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Nach einem weltweit kräftigen Wirtschaftswachstum im vergangenen Jahr waren die Hoffnungen groß, dass der Dauer-Krisenzustand ein Ende findet. Mit dem russischen Einmarsch in die Ukraine waren alle positiven Aussichten aber schnell überholt. Der Krieg sorgte für bisher kaum gekannte Energiepreise, was die Inflation in vielen Ländern auf Höchststände trieb. Die Folge ist eine globale Zinswende, die insbesondere die Aktienmärkte durcheinanderwirbelt und die Konjunktur in einem unsicheren Umfeld vor große Herausforderungen stellt.

USA: Fed dürfte weiter an Zinsschraube drehen

Auch die USA blieben trotz weitgehender Energieunabhängigkeit von einer horrenden Teuerungsrate nicht verschont. Zweistellig wurde sie zwar nicht, mit rund 8 Prozent bewegt sich die Inflation aber weiterhin auf sehr hohem Niveau. Das liegt vor allem an einem hohen Lohndruck und immer stärker anziehenden Mieten. Auch nach dem vierten Jumbo-Zinsschritt in Folge dürfte die Federal Reserve (Fed) deshalb weiter an der Zinsschraube drehen. Das belastet die nach wie vor von Lieferkettenproblemen geplagte US-Wirtschaft. Die schwierige Lage zeigt sich auch am Häusermarkt – das Bauklima ist in den letzten Monaten stark abgestürzt. Für die USA prognostizieren wir im kommenden Jahr einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts in Höhe von minus 0,8 Prozent. Die Teuerung erwarten wir bei 5,8 Prozent.

Ausgeprägte Rezession für den Euro-Raum erwartet

Die Wirtschaftskraft des Euro-Raums zeigt sich trotz widriger Umstände bisher robust. Das liegt vor allem am privaten Konsum. Der Außenhandel ist dagegen belastet. Die Wirtschaft des Euro-Raums rutscht nach unserer Einschätzung deshalb im Winterhalbjahr in eine ausgeprägte Rezession. Wir erwarten einen Wirtschaftseinbruch von minus 1 Prozent.

Deutschland: Ende der billigen Energie lässt Wirtschaft stark einbrechen

Für 2023 gehen wir für Deutschland von einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts in Höhe von 1,9 Prozent aus. Das liegt am Ende der billigen Energie, was Europas größte Volkswirtschaft nachhaltig verändern dürfte. Eine Gasmangellage droht im Winter zwar nicht. Wir erwarten aber, dass der aktuelle Preisrückgang beim Erdgas nur von kurzer Dauer ist. Für das kommende Jahr rechnen wir mit einem Preis zwischen 150 und 200 Euro je Megawattstunde. Teures Flüssiggas muss auf dem wettbewerbsintensiven Weltmarkt eingekauft werden. 2021 kostete die Megawattstunde im Durchschnitt nur 48 Euro.

Rezession vergleichbar mit Krise der 1970er Jahre

Auch wenn die Gas- und Strompreisbremse der Bundesregierung Industrie und Verbrauchern helfen wird, ist die kommende Rezession in Bezug auf Schwere und Dauer mit den energiepreisbedingten Krisen der 1970er und 80er Jahre zu vergleichen. Wir rechnen für 2023 ab dem zweiten Quartal mit einer langsam beginnenden Erholung. Der Kaufkraftverlust lässt den Konsum sinken, was viele Unternehmen spüren werden. Die hohen Energiepreise werden Deutschland und Europa lange belasten. Die unsichere Wirtschaftslage und steigende Zinsen frieren zudem den Immobilienmarkt in Deutschland ein. Für 2023 rechnen wir bei Wohnimmobilien deshalb mit einem Preisrückgang von bis zu 6 Prozent.

EZB ist zu spät dran und deshalb noch nicht fertig

Um die Inflationserwartungen einzufangen, hat die Europäische Zentralbank (EZB) im Juli mit der Zinswende begonnen. Die Notenbank ist aber noch nicht fertig, da sich bei der Teuerung eine Dynamik entwickelt hat, die eingefangen werden muss. Nach einem weiteren großen Zinsschritt im Dezember könnten noch zwei Erhöhungen im Frühjahr folgen. Damit sind die Zeiten von Null-Renditen bei Anleihen vorbei.

Anleihen feiern Comeback

Sichere Anleihen von Staaten und Unternehmen mit Investment Grade bieten wieder zunehmend Renditen oberhalb von 4 Prozent. Mit Blick auf die Zinswende und ausgehend davon, dass sich der Energiemarkt zumindest mittelfristig entspannt, dürfte die Inflation ab dem übernächsten Jahr wieder in Richtung 2 Prozent zeigen. Der jährliche Kupon von neu emittierten Bonds stabilisiert das Portfolio dann wieder und könnte sogar für positive Realrenditen sorgen. Bei der Attraktivität von Unternehmensanleihen kommt es nicht auf einzelne Branchen an, sondern darauf, wie gut Firmen mit der aktuellen Krise umgehen können.

Robuste Großunternehmen erste Wahl bei Aktien

Die großen Aktiengesellschaften in den internationalen Blue Chip-Indizes navigieren überwiegend erfolgreich durch das Krisenumfeld. Der Aktienmarkt bleibt zwar abhängig von den Notenbank-Aktivitäten, da die steigenden Anleiherenditen Opportunitätskosten für Wertpapiere darstellen. Die Zinswende bedeutet aber nicht, dass Aktien keine Gewinnchancen mehr bieten. Die Volatilität ist weiter hoch und die Ertragsstärke bleibt eine Schlüsseleigenschaft bei der Aktienauswahl. In einem schwierigen Umfeld mit hoher Inflation sind deshalb etablierte Großunternehmen aus Industrieländern die erste Wahl. Begründet werden kann dies zum einen mit den robusten und positiv überraschenden Unternehmensergebnissen und damit, dass große Firmen starke Marken mit hoher Preissetzungsmacht haben. Viele Blue Chips sind nicht nur Inflationsverursacher, sondern auch Inflationsgewinner.

Zyklischen Werten trauen wir im kommenden Jahr Aufholpotenzial zu, für den DAX sagen wir deshalb zum Jahresende 15.000 Punkte voraus. Den EuroStoxx 50 erwarten wir bei 4.100 Zählern. Auch Big Tech könnte nach dem Höhepunkt der Zinswende wieder zulegen. Den S&P 500 sehen wir deshalb Ende 2023 bei 4.400 Punkten. Allgemein erkennen wir aufgrund der weiterhin angespannten Rahmenbedingungen in der Aktien-Allokation eine Übergewichtung von Industrieländern gegenüber Emerging-Markets, letztere dienen weiterhin nur als Beimischung.

Michael Holstein ist Chefvolkswirt bei der DZ Bank.

Christoph Kutt ist Leiter Fixed Income Research bei der DZ Bank.

Sven Streibel ist Chefaktienstratege bei der DZ Bank.

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