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Russland-Embargo, Brexit und Corona: Stress hoch drei

Sicherlich sind vielen die Milchseen und Butterberge, die Milchquote, Milchpreiskrisen oder diverse Milchmengenreduktionsprogramme nachhaltig im Gedächtnis geblieben. Dies macht deutlich, dass der Milchmarkt so bewegt und politisch geprägt ist wie kaum ein anderer agrarischer Markt. Mit einem Aufkommen von aktuell etwa 33 Milliarden Kilogramm Milch ist die Milchwirtschaft ein bedeutender Pfeiler der deutschen Agrar- und Ernährungswirtschaft. Dabei spielen genossenschaftliche Molkereien mit einem Marktanteil von rund zwei Drittel eine zentrale Rolle.

Der Milchmarkt ist auf der einen Seite ein globaler Markt. Dies macht auch die Exportquote von etwa 50 Prozent deutlich. Auf der anderen Seite ist er in Deutschland durch regionale Besonderheiten vor allem zwischen Nord und Süd geprägt. In jüngster Vergangenheit haben das Russland-Embargo und der Brexit den Milchmarkt deutlich beeinflusst. Ich bedaure diese politischen Entscheidungen sehr. Am Ende führen Einschränkungen des freien Handels immer zu Wohlfahrtsverlusten. Vor allem die Corona-Pandemie mit ihren direkten und indirekten Folgen hat die Wirtschaft nicht nur in Deutschland erheblich verändert. So führten die massiven Beschränkungen des öffentlichen Lebens zu Umsatzeinbrüchen in der Gastronomie, beim Außerhauskonsum oder in der Reisebranche.

Der Blick auf die aktuelle Milchmarktentwicklung zeigt in Deutschland und der Europäischen Union eine relativ stabile und in den USA und Neuseeland eine steigende Produktion. Die wachsende Nachfrage auf dem Weltmarkt, vor allem in den Entwicklungs- und Schwellenländern, sorgt für einen Ausgleich der globalen Marktbilanz, womit die Weltmarktpreise ihr stabiles Niveau halten dürften. Im August 2021 lag der durchschnittliche Auszahlungspreis pro Kilogramm Milch in der Europäischen Union bei 36 Cent und damit neun Prozent über dem Niveau des Vorjahres. Marktexperten gehen davon aus, dass die globale Nachfrage tierischer Produkte auch mittel- bis langfristig weiter steigt.

Verzehr tierischer Produkte wird sinken

Entgegen dem globalen Trend wird in Deutschland Analysen zufolge der Verzehr tierischer Produkte aus gesundheitlichen Motiven, aber auch aus Klimaschutzgründen, sinken. Damit werden sich Ausmaß und Form der Tierhaltung in den Veredelungsregionen spürbar verändern. Ich gehe davon aus, dass sich die Tierbestände in den nächsten Jahren um 20 bis 30 Prozent verringern werden. Dies ist jedoch nicht der einzige Grund, warum die Stimmung unter den Tierhaltern miserabel ist. Steigende Kosten für fast alle Betriebsmittel, immer höhere Auflagen und Anforderungen und nicht zuletzt die unzureichende Planungssicherheit und Wertschätzung für die Erzeugung von Lebensmitteln ergeben eine kritische Gemengelage.

Als Landwirt und als Präsident des Deutschen Raiffeisenverbands möchte ich die Weiterentwicklung der Landwirtschaft, insbesondere der Tierhaltung und damit auch der Milchwirtschaft, aktiv mitgestalten. Ich gebe zu, dass die Mitarbeit in der sogenannten Borchert-Kommission und in der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) nicht immer harmonisch verlief. Aber wenn derart unterschiedliche Gruppen und gesellschaftliche Interessen aufeinandertreffen, müssen manche Diskussionen ausgefochten werden. Was zählt, ist das Ergebnis: Es ist das klare Bekenntnis zur Landwirtschaft und Tierhaltung in Deutschland. Dies wird nicht nur von Seiten der Landwirtschaft, sondern auch von den Umwelt- und Naturschutzverbände mitgetragen.

Transformation der Landwirtschaft: Kein „Weiter so“

Die Wahrheit ist aber auch, dass es kein „Weiter so“ geben wird. Die Landwirtschaft muss sich den gesellschaftlichen Anforderungen anpassen. Dieser Transformationsprozess kann nur gesamtgesellschaftlich gelingen. Als Genossenschaften, dem Bindeglied zwischen Landwirtschaft und Handel, sind wir uns dieser besonderen Verantwortung bewusst. Wir sind bereits mittendrin im nachhaltigen Wandel. Die Zukunftskommission hat deshalb nicht ohne Grund kooperative Ansätze und Organisationsformen empfohlen, um diese Ziele zu erreichen. Deshalb setze ich mich als Präsident des Deutschen Raiffeisenverbands mit aller Kraft dafür ein, dass die neue Bundesregierung zügig mit der Umsetzung der Ergebnisse beider Kommissionen beginnt.

Die Strategie 2030 der deutschen Milchwirtschaft gibt Antworten auf aktuelle und zukünftige Fragen. Ein wesentlicher Punkt, die Schaffung einer bundesweit wahrnehmbaren Branchenkommunikation, wurde Mitte dieses Jahres umgesetzt. Unter dem Motto „Ohne Milch? Ohne mich!“ geht die Milchwirtschaft in die kommunikative Offensive und wird in der Öffentlichkeit, vor allem im städtischen Bereich und bei der „Generation Z“, deutlich sichtbarer.

Bayerische Molkereigenossenschaften: Vielfalt mit Herausforderungen

Die regionalen Besonderheiten innerhalb Deutschlands machen sich nicht nur an Betriebsgrößen und Haltungsformen fest. Es sind vor allem Menschen und Traditionen, die den ländlichen Raum über Generationen geprägt haben. Bayern ist bekannt als starke Veredelungsregion und für eine, auch im ländlichen Raum, wirtschaftsfreundliche Infrastruktur. Auch die große Anzahl von privaten und genossenschaftlichen Molkereien verschiedener Größenordnungen sowie die Breite regionaler Spezialitäten verdeutlichen die Vielfalt innerhalb des Freistaats.

Als Deutscher Raiffeisenverband und Teil der „Interessengemeinschaft Genossenschaftliche Milchwirtschaft“ respektieren wir die Interessen und regionalen Besonderheiten aller Mitglieder. Bisher ist es uns gelungen, die Transformationsprozesse ohne Strukturbrüche zu gestalten. Das war nicht immer einfach und wird in Zukunft ungleich schwerer. Sei es am Beispiel der in Süddeutschland nach wie vor stark verbreiteten Anbindehaltung oder der aktuellen Verhandlungen der Initiative Tierwohl. Als genossenschaftlich orientierte Unternehmen setzen wir auf Geschlossenheit. Unsere Position ist umso stärker, je einiger wir uns sind.


Franz-Josef Holzenkamp ist Präsident des Deutschen Raiffeisenverbands (DRV).

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