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Frau Jarosch, warum schenken sich Menschen gegenseitig etwas?

Agnes Anna Jarosch: Es gibt den schönen Spruch „Geben und Nehmen“ – und Schenken ist sichtbar gemachtes Geben. Es ist ein Zeichen dafür, dass wir an einen Menschen denken, dass wir darüber nachgedacht haben, was ihm gefallen könnte, und dass wir Zeit und Geld investieren, um ihm eine Freude zu machen.
 

Schenken wir heute genauso wie vor 20 Jahren?

Jarosch: Das Grundbedürfnis zu schenken ist sicher so alt wie die Menschheit selbst. Es ist uns ein natürliches Anliegen, nahestehenden Menschen etwas zu geben und sie dadurch glücklich zu machen. Auf gesellschaftlicher Ebene verändert sich die Kultur des Schenkens durchaus. Treiber sind zum Beispiel die verschärften Compliance-Regeln in vielen Unternehmen, aber auch das Internet. Heute können wir über den PC oder das Smartphone jederzeit nahezu alles bestellen und am nächsten Tag wird es geliefert. Zudem bietet das Internet eine nie gekannte Preistransparenz. Der materielle Wert eines Geschenks lässt sich leicht ermitteln und vergleichen. Solche Möglichkeiten hatten wir vor 20 Jahren noch nicht. Als Reaktion darauf hat auch das Schenken einen Bedeutungswandel erfahren. Persönliche, selbst gemachte Dinge oder auch gemeinsam gestaltete Zeit gewinnen wieder an Wert, denn das sind Geschenke, die man nicht mit einem Klick auf Amazon bestellen kann.

„Es lohnt sich, gute Geschenkideen unter dem Jahr aufzuschreiben, um sie bis Weihnachten nicht zu vergessen.“

Schöne Geschenke zu finden ist leichter gesagt als getan. Welche Präsente machen besonders glücklich?

Jarosch: Alle, bei denen der Schenkende aufmerksam war und sich Gedanken gemacht hat. Wichtig ist, dem Partner oder Angehörigen im Laufe des Jahres genau zuzuhören. Menschen, die uns nahe stehen, senden immer Signale, was sie sich insgeheim wünschen oder benötigen. Das kann eine Äußerung des Bedauerns sein, weil die alte Teekanne gesprungen ist, oder aber ein Ärgernis, das sich durch ein schönes Geschenk aus der Welt schaffen lässt. Es lohnt sich, solche Ideen tatsächlich aufzuschreiben und nicht nur gedanklich zu notieren, weil bis Weihnachten vieles wieder vergessen ist. Beim Schenken kann man dann auf den Anlass Bezug nehmen. Dadurch spürt der andere, dass der Schenkende wirklich zugehört hat. Das kommt immer gut an.

Wer war Knigge?

Adolph Freiherr Knigge (1752-1796) war ein norddeutscher Schriftsteller und Aufklärer. Im kollektiven Gedächtnis der Deutschen ist vor allem seine Schrift „Über den Umgang mit Menschen“ in Erinnerung geblieben, die 1788 erstmals erschien. Knigge schrieb darin über soziale Strategien und Spielregeln, um den Reibungsverlust im Umgang mit Menschen so gering wie möglich zu halten, um unterschwellige Machtkämpfe und sinnlose Konflikte zu vermeiden und alle denkbaren gesellschaftlichen Situationen souverän zu meistern. Den Ruf eines Benimmpapstes erhielt Knigge erst nach seinem Tod, weil die Verleger sein Werk posthum eigenmächtig bearbeiteten und es in den folgenden Jahrhunderten um simple Anstandsregeln ergänzten. Knigges Nachfahre Moritz Freiherr Knigge schreibt ebenfalls über lebenskluge Benimmregeln und hat dazu mehrere Bücher veröffentlicht. Außerdem betreibt er einen Blog.

Man kann beim Schenken aber auch viel falsch machen. Welche Fehler sollte man auf jeden Fall vermeiden?

Jarosch: Da gibt es eine ganze Reihe Fettnäpfchen. Jeder hat zum Beispiel schon einmal Geschenke bekommen, mit denen er nichts anzufangen wusste. Diese einfach weiter zu verschenken, würde von fehlender Wertschätzung zeugen. Wichtig ist es an dieser Stelle, offen anzusprechen, woher das Präsent kommt und warum man selbst dafür keine Verwendung hat. Auch zu persönliche Geschenke sind eine große Gefahr. Parfüm zum Beispiel ist etwas für den Partner, aber niemals für die Kollegen, schon gar nicht vom Chef. Das wäre sehr unpassend und eine Grenzüberschreitung. Trotzdem kommen solche Dinge immer wieder vor, auch im privaten Kreis. In meiner Studentenzeit hat mir eine Kommilitonin erzählt, dass sie von ihrer Schwiegermutter Unterwäsche geschenkt bekommen hat. Das passt einfach nicht. Geschenke müssen dem Grad der Beziehung entsprechen, den man miteinander pflegt.
 

Wie ist es mit Präsenten, die den Beschenkten in eine bestimmte Richtung stupsen sollen?

Jarosch: Ich warne vor Geschenken mit missionarischen Hintergedanken. Wenn jemand zum Beispiel partout nicht zu der Einsicht kommen will, dass er sich bewegen sollte, dann hat es auch keinen Zweck, demjenigen ein Fitness-Abo zu schenken. Das sorgt nur für böses Blut.

Wer gar nichts Passendes findet: Lieber ein Verlegenheitsgeschenk kaufen oder gar nichts schenken?

Jarosch: Schenken ist ein Ritual. Das bedeutet also auch gegenseitiges Geben und Nehmen. Von daher ist es wichtig, für den anderen etwas parat zu haben. Mein Tipp, wenn man gar keine Idee hat oder den anderen nicht gut kennt: Am besten ein Geschenk wählen, das sich verbrauchen lässt, das ist unverfänglich. Kochen und gute Lebensmittel sind ein Trend, von daher eignen sich hochwertige Öle oder Essige oder ein besonderer Honig gut als Geschenk. Bei einem Gin-Liebhaber bietet sich auch eine ausgefallene Gin-Sorte an. Solche Geschenke vermitteln eine Zeit lang Freude, ohne den Beschenkten in eine unangenehme Situation zu bringen. Es sollte dann aber nicht das gewöhnliche Olivenöl aus dem Supermarkt sein, sondern schon etwas mit Stil und Niveau.
 

Was raten Sie, wenn sich der Beschenkte etwas anderes erwartet hat und deshalb enttäuscht ist?

Jarosch: Die Beziehung zwischen dem Schenkenden und dem Beschenkten darf keinen Schaden nehmen. Der Beschenkte sollte sich also trotz seiner Enttäuschung bedanken und ein paar lobende Worte für den Schenkenden finden, weil sich dieser Gedanken gemacht hat. Andersherum sollte jede gute Beziehung ein gewisses Maß an Ehrlichkeit aushalten. Wenn mir also mein Partner immer das gleiche Parfüm schenkt, obwohl ich es nicht mehr riechen kann, ist ein ehrliches Wort angemessen. Wer offen anspricht, dass er eine andere Wahl besser gefunden hätte, ermöglicht es dem Schenkenden, sein Missgeschick zu korrigieren, indem er das Geschenk zum Beispiel umtauscht. Davon haben beide etwas, weil es die vielleicht etwas angeknackste Beziehung wieder festigt.
 

Auch bei Kindern kann die Enttäuschung groß sein, wenn nicht alles unter dem Weihnachtsbaum liegt, was auf dem Wunschzettel stand. Wie sollten Eltern damit umgehen?

Jarosch: Das müssen die Eltern im Gefühl haben. Wenn zu viele Geschenke unter dem Baum liegen, sind viele Kinder komplett überfordert. Von daher gilt für sie wie auch für Erwachsene: Weniger ist mehr, wenn es mit Liebe ausgesucht wurde. Das können Eltern steuern, indem sie ihr Kind fragen, was der wichtigste Wunsch ist. Bei Verwandten ist es hilfreich, wenn sie sich mit den Eltern absprechen. Bevor das Kind unzählige Kuscheltiere geschenkt bekommt, die gar nicht mehr ins Kinderzimmer passen, können alle für ein gemeinsames Geschenk zusammenlegen, von dem das Kind lange etwas hat, zum Beispiel ein neues Fahrrad.

„Geldgeschenke sind per se nichts Schlechtes, aber der Schenkende sollte sich Gedanken über die Verwendung machen.“

Mit Geldgeschenken ist es so eine Sache. Wann bieten sich Geld oder Gutscheine an?

Jarosch: Geldgeschenke oder Gutscheine sind per se nichts Schlechtes, aber sie wollen inszeniert sein. Wer nur Bargeld lieblos in einem Umschlag überreicht, macht sich keine Freunde, weil die Wertschätzung fehlt. Im Grunde genommen gilt bei Geldgeschenken das Gleiche wie bei normalen Geschenken: Ich muss mir Gedanken machen, wofür der Beschenkte das Geld gebrauchen könnte, und das Präsent entsprechend präsentieren. Wenn ein Jugendlicher zum Beispiel auf seinen Führerschein spart, dann ist es eine gute Idee, das Geld oder den Gutschein in einem Modellauto zu verstecken oder zumindest eine Karte mit dem passenden Motiv zu suchen. Dann ist so ein Geschenk auch nicht stillos.

Wie ist es bei Kindern mit Geldgeschenken?

Jarosch: Da ist es wie bei den Erwachsenen: Die Inszenierung muss stimmen. Außerdem eignen sich solche Geschenke, um die Kleinen an das Thema Geld heranzuführen und die finanzielle Bildung früh zu fördern. Der Spielraum reicht von einem kleinen Beitrag für das Sparschwein bis zu einem Sparvertrag, der bis zum 18. Lebensjahr regelmäßig bespart wird, um den Führerschein zu finanzieren. So vermittelt man den Kindern auch den Stolz, sich etwas Eigenes leisten zu können.

„Wer sein Geschenk verpackt, investiert Zeit für den Beschenkten und vermittelt ihm so seine Wertschätzung.“

Zur Inszenierung gehört auch die Verpackung. Sollte man Geschenke in jedem Fall in buntes Papier einwickeln?

Jarosch: Die Verpackung wertet ein Geschenk auf. Wer sein Präsent verpackt, investiert Zeit für den Beschenkten und vermittelt ihm so seine Wertschätzung. Darüber hinaus kann der Schenkende seine Kreativität ausleben und zeigen, dass er den Beschenkten kennt. Wer umweltbewusst denkt, freut sich über recyceltes Geschenkpapier oder eine Verpackung, die als kleines Beigeschenk ihren eigenen Wert hat. Mir hat zum Beispiel mal jemand eine hochwertige Seife aus dem Urlaub mitgebracht, die in eine hübsche Stoffserviette eingepackt war. An dieser hatte ich mindestens ebenso viel Freude wie an der Seife. Ähnlich wichtig ist übrigens die Geschichte, die ich zu einem Geschenk erzählen kann. Viele Genossenschaften kümmern sich zum Beispiel in ihrer Region um soziale oder ökologische Belange. Wenn ich von ihnen ein Geschenk kaufe, dann unterstütze ich einerseits die Genossenschaft und ihre Ziele, andererseits vermittle ich dem Beschenkten, dass ich mir bei der Auswahl etwas gedacht habe. Dieser Aspekt ist nicht zu unterschätzen und gilt im Übrigen auch für Unternehmen, die ein passendes Geschenk für Geschäftspartner oder ihre Mitarbeiter suchen.
 

Ein gutes Stichwort. Sind Weihnachtsgeschenke für Geschäftspartner und Mitarbeiter in Zeiten strenger Compliance-Vorgaben überhaupt noch angemessen?

Jarosch: Wenn es um die Geste und die Wertschätzung der Mitarbeiter und Geschäftspartner geht, ist das auch in heutiger Zeit ok. Allerdings sollte es bei einem kleinen Geschenk mit symbolischen Charakter bleiben. Wer teure Geschenke verteilt, kommt schnell in Verdacht, sich Vorteile verschaffen zu wollen. Das sollte man unbedingt vermeiden.
 

Woran können sich Unternehmen beim Wert des Geschenks orientieren?

Jarosch: Gegen ein Fläschchen Wein zu Weihnachten, einen Kalender fürs neue Jahr oder eine schöne Schachtel Pralinen ist nichts einzuwenden. Auch ein Geschenk aus dem beruflichen Kontext bietet sich an. Alles, was die Mitarbeiter oder Geschäftspartner in ihrem Berufsleben unterstützt, kommt gut an und wird nicht zum Staubfänger. Als Obergrenze würde ich mich an den steuerlichen Freigrenzen orientieren. Unternehmen können Geschenke an Mitarbeiter und Geschäftspartner bis zu 35 Euro pro Person und Jahr als Betriebsausgabe absetzen. Das ist ein guter Richtwert. Allerdings sollten Unternehmen unbedingt vorher ihre Steuerexperten befragen, damit sie sich beim Thema Geschenke nicht in den Fallstricken des Steuerrechts verheddern.

Auch im Kollegenkreis ist es mitunter üblich, sich zu Weihnachten etwas zu schenken. Ist das eine gute Sache?

Jarosch: Durchaus, denn das kann den Zusammenhalt unter Kollegen stärken. Allerdings ist es sinnvoll, Preisvorgaben zu machen, damit es gerecht zugeht. Angemessen sind 5 Euro bis 10 Euro, maximal 20 Euro, dann ist die Grenze erreicht. Auch Wichteln kann eine nette Sache sein: Jeder bringt ein ungefähr gleichwertiges Geschenk mit, das im Kollegenkreis verlost wird. Das sorgt für Unterhaltung. Wichtig ist, dass alle freiwillig mitmachen. Wenn sich Kollegen durch den Gruppenzwang bedrängt fühlen, dann sollte man lieber eine andere Lösung finden.
 

Einige Unternehmen verzichten auf Weihnachtsgeschenke und spenden dafür an eine gemeinnützige Einrichtung. Worauf sollten sie achten?

Jarosch: Das soziale Engagement muss zu den Werten des Unternehmens passen. Im Beruflichen geht es immer auch um die Vermittlung von Werten. Deshalb sollte sich jedes Unternehmen darüber im Klaren sein, wofür es steht, bevor es über Geschenke oder Spenden entscheidet. Das muss zum Image des Betriebs passen. Die Spende an eine gemeinnützige Einrichtung ist jedoch in jedem Fall eine gute Möglichkeit, sich als verantwortungsvolles Unternehmen zu präsentieren.
 

Frau Jarosch, vielen Dank für das Interview!

Agnes Anna Jarosch ist Gründungsmitglied und Leiterin des Deutschen Knigge-Rats. Das interdisziplinäre Experten-Gremium widmet sich der Weiterentwicklung der Umgangsformen in Deutschland. Zusätzlich war Jarosch lange Jahre Chefredakteurin des Referenzwerks „Der große Knigge“. Über ihre Agentur „Stilwunder“ bietet sie für Unternehmen und Privatpersonen Seminare und Trainings zu den Themen Repräsentation, Kommunikation, Auftreten und Umgangsformen an.

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