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Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs

Wenn Verbraucher einen Darlehensvertrag auch viele Jahre nach Vertragsabschluss rückabwickeln wollen, ist es aus ihrer Sicht immer einen Versuch wert, sich auf eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung der Bank zu berufen – die Darlehensnehmer ziehen den „Widerrufsjoker“. Der Begriff hat es sogar zu einem eigenen Eintrag bei Wikipedia gebracht. Häufig geschieht der Widerruf aus wirtschaftlichen Gründen, um sich nachträglich von hochverzinsten Verträgen zu lösen. Durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 26. März 2020 (Aktenzeichen C-66/19) bestand nun die Gefahr, dass der Widerrufsjoker auf einmal wieder zieht, weil das Gericht die vom deutschen Gesetzgeber vorgegebene Widerrufsbelehrung beanstandet hatte.

Im vorliegenden Fall hatte ein Verbraucher Anfang 2016 gegenüber der Kreissparkasse Saarlouis einen grundpfandrechtlich abgesicherten Kredit widerrufen, den er im Jahr 2012 aufgenommen hatte. Die Kreissparkasse war der Ansicht, dass sie den Verbraucher ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht belehrt habe und die Frist für die Ausübung dieses Rechts bereits abgelaufen gewesen sei. Schließlich landete der Fall vor dem EuGH.

Die Widerrufsbelehrung der Kreissparkasse entsprach damals dem vom Gesetzgeber vorgegebenen Muster:

„Die Frist beginnt nach Abschluss des Vertrages, aber erst, nachdem der Darlehensnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB (z. B. Angabe zur Art des Darlehens, Angaben zum Nettodarlehensbetrag, Angabe zur Vertragslaufzeit) erhalten hat. (…)“

Die Kundenanwälte monierten, dass diese Formulierung trotz der entsprechenden gesetzlichen Vorgabe intransparent sei. Der Verbraucher müsse sich die erforderlichen Informationen zur Ermittlung des Fristbeginns aus unterschiedlichen Normen – § 492 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in Verbindung mit Art. 247 §§ 3-13 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) – zusammensuchen und schließlich noch entscheiden, ob entsprechende juristische Begriffe zum eigenen Sachverhalt passen. Dies sei dem Verbraucher nicht zuzumuten.

Der EuGH stellte fest, dass der – vom deutschen Gesetzgeber vorgesehene und in ein gesetzliches Muster integrierte – Verweis auf die deutschen Rechtsvorschriften nicht dem Erfordernis der EU-Verbraucherkreditrichtlinie genügt, den Verbraucher in klarer und prägnanter Form über die Frist und die anderen Modalitäten für die Ausübung des Widerrufsrechts zu informieren. Es sei mit europäischem Recht nicht vereinbar, dass ein Kreditvertrag hinsichtlich der Pflichtangaben, deren Erteilung an den Verbraucher für den Beginn der Widerrufsfrist maßgeblich ist, auf eine nationale Vorschrift verweist, die selbst auf weitere Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedsstaats verweist (sogenannter Kaskadenverweis).

Verbraucheranwälte reklamieren auf der Grundlage des EuGH-Urteils, dass alle Immobiliardarlehensverträge, die vom 11. Juni 2010 bis einschließlich zum 20. März 2016 geschlossen wurden, nun widerrufen werden können. Im genannten Zeitraum enthielt das gesetzliche Muster der Widerrufsbelehrung die vom EuGH monierte Regelung. Anders verhält es sich bei Allgemeinverbraucherdarlehensverträgen. Hier enthält das gesetzliche Muster der Widerrufsbelehrung noch heute die vom EuGH beanstandete Regelung. Verbraucheranwälte ziehen daraus die Schlussfolgerung, dass auch die bis heute abgeschlossenen Allgemeinverbraucherdarlehensverträge widerrufen werden können.

Die Entgegnung des Bundesgerichtshofs

Dieser Rechtsauffassung ist der Bundesgerichtshof (BGH) in zwei Beschlüssen vom 31. März 2020 (Aktenzeichen XI ZR 198/19 und XI ZR 581/18) entgegengetreten, in denen er sich auch mit dem EuGH-Urteil vom 26. März 2020 auseinandergesetzt hat. Die Kläger hatten in zwei Nichtzulassungsbeschwerden mit der fehlerhaften Widerrufsbelehrung argumentiert. Der BGH wies die Nichtzulassungsbeschwerden der Kläger zurück. Die Beschlüsse im Einzelnen:

  • Im ersten Fall ging der Streit um einen Allgemeinverbraucherdarlehensvertrag (Az. XI ZR 198/19). Der BGH führte aus, dass die von der Bank verwendete Widerrufsinformation „Gesetzlichkeitsfiktion“ genieße. Diese erlaubt es einem Vertragspartner, sich auf die Richtigkeit der von ihm verwendeten Belehrung zu berufen, selbst wenn die Rechtsprechung einzelne Passagen in der Zukunft als fehlerhaft beurteilen sollte. Das gilt allerdings nur, wenn die Belehrung sowohl inhaltlich als auch der Darstellung nach vollständig aus dem Gesetz übernommen wurde. Das in Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz verankerte Rechtsstaatsprinzip verbiete es dem BGH, sich über die ausdrückliche Anordnung des Gesetzgebers in Artikel 247 § 6 Abs. 2 S. 3 EGBGB alte Fassung (a.F.) hinwegzusetzen. Demnach genüge eine im Darlehensvertrag in hervorgehobener und deutlich gestalteter Form enthaltene Widerrufsinformation den Anforderungen an eine klare und verständliche Information des Darlehensnehmers über das ihm nach § 495 BGB zukommende Widerrufsrecht. Voraussetzung sei, dass die Widerrufsinformation dem Muster gemäß Anlage 7 zu Artikel 247 § 6 Abs. 2 und § 12 Abs. 1 EGBGB a.F. entspricht. Das Gesetz beziehe seine Geltungskraft aus der demokratischen Legitimation des Gesetzgebers. Der klar erkennbare Wille des Gesetzgebers dürfe nicht übergangen oder verfälscht werden. So verwirkliche sich in Art. 20 Abs. 3 und Art. 97 Abs. 1 Grundgesetz die vorgegebene Bindung der Gerichte an das Gesetz. Vor diesem Hintergrund scheide eine richtlinienkonforme Auslegung aus. Richterliche Rechtsfortbildung ermächtige den Richter nicht dazu, seine eigene materielle Gerechtigkeitsvorstellung an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers zu setzen.
  • Im zweiten Fall drehte sich der Rechtsstreit um einen Immobiliarverbraucherdarlehensvertrag (Az. XI ZR 581/18). Der BGH führte aus, dass die Verbraucherkreditrichtlinie nach ihrem Art. 2 Abs. 2a und c keine Anwendung finde, sofern ein grundpfandrechtlich gesicherter Immobiliardarlehensvertrag vorliege. Der BGH verneinte also einen Bezug zu der zitierten europäischen Richtlinie. Wie aber nationale Vorschriften auszulegen sind, die nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen, und ob ihre Auslegung durch das vorlegende Gericht richtig ist, falle in die ausschließliche Zuständigkeit der nationalen Gerichte. Die Widerrufsbelehrung sei daher nach ständiger Rechtsprechung des BGH klar und verständlich.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der BGH der Welle von Widerrufen, die aufgrund der Entscheidung des EuGH im Raum stand, schnell und zielgerichtet entgegengetreten ist. Wurde die Musterwiderrufsinformation korrekt befüllt, werden Banken einem neuen Ansturm von widerrufenden Kunden kompetent begegnen können.


Frank Pape ist Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht beim Genossenschaftsverband Bayern.

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