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Herr Professor Enste, letztens habe ich mir im Fußballstadion einen halben Liter Cola gekauft und dafür 4,40 Euro gezahlt. Ganz schön teuer finde ich, und fordere einen Cola-Preis-Deckel. Habe ich Aussichten auf Erfolg?

Dominik H. Enste: Wohl nicht. Dass die Getränkepreise im Stadion oder auch am Bahnhof oder Flughafen höher sind als im Supermarkt, ist seit Jahren bekannt. Dennoch stören sich die allermeisten Menschen nicht daran. Sie wollen dort ja nicht ihren Wocheneinkauf erledigen, sondern kurzfristig ihren Durst löschen. Deshalb greifen sie zu und akzeptieren den höheren Preis. Außerdem hätten sie die Cola ja auch vorher kaufen und trinken können. Der Gesetzgeber wird also kaum eingreifen – und zwar aus gutem Grund, einen Preisdeckel für Produkte einzuführen, sollte vorher wohl überlegt sein.
 

Die Verbraucherschutzministerkonferenz möchte nun nicht den Cola-Preis regulieren, sondern beispielsweise einen Deckel für Bankgebühren wie Dispozinsen oder das Geldabheben am Automaten einführen. Wie ist Ihre Meinung dazu?

Enste: Geld abheben ist eine sehr abstrakte Dienstleistung. Man erhält ja lediglich ein paar bedruckte Scheine aus Papier in die Hand. Welcher Aufwand nötig ist, um das Bargeld und die dahinterstehende Infrastruktur bereitzustellen, lässt sich für viele Verbraucherinnen und Verbraucher nicht konkret bemessen. Das erklärt, warum sich einige Menschen über die Gebühren ärgern und sich die Verbraucherschutzministerkonferenz damit beschäftigt. Aber natürlich haben Banken verdeckte Kosten, wenn sie einen Geldautomaten betreiben. Sie müssen etwa die Logistik bereitstellen, Miete zahlen oder die Geräte vor Kriminellen schützen. Da ist es nur logisch, eine Gebühr zu verlangen. Gleichzeitig ist klar: Kreditinstitute sollten die Schraube nicht überdrehen. Es provoziert den Gesetzgeber, wenn Preis und Leistung in keiner vernünftigen Relation zueinander stehen.

„Wenn Banken Vorgaben über ihre Preisgestaltung erhalten, könnte es sein, dass sie bestimmte Leistungen nicht mehr anbieten oder sich vollständig aus dem entsprechenden Geschäftsbereich zurückziehen.“

Welche Probleme könnte es geben, wenn Gebühren im Bankenbereich gedeckelt werden?

Enste: Die größte Gefahr ist, dass der Wettbewerb ausgeschaltet wird. Jegliche Eingriffe bei Preisen und Gebühren sorgen dafür, dass Märkte nicht mehr so funktionieren, wie sie es in einer Sozialen Marktwirtschaft tun sollten. Aus gutem Grund konkurrieren Banken und Sparkassen mit verschiedenen Leistungen um die Gunst der Kundinnen und Kunden. So findet jeder genau das Angebot, das zu seinen Bedürfnissen passt. Wenn Banken nun Vorgaben über ihre Preisgestaltung erhalten, könnte es sein, dass sie bestimmte Leistungen nicht mehr anbieten oder sich vollständig aus dem entsprechenden Geschäftsbereich zurückziehen. Beispielsweise haben mehrere Banken und Sparkassen die Wertpapierberatung in Folge der MiFID II aufgegeben. Das kann nicht der Sinn der Sache sein! Andersherum ist es wichtig, dass Banken und Sparkassen transparent agieren. Da hat es sicherlich in der Vergangenheit Fälle gegeben, in denen die Kunden nicht die besten Preise und Konditionen erhalten haben. Es ist verständlich, dass so etwas für Ärger sorgt und in letzter Konsequenz den Gesetzgeber auf den Plan ruft.

Lassen Sie uns das Thema einmal grundsätzlicher betrachten: Was sollte ein guter Verbraucherschutz leisten?

Enste: Die Maßnahmen, die der Gesetzgeber im Namen des Verbraucherschutzes trifft, sollten möglichst effektiv sein, also das gewünschte Ziel tatsächlich erreichen. Gleichzeitig ist es nötig, effizient vorzugehen und stets das Kosten-Nutzen-Verhältnis im Blick zu behalten. Nicht zuletzt sollte der Gesetzgeber mögliche Nebenwirkungen berücksichtigen. Aus juristischer Sicht mag es sinnvoll sein, für jeden Einzelfall eine rechtliche Grundlage zu schaffen. Das kann aber für die Allgemeinheit negative Konsequenzen haben. Plakativ sehen wir das im Steuerrecht mit sehr kleinteiligen Regeln. Solche Eingriffe im Verbraucherschutz laufen der Grundidee eines effektiven und effizienten Schutzes zuwider.

„Guter Verbraucherschutz stärkt das Vertrauen der Vertragsparteien und schützt gleichzeitig vor Missbrauch, Ausnutzung und Ausbeutung.“

Wo liegt das Problem?

Enste: Wenn es zu viele Vorgaben gibt, verkehren sich die Maßnahmen ins Gegenteil. Dann versucht jede Seite, die Regeln zu ihren Gunsten zu nutzen. Ein Beispiel dafür sind auf Unternehmensseite die Cum-Ex-Geschäfte. Oder auf Kundenseite diejenigen Verbraucherinnen und Verbraucher, die einen Darlehensvertrag rückabwickeln lassen – Stichwort Widerrufsjoker. Deshalb plädiere ich für folgendes: Guter Verbraucherschutz stärkt das Vertrauen der Vertragsparteien und schützt gleichzeitig vor Missbrauch, Ausnutzung und Ausbeutung. Dazu braucht es allgemeine und klar verständliche Regeln, aber nicht für jeden Einzelfall detaillierte Vorgaben.
 

Menschen sind verschieden - zeigt sich das auch im Konsumverhalten?

Enste: In der Tat differenziert die Forschung zwischen drei Typen von Verbrauchern, ich nenne sie die „Drei Vs“. Zur ersten Gruppen zählen die vertrauenden Verbraucher. Sie setzen darauf, dass ihnen Unternehmen möglichst passende Produkte und Leistungen anbieten und die Politik die richtigen Leitplanken setzt. Mit mehr als 60 Prozent der Allgemeinheit stellen sie die größte Gruppe dar. Zur zweiten Kategorie gehören die bereits angesprochenen verantwortungsvollen Verbraucher. Sie nehmen sich viel Zeit für ihre Entscheidungen, indem sie sich beispielsweise genau informieren. Rund ein Drittel der Menschen ist in diese Gruppe einzuordnen. Und dann gibt es rund fünf Prozent, die zu den verletzlichen Verbrauchern zählen. Sie verfügen über geringe Problemlösungsfähigkeiten und lassen sich übervorteilen.

Wie sollte der Gesetzgeber vorgehen, um einen möglichst effektiven und effizienten Verbraucherschutz zu betreiben, der alle drei Gruppen berücksichtigt?

Enste: Der heutige Verbraucherschutz verfolgt einen stark juristisch geprägten Ansatz und ist davon getrieben, für jeden Einzelfall Gerechtigkeit herzustellen – koste es, was es wolle. Aus ökonomischer Perspektive ist dieses Vorgehen jedoch problematisch, denn es führt dazu, dass bestimmte Leistungen oder Produkte entweder gar nicht oder nicht zu den besten Preisen angeboten werden. Auf diese Weise haben die Verbraucherinnen und Verbraucher sogar das Nachsehen, denn sie zahlen für ein Produkt aus marktwirtschaftlicher Perspektive zu viel.

„Der Gesetzgeber sollte den Menschen die freie Entscheidung zugestehen.“

Welchen Lösungsvorschlag haben Sie?

Enste: Es ist richtig und wichtig, dass der Staat eine Orientierung bietet und sicherstellt, dass die Menschen nicht über den Tisch gezogen werden. Das geschieht etwa durch Standards, Verbote oder Regeln. Gleichzeitig sollte der Gesetzgeber den Menschen die freie Entscheidung zugestehen. Deshalb bin ich ein Fan von Voreinstellungen. Das bedeutet, dass Unternehmen für ihre Kundinnen und Kunden eine Vorauswahl treffen oder treffen müssen. Im Bereich der Wertpapieranlage könnte die Standard-Einstellung beispielsweise lauten, dass Kundinnen und Kunden ohne Erfahrung an den Kapitalmärkten bevorzugt in risikoarme Fonds investieren. Wenn sie ihr Geld allerdings ausdrücklich in spekulative Fonds stecken möchten, sollte das problemlos möglich sein. Alles andere ist eine Bevormundung für verantwortungsbewusste und gut informierte Verbraucherinnen und Verbraucher.

„Produktinformationsblätter schrecken ab und konterkarieren das Vorhaben, Menschen gerade in Niedrigzinszeiten zu risiko- und renditeorientierten Anlagen zu beraten.“

Ein weiteres beliebtes Vorgehen der Verbraucherschutzpolitik ist es, den Menschen ein Mehr an Informationen zu bieten. Ein Beispiel dafür sind Produktinformationsblätter im Finanzbereich. Sind diese hilfreich?

Enste: Ganz eindeutig nein. Untersuchungen haben gezeigt, dass viele zusätzliche Informationen die Menschen ablenken oder überfordern. Sie können solche Mengen an Zahlen und Fakten gar nicht verarbeiten. Zudem schürt es Misstrauen, wenn sich die Menschen an den Kapitalmarkt wagen möchten und zunächst dutzende Seiten in die Hand gedrückt bekommen und unterschreiben müssen. Kurzum: Die Produktinformationsblätter schrecken ab und konterkarieren das Vorhaben, Menschen gerade in Niedrigzinszeiten zu risiko- und renditeorientierten Anlagen zu beraten. Zudem leidet das Vertrauensverhältnis zwischen Kunde und Berater.
 

Was meinen Sie damit?

Enste: Für alles im Leben gibt es Expertinnen und Experten. Wenn ich etwa krank bin, absolviere ich kein Medizinstudium, sondern gehe zum Arzt. Dabei muss ich darauf vertrauen, dass dieser die richtige Behandlung wählt und es mir anschließend besser geht. Auch Finanzprodukte sind Vertrauensgüter. Die Kunden müssen überzeugt sein, dass die Berater ein ehrliches Interesse daran haben, das eingesetzte Geld sinnvoll anzulegen. Maßnahmen wie Produktinformationsblätter führen jedoch zu Skepsis und Verunsicherung. Im schlimmsten Fall lassen es die Menschen dann lieber gleich sein.

Welche Rolle sollte Verbraucherschutz bei Unternehmen spielen?

Enste: Da Unternehmen vom Vertrauen ihrer Kundinnen und Kunden leben, sollte der Verbraucherschutz für sie eine maßgebliche Rolle spielen. Gute Anbieter haben selbst ein Interesse daran, ihre Kunden zu schützen, da sie so andere Unternehmen aus dem Markt drängen, die niedrige Qualität zu hohen Preisen verkaufen möchten. Zwei weitere Punkte sind relevant. Erstens ist es sinnvoll, wenn Unternehmen eine Informationsasymmetrie nicht ausnutzen. Dann greift der Staat über kurz oder lang in die Vertragsbeziehungen ein – häufig sehr streng, siehe MiFID II. Zweitens müssen wir aufpassen, dass sich nicht eine Klagekultur wie in den USA entwickelt. Die enormen Kosten solcher Rechtsstreitigkeiten – ich verweise auf das Beispiel Bayer und Monsanto – können eine erhebliche Belastung darstellen. Daran kann kein Unternehmen Interesse haben.
 

Herr Professor Enste, vielen Dank für das Gespräch!

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