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Auf der Internetseite der Energiegenossenschaft Inn-Salzach (EGIS eG) fällt dem Betrachter sofort ein Werbebanner ins Auge: „100 % Ökostrom aus der REGION.“ Wer darauf klickt, kann in einem Tarifkalkulator anhand seines Verbrauchs seine voraussichtlichen Stromkosten berechnen und anschließend sofort online den neuen Vertrag abschließen. Gleichzeitig erfährt der Nutzer, wie viel CO2 er mit Ökostrom im Vergleich zum herkömmlichen Energiemix einspart. Bei einem durchschnittlichen Vier-Personen-Haushalt mit einem Jahresverbrauch von 4.500 Kilowattstunden sind das immerhin gut zwei Tonnen CO2 pro Jahr. Das entspricht in etwa einer Autofahrt von rund 15.000 Kilometern.

Das Wichtigste in Kürze

  • Mit einem eigenen Ökostrom-Tarif können die bayerischen Energiegenossenschaften ihren Mitgliedern einen Mehrwert bieten und öffentlich auf sich aufmerksam machen.
  • Wenn in den nächsten Jahren die ersten genossenschaftlichen Photovoltaik-Anlagen aus der EEG-Förderung fallen, lässt sich deren Ökostrom möglicherweise mit einem eigenen Tarif direkt vermarkten.
  • Weil der Stromvertrieb mit hohen gesetzlichen Hürden und viel Bürokratie verbunden ist, ist dieser aktuell ohne erfahrenen Kooperationspartner nur schwer zu bewerkstelligen.
  • Ein eigener Stromvertrieb ist vor allem dort interessant, wo bisher ein regionaler Stromversorger fehlt.
  • Immer mehr Gewerbebetriebe stellen auf Ökostrom um. Das kann ein interessantes Geschäftsfeld für Energiegenossenschaften sein.

Bei den Mitgliedern der EGIS eG kommt das Angebot gut an. „Wir machen abgesehen von unserer Webseite null Werbung für unseren EGIS-Strom, trotzdem gewinnen wir jeden Monat mehrere Neukunden“, berichtet Vorstandsvorsitzender und Geschäftsführer Pascal Lang. Obwohl die Genossenschaft mit ihrem Ökostrom-Tarif aktuell nicht viel Geld verdient, ist das für Lang ein Geschäftsfeld mit Zukunft. „Sobald die ersten EEG-Anlagen aus der Förderung fallen, könnten wir diese mit anderen Kraftwerken zusammenschließen und mit einem eigenen Ökostrom-Tarif selbst vermarkten. Das sind bisher aber nur Planspiele“, sagt Lang. Den eigentlichen Gewinn sieht er momentan woanders. „Genossenschaften leben davon, für ihre Mitglieder einen Mehrwert zu schaffen. Deshalb ist ein eigener Ökostrom-Tarif eine ideale Ergänzung für Energiegenossenschaften.“

EGIS-Strom gibt es im Stammgebiet der Genossenschaft in den Landkreisen Altötting und Mühldorf. Er steht allen Bürgern offen, Mitglieder erhalten allerdings einen kleinen Rabatt. EGIS-Stromkunden aus anderen Regionen Deutschlands nutzen den Tarif der Bürgerwerke eG aus Heidelberg, dem Vertriebspartner der EGIS eG. De facto werden die Bezieher von EGIS-Strom Kunden der Bürgerwerke. Doch für Pascal Lang ist das die beste Lösung. „Ursprünglich wollten wir einen komplett eigenen Ökostrom-Tarif entwickeln. Doch der bürokratische Aufwand ist so hoch, dass wir das alleine nicht leisten konnten. Also haben wir uns nach einem Partner umgesehen uns sind schnell auf die Bürgerwerke aufmerksam geworden.“ Die Zusammenarbeit funktioniere reibungslos, berichtet der EGIS-Vorstandsvorsitzende.

Dem EGIS-Vorstandsvorsitzenden fällt auf, dass auch immer mehr Gewerbetreibende sich für Ökostrom aus der Region interessieren und deshalb EGIS-Strom beziehen. „Da ist sogar ein Autohaus dabei“, berichtet Lang. Der eigene Stromtarif biete zudem noch einen weiteren Vorteil: Mehrere Projektpartner beziehen direkt Strom von EGIS-Anlagen, darunter eine Schule und ein Jugendübernachtungszentrum. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) bietet dazu vom Eigenverbrauch bis zur Direktlieferung verschiedene Möglichkeiten, mit denen sich Stromsteuer, EEG-Umlage oder Netzentgelte reduzieren beziehungsweise gleich ganz vermeiden lassen (siehe „Profil“ 05/2019). Wenn die Anlagen keinen Strom liefern, weil zum Beispiel keine Sonne scheint, kann die EGIS über ihren eigenen Ökostrom-Tarif trotzdem eine Versorgung zu 100 Prozent sicherstellen. „Das ist eine sinnvolle Ergänzung für unser Portfolio. So können wir zum Beispiel eine Photovoltaik-Anlage mit Direktliefervertrag anbieten und dazu EGIS-Strom. Das macht es für die Partner nochmal interessanter, mit uns zu kooperieren“, sagt Lang.

GVB analysiert Vermarktungsmodelle für Energiegenossenschaften

Der Fachausschuss Energiegenossenschaften des Genossenschaftsverbands Bayern (GVB) hat einen eigenen Arbeitskreis Strombündelung gegründet, um Wege der Stromvermarktung insbesondere für ältere EEG-Anlagen nach dem Auslaufen der EEG-Vergütung zu prüfen. Damit will der Verband seinen Mitgliedern Wege aufzeigen, ihre alten Anlagen auch ohne EEG-Förderung weiterhin wirtschaftlich zu betreiben. Der Arbeitskreis analysiert verschiedene Vermarktungsmodelle und untersucht, ob diese für die bayerischen Energiegenossenschaften geeignet sind. Ansprechpartner beim GVB ist Daniel Caspari, energie-gvb(at)gv-bayern.de, 089 / 2868-3577.

Im Gegensatz zur EGIS eG bewirbt die Energiegenossenschaft Neue Energien West (NEW eG) aus dem oberpfälzischen Grafenwöhr ihren eigenen Ökostrom-Tarif „Regionalstrom Nordoberpfalz“ sehr intensiv. „Wir machen sowohl auf unserer Homepage als auch in den regionalen Medien Oberpfalz TV, Radio Ramasuri und in den örtlichen Zeitungen auf unseren Stromtarif aufmerksam“, berichtet NEW-Geschäftsführer Bernhard Schmidt. Für ihn ist das gut angelegtes Geld, der Stromtarif werde sehr gut nachgefragt. Den Regionalstrom Nordoberpfalz gibt es in den Landkreisen Neustadt an der Waldnaab und Tirschenreuth sowie in der Stadt Weiden. Der Tarif steht allen Bürgern offen, Mitglieder der NEW eG erhalten einen Euro Rabatt auf den Grundpreis.

Die NEW eG setzt als Vertriebspartner auf die Grünstromwerk Vertriebs GmbH aus Hamburg. Das Tochterunternehmen der Düsseldorfer NATURSTROM AG bietet in Kooperation mit Partnern vor Ort – wie der NEW eG – Regionalstromtarife an. Beim Regionalstrom Nordoberpfalz kommen über 50 Prozent des Stroms aus dem Bürgersolarkraftwerk Speichersdorf der NEW eG. Der Rest wird bei der österreichischen Verbund AG zugekauft und stammt aus dem Wasserkraftwerk Töging am Inn.

Neben der Mitgliederförderung verfolgt die NEW eG mit ihrem Regionalstromtarif auch übergeordnete Ziele. „Der Vertrieb hilft uns dabei, unsere Genossenschaft bekannter zu machen und im Bewusstsein der Bevölkerung zu verankern. Letztendlich geht es um Markenbildung und Vertrauen“, berichtet Schmidt. Das funktioniere sehr gut, erfordere aber Geduld. „Von alleine läuft das nicht, da muss man schon hinterher sein und die Menschen aktiv darauf ansprechen“, sagt der NEW-Geschäftsführer.

Vor allem helfe ein eigener Regionalstromtarif auch bei der Akzeptanz von neuen Projekten, hat Schmidt erkannt. „Wenn wir den Menschen erklären können, dass wir Strom vor Ort produzieren, den sie bei uns auch kaufen können, dann springen die Menschen darauf an. Strom aus dem Dorf für das Dorf sozusagen.“ Deshalb betont Schmidt immer wieder, dass die Hälfte des Regionalstroms Nordoberpfalz aus dem Solarkraftwerk Speichersdorf der NEW eG stammt und damit wirklich regional ist.

Save the date: Tag der bayerischen Energiegenossenschaften mit Staatsminister Hubert Aiwanger am 29./30. April 2020

Der Genossenschaftsverband Bayern (GVB) und die Akademie Bayerischer Genossenschaften (ABG) laden bereits zum dritten Mal zum Tag der bayerischen Energiegenossenschaften ein. Das Netzwerktreffen findet am 29./30. April 2020 im ABG Tagungszentrum in Beilngries statt. Neben aktuellen Themen aus der Energiepolitik werden viele Erfolgsbeispiele aus der Praxis bayerischer Energiegenossenschaften vorgestellt. Auch der bayerische Wirtschafts- und Energieminister Hubert Aiwanger hat sein Kommen zugesagt. Er wird einen Impulsvortrag halten. Eingeladen sind alle GVB-Mitglieder mit Interesse an Energiethemen und Vernetzung in diesem Bereich. Weitere Informationen gibt es auf der Webseite der ABG. Kontakt: Daniel Caspari, 089 / 2868-3577.

Die Energiegenossenschaft Fünfseenland im Südwesten von München hat sich für die Stadtwerke Landsberg als Partner ihres regionalen Ökostrom-Tarifs „Fünfseenland-Strom“ entschieden. Der Strom kommt zu 100 Prozent aus bayerischen Wasserkraftwerken. Für den Vorstandsvorsitzenden Gerd Mulert ist ein eigener Stromtarif eine hervorragende Möglichkeit, mit der Bevölkerung in Kontakt zu kommen und dann im Gespräch auf die Ziele und Leistungen der Genossenschaft aufmerksam zu machen, wie zum Beispiel die Energieberatung. „Ein eigener Ökostrom-Tarif ist essenziell für jede Energiegenossenschaft, die sich den Klimaschutz auf ihre Fahnen geschrieben hat. Außerdem ist Strom ein Produkt, das alle brauchen und deshalb eine hohe Breitenwirkung erzielt“, sagt Mulert. Wer Ökostrom beziehe, trage mit seiner Kaufentscheidung zum Klimaschutz bei. Dieser Aspekt verfange bei vielen Kunden, meint Mulert.

Der Vorstandsvorstandsvorsitzende ist zufrieden mit der Nachfrage nach Fünfseenland-Strom, doch von alleine kämen die Bürger nicht, meint Mulert. „Man muss die Menschen ansprechen. Nur einen Flyer auszulegen, ist zu wenig.“ Außerdem müsse der Preis stimmen, denn dieser fließe auch bei genossenschaftlichen Ökostrom-Angeboten in die Kaufentscheidung ein. Wenn das Gesamtpaket stimmig sei, dann profitiere die Genossenschaft aber von der Mundpropaganda zufriedener Kunden, erklärt Mulert.

Gegenüber großen Stromanbietern könnten die Energiegenossenschaften bei Stromtarifen vor allem mit einem Vorteil punkten, betont Mulert – mit ihrer Präsenz und persönlichen Ansprechpartnern vor Ort. Im Energiewende-Zentrum der Energie-Genossenschaft Fünfseenland in Herrsching am Ammersee werden die Kunden Montag bis Freitag von 10 bis 12:30 Uhr und von 14 bis 17 Uhr zu allen Belangen rund ums Energiesparen, Energieerzeugen, sowie zum Fünfseenland-Strom beraten. „Wer eine Frage hat, weiß bei uns, wohin er sich wenden kann. Vielen Kunden gibt das ein gutes Gefühl. Das ist unsere Stärke im Vergleich zu den Großen der Branche, die oft nur anonyme Callcenter betreiben“, sagt Mulert. Auch die EGIS eG unterhält ein Bürgerbüro im Zentrum von Neuötting, das donnerstags von 9 bis 12 Uhr besetzt ist. Bei der NEW eG können die Bürger Montag bis Donnerstag von 8 bis 12 Uhr und von 14 bis 16 Uhr in der Geschäftsstelle in Grafenwöhr vorbeischauen.

Ein Geschäftsfeld mit Zukunft

Franz König, geschäftsführender Vorstand der Elektrizitätsgenossenschaft Wolkersdorf und Umgebung (EGW) sowie Vorsitzender des GVB-Fachausschusses Energiegenossenschaften, bewertet den genossenschaftlichen Stromvertrieb in der Summe positiv. „Energiegenossenschaften sollten ihr Geschäftsmodell zukunftsorientiert und langfristig gestalten. Dazu ist es sinnvoll, auf mehrere Geschäftsfelder zu bauen. Der Stromvertrieb kann eine Möglichkeit darstellen“, sagt er. Dazu hält er drei Voraussetzungen für wesentlich:

  • Die Genossenschaften müssen den Kunden vor Ort einen kompetenten Ansprechpartner zur Verfügung stellen,
  • sie sollten vor dem Start des Projekts eine Marktanalyse und eine Wirtschaftlichkeitsberechnung durchführen und sich genau über Chancen und Risiken des Geschäftsmodells informieren, und
  • sie sollten sich möglichst einen Kooperationspartner auf Augenhöhe suchen.

Besonders die Konkurrenzsituation vor Ort sollte genau analysiert werden, gibt König zu bedenken. „Wo vor Ort schon ein kompetenter regionaler Energieversorger aktiv ist – etwa die örtlichen Stadtwerke oder eine Genossenschaft –, ergibt es wenig Sinn, mit eigenen Tarifen an den Start zu gehen. Das lohnt sich eher in Gebieten mit überregionalen Grundversorgern ohne lokale Bindung“, sagt König. Auch die Preisgestaltung sollte vorher genau geprüft werden. „Erfahrungsgemäß können Kunden nur über sehr günstige Preise gewonnen werden. Die verbleibende Marge ist dann meist sehr überschaubar.“ Wenn die Genossenschaft dann auch noch Risiken wie Zahlungsausfälle vom Drittanbieter übernehmen müsse, könne es schon eng werden, überhaupt eine solide Kostendeckung zu erreichen, meint König.

Deshalb sei ein erfahrener Kooperationspartner das A und O für einen erfolgreichen Stromvertrieb. Die Elektrizitätsgenossenschaft Wolkersdorf und Umgebung könne das als genossenschaftlicher Energieversorger in der Region Traunstein leisten. „Wir bieten alle für einen Stromvertrieb notwendigen Tätigkeiten als Dienstleistung für andere Genossenschaften an. Wenn dort das notwendige Know-how und die Kapazität für unterstützende Dienstleistungen vorhanden sind, prüfen wir gerne eine Kooperation“, sagt König. Sein Unternehmen habe schon andere Genossenschaften mit entsprechenden Stromprodukten unterstützt, um ihnen den Markteinstieg zu ermöglichen.

Mundpropaganda ist die beste Werbung

Auch die Elektrizitätsgenossenschaft Wolkersdorf und Umgebung bietet neben dem gesetzlich vorgeschriebenen Grundtarif eigene Ökostrom-Tarife an – das machen viele genossenschaftliche Energieversorger so, etwa auch die Unterfränkische Überlandzentrale eG (ÜZ Mainfranken). Bei der Wolkersdorfer Genossenschaft können die Kunden zwischen dem Tarif EGW Premium (90 Prozent Strom aus regenerativen Quellen) und EGW Klima (100 Prozent Strom aus heimischer Wasserkraft) wählen. „Während der Tarif EGW Premium vor allem von preisbewussten Kunden nachgefragt wird, ist der Tarif EGW Klima die beste Wahl für umweltbewusste Kunden. So können wir allen das für sie passende Produkt bieten“, sagt König.

Der Großteil der Kunden komme aus der Region, sagt der EGW-Vorstand. Wie auch Pascal Lang von der EGIS eG beobachtet König ein wachsendes Interesse von gewerblichen Kunden an Ökostrom-Tarifen. „Immer mehr Unternehmen legen Wert auf ihre Ökobilanz. Der Anteil an Gewerbekunden bei unserem Tarif EGW Klima wächst stark“, berichtet König. Die EGW profitiere – wie auch die anderen Energiegenossenschaften – viel von Mundpropaganda, weil die Menschen von den Tarifen und dem Service überzeugt sind. „Das ist unsere beste Werbung. Zufriedene Kunden werben neue Kunden. Besser kann es eigentlich gar nicht laufen“, sagt König.

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