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Valdis Dombrovskis, Vizepräsident der EU-Kommission:

„Diese Rechtsvorschrift wird bei der Bekämpfung des Klimawandels eine entscheidende Rolle spielen, denn sie wird es ermöglichen, Milliarden von grünen Investitionen fließen zu lassen. Dank dieser grünen Liste oder Taxonomie werden Investoren und Industrie zum ersten Mal eine Definition dessen haben, was ,grün‘ ist, was den nachhaltigen Investitionen einen echten Schub verleihen wird. Das wird entscheidend sein, damit der europäische Grüne Deal Realität wird. Ich danke dem Europäischen Parlament, den Mitgliedsstaaten, dem finnischen Vorsitz und den Berichterstattern für ihre entschlossenen Verhandlungen, die zu diesem Kompromiss geführt haben.“

Dazu meine ich: „Kurz nach der Einigung zwischen EU-Parlament und Rat betont Dombrovskis die Dimension des gerade verhandelten Rechtstexts. Tatsächlich wurde mit der „Taxonomie“ die Grundlage für das weltweit erste rechtlich verbindliche Klassifizierungssystem für nachhaltiges Wirtschaften geschaffen. Auf dieser Basis sollen grüne Finanzprodukte entworfen und damit Kapital in nachhaltige Projekte gelenkt werden. Sowohl private als auch institutionelle Anleger können damit grüne Finanzprodukte besser erkennen und in diese investieren.

Die Taxonomie schafft das Grundgerüst für die Definition „grüner“ Wirtschaftsaktivitäten. Um als grün zu gelten, müssen sie laut Rechtstext unter anderem zu einem der definierten Umweltziele wie zum Beispiel dem „Klimaschutz“ oder der „Abfallvermeidung“ beitragen. Gut ist, dass auch sogenannte „Übergangsaktivitäten“ als nachhaltig klassifiziert werden können, wenn sie im Sektor-Vergleich schadstoffarm sind. Auch den Klimaschutz „ermöglichende Tätigkeiten“, wie zum Beispiel der Bau von Windrädern, werden berücksichtigt. Keine Aktivität darf dabei jedoch die Umweltziele „erheblich“ beeinträchtigen.

Jetzt gilt es, zügig an der Feinjustierung zu arbeiten. Denn welche technischen Kriterien beziehungsweise welche Schwellenwerte eingehalten werden müssen, damit eine Tätigkeit wirklich zu einem der Umweltziele beiträgt oder dieses beeinträchtigt, ist noch offen. Eine technische Expertengruppe soll hieran arbeiten und der Kommission einen Vorschlag vorlegen. Dabei müssen einige schwierige Fragen beantwortet werden. Denn einige politisch umstrittene Punkte, bei denen keine Einigung unter den Mitgliedsstaaten erzielt werden konnte, wurden im bestehenden Rechtstext ausgeklammert. Ein gutes Beispiel ist die Frage, ob Atomkraft als nachhaltig gilt.

Erst wenn alle strittigen Punkte und technischen Details geklärt sind, können Unternehmen wirklich einschätzen, was auf sie zukommt: Welche Daten werden benötigt? Welche Schwellenwerte müssen eingehalten werden? Werden ihre Aktivitäten grundsätzlich als nachhaltig eingestuft? Und letztendlich: Können aus der Taxonomie Finanzierungsvorteile entstehen? Soll die Taxonomie – wie angedacht – ab 2022 für die Unternehmen gelten, darf es hier keine langwierigen Verzögerungen geben.

Markus Ferber, Stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Wirtschaft und Währung im EU-Parlament:

"Die Taxonomie ist am äußersten Rande dessen, was man noch guten Gewissens mittragen kann […] Bei der Ausgestaltung der technischen Kriterien gilt es nun sehr genau aufzupassen, dass wir kein neues Bürokratiemonster schaffen."

Dazu meine ich: „Damit hat Markus Ferber völlig recht. Es ist jetzt schon abzusehen, dass mit der neuen Nachhaltigkeits-Definition eine Menge Arbeit auf die Unternehmen und Finanzinstitute zukommen wird. Denn zumindest größere Unternehmen „von öffentlichem Interesse“ müssen künftig offenlegen, in welchem Umfang ihre Aktivitäten im Sinne der Taxonomie nachhaltig sind. Auch größere Genossenschaftsbanken mit mehr als 500 Beschäftigten sind davon betroffen. Ob die Taxonomie tatsächlich nur vom vorgeschriebenen Kreis der Unternehmen angewendet wird, bleibt abzuwarten. Es wird auch Druck auf kleinere Unternehmen entstehen, ihre Nachhaltigkeit nachzuweisen. Denn große Unternehmen werden für ihren Nachhaltigkeits-Nachweis auch die Daten ihrer Zulieferbetriebe oder Firmenkunden benötigen. Zudem könnten Unternehmen ohne Nachweis stigmatisiert werden.

Auch auf die Anlageberatung in den Banken wird neue Bürokratie zukommen. Im Vorfeld muss dem Kunden mitgeteilt werden, ob und wie Nachhaltigkeitsrisiken in die Anlageberatung einbezogen werden. Falls ein nachhaltiges Finanzprodukt verkauft wird, müssen die Kunden auch nach Vertragsabschluss regelmäßig über die Nachhaltigkeitswirkung informiert werden.

Ob hier, wie von Markus Ferber befürchtet, ein „Bürokratiemonster“ entsteht, hängt nun wesentlich von den technischen Kriterien der Expertengruppe ab. Wie umfangreich sind die benötigten Daten für die Überprüfung der Kriterien? Müssen umfangreiche Neuerhebungen durchgeführt werden oder kann auf bestehende Daten zurückgegriffen werden? Sind neu zu erhebende Daten für die Unternehmen einfach ermittelbar?

Die Technische Expertengruppe sowie die EU-Kommission sollten daher nicht nur möglichst zügig Klarheit für Unternehmen und Finanzbranche schaffen. Die Kriterien müssen auch für alle Beteiligten praktikabel sein. Es ist daher unbedingt notwendig, die Realwirtschaft in die Expertengruppe einzubeziehen. Denn nur Vertreter der Unternehmen können wirklich einschätzen, welcher Aufwand mit den neuen Regeln verbunden sein wird.

Ein „Bürokratiemonster“ würde sowohl Real- als auch Finanzwirtschaft erheblich belasten. Wirtschaftswachstum und Innovationsfähigkeit der Unternehmen würden verringert; möglicherweise würde sogar die Anlageberatung eingeschränkt, wenn sich der Vertrieb nachhaltiger Finanzprodukte als zu beschwerlich erweist. All das konterkariert das Ziel der EU-Kommission, Ökonomie und Ökologie zu vereinen.

Hier kommt auch dem EU-Parlament eine wichtige Rolle zu. Denn die EU-Volksvertreter haben die Möglichkeit, die Kriterien der Expertengruppe abzulehnen. Von diesem Recht müssen sie Gebrauch machen, sollten sich die vorgeschlagenen Regeln als unpraktikabel erweisen.

Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank:

„Meiner Meinung nach war es bislang nicht möglich, bestimmte Anlagen aufgrund ökologischer Kriterien zu begünstigen oder zu benachteiligen, weil keine objektiven Kriterien festgelegt waren. Allerdings werden durch Initiativen der Europäischen Kommission zur Förderung eines nachhaltigen Finanzwesens, in deren Rahmen eine einheitliche Definition für grüne Anlagen – d. h. eine sogenannte Taxonomie, die von der EZB meines Erachtens aktiv unterstützt wird – geschaffen werden soll, die Transparenz verbessert und eine objektivere Bestimmung dessen, was ein grünes Finanzinstrument ausmacht, ermöglicht. Sobald eine solche Taxonomie vereinbart wurde, wird die EZB prüfen müssen, ob und wie sie diese auf ihr APP [Anm.: Asset Purchase Programme, Anleihenkaufprogramm der EZB] anwenden kann.”

Dazu meine ich: „Es stimmt, dass es die Taxonomie allen Beteiligten erleichtert, nachhaltige Produkte zu erkennen und diese je nach individuellen Präferenzen bevorzugt zu behandeln. Dies in der Geldpolitik, zum Beispiel im Rahmen des Anleihenkaufprogramms APP zu tun, birgt jedoch Gefahren. Denn die EZB hat bereits mit der Preisstabilität ein klares Mandat. Damit ist sie derzeit stark gefordert. Denn trotz des bis an den Rand des Vertretbaren ausgedehnten Instrumentenkastens hat sie größte Mühe, ihr Inflationsziel von „unter aber nahe 2%“ zu erreichen. Ein zusätzliches Klimaschutz-Mandat droht, die Notenbank zu überfordern.

Ebenfalls skeptisch bin ich bei der bevorzugten Behandlung grüner Anlagen in der Finanzmarktregulierung. Ideologie bei der Kreditvergabe gefährdet die Finanzmarktstabilität. Immer wieder ist in der Politik vom „grünen Unterstützungsfaktor“ die Rede, der die Eigenkapital-anforderungen für nachhaltige Kredite reduziert. Auch eine „braune Taxonomie“, die explizit wirtschaftsschädliche Aktivitäten definiert sowie ein „brauner Unterstützungsfaktor“ sind weiterhin im Gespräch. Nachhaltige Finanzanlagen sind jedoch nicht per se risikoärmer. Gleiches gilt für vermeintlich braune Anlagen, deren Bonität nicht per se schlechter ist.

Es liegt nahe, dass Banken künftig verstärkt auf Nachhaltigkeitsrisiken ihrer Kreditnehmer achten müssen. Soweit für das Ausfallrisiko relevant, müssen solche Aspekte selbstverständlich im Risikomanagement der Banken berücksichtigt werden. Aber das muss eine unternehmerische Entscheidung bleiben. Zweck der Finanzmarktregulierung ist es nicht, Kapital in politisch gewollte Zwecke zu lenken. Oberstes Ziel der Finanzmarktregulierung muss die Finanzmarktstabilität bleiben.
 

Dr. Jürgen Gros ist Präsident des Genossenschaftsverbands Bayern (GVB). Er twittert als @JGros_GVB und ist Mitglied des Netzwerks LinkedIn.

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