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Naturkäserei TegernseerLand eG: In der Corona-Krise neue Absatzmärkte erschlossen

Ein spätsommerlicher Nachmittag Ende September bei der Naturkäserei TegernseerLand eG in Kreuth: Der Biergarten mit seinen 70 Plätzen ist fast voll besetzt, auf den Tischen stehen Brotzeiten und Käsekuchen. Einer der Gäste hat sich für einen Zwetschgendatschi entschieden. Parallel dazu verkaufen die Mitarbeiterinnen im angrenzenden Laden im Akkord Käse, Milch und Joghurts. „Derzeit läuft es prima, wir freuen uns, dass sich die Menschen weiterhin so begeistert mit unseren Heumilch-Spezialitäten eindecken“, sagt die Vorstandsvorsitzende Sophie Obermüller.

So lebhaft wie an diesem Tag ging es bei der Naturkäserei in den vergangenen anderthalb Jahren nicht immer zu. Die Gastronomie hatte neun Monate geschlossen, Führungen waren ebenfalls lange nicht möglich. „Für die Genossenschaft war diese Zeit in erster Linie wirtschaftlich herausfordernd. Doch auch emotional war es nicht einfach. Schließlich ist der Publikumsverkehr von einem Tag auf den anderen komplett weggebrochen. Es ist dem ganzen Team sehr nahegegangen, viele Wochen über einen leeren Parkplatz oder durch eine verwaiste Gaststube zu laufen“, erzählt Obermüller.

Anstatt den Kopf in den Sand zu stecken, steuerte die Genossenschaft bereits im März 2020 um und forcierte im Vertrieb vermehrt den regionalen Einzelhandel, um die Produkte in noch mehr Supermärkten zu verkaufen. Mit Erfolg: Viele Geschäfte nahmen die Produkte neu auf, heute gibt es die Waren der Naturkäserei in über 400 Geschäften zu kaufen. Zudem investierte die Genossenschaft in einen zweiten Marktwagen. Dadurch konnte sie elf statt vormals fünf Wochenmärkte in der Region ansteuern. Laut Obermüller haben sich die beiden Absatzkanäle Einzelhandel und Markt sehr gut entwickelt und die Verluste aus der Gastronomie überkompensiert. Das vergangene Geschäftsjahr, welches von Anfang Juni 2020 bis Ende Mai 2021 lief, hat die Genossenschaft trotz Umsatzverlust mit einem Gewinn von knapp 180.000 Euro abgeschlossen.

Apropos Gastronomie: Vor Corona hat die Genossenschaft die Gaststube und den Biergarten in Eigenregie betrieben. „Wir haben aber das Potenzial nicht voll ausgeschöpft. Deswegen haben wir die Krise als Chance zum Neustart genutzt und einen Partner gesucht, um die Gastronomie in professionelle Hände zu legen“, sagt Obermüller. Letztlich entschied sich die Naturkäserei für das Wirtepaar Evi und Michael Raphelt. Die beiden führen bereits erfolgreich das Café Love in Bad Tölz und haben viel Restaurant-Erfahrung, etwa bei der Preiskalkulation oder beim Einkauf. Bei der Naturkäserei setzt das Paar auf Brotzeiten, hausgemachte Kuchen und typische Gerichte aus der bayerisch-alpenländischen Küche wie Käsespätzle. Die Zusammenarbeit sei sehr gut angelaufen, erzählt Obermüller.

Eine innovative Lösung hat die Naturkäserei bei der Entsorgung der Molke gefunden. Seit der Einführung der CO2-Steuer haben sich die Kosten für den Abtransport stark erhöht. Nun gibt die Naturkäserei einen Teil der Molke an das Jodschwefelbad im nahen Bad Wiessee ab. Gäste der Anlage können somit in einem Wannenbad mit Heumilch-Molke entspannen. Dazu werden fünf Liter der Molke mit dem Jodschwefel-Wasser vermengt. Das Bad soll die Haut straffen und glätten sowie das Gewebe entsäuern und reinigen. Es dauert 20 Minuten. „Schon der russische Zar Nikolaus I hat Wildbad Kreuth besucht, um in Ziegenmolke zu baden. Mit der Kooperation lassen wir somit eine jahrhundertealte Tradition wiederaufleben“, betont Obermüller.

Nicht alt, sondern brandneu ist hingegen das Bio-Sortiment der Naturkäserei. Seit zwei Jahren gibt es Bio-Milch, seit vergangenem September Bio-Topfen und seit diesem Oktober Bio-Natur- sowie Fruchtjoghurt. Die Genossenschaft hat lange gezögert, ob sie ins Bio-Geschäft einsteigen soll. Die Vorstandschefin erklärt, dass es von Anfang an Philosophie gewesen sei, höchste Anforderungen an die Rohmilchverarbeitung zu stellen sowie Spitzenqualität vom Stall bis zur Theke zu bieten. Damit seien die Anforderungen eigentlich übererfüllt, ein Bio-Siegel nicht notwendig. Zwei Gründe haben die Genossenschaft umschwenken lassen. Erstens kann sie sich besser bei den Endkonsumenten platzieren. „Im direkten Kontakt können wir die besondere Qualität unserer Waren und die daraus resultierenden höheren Preise gut kommunizieren. Das geht im Lebensmitteleinzelhandel natürlich nicht so leicht, vor allem, da das Bio-Siegel ein wichtiger Standard für viele Verbraucherinnen und Verbraucher ist“, erklärt Obermüller. Zweitens fördert die Politik zunehmend reine Bio-Betriebe. „Deshalb forcieren wir die Umstellung, versuchen aber, möglichst behutsam vorzugehen. Schließlich wollen wir kein Mitglied ausschließen“, sagt sie.

Die Umstellung auf Bio ist eine Herausforderung für die Genossenschaft. Eine weitere ist es, die Vorzüge der regionalen Heumilch-Produktion bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern weiter deutlich zu machen. Schließlich setzen sich selbst Konzerne als nachhaltige Unternehmen in Szene. Bei der Naturkäserei hingegen halten die Mitglieder, allesamt im Nebenerwerb tätig, durchschnittlich gerade einmal 17 Kühe, betont Obermüller. Dadurch leiste die Genossenschaft einen essenziellen Beitrag, um die traditionelle Landwirtschaft zu fördern und das Landschaftsbild am Tegernsee zu erhalten. Schützenhilfe gibt ein aktuelles Gutachten der Universität für Bodenkultur Wien. Demnach schütze die Heuwirtschaft das Klima, schont den Boden und fördert die Artenvielfalt. „Wir sind überzeugt von unserem Weg und sehen uns trotz der Herausforderungen gut aufgestellt“, erklärt die Vorstandschefin.

Bio-Schaukäserei Wiggensbach eG: Landwirtschaft erleben und genießen im „HEUgarta"

Für Franz Berchtold ist klar: „Milch und Fleisch gehören zusammen.“ Ohne Kühe gibt es keine Milch und keinen Käse, aber Rinder liefern eben auch Fleisch, das ebenfalls zur Wertschöpfungskette gehört, erklärt der Biolandwirt und Vorstandsvorsitzende der Bio-Schaukäserei Wiggensbach eG. Manchmal beschleiche ihn jedoch das Gefühl, dass einigen Verbrauchern diese Zusammenhänge nicht immer so klar sehen.

Wenn alles gut läuft, dann sollen sich die Menschen bei der Bio-Schaukäserei Wiggensbach schon im Sommer kommenden Jahres über die Zusammenhänge zwischen Milch und Fleisch informieren können. Denn dann soll der „HEUgarta“ eröffnen, eine Erlebniswelt mit Schauküche und Verkaufsräumen für bio-regionale Produkte im gleichen Haus wie die Schaukäserei. Berchtold schwebt eine Art Genuss-Informationszentrum vor. „Wir wollen entlang der Themen Bio-Heumilch, kuhgebundene Kälberaufzucht sowie schonende Weideaufzucht und Schlachtung erläutern, wie die Milch- und Fleischherstellung im ökologischen Einklang mit der Grünlandbewirtschaftung im Allgäu stehen“, sagt Berchtold.

Denn vor allem die Fleischproduktion werde in Teilen der Gesellschaft kritisch hinterfragt. Da gehe es um Tierschutz und den Beitrag der Landwirtschaft zu Klimaschutz und Nachhaltigkeit, oft ohne die eigentlichen Hintergründe und Fakten zu kennen. „Da wird viel mit Stimmungen gearbeitet, das kann man so nicht stehen lassen“, schimpft Berchtold. Aufklärung tue Not: „Hinter der Käserei stehen wir Landwirte, die nicht nur Milch, sondern auch Fleisch produzieren. Das wollen wir den Kunden nahe bringen und sie vom Mehrwert unserer Produkte überzeugen – und sie gleichzeitig zu nachhaltigem Konsum anregen.“

Dazu soll das bisherige Gebäude, das neben der Käserei auch den Verkaufsladen beherbergt, nach Süden und Westen über die gesamte Giebelseite um einen einstöckigen Anbau erweitert werden. „Der Verkaufsraum wird dann nach vorne gesetzt und erhält eine komplette Glasfront, während im hinteren Teil des jetzigen Ladens die Erlebnisgastronomie und die Schauküche unterkommen“, berichtet Berchtold. Im zeitigen Frühjahr kommenden Jahres soll es mit den Bauarbeiten losgehen. „Weil wir Massivholzwände aus dem Fertigbau verwenden, sollte der Rohbau zügig stehen, sodass wir bis zum Sommer auch mit der Inneneinrichtung fertig sind“, hofft Berchtold. Eine gute Million Euro nimmt die Bio-Schaukäserei für den HEUgarta in die Hand.

200.000 Euro Förderung aus LEADER-Programm

Für die geplante Erlebniswelt im Wiggensbacher HEUgarta mit dem offiziellen Titel „Erlebbarer Genuss im Oberallgäu – Bio-Genuss erleben“ erhält die Bio-Schaukäserei Wiggensbach eG eine finanzielle Förderung aus dem LEADER-Programm des Bayerischen Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in Höhe von 200.000 Euro. Projektpartner sind die Weideschuss.Bio GmbH und die Öko-Modellregion Oberallgäu Kempten. Mit der LEADER-Förderung will der Freistaat ländliche Regionen auf ihrem Weg zu einer selbstbestimmten Entwicklung unterstützen. „Wir sind froh, ein Projekt aus der Landwirtschaft fördern zu können, das ein Umdenken und eine gesteigerte Wertschätzung der Produkte zum Ziel hat. Es passt sehr gut zu LEADER, dass hier eine Gesamt-Wertschöpfungskette geschaffen wird“, sagt Veronika Hämmerle, LEADER-Koordinatorin am Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in Kempten, das für das EU-Förderprogramm zuständig ist. „Das Projekt hat das Entscheidungsgremium aufgrund seiner Tragweite vollends überzeugt. Man braucht engagierte Personen mit Fachwissen, um eine solch weitreichende Verzahnung zu erlangen“, sagt auch Christof Endreß, Vorsitzender der Regionalentwicklung Oberallgäu. Eine Förderung in dieser Höhe sei in der jüngeren Vergangenheit nicht genehmigt worden, berichten Hämmerle und Endreß.

Um die Verbindung von Milch und Fleisch im HEUgarta kulinarisch erlebbar zu machen, hat die Bio-Schaukäserei Wiggensbach die Weideschuss.Bio GmbH mit ins Boot geholt. Gründer sind Bio-Schaukäserei-Geschäftsführer Franz Berchtold, die Bio-Landwirte Herbert Siegel und Günther Rauch sowie der Allgäuer Bio-Schaukoch Alfred Fahr. Das Unternehmen hat sich der ökologischen Fleischproduktion verschrieben, die das Tierwohl achtet und damit Rindern, Landwirten, Verbrauchern und der Natur einen Mehrwert bietet. Die Wertschöpfungskette reicht von der kuhgebundenen Kälberaufzucht bis zur Herstellung und Vermarktung hochwertiger Bio-Rindfleisch-Gerichte, die von Schaukoch Alfred Fahr zubereitet werden. Aktuell im Angebot sind zum Beispiel „Saftige Rouladen“, „Gutes Gulasch“, „Indisches Curry“, „Chilli con Carne“ und „Lasagne“. Seit Ostern 2021 gibt es die Gerichte der Weideschuss.Bio GmbH auch als „Glasschätzle“ im Glas. Abnehmer sind der Bio-Fachhandel sowie die gehobene Gastronomie und Hotellerie.

Wichtig ist den Gesellschaftern eine besonders tierfreundliche Schlachtung. Ein Jäger erlegt das Rind unter besonderen Sicherheitsvorkehrungen auf der Weide („Weideschuss“), dann wird es vor Ort ausgeblutet und anschließend zum Zerlegen in den Schlachthof transportiert. So beenden die Tiere ihr Leben völlig stressfrei in der vertrauten Umgebung. Das ist nicht nur gut für das Rind, sondern auch für die Fleischqualität, weil die Tiere vor dem Schlachten keine Stresshormone ausschütten.

Die Spezialitäten der Bio-Schaukäserei sowie der Weideschuss.Bio GmbH werden im HEUgarta erhältlich sein. Darüber hinaus soll es ein begrenztes Angebot an Speisen für den Verzehr vor Ort geben. „Artgerechte Tierhaltung macht sich in der exzellenten Qualität und dem reinen und intensiven Geschmack unseres Bio-Fleisches bemerkbar. Man schmeckt, dass unsere Küche geprägt ist von Bodenständigkeit, Vielfalt, Heimatverbundenheit sowie der Wertschätzung für die Tiere“, sagt Bio-Schaukoch Fahr. In der Schauküche sind themenbezogene Verkostungen, Kochshows, Kochseminare und bio-regionale Genussabende geplant. Führungen durch die Bio-Schaukäserei wird es weiterhin geben.

Mit dem HEUgarta will die Bio-Schaukäserei Wiggensbach zudem die Kunden stärker an sich binden. „Vor kurzem kam ein Großkunde aus dem Bio-Einzelhandel mit seinen Kunden zu einer Betriebsbesichtigung. Mit dem HEUgarta hätten wir ihm ein deutlich erweitertes Programm bieten können. Daraus entstehen dann ganz andere Kundenbeziehungen“, sagt Berchtold. Zusätzlich werde das Allgäu immer stärker von Touristen besucht. Die Präsenz auf mehreren Wochenmärkten steigere das Interesse der Menschen an der Bio-Schaukäserei. „Wir werden immer häufiger gefragt, ob man die Käserei auch besichtigen kann. Mit dem HEUgarta geben wir diesen Menschen die Möglichkeit, länger bei uns zu verweilen und unseren Betrieb auch kulinarisch kennen zu lernen“, sagt Berchtold.

Auch Verkostungen von Käse mit Wein oder Bier schweben dem Vorstandsvorsitzenden vor. „Wir wollen die Leute unterhalten.“ Dazu passe der Name HEUgarta sehr gut. Hoigarta – altbayerisch Hoagartn – stehe im Allgäu und in Schwaben für geselliges Zusammensitzen, Gemütlichkeit und dörflichen Austausch. „Da hat sich die Verbindung mit unserer Heumilch zu HEUgarta angeboten“, erzählt Berchtold.

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