Diese Website verwendet Cookies. Wenn Sie unsere Seiten nutzen, erklären Sie sich hiermit einverstanden. Weitere Informationen

Vor gut zehn Jahren, am 15. September 2008, musste die Investment Bank Lehman Brothers Insolvenz anmelden. Damit löste sie eine Kettenreaktion aus, an deren Ende Banken ins Wanken gerieten und die Weltwirtschaft in eine tiefe Rezession rutschte.

Spätestens mit der Finanzkrise hat sich ein Begriff im Bewusstsein von Politik, Medien und Regulatoren verankert, der bis heute präsent ist: Finanzstabilität. Wackelt die Stabilität des Finanzsystems, kann das die Bereitstellung notwendiger Finanzprodukte und –dienstleistungen beeinträchtigen und damit dem Wirtschaftswachstum und letzten Endes auch dem Wohlstand schaden.

Finanzstabilität ist zum obersten Ziel von Bankenregulierung und –aufsicht avanciert. Sie diente als Begründung für eine Vielzahl an regulatorischen Vorgaben. Dieser Antritt war im Großen und Ganzen ein Erfolg: Das Finanzsystem ist heute stabiler als noch vor zehn Jahren.

Doch nun drohen die Lehren der Finanzkrise in der aktuellen Diskussion der EU-Gesetzgeber über ein nachhaltiges Finanzwesen in Vergessenheit zu geraten. Um die ehrgeizigen Ziele der EU für den Klimaschutz zu erreichen, möchte die EU-Kommission mehr private Gelder – jährlich 180 Milliarden Euro – mobilisieren. So sollen Banken beispielsweise mehr Kredite für den Klimaschutz vergeben. Im ersten Schritt beschränkt sich das Nachhaltigkeitskonzept der EU-Kommission auf den Klima- und Umweltschutz. Später sollen auch soziale Aspekte wie faire Arbeitsbedingungen Berücksichtigung finden.

Die Pläne für ein nachhaltiges Finanzwesen weisen aber einen entscheidenden Fehler auf: Ökologische und soziale Nachhaltigkeit wird zum Ziel der Finanzmarktpolitik. Dabei rückt die Stabilität des Finanzsystems in den Hintergrund und wird sogar konterkariert. Gleichzeitig werden neue Vorschriften geschaffen, die zu zusätzlicher Ökobürokratie für Realwirtschaft und Anleger führen. Drei Beispiele verdeutlichen das: der Unterstützungsfaktor für grüne Investitionen, die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsrisiken bei der Unternehmenskreditvergabe und neue Vorgaben für die Finanzberatung.

Grüner Unterstützungsfaktor

Die EU-Kommission schlägt vor, dass Banken „grüne“ Kredite für Klima- und Umweltschutz sowie „grüne“ Anleihen („Green Bonds“) mit weniger Eigenkapital unterlegen sollen. Eine geringere Kapitalunterlegung soll es Banken schmackhaft machen, grüne Kredite zu vergeben beziehungsweise in Green Bonds zu investieren.

Dieser „grüne Unterstützungsfaktor“ basiert auf der Idee des KMU-Faktors, nach dem Kredite an mittelständische Unternehmen mit weniger Kapital zur Risikovorsorge unterlegt werden müssen. Doch während bei KMU-Krediten der Nachweis erbracht ist, dass diese risikoärmer sind und damit eine niedrige Kapitalunterlegung berechtigt ist, steht dieser Nachweis bei grünen Investitionen aus. Sollte ein Unterstützungsfaktor eingeführt werden, würde die Risikovorsorge für grüne Kredite und Anleihen sinken, obwohl das Risikoprofil unklar ist.

Ein grüner Unterstützungsfaktor setzt damit falsche Steuerungsimpulse und lenkt das Geld nicht in die produktivsten Investitionen, sondern in vermeintlich „nachhaltige“ Projekte. Dadurch wird der Bildung von „grünen“ Kreditblasen Vorschub geleistet. Diese Einschätzung teilen auch die Wirtschafts-Experten des IW Köln: „Das Entstehen einer grünen Anleihenblase und das Platzen dieser Blase wäre schädlich für den Finanzsektor und würde die Erreichung der Klimaziele behindern (…)“. [Quelle: „Are Green Bonds a Viable Way to Finance Environmental Goals?“, Markus Demary / Adriana Neligan, IW-Report Nr. 28, IW Köln, 28.6.2018.]

Nachhaltigkeitsrisiken bei der Unternehmenskreditvergabe

Das EU-Parlament hat zudem vorgeschlagen, dass Banken in Zukunft Nachhaltigkeitsrisiken bei ihren Anlagen und Krediten identifizieren und in ihrem Risikomanagement berücksichtigen sollen. Zum Beispiel sollen Nachhaltigkeitsrisiken in ihre Risikopläne und -vorsorge einbezogen werden. Das EU-Parlament definiert eine Reihe von ökologischen, sozialen und Governance Faktoren (Environmental, Social, Governance, „ESG-Faktoren“), auf denen Nachhaltigkeitsrisiken beruhen. Diese Risiken reichen vom Klimawandel bis hin zur Missachtung von Arbeitsstandards bei Zulieferbetrieben.

Allerdings sind die ESG-Faktoren höchst umstritten. Bislang existiert kein einheitliches und verbindliches Verständnis von Nachhaltigkeit. Die verschiedenen Faktoren werden von Anlegern, Investoren und Kreditgebern je nach Präferenzen unterschiedlich ausgelegt und gewichtet. Eine verpflichtende Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten im Risikomanagement von Banken wäre daher verfehlt. Das gilt umso mehr, da Banken seit jeher gefordert sind, ihre Risiken zu überprüfen und angemessen abzusichern. Das verlangt nicht nur die Bankenaufsicht, das ist im ureigenen Interesse der Banken.

Der Vorschlag hätte zudem erhebliche Auswirkungen auf die Realwirtschaft. Um die Nachhaltigkeitsrisiken zu identifizieren und einzuschätzen, müssten Banken zahlreiche zusätzliche Informationen bei ihren Kreditnehmern abfragen. Selbst kleine und mittlere Unternehmen (KMU), die mehr als 90 Prozent aller Unternehmen in Europa ausmachen, werden damit indirekt verpflichtet, die Nachhaltigkeit ihrer Geschäftsmodelle nachzuweisen. Durch diese zusätzliche Ökobürokratie werden KMUs über Gebühr belastet. Gleichzeitig verschlechtern sich die Kreditbedingungen für alle Unternehmen, die keinen Nachhaltigkeitsnachweis erbringen können. Eine Regulierung von Nachhaltigkeitsrisiken wäre Strukturpolitik zulasten der KMUs in Europa.

Vorgaben an die Finanzberatung

Die Pläne für ein nachhaltiges Finanzwesen haben zudem massive Auswirkungen auf Privatanleger. Denn die EU-Gesetzgeber wollen die Finanzberatung neu regeln. Anleger sollen bei der Beratung nicht mehr nur zu Person, Einkommen und Lebensplanung befragt werden, sondern auch ihre Einstellung zu Fragen der Umwelt-, Klima- oder Sozialpolitik angeben.

Eine verpflichtende Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen ist überflüssig. Schon längst erhalten Kunden umfassende Beratung zu nachhaltigen Geldanlagen und eine Vielzahl an dazu passenden Produkten. Der Kunde entscheidet eigenverantwortlich und selbstbestimmt, welches Finanzprodukt er möchte. Die Nachfrage nach nachhaltigen Finanzprodukten, und nicht die gesetzlichen Vorgaben, sollten dabei das Angebot bestimmen.

Eine verpflichtende Abfrage bedeutet für den Bankkunden zudem zusätzliche Bürokratie. Dabei leiden Banken und ihre Kunden schon heute unter einer Vielzahl an bürokratischen Vorschriften in der Anlageberatung, die sich negativ auf Sparverhalten und Altersvorsorge auswirken. Wenn jeder Anleger zukünftig seine persönlichen Einstellungen zu Nachhaltigkeitsfragen offen legen muss, grenzt das an Gängelung der Kunden. Beratungsgespräche könnten von Kunden als „Verhörsituation“ empfunden werden. Anleger könnten sich sogar unter Druck gesetzt fühlen, in „nachhaltige“ Produkte zu investieren, ohne sich dabei den Risiken bewusst zu sein. Diese unterbewusste Lenkung von Anlegern leistet einer grünen Finanzblase Vorschub.

Fazit und Ausblick

Die Pläne für ein nachhaltiges Finanzwesen sind gefährlich. Sie schaffen Risiken für die Finanzstabilität und neue Ökobürokratie für Realwirtschaft und Anleger. Ob sie wirklich nachhaltigen Zielen wie dem Klima- und Umweltschutz dienen, ist fragwürdig. Vielmehr greifen die geplanten Maßnahmen in die Finanzierungs- und Anlageentscheidungen von Banken, Investoren und Privatanlegern ein. In einer Marktwirtschaft sollte es aber den Wirtschaftsakteuren überlassen bleiben, in welche Investitionsprojekte ihr Kapital fließt.

Was passiert, wenn Kapitalströme durch politische Eingriffe umgelenkt werden, haben wir in der Finanzkrise eindrucksvoll erlebt. Die Keimzelle der Krise war damals eine politisch gelenkte Kreditvergabe am US-Immobilienmarkt. Im staatlichen Auftrag und mit Unterstützung durch die US-Regierung sollten privatrechtlich organisierte Unternehmen wie Fannie Mae und Freddie Mac den Amerikanern ein Eigenheim ermöglichen. Die Folgen sind bekannt: Die US-Immobilienpolitik endete in einer globalen Finanz- und Wirtschaftskrise.

Die EU-Politik darf heute nicht den gleichen Fehler machen, indem sie versucht, legitime Nachhaltigkeitsziele auf Kosten der Finanzstabilität und Ökobürokratie zu erreichen. Das Platzen einer Blase würde Finanz- und Realwirtschaft massiv schädigen. Der GVB tritt daher gegen ideologische Vorgaben zur Kreditvergabe und gegen zusätzliche Ökobürokratie ein.

Dr. Jürgen Gros ist Präsident und Vorstandsvorsitzender beim Genossenschaftsverband Bayern.

Artikel lesen
Positionen