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Herr Professor Kleine, Sie haben sich in einer Studie im Auftrag der bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken mit der Bedeutung von Plattformen im Finanzdienstleistungsbereich beschäftigt. Warum ist das Thema für die genossenschaftlichen Institute relevant?

Jens Kleine: In den vergangenen Jahren hat sich im Finanzdienstleistungssektor eine Vielzahl neuer Wettbewerber in Form von digitalen Plattformen mit dem Ziel etabliert, die Schnittstelle zwischen Kunde und Bank zu besetzen. Banken laufen Gefahr, das Front-End und somit den Kontakt zum Kunden zu verlieren und werden dadurch zum reinen Produktlieferanten degradiert.

Um weiterhin für den Kunden als erster Ansprechpartner in Finanzangelegenheiten wahrgenommen zu werden, gilt es für die genossenschaftliche FinanzGruppe, sich mit ihrem kundenzentrierten Allfinanzansatz entsprechend zu positionieren.
 

Warum sind Plattformen auf dem Vormarsch?

Kleine: Treiber der Plattformdynamik ist ein verändertes Kundenverhalten, das sich insbesondere durch gewachsene Anforderungen an Transparenz und Bedienerfreundlichkeit kennzeichnet. Dazu kommen eine leistungsfähige Technologie, die ein einfaches sowie reibungsloses Zusammenführen von Angebot und Nachfrage garantiert, sowie regulatorische Vorschriften. In diesen Zusammenhang ist vor allem die in 2018 in Kraft getretene Zahlungsdienste-Richtlinie PSD II zu erwähnen.

„Das zentrale Erfolgskriterium für eine Plattform ist deren angeschlossenes Netzwerk.“

Was zeichnet erfolgreiche Plattformen aus?

Kleine: In unserer Studie konnten wir insgesamt drei verschiedene Erfolgsfaktoren identifizieren, wenngleich diese in Abhängigkeit des verfolgten Plattformansatzes eine unterschiedliche Gewichtung einnehmen. Das zentrale Erfolgskriterium für eine Plattform ist deren angeschlossenes Netzwerk. Generell nimmt die Attraktivität mit steigender Nutzer- sowie Lieferantenanzahl zu. Neue Plattformen stehen deswegen oft vor dem sogenannten Henne-Ei-Problem, da sie erst eine kritische Masse an Teilnehmern akquirieren müssen, um für den Kunden attraktiv zu sein. Das Produktangebot, als zweite Komponente, bezieht sich auf das angebotene Produktportfolio. Durch das Bereitstellen von Komplementärgütern oder branchenfremden Produkten und Leistungen wird das Kernprodukt ergänzt und somit die Kundenbindung verstärkt. Der dritte Erfolgsfaktor ist der angebotene Funktionsumfang, insbesondere die Reduktion der Transaktionskosten durch die Plattform. Dabei ist zu beachten, dass jede Plattform gesteuert ist. Ungesteuerte Plattformen gibt es grundsätzlich nur in der Theorie.

„Für Regionalbanken gilt es, die Nähe zum Kunden zu wahren.“

Wie verändern Plattformen die Markt- und Vertriebsstrukturen von Regionalbanken wie den Volksbanken und Raiffeisenbanken?

Kleine: Die bisherigen Markt- und Vertriebsstrukturen der Volksbanken und Raiffeisenbanken, die von einem direkten Kontakt zum Kunden während der gesamten Wertschöpfungskette geprägt sind, werden durch die digitalen Plattformen aufgebrochen. Für Regionalbanken gilt es deshalb, die Nähe zum Kunden zu wahren. Letzteres wird nicht darüber definiert, ob sich im Geschäftsgebiet viele Filialen befinden, sondern dass die Kundenberater und deren Kompetenz persönlich bekannt sind. Parallel vor Ort und digital für die Kunden Ansprechpartner zu sein, ist ein zentraler Schritt, welcher durch eine regionale Plattform realisiert werden kann.

Worauf sollten die Volksbanken und Raiffeisenbanken achten, wenn sie Plattformen als Vertriebsergänzung einsetzen wollen?

Kleine: Die Kooperation mit transaktionszentrierten Plattformen wie Interhyp oder Check24 birgt die Gefahr des Margenverfalls. Aufgrund der hohen Transparenz der Plattform und des einhergehenden starken Wettbewerbs müssen sich Banken an den günstigsten Konditionen des Marktes orientieren, um für den preisbewussten Kunden attraktiv zu bleiben. Zusätzlich dazu besteht das bereits angesprochene Risiko des Verlusts des Front-Ends und somit des Status als erster Ansprechpartner. Anderseits sollte natürlich versucht werden, gewonnene Kunden zum Vollkunden zu transformieren. Die Plattform hat einen weiteren Vorteil: Indem alle Bankprozesse digitalisiert und damit effizienter organsiert werden, verringern sich die Gesamtkosten erheblich. Dabei ist der Aufbau einer Plattform als Kundenökosystem nicht mit der Rolle als „Billiger Jakob“ gleichzusetzen. Durch die Schaffung eines überlegenen Ökosystems mit interessanten Lebenswelten kann einem Margenrückgang entgegengewirkt werden.

„Volksbanken und Raiffeisenbanken können durchaus eine funktionierende Plattform anbieten. Je mehr lokale Unternehmen und Kunden angebunden sind, desto attraktiver wird das Angebot.“

Sie sagten, dass Plattformen von ihrer Größe leben. Was bedeutet das für Regionalbanken? Kommen sie auf die erforderliche Reichweite?

Kleine: Entscheidend für den Erfolg der Plattformen ist weniger die absolute, sondern vielmehr die relative Größe des Netzwerks. Es stellt sich hierbei die Frage, wie viel Prozent der Kunden und Lieferanten im jeweiligen Geschäftsgebiet angeschlossen sind. Regional betrachtet können Volksbanken und Raiffeisenbanken also durchaus eine funktionierende Plattform anbieten. Ein Beispiel hierfür ist der Service „VR-MeinSekretär“, der Privatpersonen mit Dienstleistern wie zum Beispiel dem Handwerker vor Ort verbindet. Je mehr lokale Unternehmen und Kunden angebunden sind, desto attraktiver wird das Angebot.

Ausgewählte Plattformen in der Finanzbranche

Welche Plattform-Ansätze gibt es in der Finanzbranche neben den großen Vergleichsportalen wie Check24, Verivox oder Financescout24? „Profil“ zeigt einige ausgewählte Beispiele.

Finanzcheck: Vergleichsplattform für Verbraucher

Das Online-Vergleichsportal Finanzcheck hat sich auf Ratenkredite und private Finanzprodukte wie Baufinanzierungen spezialisiert. Laut einer Untersuchung des Statistik-Anbieters Statista und der Financial Times Europe ist Finanzcheck der am schnellsten wachsende Finanzdienstleister Deutschlands. Der Umsatz ist mit 35 Millionen Euro aber noch überschaubar. Die Plattform besitzt selbst keine Banklizenz, arbeitet aber mit zahlreichen Kreditinstituten und Fintechs zusammen. Dazu zählen die Postbank, die Targobank, die spanische Großbank Santander, die Deutsche Kreditbank (DKB), die Norisbank oder das Kreditvermittlungs-Portal Auxmoney. Mittels einer Online-Abfrage können Kreditangebote und kreditnahe Produkte von Fremdanbietern miteinander verglichen werden. Darüber hinaus verdient die Plattform Geld, indem sie ihr Kernprodukt, den Kreditvergleichsrechner, anderen Unternehmen als sogenannte White-Label-Lösung anbietet. Im Juli 2018 übernahm der Plattform-Betreiber Scout24 AG (AutoScout24, ImmobilienScout24, FinanceScout24) sämtliche Anteile an Finanzcheck.

Wirecard: Plattform-Anbieter für Zahlungsdienstleistungen

Die Wirecard AG aus Aschheim bei München gibt es bereits seit 1999, doch einer breiteren Öffentlichkeit dürfte das Unternehmen erst im September 2018 bekannt geworden sein, als es das DAX-Gründungsmitglied Commerzbank aus dem wichtigsten deutschen Börsenindex verdrängte. Heute beschäftigt Wirecard rund 4.500 Mitarbeiter. Der Spezialist für elektronischen Zahlungsverkehr unterstützt Unternehmen dabei, elektronische Zahlungen aus allen Vertriebskanälen anzunehmen. Über eine globale Plattform stehen den Kunden internationale Zahlungsverfahren und Akzeptanzstellen zur Auswahl. Für die Herausgabe eigener Zahlungsinstrumente in Form von Karten oder mobilen Zahlungslösungen stellt Wirecard anderen Unternehmen die komplette Infrastruktur inklusive der notwendigen Lizenzen für Karten- und Kontoprodukte bereit. Für Endkunden hat Wirecard die guthabenbasierte Bezahl-App Boon entwickelt, mit der Nutzer von Android-Smartphones digital bezahlen, im Internet einkaufen sowie Geld an andere Boon-Nutzer überweisen können. Dazu kooperiert Boon mit dem Kreditkarten-Anbieter Mastercard sowie mit dem Bezahlverfahren Android-Pay von Google.

N26: Vermittlerplattform für Finanzdienstleistungen

N26 wurde 2013 gegründet und hat sich innerhalb von wenigen Jahren zu einer europaweit agierenden Finanzplattform entwickelt. Das Berliner FinTech setzt ausschließlich auf digitale Services und verzichtet komplett auf ein Filialnetz. Kernprodukt ist ein Girokonto, das für Smartphones optimiert wurde. N26 setzt im Vertrieb auf zahlreiche Partner, die das eigene Basis-Produkt Girokonto ergänzen. So kooperiert die Bank unter anderem mit Mastercard (Kreditkarte), TransferWise (Fremdwährungsüberweisungen), WeltSparen (Sparen), Clark und Allianz (Versicherungen), Vaamo (digitale Vermögensverwaltung) und Auxmoney (Vermittlungsportal für Verbraucherkredite). Nach eigenen Angaben hat N26 inzwischen 1,5 Millionen Kunden und rund 500 Mitarbeiter. Bisher wurden 215 Millionen US-Dollar an Kapital eingesammelt. Das Unternehmen ist in 18 europäischen Ländern tätig, wobei die Kernmärkte in Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich und Spanien liegen. 2019 ist der Markteintritt in den USA geplant.

BluePort der Deutschen Bank: Plattform für Firmenkunden

Ende Juli 2018 startete die Deutsche Bank ihre Firmenkunden-Plattform BluePort . Das Portal bietet den Firmenkunden des Instituts einen zentralen Zugangskanal zu digitalen Bankleistungen und zusätzlich Dienstleistungen ausgewählter Start-ups. Kern von BluePort ist eine neue Lösung zur Abwicklung des täglichen Zahlungsverkehrs. Damit können alle Geschäftskonten eines Kunden von einer Stelle genutzt werden. Das Institut setzt darüber hinaus auf Kooperationspartner, die in die Plattform integriert werden: FastBill bietet kleineren Unternehmen und Selbstständigen eine Plattform, mit der sie Belege und Finanzdaten zentral verwalten können, sowie passende Schnittstellen für den Datenaustausch mit Steuerberatern. Twago, ein Tochterunternehmen von Randstad, vermittelt online Aufträge an Freiberufler und Agenturen aus den Bereichen Programmierung, (Web-)Design und Unternehmens-Dienstleistungen. Advanon ist eine Alternative für klassische Factoring-Lösungen und richtet sich vor allem an kleine und mittlere Unternehmen. Ebenso soll demnächst Smacc in BluePort integriert werden. Das Fintech unterstützt Unternehmen bei der Buchhaltung und den Finanzprozessen mithilfe von künstlicher Intelligenz.

Interhyp: Vermittlerplattform für Baufinanzierungen

Die Interhyp-Gruppe aus München wurde 1999 gegründet. Sie ist nach eigenen Angaben die größte Vermittler-Plattform von privaten Baufinanzierungen in Deutschland. Dabei setzt das Unternehmen auf über 400 Banken, Sparkassen, Versicherungen und Bausparkassen als Partner. Während sich die Marke Interhyp an Endkunden richtet, zielt die Marke Prohyp auf professionelle Vermittler. 2005 ging Interhyp an die Börse. 2008 wurde die Gruppe von der niederländischen Großbank ING übernommen. Insgesamt hat die Interhyp-Gruppe 2017 nach eigenen Angaben ein Finanzierungsvolumen von knapp 20 Milliarden Euro bei ihren Partnern platziert. Im Gegensatz zu anderen Vermittlungsplattformen setzt die Interhyp-Gruppe nicht nur auf das Internet als Vertriebskanal. Weil sich viele Menschen bei der Baufinanzierung auch einen persönlichen Kontakt vor Ort wünschen, eröffnete Interhyp im Sommer 2005 Standorte in München, Hamburg und Frankfurt. Heute ist die Interhyp-Gruppe mit rund 1.600 Mitarbeitern an über 100 Niederlassungen in Deutschland vertreten.

Sie haben am Markt vier Plattform-Modelle identifiziert. Welche Ausprägung passt am besten zum regionalen Vertriebsansatz der Volksbanken und Raiffeisenbanken?

Kleine: Während bei den transaktionszentrierten Plattformen (Vertriebs- und Vermittlerplattformen) die Maximierung von Produktabschlüssen im Vordergrund steht, fokussieren sich kundenzentrierte Plattformen (Kooperationsplattformen und Kundenökosysteme) auf die Ergänzung des Produktportfolios durch hochwertige Partnerschaften mit dem Ziel der Kundenbindung. Für Volksbanken und Raiffeisenbanken als Qualitätsführer sollte der kundenzentrierte Ansatz in Form eines Kundenökosystems mit Themenwelten angestrebt werden. Die transaktionsorientierten Plattformen mit dem Fokus Preis sind den Kostenführern vorbehalten.

„Regionalbanken sollten als Plattformbetreiber auftreten, da die Rolle als reiner Produktlieferant in der Regel mit einer Margenreduzierung einhergeht.“

Sollten die Volksbanken und Raiffeisenbanken dabei als Produktlieferant oder als Betreiber auftreten?

Kleine: Aufgrund ihres kundenzentrierten Profils sollten regionale Institute die Rolle des Plattformbetreibers anstreben, da das Auftreten als reiner Produktlieferant zwar den Vorteil birgt, zusätzliche Vertriebskanäle zu nutzen, in der Regel aber mit einer Margenreduzierung aufgrund der Netzwerkeffekte einhergeht. Positioniert sich eine VR-Bank hingegen als Plattformbetreiber, hat dies den Vorteil, dass sie Einfluss auf die auf der Plattform angebotenen Produkte nehmen kann. Zudem verfügt der Plattformbetreiber über die Kundenschnittstelle und die Datenhoheit. Generell kann gesagt werden, dass der Plattformbetreiber die Steuerung übernimmt, während der Produktlieferant sein Angebot mit der Hoffnung auf Absatz einstellt.
 

Die Entwicklung eines vollumfänglichen Plattformkonzepts benötigt sehr viele Ressourcen, die einzelne Primärbanken in der Regel nicht aufbringen können. Wie lässt sich dieses Dilemma lösen?

Kleine: Die Lösung des Dilemmas liegt in der ursprünglichen genossenschaftlichen Idee „Was einer alleine nicht schafft, das schaffen viele“. Eine Bank allein schafft es nicht, eine Plattform als Kundenökosystem aufzubauen. Hier gilt es Effizienz- und Kostenvorteile zu nutzen und das Know-how an einer zentralen Stelle zu bündeln. Wichtig ist, dass diese Stelle schnell handeln kann und alle Kraft in die Aufbautätigkeit steckt – der Wettbewerb schläft nicht und die Zeit drängt, da nicht unendlich viele Plattformen entstehen und überleben werden. Diese Plattform sollte als Kundenökosystem mit Themengebieten (Lebenswelten), wie zum Beispiel Bauen und Wohnen oder Vorsorge,  ausgestaltet werden. Jedoch beinhaltet eine Plattformstrategie nicht zwingend nur das Betreiben einer Plattform. Im Rahmen einer modularen Strategie kann sowohl ein eigenes Kundenökosystem aufgebaut werden bei gleichzeitiger Integration in andere Plattformen. Teil dieser Plattform ist die digitalisierte Filiale. Beratungsprozesse in der physischen Filiale und auf der Plattform werden sich in Zukunft angleichen. Die Wahl zwischen physisch und digital liegt beim Kunden.

„Um nicht zu reinen Vertriebseinheiten zu werden, müssen Ansprechpartner und Datenhoheit weiterhin bei der Bank angesiedelt sein.“

Welche Anforderungen sollte eine Plattform erfüllen, damit die Primärbanken zentraler Ansprechpartner ihrer Kunden bleiben und nicht zu reinen Vertriebseinheiten werden?

Kleine: In unserer Studie konnten wir vier zentrale Punkte für die Ausgestaltung einer Plattform identifizieren. Neben der Zentralität, also der einheitlichen, zentralen Entwicklung und Bereitstellung der Plattform, spielen Regionalität und Individualität eine entscheidende Rolle für die Behauptung der Primärinstitute. Um nicht zu reinen Vertriebseinheiten zu werden, müssen Ansprechpartner und Datenhoheit weiterhin bei der Bank angesiedelt sein. Die Institute bestimmen zudem über die Art und den Umfang ihrer regionalen Plattform. Wichtig ist, dass die Plattform modular gestaltet wird. Jede Bank kann sich eine eigene regionale Plattform aus den Modulen entwickeln und steuern sowie regionale Partner anbinden. Allerdings müssen die Prozesse der Anbindung und die Abläufe standardisiert sein.
 

Mit welchen Personalkapazitäten sollten Primärbanken kalkulieren, um Geschäfte über eine Plattform abzuwickeln und diese mit Inhalten zu befüllen?

Kleine: Das hängt im entscheidenden Maße von der Größe und Komplexität der zu betreibenden Plattform ab. Eine pauschale Aussage lässt sich daher kaum treffen, wenngleich das Thema in Zukunft sicherlich einen größeren Stellenwert in den Primärbanken einnehmen wird. Durch eine zentrale Entwicklung und dezentrale Ausgestaltung der Plattform lassen sich jedenfalls die Kapazitäten auf Einzelbankebene reduzieren.
 

Herr Professor Kleine, vielen Dank für das Interview!
 

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