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Frau Struck, Sie haben ein viel beachtetes Buch darüber geschrieben, wie Entscheider ihr Unternehmen erfolgreich in die Zukunft führen können. „Game Change“ lautet der Titel. Was ändert sich derzeit in der Arbeitswelt?

Pia Struck: Aktuell wandeln sich die Logik und das Geschäftsmodell vieler Unternehmen radikal. Grund dafür sind Entwicklungen wie die Digitalisierung oder die Globalisierung, die Auswirkungen auf alle Gesellschaftsbereiche haben. Solche extremen Umbruchzeiten sind historisch gesehen äußerst selten, zu vergleichen beispielsweise mit den Dekaden, in denen der Buchdruck oder der Verbrennungsmotor entwickelt wurde. Durch die gesamtheitlichen Veränderungen entsteht ein hoher Innovationsbedarf in den Unternehmen. Sie müssen neue Geschäftsmodelle und Prozesse etablieren – ansonsten drohen das Schicksal von Kodak oder Nokia, also die Insolvenz und das Verschwinden vom Markt.

Die wichtigsten Aussagen von Pia Struck

  • Die Digitalisierung führt zu einem hohen Bedarf, neue Geschäftsmodelle und Prozesse zu etablieren.
  • Unternehmen benötigen die Fähigkeit der sogenannten Ambidextrie: Sie müssen sowohl ihre Produkte laufend verbessern als auch ein innovationsförderndes Umfeld schaffen.
  • Klassische und starre Hierarchien zementieren den Status quo und lassen radikalere Neuerungen oder neue Geschäftsmodelle oft nicht zu.
  • Jedes Unternehmen kann innovativ sein – wenn die Führungskräfte mit den richtigen Denk- und Verhaltensweisen vorangehen und den Mitarbeitern Platz zur Entfaltung lassen.

Was bedeutet das für den einzelnen Mitarbeiter?

Struck: Um die Veränderungen zu schaffen, ist der Weg klar: Unternehmen müssen weg vom starren Abteilungs- und Silodenken und ihren Mitarbeitern stattdessen mehr Eigenverantwortung zugestehen. Innovationsfähigkeit kann nur aus der Kraft der Mitarbeiter entstehen! Für die Zukunft braucht es interdisziplinäre und sich selbst organisierende Teams, wie es im Bereich der Projektarbeit mittlerweile oft schon üblich ist (Stichwort: Agiles Projektmanagement). Nicht die Führungskraft muss den Mitarbeiter auffordern, mit dem Kollegen aus der anderen Abteilung zu reden – das muss der Mitarbeiter selbst erkennen, eigenverantwortlich handeln und so viel Verantwortung wie möglich übernehmen.
 

Apropos Führungskräfte: Viele Manager haben das Gefühl, dass sich das Veränderungstempo beschleunigt hat. Teilen Sie diese Einschätzung?

Struck: Ich denke, dass sich nicht das Tempo beschleunigt hat, sondern das Thema Veränderung und Anpassungsfähigkeit einfach dauerhaft präsent ist. Bereits angesprochene Entwicklungen wie die Digitalisierung beeinflussen alle Bereiche der Gesellschaft laufend – die Wirtschaft, die Politik, die Bildung und so weiter. Deshalb werden wir nicht in drei Jahren sagen können: So, Herausforderung gemeistert, jetzt lehnen wir uns bequem zurück. Besonders brutal ist das Bewusstsein für Veränderungen natürlich bei Unternehmen, die den Markt analysieren und sich eingestehen müssen: Die Konkurrenz ist uns weit voraus, wir haben die vergangenen fünf Jahre geschlafen. Dann ist der Druck, die Verspätung aufzuholen, enorm.

„Google, Facebook, Amazon, Uber, Tesla: Alle nicht aus Deutschland. Das ist dramatisch.“

Welche Schlüsselkompetenzen brauchen Unternehmen, um den Wandel meistern zu können?

Struck: Sie benötigen die Fähigkeit der Ambidextrie, also der Beidhändigkeit. Damit meine ich folgendes: Unternehmen müssen auf der einen Seite ihre Produkte sowie Prozesse laufend optimieren und auf der anderen Seite ein innovationsförderndes Umfeld schaffen. In Deutschland sind wir gut darin, das Kerngeschäft der Routine weiterzuentwickeln und stetig dort die Effizienz zu erhöhen. Allerdings entstehen auf diesem Weg hierzulande kaum revolutionäre Innovationen, aus denen weltbekannte Unternehmen hervorgehen. Google, Facebook, Amazon, Uber, Tesla, Spotify, Tiktok, Airbnb, um nur einige zu nennen: alle nicht aus Deutschland! Besonders dramatisch ist, dass diese Unternehmen Monopolisierungstendenzen haben. Wer nicht frühzeitig mitspielt, ist komplett außen vor.

Wie entstehen eigentlich Innovationen in Unternehmen?

Struck: Häufig herrscht die Fehleinschätzung vor, dass Innovationen zentral durch eine Innovationsabteilung gesteuert werden können. Doch nach meiner Beobachtung entstehen Innovationen immer dann, wenn Mitarbeiter ihrer normalen Arbeit nachgehen, sich mit den Produkten, Dienstleistungen, Kunden oder den Wettbewerbern beschäftigen und dann eine Idee entwickeln. Wenn die Gegebenheiten stimmen, kann jeder Mitarbeiter innovativ sein. Oft sind die heutigen Unternehmensstrukturen dafür aber nicht durchlässig, so dass die Idee auf dem Weg der Entstehung unterdrückt oder gar bekämpft wird.
 

Da sind wir beim Kernpunkt Ihres Buchs: Sie haben im Rahmen ihrer Karriere zahlreiche Unternehmen von innen gesehen und bei Veränderungsprozessen begleitet. Was ist nach Ihrer Erfahrung das größte Hemmnis auf dem Weg zur Innovationsfähigkeit?

Struck: Eindeutig die klassischen, starren Hierarchien und das damit verbundene Mindset vieler Führungskräfte. Diese sollen Stabilität und Eindeutigkeit geben. Aber sie lassen radikalere Innovationen nicht zu.
 

Warum?

Struck: In klassischen Hierarchien gibt es feste Machtstrukturen, die Führungspositionen werden von Menschen eingenommen, die sich nach oben gearbeitet haben. Diese scheuen sich – zutiefst menschlich – oft gegen Veränderungen in der Hierarchie und verweigern sich deshalb neuen Ideen, die disruptiv sind und die eigene Machtposition oder die Abteilung bedrohen. Wenn es um die eigene Bedeutung geht, zeigen Menschen ein hohes Beharrungsvermögen.
 

Warum funktioniert diese Form der Unternehmensorganisation heute nicht mehr so gut?

Struck: Viele Unternehmen haben Strukturen implementiert, die für Routine und Effizienz, Verbesserungen in kleinen Schritten und den Erhalt des Status quo optimal sind. Aber die Innovationsfähigkeit wird erstickt und irgendwann schafft es das Unternehmen nicht mehr, gegenzusteuern.

„Mercedes hätte Uber erfinden müssen. Aber das war gar nicht möglich.“

Haben Sie dafür ein konkretes Beispiel?

Struck: Schauen Sie sich unsere Autoindustrie an. Mercedes-Benz, Audi, BMW und Co. waren in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten so erfolgreich, weil sie das Auto fantastisch weiterentwickelt haben. Die Fahrzeuge sind weltweit beliebt und schaffen riesige Erträge, von denen die Unternehmen gut leben können. Aber das Mobilitätsverhalten ändert sich derzeit, einige Menschen verzichten schon heute bewusst auf das Auto. Und wer weiß, wie die Menschen im Jahr 2030 von A nach B kommen? Ein disruptives Unternehmen wie Uber kannibalisiert bereits jetzt das Geschäftsmodell von Mercedes. Also hätte Mercedes Uber erfinden müssen. Aber das war gar nicht möglich. Denn im Unternehmen sitzen zu viele Menschen, die ein Interesse daran haben, dass die Menschen weiterhin Autos kaufen. Und nicht, wie die Mobilität von morgen funktioniert. Das ist die Gefahr: Hierarchische Strukturen verhindern Innovationen.

Dabei hat sich jedes Unternehmen Innovationsfähigkeit auf die Fahne geschrieben…

Struck: Ja, und es mangelt auch nicht an guten Ideen. Ich erlebe regelmäßig, dass Mitarbeiter zusätzlich zu ihrer normalen Arbeit an Innovationen tüfteln. Wenn sie diese ihren Führungskräften vorstellen, heißt es häufig: Klasse Idee, machen sie uns dazu einen Business-Case, wann sich das rechnet. Und dann ist die Idee tot. Denn bei radikalen Innovationen können sie im Vorhinein nie einschätzen, wie viel Geld sie damit verdienen. Vielleicht haben sie in fünf Jahren Millionen verbrannt, vielleicht haben sie Milliarden gewonnen. Das ist ein unternehmerisches Wagnis. Und dazu ist in klassischen Hierarchien vor allem die zweite oder dritte Führungsebene häufig nicht bereit.
 

Wie sollten Unternehmen also vorgehen, wenn Sie eine Innovationskultur aufbauen wollen?

Struck: Das Topmanagement muss sich geschlossen dafür einsetzen. Ich lerne regelmäßig tolle Unternehmen kennen, in denen die Mitarbeiter disruptives Potenzial mitbringen. Aber letztlich scheuen sich viele Führungskräfte, Innovationen zu fördern. Denn es ist natürlich mit deutlich mehr Risiko verbunden, Geld in neue Entwicklungen zu stecken, bei denen niemand absehen kann, ob sie erfolgreich werden. Dieses unternehmerische Wagnis muss das Topmanagement tragen.
 

Wie sieht in diesem Rahmen ein modernes Führungskräftekonzept aus?

Struck: Für das Routine- und Effizienzgeschäft brauchen sie weiterhin Hierarchien. Gleichzeitig sollten diese Hierarchien bei bereichs- oder abteilungsüberschreitenden Themen keine Rolle mehr spielen. Es geht nicht darum, dass jeder Bereichsleiter seinen Bereich möglichst glänzend beim Vorstand verkauft. Sondern darum, auf das Gesamtwohl des Unternehmens zu achten. Deshalb ist es auch sinnvoll, keine Einzelziele für Bereiche zu vergeben, sondern sich bestenfalls an qualitativen Zielen zu orientieren, die auf das ganze Unternehmen einzahlen. Denn die Mitarbeiter handeln so, wie es im Unternehmen belohnt wird. Ein Tipp für die Geschäftsführung: Wie ist die Bonus-Verteilung im Betrieb geregelt? Gibt es zusätzliches Geld für innovative Ideen oder reicht es aus, sich gut verkaufen zu können?

„Ein Chief Innovation Officer bringt Ideen aus der ganzen Firma im Vorstand ein. Dadurch ist er ein Sparring Partner für die starren Hierarchiestrukturen.“

Und wenn das geregelt ist?

Struck: Es gibt zwei Wege, wie Unternehmen ihre Innovationsfähigkeit sichern können. Erstens: Eine zweite Kultur und Struktur schaffen, bei der Mitarbeiter im gesamten Unternehmen verteilt für Innovationen zuständig sind. Samsung hat beispielsweise eine entsprechende Netzwerkorganisation geschaffen, die von einem Chief Innovation Officer (CIO) geführt wird. Der CIO bringt Ideen aus der ganzen Firma im Vorstand ein und bildet damit einen Counterpart auf Top-Ebene für die anderen Vorstände, die mit dem Routine-Geschäft umgehen. Zweitens: Eine Struktur schaffen, bei der alle Führungskräfte für Innovationen zuständig sind. Das ist ein sehr interessanter Weg, wenngleich er in der Praxis nicht immer einfach umzusetzen ist, da die Führungskräfte kontinuierlich im Spannungsfeld zwischen Routine, Effizienz und Innovationsfähigkeit stehen.
 

Wie kann Unternehmen der Spagat gelingen, einerseits das aktuelle Geschäftsmodell erfolgreich weiter zu betreiben und andererseits am innovativen Geschäftsmodell von morgen zu arbeiten?

Struck: Durch die bewusste Trennung der beiden Aufgaben Routine/Effizienz und Innovation. Ich plädiere dafür, neben einem Chief Operation Officer einen bereits angesprochenen Chief Innovation Officer zu installieren. Beide sollten Bereiche führen, die im Unternehmen verankert sind, aber unterschiedlichen Logiken folgen. Auf diese Weise kann die Diskussion über Budgets in der Unternehmensspitze geführt werden. Ein Chief Operation Officer ist überfordert, wenn er alleine beide Bereiche verantworten muss und wird – oft durch den erheblichen Druck der Shareholder – nahezu immer auf kurzfristige Ergebnisse setzen.
 

Eine Kernaufgabe jedes Unternehmen ist es aktuell, junge Talente aus der sogenannten „Generation Y“ zu gewinnen. Wie kann das gelingen?

Struck: Für die Generation Y sind die skizzierten Innovationsstrukturen sehr interessant. Viele von ihnen sind in materiellem Wohlstand aufgewachsen. Deshalb sind sie nicht bereit, täglich mehrere Überstunden zu schieben, um maximal viel Geld zu verdienen. Stattdessen wollen sie eine Tätigkeit entsprechend ihrer Talente wahrnehmen und erwarten eine große Freiheit im Denken, bei den Arbeitszeiten und bei der Wahl des Arbeitsorts. Für sie ist es wichtig, dass das Unternehmen, für das sie tätig sind, einen höheren Sinn verfolgt. Nehmen wir die Luftfahrt: Wollten die Brüder Wright Flugzeuge bauen, um möglichst viel Geld damit zu verdienen? Nein, sie wollten den Lauf der Welt verändern und den Menschen das Fliegen ermöglichen! Also könnte auch heute ein Unternehmen der Luftfahrtbranche einen höheren Sinn aufzeigen, zum Beispiel wie es Menschen weltweit in Kontakt bringt und somit die Fähigkeit zu globalem Lernen erhöht. Auf diese Weise gibt es Vertretern der Generation Y einen Sinn. Für Unternehmen kann es unfassbar bereichernd sein, diese Kreativität, diese Innovationsfähigkeit, dieses Freiheitsdenken aufzunehmen – wenn sie die passenden Rahmenbedingungen schaffen.

„Die Geschäftsführung muss mit dem richtigen Mindset vorangehen. Dann lässt sich der Wandel mit Bordmitteln schaffen.“

Kann jedes Unternehmen innovative Strukturen einführen?

Struck: Wenn ich bei Unternehmen bin, höre ich häufig von der Geschäftsführung: Frau Struck, Ihre Ideen hören sich gut an, aber wir haben dafür nicht die richtigen Leute. Meine Erfahrung ist aber, dass die meisten Menschen sich so verhalten, wie es ihnen von oben vorgelebt wird und was kulturell sowie finanziell belohnt wird. Sie sind sich häufig darüber im Klaren, was sich ändern müsste, trauen sich aber nicht, das anzugehen. Viele haben gute Ideen und sind bereit, sich einzubringen. Deshalb möchte ich Mut machen und sagen: Ja, jedes Unternehmen kann innovative Strukturen einführen. Dazu muss aber die Geschäftsführung mit dem richtigen Mindset vorangehen und den Mut haben, sich auf diese – zugegeben – schwierige Expedition ins Unbekannte einzulassen. Ist das gegeben, dann lässt sich der Wandel mit Bordmitteln schaffen.
 

Frau Struck, vielen Dank für das Gespräch!

Pia Struck arbeitet als Unternehmensberaterin, Coach, Lehrbeauftragte und KeyNote-Speakerin. Sie beschäftigt sich in ihrer Arbeit mit der Notwendigkeit von Organisationen, aufgrund der Globalisierung und Digitalisierung die eigene Innovationsfähigkeit zu erhöhen. Dazu ist im Gabal-Verlag ihr Buch „Game Change – das Ende der Hierachie“ erschienen. In ihrer Arbeit begleitet sie vor allem Führungsteams auf diesem Transformationsweg, um Zukunftssicherheit zu erreichen. Seit 2003 lebt sie mit ihrem Mann und den beiden Kindern in Bingen am Rhein.

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