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Herr Gros, die EU-Kommission unter Ursula von der Leyen ist bald 100 Tage im Amt. Wie fällt Ihr erstes Fazit aus?

Jürgen Gros: Ursula von der Leyen ist als EU-Kommissionspräsidentin mit hohen Erwartungen gestartet. Klar wird, dass sie sich als große Europäerin versteht und ihr Amt mit diesem Anspruch führen will. Das steht einer Deutschen an der Spitze der obersten EU-Behörde auch gut zu Gesicht. Nur eine Stärkung deutscher Interessen bedeutet das leider nicht.
 

Warum das? Immerhin bekleidet sie ja das höchste Amt, das es in Europa zu vergeben gibt.

Gros: Das stimmt. Dass sich Frau von der Leyen als Präsidentin nicht von nationalen Interessen leiten lassen will, ist nachvollziehbar. Damit fehlt aber auch die deutsche Stimme in der Kommission, die es mit Günther Oettinger in der vergangenen Periode gab. Jetzt stellt die Bundesrepublik keinen weiteren Kommissar, der sich deutscher Interessen annehmen könnte. Hinzu kommt, dass Deutschland auch in der zweiten Reihe nicht optimal aufgestellt ist.

Woran liegt das?

Gros: Die Kommissare sind zwar die politischen Spitzen in der EU-Behörde, die ja organisatorisch so etwas wie eine europäische Regierung darstellt. In dieser riesigen Behörde gibt es aber noch viele weitere einflussreiche Positionen. Dabei nehmen die Chefs der Kabinette der Kommissare eine Schlüsselrolle ein. Sie organisieren die Politik im Hintergrund, setzen die Agenda und sorgen dafür, die richtigen Themen zur rechten Zeit in den politischen Prozess einzuspeisen. Hier hat die Zahl deutscher Vertreter stark abgenommen. Frau von der Leyen hatte das Thema nicht intensiv genug verfolgt.
 

In der zweiten Jahreshälfte übernimmt die Bundesrepublik die EU-Ratspräsidentschaft. Haben Sie Hoffnung, dass dann deutsche Interessen stärker zum Tragen kommen?

Gros: Eher nicht. Das wäre für eine Ratspräsidentschaft auch untypisch. Mit Sicherheit wird es eine deutsche Agenda geben. Diese wird aber darauf abzielen, in offenen europäischen Fragen weiterzukommen. Deutschland wird die Aufgabe zufallen, den politischen Prozess zur Finalisierung von Basel III zu eröffnen und zu strukturieren. Hinzu könnte auch ein neuer Antritt bei der Vollendung der europäischen Bankenunion kommen – also die Schaffung einer europäischen Einlagensicherung. Politische Vorlagen dazu gibt es ja einige.

„In den Bilanzen vieler Banken, vor allem in Südeuropa, schlummern noch erhebliche Risiken.“

Welche Anzeichen gibt es denn für diese Annahme?

Gros: Ursula von der Leyen hegt große Sympathien für die europäische Bankenunion. Und aus der Bundesregierung war in letzter Zeit Bundesfinanzminister Olaf Scholz zu dem Thema zu vernehmen, der sich eindeutig für die Bankenunion und damit die europäische Einlagensicherung EDIS ausgesprochen hat. Ein solches Vorgehen würde nicht unseren Interessen dienen und die bewährte Institutssicherung der Volksbanken und Raiffeisenbanken gefährden.
 

Diese müssten ja dann auch für mögliche Pleiten von Großbanken einstehen.

Gros: Richtig. Das Problem ist, dass ein Einstieg in EDIS zum jetzigen Zeitpunkt dauerhaft das Ende der Solidität im Bankenmarkt bedeuten würde. In den Bilanzen vieler Banken, vor allem in Südeuropa, schlummern noch erhebliche Risiken. Wer wird die denn noch abbauen, wenn jeder weiß, dass im Zweifel die deutschen Genossenschaftsbanken schon bezahlen werden? Das wäre der Einstieg in die Transferunion und setzt Fehlanreize. Ein Vorschlag, der so etwas zum Ziel hat, ist inakzeptabel.

Unter deutscher Ratspräsidentschaft steht die neue Finanzplanung für Europa an. In Zuge dessen wird man sicher auch festlegen, wie der Green Deal aussehen soll, dem sich sowohl Frau von der Leyen, als auch die neue EZB-Präsidentin Christine Lagarde verschrieben haben. Nach dem Willen der EU soll auch der Finanzsektor einen Beitrag zu Nachhaltigkeit und Klimaschutz leisten. Kann er das überhaupt?

Gros: Der Finanzmarkt kann und soll sich Zielen des Klimaschutzes und der Nachhaltigkeit nicht verschließen. Aber es kommt darauf an, wie die Regularien im Detail aussehen werden. Diese Detailarbeit zur Taxonomie läuft gerade. Hier ist darauf zu achten, dass es zu keinen neuen bürokratischen Belastungen kommt. Weder für Banken noch für mittelständische Unternehmen. Nachhaltige oder grüne Investments sind nicht per se frei von Risiken – diese Betrachtung darf nicht untergehen, denn sonst setzt man falsche Anreize und trägt womöglich zur Bildung neuer Investmentblasen bei. Insgesamt darf man den Finanzsektor nicht überfordern, denn Klimaschutz und Nachhaltigkeit sind gesamtgesellschaftliche Aufgaben. Wenn dabei die Interessen des Mittelstands unter die Räder kommen, wäre keinem gedient.

An welcher Stelle befürchten Sie, dass die Interessen des Mittelstands nicht berücksichtigt werden?

Gros: Die Signale sind eindeutig. Großkonzerne haben sich mit den Nachhaltigkeitszielen bereits arrangiert und können es sich leisten, ganze Abteilungen mit diesem Thema zu betrauen. Aber welcher Mittelständler hat die Ressourcen, um seine gesamte Wertschöpfungskette, inklusive Zulieferer, auf Nachhaltigkeitsziele zu durchforsten? Wenn es einem Unternehmen allerdings in Zukunft nicht gelingt, den eigenen Beitrag zu den Nachhaltigkeitszielen nachzuweisen, werden sich die Wettbewerbsbedingungen und der Zugang zu Krediten erheblich verschlechtern. Gerade ein so stark vom Mittelstand geprägtes Land wie Deutschland würde bei zu bürokratischen Vorgaben den Ast absägen, auf dem es ökonomisch sitzt.

„Aktuell sieht es danach aus, dass die Politik die Banken zu ihren Öko-Hilfssheriffs machen will.“

Das klingt nicht danach, als ob die Banken dann noch viel Entscheidungsspielraum bei ihrer Kreditvergabe haben werden. Welche Rolle will die Politik der Finanzwirtschaft beim Green Deal zuweisen?

Gros: Aktuell sieht es danach aus, dass die Politik die Banken zu ihren Öko-Hilfssheriffs machen will. Ziel der Politik ist es, die Wirtschaft umzubauen und auf Nachhaltigkeit zu trimmen. Und dazu will sie sich der Banken bedienen, die dann als Handlanger durch ihre Kreditvergabe das umsetzen sollen, wozu dem Gesetzgeber der Mut fehlt. Das ist ein riesiges ordnungspolitisches Problem und erzeugt eine Menge von Zielkonflikten, zumal sich Nachhaltigkeit so einfach sagt. Aber der Teufel steckt im Detail. Ist es nachhaltig, die E-Mobilität zu fördern, auch angesichts dessen, dass unter der Gewinnung von Rohstoffen für die Batterien in anderen Teilen der Welt die Umwelt leidet? Erklärtes Ziel der Politik ist der Wohnungsbau. Doch können Banken darin weiter investieren? Denn zum Bau von Häusern braucht man Beton und Zement. Deren Herstellung erzeugt eine große Menge an CO2. Sind also künftig nur noch Häuser aus Holz erwünscht? Und wer sagt, dass die Bäume dazu in ökologisch nachhaltig bewirtschafteten Wäldern wachsen? Vieles ist noch sehr unklar und nicht immer verbirgt sich hinter dem Label Nachhaltigkeit auch das, was man gemeinhin darunter versteht. Nämlich ein wirksamer Beitrag zu ressourcenschonendem Wirtschaften und zum Klimaschutz, der nicht verschiedene Weltregionen oder Wirtschaftssysteme gegeneinander ausspielt.

Das würde in letzter Konsequenz auch bedeuten, dass zu dem Ziel der Finanzstabilität noch das Ziel der ökologischen Nachhaltigkeit tritt. Wie verträgt sich das?

Gros: Genau diese Frage ist nicht beantwortet. Natürlich ist es grundsätzlich möglich, ein Bekenntnis zu Klima- und Umweltschutz mit Finanzstabilität in Einklang zu bringen. Aber es kommt eben darauf an, welchen Rahmen man setzt. Wenn man beides gegeneinander ausspielt, kann das fatale Folgen haben. Denn eine Bevorzugung grüner Finanzierungen könnte falsche Anreize setzen und damit die Risikostruktur von Banken ins Ungleichgewicht bringen. Das droht, wenn nachhaltige Anlagen grundsätzlich als risikoärmer eingestuft werden und infolge dessen Kredite für Investitionen, die diesem Ziel dienen, mit weniger Eigenkapital zu hinterlegen sind. Das setzt falsche Anreize und lenkt Geldströme in eine Richtung. In der Folge können Investitionsblasen entstehen. Wenn diese dann platzen, könnten die Folgen gravierend sein. Denn die Banken säßen dann auf einer Menge geplatzter Kredite. Die damit verbundenen Probleme hätten aber nicht die Banken zu verantworten, sondern die Politik, die mit ihren Entscheidungen dafür gesorgt hat.

„Ich schließe nicht aus, dass die Weichen in die falsche Richtung gestellt werden und das essenzielle Ziel der Finanzmarktstabilität unter die Räder gerät.“

Sie befürchten also eine Umweltpolitik durch die Hintertür…

Gros: So ist es. Noch einmal: Ich wende mich nicht gegen Ziele des Umwelt- und Klimaschutzes. Und wenn es jetzt Regeln gibt, die es den Banken erlauben, Kunden, die nach entsprechenden Anlagen fragen, anhand klarer Regeln beraten zu können, ist das sehr zu begrüßen. Es sollen aber die Investoren – und damit die Bankkunden – entscheiden, welche Anlage für sie attraktiv ist. Das hat der Staat nicht durch einseitige Rahmensetzung zu steuern. Ich befürchte nur, dass sich Gesetzgeber und Regulierer dem momentanen gesellschaftlichen Druck kaum entziehen können. Das gilt in Deutschland ebenso wie auf EU-Ebene. Daher schließe ich nicht aus, dass während der laufenden Legislaturperiode der EU-Kommission die Weichen in die falsche Richtung gestellt werden könnten und das essenzielle Ziel der Finanzmarktstabilität unter die Räder gerät.
 

Woran machen Sie Ihre Befürchtung fest?

Gros: Zum Beispiel am Wirtschafts- und Währungskommissar Paolo Gentiloni. Dieser hat vorgeschlagen, dass sich Staaten für nachhaltige Ziele verschulden können sollen, ohne sich dies auf ihr Defizitkonto anrechnen zu müssen. Die absehbaren Folgen: Die Staatsschulden würden weiter steigen und alle Stabilitätskriterien ad absurdum geführt. Ich hoffe, dass sich die deutsche Ratspräsidentschaft auf solche Überlegungen nicht einlassen wird.
 

Herr Gros, vielen Dank für das Interview!

Dr. Jürgen Gros ist Präsident des Genossenschaftsverbands Bayern (GVB). Er twittert als @JGros_GVB und ist Mitglied des Netzwerks LinkedIn.

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