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In vielen bayerischen Alten- und Pflegeheimen sind weniger als 90 Prozent der Betten belegt. Gleichzeitig gibt es bei den Einrichtungen eine hohe Nachfrage und teilweise monatelange Wartezeiten. Wie kann das sein? „Aufgrund des Personalmangels können die Heime die Betten nicht vergeben. Sie bräuchten deutlich mehr Pflegekräfte, um zusätzliche Bewohnerinnen und Bewohner aufnehmen und betreuen zu können“, erklärt Alexander Schraml. Er ist Vorstandssprecher der Kommunalen Altenhilfe Bayern eG. Die Genossenschaft vernetzt die kommunalen Pflegeeinrichtungen im Freistaat.

Das Thema ist nicht neu. Vom „Pflegenotstand“ – es gibt zu wenig Pflegekräfte für zu viele Pflegebedürftige – war schon in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder die Rede. Doch die Situation spitzt sich zu: „Die Zahl der Nachwuchskräfte ist nach einem kurzen Boom im ersten Jahr der Corona-Pandemie rückläufig“, betont Schraml. Aktuell fehlen besonders in Altenheimen und in ambulanten Pflegediensten Arbeitskräfte. Die Tätigkeiten dort sind häufig körperlich anstrengender, beispielsweise, wenn viele Treppenstufen gegangen werden müssen. Das gilt auch für Krankenhäuser und Kinderkliniken. In der Tagespflege, wo es wenig Schichtdienste gibt, ist die Personalsituation besser.

In 25 Jahren werden knapp 700.000 Pflegekräfte fehlen

Zusätzlich gibt es eine düstere Prognose. Bis 2049 werden bundesweit im schlimmsten Fall knapp 700.000 Pflegerinnen und Pfleger fehlen, hat das Statistische Bundesamt berechnet. Auch Alexander Schraml geht davon aus, dass sich die Lage weiter verschärft. „Das Stichwort lautet Baby Boomer. Einerseits gehen nun zahlreiche Pflegekräfte in Rente, andererseits sind künftig viele Menschen aus den besonders geburtenstarken Jahrgängen zwischen 1955 und 1969 pflegebedürftig. Das ist eine echte Herausforderung“, sagt er. Dazu kommt das Problem der Finanzierung. Aufgrund der Inflation und geänderter Personalvorgaben sind die Heimentgelte vielerorts um rund zehn Prozent gestiegen. Wenn die Senioren nicht genügend Geld haben, springt der Sozialhilfeträger und damit letztlich der Steuerzahler ein. Außerdem fallen aufgrund des demographischen Wandels Beitragszahler weg. „Mir fehlt die Fantasie, wie die Pflege langfristig bezahlbar bleiben soll“, erklärt Schraml.

Image der Branche hat gelitten…

Was sind die Gründe für den Pflegenotstand? Schraml verweist vor allem auf die starke Konkurrenz durch andere Berufe. In der öffentlichen Wahrnehmung sei es attraktiver, etwa im Kindergarten oder in der IT zu arbeiten. Dazu beigetragen hätte auch die Branche selbst. „Berechtigte Kritik, etwa an den Arbeitsbedingungen, ist notwendig und wichtig. Wenn aber nur gejammert wird, ohne Lösungsansätze aufzuzeigen, leidet das Image des Berufs massiv. Es ist daher wenig verwunderlich, dass wenige junge Menschen in der Pflege arbeiten möchten“, betont der Vorstandssprecher der Genossenschaft.

… doch die Bezahlung ist nicht so schlecht wie oft berichtet

Ein häufig geäußerter Kritikpunkt ist die Bezahlung. Pflegekräfte würden zu wenig Geld verdienen, heißt es regelmäßig in der Berichterstattung. „Das ist komplett falsch“, bekräftigt Schraml. Im Vergleich zu anderen Berufen mit einer dreijährigen Ausbildung liege das Grundgehalt mindestens im Durchschnitt. Ein Blick in die Zahlen gibt ihm Recht. Laut der Bundesagentur für Arbeit verdienen Altenpfleger durchschnittlich 3.329 Euro. Dazu kommen Zulagen, etwa für Nachtschichten oder die Arbeit am Wochenende. Zur Einordnung: Ein Fachverkäufer im Bekleidungsgeschäft erhält 3.046 Euro. Ein Kfz-Mechatroniker kommt auf 3.300 Euro.

Pflegekraft: Ein Job mit Sinn

Schraml setzt sich dafür ein, verstärkt die positiven Seiten des Berufs darzustellen. Beispielsweise sei der Job aufgrund des demografischen Wandels absolut zukunftssicher. Außerdem werde es, bei allem Fortschritt in der Digitalisierung und der Künstlichen Intelligenz, immer Menschen brauchen, die sich um andere Menschen kümmern. Besonders wichtig ist ihm zudem, dass die Tätigkeit in der Pflege ein Job mit Sinn sei. Wer mit Senioren arbeite, erfahre viel Dankbarkeit und erhalte spannende Einblicke in deren Lebenswege.

Um Arbeitskräfte zu gewinnen, sollen neben der Ausbildung von jungen Erwachsenen verstärkt Menschen in den Blick genommen werden, die sich beruflich umorientieren möchten. Schraml verweist beispielsweise auf Personen, die in Geschäften mit Kundenkontakt oder beim Frisör arbeiten. Wer Erfahrung im Umgang mit Menschen und Freude daran habe, sei prädestiniert für eine Tätigkeit in der Pflege.

Zuwanderung wichtig, aber kein Allheilmittel

Ebenfalls sehr wichtig sei die Zuwanderung von Pflegekräften aus dem Ausland. „Ohne Pflegekräfte mit Migrationshintergrund könnten die Heime mindestens ein Drittel der Plätze nicht vergeben“, sagt Schraml. Er setzt sich dafür ein, dass Fachkräfte mit Berufsausbildung leichter nach Deutschland kommen können. Sehr interessant seien beispielsweise Pflegekräfte aus Ländern wie Mexiko oder Vietnam. Gleichzeitig sei die Zuwanderung nicht das Allheilmittel. Schließlich sei es für die Menschen vor allem attraktiv, in großen Städten wie München zu arbeiten. Dort gebe es eine Community aus der Heimat mit vertrautem Essen und Dienstleistungen. Je ländlicher der Raum ist, desto schwieriger sei es, Menschen aus dem Ausland anzulocken.

Was die Genossenschaft leistet

Die Kommunale Altenhilfe Bayern eG unterstützt die Mitglieder bei Themen wie dem Personalmangel. Ein Schwerpunkt der Arbeit liegt im Erfahrungsaustausch. Gemeinsam werden Best-Practice-Lösungen diskutiert sowie Arbeitshilfen in sieben Themengebieten erarbeitet. Konkret sind das folgende Felder: Benchmarks, IT, Marketing, Qualitätsmanagement, Personal, Verpflegung und Einkauf. Zudem gibt es Schulungen für die Mitarbeiter und die Personalleiter. Das sei deutlich effizienter und kostengünstiger, als die Angebote am Markt zu nutzen, betont Schraml. „Wir sind eine institutionalisierte Selbsthilfegruppe, die strikt nach den genossenschaftlichen Prinzipien handelt. Auf diese Weise tragen wir dazu bei, dass die Kommunen bei der Altenhilfe eine optimale Daseinsvorsorge aufrechterhalten können“, sagt der Vorstandssprecher.

Derzeit wird überlegt, eine weitere Genossenschaft zu gründen. Diese könnte im Bereich des Ausfallmanagements tätig sein. Schließlich müssen Alten- und Pflegeheime oftmals kurz- und mittelfristige Engpässe ausgleichen, zum Beispiel, wenn eine Mitarbeiterin in Mutterschutz geht oder langfristig erkrankt ist. Es gebe Unternehmen mit entsprechenden Angeboten, diese seien aber sehr teuer, berichtet Schraml. Eine Genossenschaft könnte die Mitglieder zielgenauer und kostengünstiger unterstützen.

Forderungen: Bürokratie abbauen, Kontrollen reduzieren

Dass es Reformen bei der Pflege braucht, ist auch im Bundesgesundheitsministerium erkannt worden. Im Dezember 2023 hat Minister Karl Lauterbach Eckpunkte für ein Gesetz vorgestellt. Doch viele Punkte sind ungeklärt, es ist fraglich, ob das Gesetz in dieser Legislaturperiode verabschiedet wird und wenn ja, in welcher Form. Schraml sind vor allem zwei Punkte wichtig. Erstens sei es essenziell, Bürokratie abzubauen. „Ich bin ein Freund von sinnvoller Bürokratie, aber derzeit gibt es einfach zu viele Vorschriften“, sagt er. Ein Beispiel: Wer in ein Altenheim kommt, muss einen sogenannten Heimvertrag abschließen. Dieser ist über 30 Seiten lang und enthält detailliert sämtliche Bestimmungen. „In der Praxis liest sich das kein Mensch durch, aber wir produzieren dadurch Berge an Papier“, erklärt Schraml. Auch der Aufwand, um rechtssicher eine Erhöhung der Heimentgelte festzuhalten, sei unverhältnismäßig hoch.

Ein weiteres Anliegen sind die regelmäßigen Kontrollen. Der Medizinische Dienst unterzieht einmal im Jahr alle stationären und ambulanten Einrichtungen einer Prüfung. Doch zusätzlich gibt es in Bayern 96 Heimaufsichtsbehörden: in den Landkreisen die Landratsämter, in den kreisfreien Städten die Stadtverwaltungen. Die Behörden haben Freiräume bei der Ausgestaltung bestimmter Regeln. Deshalb kann es sein, dass ein Pflegeheim in der Stadt Würzburg andere Vorschriften erfüllen muss als ein Pflegeheim im Landkreis Main-Spessart. Außerdem führen die Aufsichtsbehörden ebenfalls regelmäßige Kontrollen durch. Andere Einrichtungen im Gesundheitsbereich wie Krankenhäuser fallen nicht unter die Regel. Schraml: „Dieser Kontrollwahn ist nicht nur absolut verrückt, sondern auch ein Misstrauenssignal an unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Viele fühlen sich zurecht gegängelt. Unsere Position: eine Routine-Kontrolle pro Jahr durch den Medizinischen Dienst ist ausreichend. Außerdem muss die Heimaufsicht für Skandalfälle von der kommunalen Ebene hin zu den Bezirksregierungen übertragen werden.“

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