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Seit einem Jahr beherrscht die Corona-Pandemie unser Leben. Die deutsche Wirtschaft, und mit ihr die genossenschaftlich orientierten Unternehmen der Agrar- und Ernährungswirtschaft, sind einem Stresstest ausgesetzt. Noch immer ist nicht klar, wann und wie wir wieder zur vertrauten Normalität zurückkehren.

Glücklicherweise ist die Agrar- und Ernährungswirtschaft bis auf wenige Ausnahmen im Vergleich zu anderen Branchen in Deutschland insgesamt gut mit den zum Teil dramatischen Turbulenzen zurechtgekommen. Unsere genossenschaftlich orientierten Mitgliedsunternehmen sind systemrelevant und haben ihren Auftrag, Menschen und Tiere mit hochwertigen Lebens- und Futtermitteln zu versorgen, durchgehend erfüllt. In der Krise beweist sich einmal mehr die Stärke der genossenschaftlichen Idee.

Neben der Pandemie gibt es weitere Herausforderungen, die die Agrar- und Ernährungswirtschaft treffen. Dazu gehören die Frage nach der Vermeidung unfairer Handelspraktiken ebenso wie der Ruf nach einem Lieferkettengesetz und weiterer Regulatorik im Umgang mit Pflanzenschutzmitteln.

UTP-Richtlinie: Schnelle Umsetzung in nationales Recht nötig

Die Fairness im Handel muss für alle Teile der Wertschöpfungskette gelten. Deshalb begrüßt der DRV die zügige Umsetzung der sogenannten UTP-Richtlinie in nationales Recht. Zur Stärkung des fairen Wettbewerbs ist es positiv, dass der nationale Gesetzgeber über den europäischen Ansatz hinaus weitere Verbote als nicht verhandelbar regeln will und damit aus zwei weiteren grauen Verboten schwarze Verbote (also generelle, nicht zwischen den Vertragsparteien verhandelbare Verbote) werden. Im noch laufenden Gesetzgebungsverfahren setzen wir uns für weitere zentrale Anpassungen im nationalen Recht ein. Dies sind der Wegfall der Umsatzstaffeln, die Beweislastumkehr sowie eine zeitnahe Evaluierung.

Worum geht es bei der UTP-Richtlinie?

Viele Landwirte haben in der Lebensmittellieferkette nur eine geringe Marktmacht. Dadurch sind sie häufig unlauteren Handelspraktiken ausgesetzt. Beispielsweise bezahlen die Abnehmer die Rechnung verspätet oder stornieren kurzfristig Aufträge. Die EU hat deshalb im April 2019 die Richtlinie 2019/633 über unlautere Handelspraktiken in den Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen in der Agrar- und Lebensmittelversorgungskette (UTP-Richtlinie) erlassen. Diese muss bis zum 1. Mai 2021 in nationales Recht umgesetzt werden. Ziel der Richtlinie ist es, für faire Vertrags- und Lieferbeziehungen zwischen den verschiedenen Akteuren in der Wertschöpfungskette für Lebensmittel zu sorgen. Konkret werden bestimmte Handelspraktiken verboten. Dazu zählen etwa kurzfristige Stornierungen bei verderblichen Lebensmitteln, die einseitige Änderung von Lieferbedingungen oder Entschädigungsforderungen ohne Verschulden des Lieferanten. Die Regeln gelten für alle Unternehmen der Lebensmittelerzeugung und -verarbeitung bis zu einem Jahresumsatz von 350 Millionen Euro.

Weitere Infos gibt es auf der Webseite des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft.

Um fairen Wettbewerb für Unternehmen des Agribusiness zu ermöglichen, fordern wir den Wegfall der Umsatzstaffeln, die im aktuellen Gesetzentwurf bei einem Jahresumsatz von 350 Millionen Euro liegen. Ein minimaler Konsens wäre bereits eine Erweiterung der Umsatzstaffeln für Unternehmen, die von den landwirtschaftlichen Erzeugern getragen werden. Zur Vermeidung von vertraglichem Ungleichgewicht sollten zudem alle verbliebenen grauen Verbote in schwarze, also absolute Verbote, überführt werden. Auch die Beweislastumkehr beziehungsweise eine widerlegbare Vermutung wird zur besseren Durchsetzbarkeit und zum verbesserten Schutz von Ross und Reiter eingefordert. Zu der Frage der Wirksamkeit wird auf eine zeitnahe Evaluierung der Vorschriften gesetzt, die im Gesetz verankert werden sollte. Nur so lässt sich die Effektivität der Vorschriften zeitnah auf Praxistauglichkeit prüfen.

Lieferkettengesetz: Regelung auf europäischer Ebene ist nötig

Auswirkungen auf die Lieferketten der genossenschaftlich orientierten Unternehmen hat auch das von Deutschland geplante Lieferkettengesetz. Dieser deutsche Sonderweg parallel zu Überlegungen auf europäischer Ebene ist äußerst kritisch zu betrachten, auch weil die Verantwortung einseitig an die deutsche Wirtschaft abgegeben wird. Dabei nehmen unsere Mitgliedsunternehmen ihre menschenrechtliche Verantwortung bereits heute sehr ernst und haben hohe ökologische und soziale Standards etabliert.

Worum geht es beim Lieferkettengesetz?

Deutsche Unternehmen importieren zahlreiche Produkte und Lebensmittel aus Entwicklungsländern: Der Kaffee kommt aus Kolumbien, das T-Shirt aus Vietnam und der Kakao von der Elfenbeinküste. Durch Produktion und Handel dieser Produkte werden immer wieder grundlegende Menschenrechte verletzt sowie die Umwelt zerstört. Die Bundesregierung hat es sich deshalb zum Ziel gesetzt, dass die Unternehmen hierzulande besser auf ihre Lieferketten achten. Dazu hat das Bundeskabinett am 3. März 2021 das Lieferkettengesetz beschlossen. Konkret sollen große Unternehmen ab 2023 verpflichtend ermitteln, inwieweit ihre Geschäftstätigkeit zu Menschenrechtsverletzungen sowie Umweltrisiken führen kann – und zwar vom Rohstoff bis zum fertigen Produkt. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle soll die Einhaltung des Gesetzes kontrollieren und bei Verstößen sanktionieren. Der nationale Gesetzgeber prescht mit seinen Plänen voran, auf EU-Ebene hat die Kommission erst angekündigt, in diesem Jahr ein entsprechendes Gesetzesvorhaben zu initiieren.

Mehr Informationen zum Lieferkettengesetz auf der Webseite des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

Die durch das nationale Lieferkettengesetz entstehenden Wettbewerbsverzerrungen gilt es, im europäischen sowie globalen Handel unbedingt zu vermeiden. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass in Deutschland ansässige Unternehmen mit Hauptverwaltung, -niederlassung oder Verwaltungssitz oder satzungsmäßigem Sitz in Deutschland unter den Anwendungsbereich fallen. Damit sind ausländische Unternehmen, die hier nur eine unselbstständige Niederlassung haben, von den Pflichten des Gesetzentwurfs ausgenommen und erhalten einen Wettbewerbsvorteil gegenüber der deutschen Wirtschaft.

Anstelle eines deutschen Alleingangs setzen wir uns daher für eine europäische, wenn nicht sogar globale Lösung ein. Diese würde neben dem Ziel des Gesetzes, nämlich die Einhaltung von Menschenrechten und umweltbezogenen Pflichten in globalen Lieferketten zu erwirken, auch der Förderung eines globalen „level playing fields“ besser Rechnung tragen. Auch von Europa erwarten wir eine entsprechende Rechtssetzung mit Maß und Ziel.

Ein weiterer kritischer Punkt des Gesetzentwurfs ist der Umfang der Lieferkette. Dieser ist zu weitreichend gestaltet, da er nicht nur Pflichten im eigenen Geschäftsbereich sowie bei unmittelbaren Zulieferern, sondern auch bei mittelbaren Zulieferern begründet. Da aber mit mittelbaren Zulieferern keine Vertragsbeziehungen bestehen, bleibt unklar, wie Unternehmen gegenüber mittelbaren Zulieferern angemessene Präventionsmaßnahmen umsetzen sollen. Der Anwendungsbereich des Gesetzes sollte daher auf unmittelbare Zulieferer beschränkt werden, sollte der nationale Alleingang weiterhin verfolgt werden.

Gerade im Hinblick auf den sehr hohen Bußgeldrahmen (bis zu zwei Prozent vom weltweiten Konzernumsatz) sehen wir die Vielzahl an unbestimmten Rechtsbegriffen sowie die fehlende Ausgestaltung der Pflichten sehr kritisch. Das Gesetz sieht zwar viele Pflichten für Unternehmen vor, gestaltet diese jedoch im Detail nicht aus, sodass den Unternehmen die Auslegung zum Beispiel hinsichtlich eines funktionierenden Risikomanagements und einer Risikoanalyse selbst überlassen wird. Dies führt zu einem erheblichen bürokratischen Aufwand und erheblicher Rechtsunsicherheit. Schließlich fehlt aus unserer Sicht im Gesetzentwurf, dass wir bereits gut funktionierende Qualitäts- und Zertifizierungssysteme mit hohen ökologischen und sozialen Standards haben. Dieses Potenzial sollte anerkannt und ausgeschöpft werden.

Insektenschutzgesetz: Anreize statt großflächiger Verbote

Augenmaß ist auch beim Insektenschutz gefordert. Genossenschaften und ihre landwirtschaftlichen Mitglieder sind sich ihrer Verantwortung sehr bewusst – wirksamer Schutz der Artenvielfalt setzt allerdings ein Miteinander aller Beteiligten voraus. Großflächige Verbote sind der falsche Weg. Vielmehr müssen weitere Anreize für eine möglichst schonende Landbewirtschaftung geschaffen werden. Gerade durch den Einsatz modernster Technik im Pflanzenschutz lassen sich hier große Wirkungen erzielen. Die Raiffeisen-Genossenschaften stehen hier den Landwirten als Partner zur Seite.

Worum geht es beim Insektenschutzgesetz?

Die Bundesregierung möchte die Lebensbedingungen für Insekten in Deutschland verbessern. Aus diesem Grund hat das Bundeskabinett – trotz zahlreicher Proteste insbesondere von Landwirten – das Insektenschutzgesetz sowie eine Änderung der Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung auf den Weg gebracht. Die wichtigsten Punkte: In bestimmten Schutzgebieten soll der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln deutlich reduziert oder vollkommen verboten werden. Glyphosat darf ab 2024 nicht mehr gespritzt werden. Artenreiches Grünland und Streuobstwiesen gelten in Zukunft als besonders schützenswert. Ebenfalls enthalten sind Maßnahmen gegen die sogenannte Lichtverschmutzung, beispielsweise sollen Discos oder Restaurants keine Himmelsstrahler mehr einsetzen dürfen.

Mehr Informationen auf der Webseite des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit.

Die Auswirkungen der Corona-Pandemie haben gezeigt, wie wichtig eine zukunftsorientierte Agrarwirtschaft für Deutschland ist. Es kann nicht unser Ziel sein, vermehrt Nahrungsmittel aus Drittstaaten zu importieren, damit hier Flächen brach fallen.

Das Insektenschutz-Paket ist ein Beispiel für die zunehmende Tendenz, gesetzliche Beschränkungen ohne fachliche Begründung und ohne eine nachvollziehbare Folgenabschätzung einzuführen: Die Wirtschaft braucht klare Regeln und Verlässlichkeit, auch und besonders in schwierigen Zeiten.
 

Franz-Josef Holzenkamp ist Präsident des Deutschen Raiffeisenverbands (DRV).

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