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Nachhaltigkeit ist in aller Munde. Kaum eine politische Debatte, die ohne Verweise auf Nachhaltigkeit und Klimaschutz auskommt. Die Erkenntnis, Klima und Umwelt zu schonen, mit Ressourcen vorausschauend umzugehen und auf die Folgen des eigenen Tuns zu achten, ist inzwischen ein Allgemeinplatz. Und das Ziel, nachhaltig zu wirtschaften, gilt für die Realwirtschaft ebenso wie für die Finanzbranche. Allerdings hat die Nachhaltigkeitsdebatte auch ihre Tücken. Zielkonflikte zeichnen sich ab, und unbeantwortet ist die Frage, ob nachhaltige Anlagen per se risikoärmer sind als herkömmliche Investitionen. In jedem Fall gilt: Die Finanzbranche kann ihren Beitrag dann leisten, wenn sie keiner Ideologie, sondern weiterhin den Gesetzen des Markts folgt. Inakzeptabel ist, wenn die Banken zu Handlangern politischer Ziele degradiert werden.

Auf dem Weg zu einem nachhaltigen Finanzwesen ist schon einiges geschehen. Inzwischen steht eine Taxonomie, also die Einordnung dessen, was künftig als nachhaltig, grün und klimaschonend gilt und was nicht. Jetzt beugen sich Experten und EU-Kommission darüber und wollen die Details dazu klären.

Pfad der Marktwirtschaft nicht verlassen

In diesem Prozess gilt es, genau darauf zu achten, dass man den Pfad der Marktwirtschaft nicht zugunsten planwirtschaftlicher Methoden verlässt. Politik muss für politische Entscheidungen verantwortlich bleiben. Dasselbe gilt, wenn Entscheidungen auf Behördenebene verschoben werden und sich damit der parlamentarischen Kontrolle weitgehend entziehen.

Bei Debatten um Nachhaltigkeit werden dieselben Reflexe offenbar, die sich schon an anderer Stelle gezeigt haben, etwa den Überlegungen zur Bankenunion und zur europäischen Einlagensicherung Edis. Auch jetzt stehen die Interessen von Großbanken und Großkonzernen im Zentrum. Was fehlt, ist ein Fürsprecher für die Interessen des Mittelstands sowie der mittelständischen Banken und damit für jenen Sektor, der das Herz der deutschen Wirtschaft ausmacht.

„Alles, was sich nicht so ohne Weiteres in das neue, grüne Korsett pressen lässt, steht für das Böse.“

Denn was nun unter dem harmlos-freundlichen Titel der Nachhaltigkeit auf uns zurollt, wird das Wirtschafts- und Finanzgefüge stärker verändern als alle vorherigen Eingriffe und Krisen. Was uns bevorsteht, bedeutet eine Abkehr von der Logik, nach der Investitionen anhand ihrer Wirtschaftlichkeit und ihres Risikos getätigt werden. Was kommen soll, so steht zu befürchten, ist eine Einteilung in Gut und Böse – wobei alles, was zumindest auf dem Papier der Nachhaltigkeit dient, das Gute verkörpert. Alles, was sich nicht so ohne Weiteres in das neue, grüne Korsett pressen lässt, steht dagegen für das Böse.

Stabilitätskriterien nicht ad absurdum führen

Das widerspricht allen marktwirtschaftlichen Prinzipien. Und es führt zu erheblichen Zielkonflikten. Denn die Finanzstabilität konkurriert künftig mit Nachhaltigkeitszielen – wobei angesichts der derzeitigen Gemütslage der einschlägigen Akteure vorhersehbar ist, dass das vermeintlich Gute, Nachhaltige obsiegt.

Woran sich das zeigt? An den Plänen von EU-Wirtschafts- und Währungskommissar Paolo Gentiloni. Ihm schwebt vor, dass sich Staaten für nachhaltige Ziele verschulden können, ohne dies auf ihr Defizitkonto anrechnen zu müssen. Die absehbaren Folgen: Die Staatsschulden werden weiter steigen und alle Stabilitätskriterien ad absurdum geführt.

„Das erklärte Ziel der ökologischen Nachhaltigkeit als Alibi zum Schuldenmachen zu missbrauchen, wäre ein Verstoß gegen das Gebot der fiskalischen Nachhaltigkeit.“

Das süße Gift der Schuldenmacherei würde noch tiefer in die europäischen Haushalte einsickern. Gepaart mit historisch niedrigen Zinsen ergibt sich daraus ein verlockender Anreiz, dem sich Finanzminister kaum entziehen könnten. Ob dann jede Investition auf Pump für das vermeintlich Gute auch hält, was man anfangs großspurig verspricht, ist zudem äußerst zweifelhaft. Von den Folgen für die kommenden Generationen, denen man diese Schulden aufbürdet, ganz zu schweigen. Aber Schulden zu machen, war schon immer einfacher, als mutige Reformen anzugehen. Doch nun das erklärte Ziel der ökologischen Nachhaltigkeit als Alibi zum Schuldenmachen zu missbrauchen, wäre ein Verstoß gegen das Gebot der fiskalischen Nachhaltigkeit.

Bedürfnisse des Mittelstands fallen durch das Raster

Auch dem Mittelstand droht Ungemach. Jedes Unternehmen muss seine Aktivitäten darauf hin abklopfen, ob sie auf das Ziel der Nachhaltigkeit einzahlen – und das entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Der bürokratische Aufwand ist immens. Und die Nachhaltigkeitsziele werden sich immer wieder ändern und sich dem technischen Fortschritt anpassen. Wer also sein gutes Tun nicht hinreichend nachweisen kann, bekommt Probleme bei der Versorgung mit Krediten, aber auch bei der Vergabe von Aufträgen. Welche andere Firma will sich dann noch auf einen Geschäftspartner einlassen, der nicht durch und durch auf grün getrimmt ist?

Während Großkonzerne schon Heerscharen von Nachhaltigkeitsexperten beschäftigen und den Druck munter an ihre Zulieferer weitergeben, fallen die Bedürfnisse des Mittelstands durchs Raster. Damit sägt Deutschland an dem Ast, auf dem es ökonomisch sitzt.

„Die Banken wären reiner Handlanger beim Umbau der Wirtschaft – mit ungewissem Ausgang.“

Kaum absehbare Folgen

Banken steht Ähnliches bevor. Auch sie werden nachweisen müssen, ob ihre Arbeit und ihre Kreditvergabe nachhaltigen Zielen dienen. Die Folgen sind noch kaum absehbar, sie werden aber gewaltig sein.

Sind Bauunternehmen, die mit Beton und Zement ihre Häuser bauen, künftig noch kreditwürdig? Schließlich geht die Erzeugung dieser Baustoffe mit einem hohen CO2-Ausstoß einher. Aber ist es nicht erklärtes Ziel aller Regierungen landauf, landab, die Zahl der Wohngebäude zu vergrößern, um die ständig steigenden Mieten in den Ballungsräumen abzufangen? Können Autobauer und deren – oft mittelständische – Zulieferer noch auf Kredite hoffen, wenn sie sich nicht voll und ganz der Elektromobilität verschreiben? Ungeachtet der Folgen, die die Gewinnung der Rohstoffe für die Batterien für die Umwelt hat? Und was ist mit sozialen Verpflichtungen? Ist es ethisch vertretbar, für E-Auto-Akkus Rohstoffe zu verwenden, die mit horrendem Wasserverbrauch, großem CO2-Ausstoß und zu erbärmlichen Arbeitsbedingungen gefördert wurden, nur um dann hierzulande mit gutem Ökogewissen über die Autobahn zu surren?

In eine verhängnisvolle Schleife könnten auch die Banken selbst geraten. Sie werden womöglich künftig Kredite für Investitionen, die gemäß Taxonomie als nachhaltig gelten, mit weniger Eigenkapital hinterlegen müssen als andere Kredite. Ein Aufsichtsrecht, das bisher frei von politischen Erwägungen war, würde damit zum politischen Instrument. Denn die Festlegung, was grün, nachhaltig und gut ist und was nicht, trifft die Politik. Die Banken wären damit reiner Handlanger beim Umbau der Wirtschaft – mit ungewissem Ausgang.

Neue Investitionsblasen drohen

Mit der zu erwartenden Steuerung von Investitionen und Kreditvergaben schafft der Staat neue Anreize. Er lenkt Geld gezielt in eine Richtung. Die Folge: Das Geld sucht sich seinen Weg und landet am Ende womöglich an der falschen Stelle. So werden neue Investitionsblasen entstehen. Wenn dann eine solche Blase platzt, bleiben die Banken auf einem Berg fauler Kredite sitzen, mit kaum absehbaren Folgen für Bankensystem, Wirtschaft und Gesellschaft. Die daraus resultierende Krise wäre dann hausgemacht. Aber wohlgemerkt nicht von den Banken, sondern von der Politik, die den Finanzsektor einseitig in eine unklare Richtung zwingt.

Es darf nicht dazu kommen, dass die Politik Banken zu Ökosheriffs für ihre Interessen macht. Wenn Banken durch gelenkte Investitionsentscheidungen den Umbau der Wirtschaft herbeiführen sollen, weil der Politik dazu der Mut fehlt, dasselbe Ziel gesetzgeberisch zu erreichen, führt das in die Irre.

Genossenschaften stehen für Nachhaltigkeit

Nachhaltigkeit ist gut und richtig. Mit einigen ihrer Spielarten hat kaum jemand mehr Erfahrung als die genossenschaftlichen Kreditinstitute. Sie stehen seit mehr als 150 Jahren für Stabilität, Verlässlichkeit und Augenmaß. Einer Sache hat es dabei nie bedurft: einer Politik, die den Banken vorschreibt, welche Anlagepolitik sie zu verfolgen haben. Auch jetzt werden sich die Banken den Zielen von Klimaschutz, sparsamem Umgang mit Ressourcen und der Weiterentwicklung der Gesellschaft nicht verschließen.

Zu begrüßen ist, wenn es nunmehr möglich ist, Kunden, die gezielt nach nachhaltigen Anlagemöglichkeiten fragen, kompetent und verbindlich beraten zu können. Das ist Grundauftrag, und dem werden Banken auch künftig nachkommen. Banken werden einen von der Politik initiierten Wandel der Wirtschaft konstruktiv begleiten und für die Finanzierung sorgen. Aber eines ist nicht zu akzeptieren: eine Politik, die in den freien Wettbewerb eingreift und Prinzipien der Marktwirtschaft zugunsten eines angeblich höheren Ziels über Bord wirft. Denn das wäre alles, nur nicht nachhaltig.


Dr. Jürgen Gros ist Präsident des Genossenschaftsverbands Bayern (GVB). Er twittert als @JGros_GVB und ist Mitglied des Netzwerks LinkedIn.

Dieser Beitrag ist zuerst in der Börsen-Zeitung vom 28. März 2020 erschienen.

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