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Die wichtigsten Infos

  • Die Zahl der Fahrgäste in den Münchner Taxen ist wegen Corona um 85 Prozent zurückgegangen, viele Betriebe stehen vor dem Aus.
  • Die Taxi-München eG unterstützt ihre Mitglieder, unter anderem vertreibt sie preisgünstig FFP2-Masken und erhebt keine Beiträge für stillgelegte Fahrzeuge.
  • Durch die geplante Novelle des Personenbeförderungsgesetzes befürchtet die Taxibranche einen Wettbewerb unter ungleichen Voraussetzungen. Sie fordert faire Regeln für die Mobilität von morgen.

Herr Kroker, die Politik beginnt damit, die Corona-Beschränkungen zu lockern. Die nächtlichen Ausgangsbeschränkungen sind weitestgehend aufgehoben, Friseure dürfen wieder öffnen, Geschäfte und Museen könnten bald folgen. Worauf kommt es nun an, damit die Mitglieder der Taxi-München eG gemeinsam mit dem öffentlichen Leben wieder in Fahrt kommen?

Thomas Kroker: Damit das Taxigewerbe wieder Fahrt aufnehmen kann, benötigt es Fahrgäste. Doch genau diese fehlen. Wir brauchen dringend weitere Öffnungsperspektiven mit nachvollziehbaren Stufen-Kriterien, um einen dauerhaften Wechsel zwischen Öffnungen und Schließungen zu vermeiden.
 

Wie schlimm ist die Situation?

Kroker: Durch den Lockdown sind uns nahezu alle Kundenkreise weggebrochen, insbesondere mangelt es an Fahrten im Nachtleben sowie im Bereich der Gastronomie. Besonders schmerzhaft ist zudem, dass die Zahl der Passagiere am Flughafen München drastisch eingebrochen ist. Als Konsequenz gibt es bei den Taxis in München aktuell einen Fahrgastausfall sowie damit verbundene Umsatzrückgänge von jeweils rund 85 Prozent im Vergleich zu den Zeiten vor der Pandemie. Von meinen Kollegen aus anderen Großstädten höre ich ähnliche Zahlen.
 

Wie ist die Stimmung bei den Fahrern und damit Genossenschaftsmitgliedern?

Kroker: Es ist der nackte Kampf ums Überleben. Dabei ist die Branche zweigeteilt: Im Bereich der selbstständigen alleinfahrenden Taxiunternehmer greift bislang keine staatliche Hilfe. Sie müssen ihr Fahrzeug weiter betreiben, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Mehrwagenbetriebe haben ihre Fahrer in Kurzarbeit geschickt oder können sie nicht weiterbeschäftigen, unter anderem auch, weil die erzielten Umsätze nicht ausreichen, um die Mindestlohnregeln einzuhalten. Zudem haben sie einen Großteil ihrer Flotte stillgelegt. Das verursacht hohe Kosten. Viele leben von der Substanz und den Rücklagen aus früheren Jahren, aber lange halten sie das nicht mehr durch. Ihnen droht das finanzielle Ende und damit unweigerlich der Gang in die Insolvenz.

„Die Tagesumsätze liegen teilweise unter 50 Euro.“

Wie viele Fahrten machen die Mitglieder durchschnittlich und was verdienen sie damit?

Kroker: Es gibt Arbeitstage, an denen die Fahrer in zwölf Stunden lediglich zwei oder drei Fahrten absolvieren. Die Tagesumsätze liegen teilweise unter 50 Euro: Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel – vor allem, weil viele Unternehmen investiert haben, um ihre Fahrzeuge mit Schutzeinrichtungen wie Trennwänden oder Trennfolien auszustatten. Dazu kommt der belastende Alltag: Die Fahrer warten am Taxistand stundenlang auf Kunden. Bei vielen liegen die Nerven deshalb verständlicherweise blank.

Mit welchen langfristigen Folgen rechnen Sie für das Taxi-Gewerbe und die Genossenschaft?

Kroker: Da bislang noch kein Ende der Pandemie in Sicht ist, können wir das Ausmaß und den Umfang der Folgen noch nicht absehen. In München stehen aktuell nach unseren Schätzungen rund 50 Prozent der Taxi-Unternehmer vor dem Aus, 1.100 der 3.300 Konzessionen sind bereits stillgelegt oder abgegeben worden. Die Genossenschaft hat deshalb schon im vergangenen Jahr richtungsweisende Veränderungen in die Wege geleitet und sowohl strukturell als auch personell den Betrieb in der Zentrale heruntergefahren – aber so, dass die Kapazitäten sofort wieder zur Verfügung stehen können.
 

Wie unterstützt die Genossenschaft ihre Mitglieder in dieser schwierigen Zeit?

Kroker: Zunächst einmal ganz praktisch: Zu Beginn der Pandemie haben wir in Kooperation mit der Bayerischen Staatsregierung eine große Menge an Desinfektionsmitteln besorgt und kostenfrei an die Mitglieder verteilt. Und später, als die Regierung die Pflicht zum Tragen der FFP2-Masken beschlossen hat, haben wir umgehend ein großes Kontingent angeschafft und ihnen die Masken sehr günstig weiterverkauft. Auch an anderer Stelle helfen wir den Mitgliedern: Während sie in normalen Zeiten auch für stillgelegte Fahrzeuge die Beiträge für die Vermittlungsdienstleistungen der Genossenschaft zahlen müssen – die Fixkosten der eG laufen ja weiter – erheben wir die Beiträge aktuell nicht. Dadurch entlasten wir sie spürbar, vor allem im Vergleich zu anderen Taxiunternehmen, die dies nicht so handhaben. Außerdem versuchen wir, neue Geschäftsfelder zu erschließen. Wir konnten zum Beispiel mit einem Zonenpreis-Modell für Liefer- und Kurierfahrten ein bereits vorhandenes Geschäftsfeld erweitern und dadurch zusätzliche Umsätze generieren.

Viele Branchen erhalten derzeit staatliche Hilfen – die Taxifahrer gehen allerdings leer aus, wie der Verband der bayerischen Taxiunternehmer in einem Brief an Ministerpräsident Markus Söder beklagt hat. Wo hakt es?

Kroker: Der Kern des Problems liegt in der Zusammensetzung der Überbrückungshilfen. In den Überbrückungshilfen 1 und 2 konnten keine Fahrzeugfinanzierungskosten angesetzt werden, sondern nur die jeweiligen Zinsaufwendungen. Bei der Überbrückungshilfe 3 ist insofern ein Fortschritt erkennbar, als dass 50 Prozent der Abschreibungskosten auf Fahrzeuge nun förderfähig sind. Weitere Maßnahmen, etwa eine Art Unternehmerlohn für Soloselbstständige, gibt es jedoch nicht. Die Hilfen sind damit nur ein Tropfen auf den heißen Stein und helfen den Taxifahrern nicht weiter.
 

Ein weiteres Thema, das die Taxibranche bewegt, ist das neue Personenbeförderungsgesetz, worüber derzeit der Bundestag berät. Dieses soll sogenannten Pooling-Anbietern wie Uber den Einstieg in den Fahrdienstmarkt erleichtern und dadurch die Grundlage für die Mobilität von morgen schaffen. Was halten Sie von der Novelle?

Kroker: Der aktuelle Gesetzesentwurf stellt das Taxigewerbe vor neue Herausforderungen. Die von Ihnen angesprochene Einführung der neuen Verkehrsart „gebündelter Bedarfsverkehr (Pooling)“ würde den Mobilitätsmarkt grundlegend verändern. Die gesamte Taxibranche sieht darin eine folgenschwere Fehlentscheidung und hat die Politik deshalb aufgerufen, die Novelle nachzubessern. Zudem haben wir mit Aktionen wie einer Auto-Korso-Demonstration protestiert.

Fürchten Sie die neue Konkurrenz?

Kroker: Es geht nicht um Angst, sondern darum, dass seit einigen Jahren illegale Mietwagenvermittlungsplattformen einen taxiähnlichen Gelegenheitsverkehr aufgebaut haben, der systematisch gesetzliche Anforderungen aushebelt und umgeht. Diese Plattformen sollen nun legalisiert werden und Vorteile erhalten, die mittelfristig zum Ende des Taxigewerbes führen.
 

Inwiefern?

Kroker: Das aktuelle Gesetz beinhaltet für verschiedene Gruppen jeweils klare Regeln zur Beförderung von Personen. Für Taxiunternehmen gelten zum Beispiel die Betriebspflicht, die Beförderungspflicht und die Tarifpflicht. Das bedeutet, dass ein Taxiunternehmen rund um die Uhr Fahrgäste befördern muss und nur die Tarife abrechnen darf, die die Kommune festgelegt hat – auch zu Stoßzeiten wie zum Oktoberfest oder zu Silvester. Damit übernehmen Taxis eine wichtige Rolle im ÖPNV. Für Mietwagen, die gerade nicht zum ÖPNV gehören, gelten andere Regeln. Dazu zählt unter anderem die Rückkehrpflicht, die besagt, dass ein Fahrzeug nach einem Auftrag zurück zum Betriebssitz fahren muss. Wenn der Gesetzgeber diese Pflicht nun aushöhlt, entsteht eine Wettbewerbssituation unter ungleichen Voraussetzungen. Fahrzeuge von Vermittlungsplattformen könnten nur zu lukrativen Zeiten fahren, mit Billigtarifen Kunden locken oder zu Stoßzeiten Wucherpreise verlangen, um nur einige Punkte zu nennen. Zudem ist abzusehen, dass es zu einem Verkehrskollaps kommt, wenn Tausende weitere Mietfahrzeuge unterwegs sind. Kurzum: Wir fordern dringend Nachbesserungen, um die Mobilität der Zukunft innovativ und fair zu gestalten.

„Taxifahrer zu sein ist kein Beruf, sondern eine Berufung.“

Abschließend zwei persönliche Fragen. Zunächst: Was schätzen Sie am Beruf des Taxifahrers?

Kroker: Taxifahrer zu sein ist kein Beruf, sondern eine Berufung. Es ist ein Mix aus der Bereitschaft zur Dienstleistung, der Fähigkeit, im Großstadtverkehr sicher Auto zu fahren, und der Empathie für die unterschiedlichen Befindlichkeiten der Fahrgäste. Ein Taxifahrer ist Chauffeur, Psychologe, Beichtvater, Meinungsmultiplikator sowie Stadtführer – und zudem häufig die erste Person, mit der Touristen und Besucher persönlich in Kontakt treten. Deshalb liegt es mir besonders am Herzen, dass gerade die Fahrer der Taxi-München eG unsere Stadt vorbildlich repräsentieren und Gästen sowie Einheimischen einen erstklassigen Service bieten.
 

Sitzen Sie noch selbst am Steuer?

Kroker: Ich besitze den Taxiführerschein seit über 30 Jahren. Bis ich 2019 zum Vorstand der Taxi-München eG gewählt wurde, ist keine Woche vergangen, in der ich nicht selbst hinter dem Steuer saß. Aufgrund der Aufgabenfülle, etwa durch meine zusätzliche Tätigkeit als Geschäftsführer des Landesverbands Bayerischer Taxi- und Mietwagenunternehmen, ist es nun nicht mehr so regelmäßig möglich. Trotzdem versuche ich, mindestens einmal im Monat auf den Straßen in München unterwegs zu sein. Ich möchte die Nähe zu unseren Mitgliedern und den Fahrgästen nicht verlieren, da ich überzeugt bin, dass ich nur dann gute Funktionärsarbeit leisten kann, wenn ich unmittelbaren Kontakt zur Basis habe.
 

Herr Kroker, vielen Dank für das Gespräch!

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