsanweisung beziehungsweise eine Organisationsrichtlinie zu Risikosteuerungs- und -controllingprozessen. Außerdem steht der GVB seinen Mitgliedern bei Detailfragen gerne zur Verfügung. Ansprechpartner ist Robert Bruckmann: rbruckmann(at)gv-bayern.de, 089 / 2868-3868.

Robert Bruckmann ist Referent für Banksteuerung in der Abteilung Grundsatz des Genossenschaftsverbands Bayern.

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