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Notleidende Kredite (non performing loans, NPL) sind ein großes Problem in Europa: Sie belasten nicht nur die Ertragslage und die Eigenkapitalausstattung der betroffenen Banken, sondern sie behindern auch die Vergabe neuer Darlehen. Damit schwächen sie in letzter Konsequenz die gesamte Wirtschaft und die Finanzstabilität in der EU. Vor allem die Institute in Südeuropa sitzen auf einem Berg fauler Kredite. Die EU hat deshalb verschiedene Maßnahmen ergriffen, um den NPL-Bestand in Europa zu reduzieren.

Dazu gehört die EU-Richtlinie 2019/1023 „über  präventive  Restrukturierungsrahmen, über  Entschuldung und  über  Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur  Steigerung  der  Effizienz von  Restrukturierungs-, Insolvenz-  und Entschuldungsverfahren“ (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz). Sie ist am 16. Juli 2019 in Kraft getreten. Um zu vermeiden, dass Unternehmen zahlungsunfähig und ihre Kredite notleidend werden, will die EU den Betrieben durch einen Restrukturierungsplan eine frühzeitige Sanierung ermöglichen. Den EU-Ländern bleiben nun zwei Jahre, um die Vorgaben der Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. Dabei gesteht die EU den Mitgliedsstaaten bei der Umsetzung in vielen Detailfragen einen erheblichen Spielraum zu.

Im deutschen Rechtssystem existiert bis jetzt nur das gerichtliche Insolvenzverfahren in seinen verschiedenen Ausgestaltungen. In Zukunft soll das nationale Recht gemäß der EU-Richtlinie möglichst gerichtsfern ausgestaltet werden. Gleiches gilt für die Restrukturierung: Sie soll so weit wie möglich ohne gerichtliche Beteiligung erfolgen, damit den betroffenen Unternehmen nicht das Stigma des Konkurses anhaftet. Die anstehende Umsetzung der EU-Richtlinie wird sich erheblich auf den Umgang der Gläubiger mit Schuldnern auswirken, die in Zahlungsschwierigkeiten geraten sind. Das betrifft auch die bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken als Kreditgeber des Mittelstands. „Profil“ informiert über die wichtigsten Eckpunkte der EU-Richtlinie.

Zugang zum Verfahren

Initiativberechtigt für das Restrukturierungsverfahren können alle unternehmerischen Schuldner sein, egal ob es sich dabei um eine natürliche Person, eine juristische Person oder eine Personenhandelsgesellschaft handelt. Ausgenommen sind Versicherungsunternehmen und Kreditinstitute. Weiterhin darf noch kein Insolvenzgrund vorliegen, also keine Zahlungsunfähigkeit beziehungsweise Überschuldung bei Kapitalgesellschaften, denn das Restrukturierungsverfahren soll einen Insolvenztatbestand gerade verhindern.

Das Unternehmen, das in das Restrukturierungsverfahren geht, soll darüber hinaus bestandsfähig sein – also das Potenzial haben, nach der Restrukturierung wirtschaftlich bestehen zu können. Der nationale Gesetzgeber kann die Möglichkeit schaffen, dass die Justiz einen Restrukturierungsplan ablehnt, wenn keine vernünftige Aussicht besteht, dass der Plan die Insolvenz des Schuldners verhindert oder die Bestandsfähigkeit des Unternehmens gewährleisten würde.

Aussetzung der Einzelzwangsvollstreckung

Über ein Moratorium kann der Schuldner erreichen, dass die Einzelzwangsvollstreckung gegen ihn zumindest für einen Zeitraum von vier Monaten ausgesetzt wird. Der nationale Gesetzgeber kann aber hier auch die Möglichkeit schaffen, dass dieses Moratorium durch gerichtliche Anordnung auf zwölf Monate erweitert wird.

Problematisch an diesem Moratorium ist Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie – insbesondere für Kreditinstitute. Demnach können Gläubiger wegen des Moratoriums ihre vertraglichen Leistungen nicht verweigern und ihre Verträge nicht kündigen. Konsequenz ist, dass es der Bank als Gläubiger über diesen Art. 7 Abs. 4 untersagt ist, wegen wesentlicher Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse nach Ziff. 19 Abs. III der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) zu kündigen. Auch das Sistieren, also das „Einfrieren“ einer nicht ausgenutzten Kreditlinie, ist durch das Moratorium ausgeschlossen. Der nationale Gesetzgeber kann hier aber eine Regelung treffen, die verhindert, dass sich das Moratorium auf nicht ausgenutzte Kredite erstreckt.

Der GVB informiert

Mit der Umsetzung der EU-Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz hält ein vollkommen neues Verfahren Einzug in das deutsche Rechtssystem. Die Rechtsberatung des Genossenschaftsverbands Bayern (GVB) geht deshalb von einem hohen Informationsbedarf der Verbandsmitglieder aus. Daher bietet die GVB-Rechtsberatung am 11. Dezember 2019 ein erstes Webinar an. Beginn ist um 10 Uhr. Nähere Informationen folgen in Kürze auf der Webseite der Akademie Bayerischer Genossenschaften (ABG) sowie im Mitgliederbereich der GVB-Webseite. Weitere Informationsveranstaltungen folgen rechtzeitig, bevor das Umsetzungsgesetz zur EU-Richtlinie in Kraft tritt. Der GVB berät seine Mitglieder darüber hinaus auf Wunsch zu allen insolvenzrechtlichen Fragen. Auskünfte geben die Fachanwälte Anton Rauch, Frank Pape und Stefan Kochanski. Kontakt: recht(at)gv-bayern.de oder 089 / 2868-3700.

Kernstück Restrukturierungsplan

Dem Restrukturierungsplan gilt nicht nur in der Richtlinie, sondern auch bei der Umsetzung in deutsches Recht die größte Aufmerksamkeit. Über ihn können vielfältige Regelungen zur Restrukturierung des Schuldners getroffen werden. Gläubiger werden zu Gruppen zusammengefasst, in denen sie nach dem Mehrheitsprinzip abstimmen. Ziel des Restrukturierungsplans ist es, die Insolvenz des Schuldners zu verhindern und sein wirtschaftliches Fortbestehen zu gewährleisten. Das erinnert an den Insolvenzplan nach §§ 218 ff. Insolvenzordnung (InsO). Dort ist der Fokus allerdings darauf gerichtet, im Vergleich zur Abwicklung des Unternehmens im Regelinsolvenzverfahren wenigstens für eine Gruppe der beteiligten Gläubiger wirtschaftlich bessere Ergebnisse zu erzielen. Der Restrukturierungsplan wird dagegen voraussichtlich auf die Sanierung des Schuldners auch zulasten der Gläubiger zielen.

Im Rahmen des Restrukturierungsplans können die Zusammensetzung und die Struktur der Vermögenswerte des Schuldners, aber auch bestehende Verbindlichkeiten verändert werden. Ebenso sind Eingriffe in Gesellschafterrechte wie Kapitaländerungen sowie eine Abfindung der betroffenen Gesellschafter möglich. Anders als beim Insolvenzplan erfolgt ein Eingriff in Gläubigerrechte allerdings nur, wenn dieser Gläubiger am Restrukturierungsverfahren beteiligt gewesen ist.

Verkürzte Restschuldbefreiung für Unternehmer

Nach bisherigem Recht der Insolvenzordnung werden natürlich Personen in der Regel nach sechs Jahren von der Restschuld befreit. Diese Frist kann aber unter bestimmten Voraussetzungen auch verkürzt werden. Dies gilt sowohl für Schulden von Verbrauchern als auch von Unternehmern. Die EU-Richtlinie sieht demgegenüber eine Restschuldbefreiung nur für aktive Unternehmer vor, also nicht für Verbraucher.

Die Frist für die Restschuldbefreiung ist zwingend auf drei Jahre begrenzt, wobei der nationale Gesetzgeber keinen Spielraum für abweichende Regelungen hat. Allerdings kann der nationale Gesetzgeber Sonderregelungen für bestimmte Verbindlichkeiten erlassen und sie von der Restschuldbefreiung ausnehmen. Dazu gehören zum Beispiel besicherte Kredite oder Verbindlichkeiten aus deliktischen Handlungen.

Unterstützung durch Restrukturierungsbeauftragten

Wenn Gläubigerinteressen besonders betroffen sind, kann das Gericht einen Restrukturierungsbeauftragten einsetzen, so beispielsweise bei der Aussetzung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen oder bei der Abstimmung der Gläubiger über den Restrukturierungsplan, bei dem einzelne Gläubigergruppen überstimmt werden könnten. Auch hier hat der nationale Gesetzgeber weitreichende Möglichkeiten, Stellung und Aufgaben des Restrukturierungsbeauftragten im Verfahren zu definieren sowie Anforderungen an dessen Qualifikation zu stellen.

Das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz hat bereits um Stellungnahmen zur Umsetzung der EU-Richtlinie in deutsches Recht gebeten. Die Positionen der Banken werden durch die gemeinsame Interessenvertretung der fünf kreditwirtschaftlichen Spitzenverbände in Deutschland („Die Deutsche Kreditwirtschaft“) vorgebracht. Der Genossenschaftsverband Bayern (GVB) bringt die Interessen der bayerischen Kreditgenossenschaften über den Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) in das Verfahren ein.


Anton Rauch ist Rechtsanwalt beim Genossenschaftsverband Bayern (GVB). Die Rechtsberatung des GVB ist unter recht(at)gv-bayern.de oder 089 / 2868-3700 zu erreichen.

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