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Die wichtigsten Aussagen von Professor Hess

  • Die Corona-Krise hat deutliche Auswirkungen auf die Agrarmärkte. Beispielsweise sind die Preise für verschiedene Waren massiv gestiegen oder gefallen.
  • Die Folgen für die deutschen Agrarproduzenten sind extrem unterschiedlich. Während einige Betriebe wegen der gestiegenen Binnennachfrage am Limit produzieren, sind bei anderen Betrieben die Absatzmärkte plötzlich weggebrochen.
  • Der Wettbewerb um Marktanteile und Verhandlungsmacht im Lebensmitteleinzelhandel wird in Krisenzeiten intensiviert.
  • Die deutsche Landwirtschaft könnte gestärkt aus der Krise hervorgehen, da die Verbraucher vor Augen geführt bekommen, wie wichtig die Branche für die Versorgungssicherheit des Landes ist. Die Politik hat bereits die Systemrelevanz der deutschen Landwirtschaft betont.

Herr Professor Hess, das Corona-Virus hält die Welt in Atem. Welche Auswirkungen hat die Pandemie bereits auf die internationalen Agrarmärkte – speziell mit Blick auf Deutschland?

Sebastian Hess: Derzeit sind vor allem drei Effekte zu spüren. Erstens gibt es – wenig überraschend – eine massive Verunsicherung an den Märkten. Beispielsweise sind die Preise für Speisekartoffeln oder Reis stark gestiegen, obwohl das Angebot keineswegs knapp ist. Preisnotierungen für Milch- und Fleischprodukte verzeichneten hingegen zuletzt Verluste. Die Lage auf den Welt-Agrarmärkten ist jedoch aufgrund der Verunsicherung sehr uneinheitlich. Zweitens gibt es zunehmend Logistikprobleme in Europa. Die Grenzkontrollen haben empfindliche Einflüsse auf verderbliche Güter oder eng getaktete Wertschöpfungsketten, wie beispielsweise Lebensmittelverpackungen. In diesem Rahmen sind die Regierungen gefragt, Störungen in der Lebensmittelversorgungskette zu beseitigen. Drittens ist derzeit unklar, wie Saisonarbeitskräfte nach Deutschland gelangen können. Für die Ernte – etwa von Spargel oder Erdbeeren – sind sie jedoch unabkömmlich. Ihre Leistung kann nicht so einfach von ungeübten Arbeitslosen, Studierenden oder Flüchtlingen übernommen werden, wie die Politik manchmal suggeriert. Auch dafür muss es Lösungen geben.
 

Wie steht es um den Export nach China – einer der wichtigsten Absatzmärkte außerhalb der EU?

Hess: Der Export nach China hat zuletzt gestockt. Aktuell scheint sich die Situation jedoch zu bessern, schließlich hat das Land ein großes Interesse daran, Waren wie Milchpulver oder Schweinefleisch einzuführen. Die größten Schwierigkeiten bereitet derzeit nicht der Export nach Asien, sondern derjenige nach Südeuropa. Das liegt – neben den Grenzkontrollen – offensichtlich an der Notlage in Ländern wie Italien oder Spanien.

„Man darf nicht unterschätzen, dass der Wettbewerb um Marktanteile und Verhandlungsmacht unvermindert weitergeht.“

Welche Folgen haben die Entwicklungen für die deutschen Agrarproduzenten?

Hess: Die Situation ist uneinheitlich. Einige Unternehmen produzieren am Limit, weil die Binnennachfrage so extrem gestiegen ist. Für andere Betriebe sind die Absatzmärkte weggebrochen. Diesen Betrieben können schnelle Liquiditätshilfen und Sonderregelungen helfen, um nicht in Schwierigkeiten zu geraten. Zudem können sie versuchen, ihre Produkte nun vermehrt im Lebensmitteleinzelhandel (LEH) zu platzieren – schließlich verzeichnet der LEH aktuell eine höhere Nachfrage als im letztjährigen Weihnachtsgeschäft.
 

Was bedeutet die Krise generell für die Beziehung zwischen Landwirtschaft und LEH?

Hess: In Krisenzeiten werden die Karten neu gemischt. Man darf nicht unterschätzen, dass der Wettbewerb um Marktanteile und Verhandlungsmacht unvermindert weitergeht. Wer als regionaler Erzeuger jetzt mit seinen Produkten neu ins Sortiment der Supermärkte gelangt, bleibt dort womöglich auch nach der Krise. Der LEH hat keinen Grund, eine Fläche neu zu vergeben, wenn sich ein Lieferant bewährt hat.

Vor Corona drehten sich die Diskussionen im Agrarbereich um Themen wie Bio, Nachhaltigkeit oder Digitalisierung. Ändert sich das nun?

Hess: Das ist eine spannende Frage. Es kann gut sein, dass das Thema Versorgungssicherheit künftig eine viel größere Rolle spielen wird. Denn die sogenannten Hamsterkäufe sind ja nichts anderes als die Angst vor einer Knappheit an Bedarfsgütern und Lebensmitteln. In der Corona-Krise bekommen die Verbraucher vor Augen geführt, dass die deutsche Landwirtschaft unersetzbar für die Versorgungssicherheit des Lands ist. Diese kollektive Erfahrung wird nachhallen. Ein erstes Zeichen dafür ist, dass die Bundesregierung die Systemrelevanz der Land- und Ernährungswirtschaft betont.
 

Welche langfristigen Folgen könnte die Corona-Krise haben?

Hess: Vieles hängt davon ab, wie sich die Kaufkraft entwickelt. Sollte es zu einer Weltwirtschaftskrise kommen, brechen auch die Preise für Lebensmittel ein. Wenn der volkswirtschaftliche Schaden jedoch nicht so groß ist, dann könnten regionale Erzeuger und Verarbeiter gestärkt aus der Krise hervorgehen. Spannend ist zudem die Reaktion der Politik. Erleben wir eine Re-Nationalisierung der Landwirtschaft? Oder geht der EU-Binnenmarkt letztlich gestärkt aus der Krise hervor und positioniert sich noch schlagkräftiger im Welthandel? Die Antworten auf diese Fragen sind derzeit noch völlig offen.


Herr Professor Hess, vielen Dank für das Gespräch!

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