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Herr Gros, Verbraucherschutzthemen haben zuletzt immer wieder die Agenda bestimmt. Welches Verhältnis haben die Volksbanken und Raiffeisenbanken zum Thema Verbraucherschutz?

Jürgen Gros: Die genossenschaftliche Bankengruppe ist wohl die älteste Verbraucherschutzorganisation Deutschlands. Genossenschaftsbanken wurden im 19. Jahrhundert gegründet, um im Miteinander den Wucherern entgegenzutreten. Verbraucherschutz ist bis heute Teil des Wesenskerns genossenschaftlicher Kreditinstitute. Das ergibt sich alleine schon daraus, dass ein wesentlicher Teil der Kundinnen und Kunden der Volksbanken und Raiffeisenbanken auch Mitglieder und damit Eigentümer der Institute ist. Sie sind damit die obersten Wächter der Geschäftspolitik ihres Instituts.

„Verbraucherschutz muss wirksam vor Abzocke schützen. Wenn es aber darum geht, dirigistisch einzugreifen, muss man dagegen halten.“

Welches Ziel muss Verbraucherschutz aus Ihrer Sicht haben?

Gros: Verbraucherschutz muss wirksam vor Abzocke schützen. Dort, wo mit Betrugsmaschen versucht wird, Menschen das Geld aus der Tasche zu ziehen, mit leeren Versprechen und nutzlosen Produkten, gilt es einzuschreiten. Wenn es aber darum geht, dirigistisch einzugreifen, getrieben vom Bild eines unmündigen Bürgers und dem politischen Bestreben, den Einfluss des Staats immer weiter auszudehnen, muss man dagegenhalten. Denn ein solches Vorgehen ist mit den Prinzipien eines freien Markts nicht vereinbar.
 

Das heißt, Sie sehen die Interessen der Verbraucher in vielen Fällen nicht gewahrt?

Gros: Richtig. Mit manchen Maßnahmen, die derzeit im Gespräch sind, erreicht man das Gegenteil. Sie sind nicht zu Ende gedacht, berücksichtigen nicht die Folgen, die Verbote und Vorgaben haben können. Und: Ihnen liegt ein merkwürdiges Weltbild zugrunde. Es stellt den unmündigen Verbraucher ins Zentrum, der aus lauter Ahnungslosigkeit ständig vor sich selbst geschützt werden muss. Meine Erfahrung ist aber eine andere. Die meisten Menschen sind in ihren Entscheidungen weit mündiger, als es viele Verbraucherschützer immer wieder vertreten. Sie brauchen keinen Helikopterstaat.

„Eine ,Umsonst-Kultur‘ zu propagieren, hat in einer Marktwirtschaft mit Verbraucherschutz nichts zu tun.“

Sie sagen, vieles sei nicht zu Ende gedacht. Was meinen Sie damit?

Gros: Verbraucherschutz folgt im Finanzbereich häufig der These: Wenn etwas den Verbraucher Geld kostet oder jemand mit der Vermittlung von Leistungen Geld verdient, ist das verwerflich. So einfach ist das aber nicht. Eine „Umsonst-Kultur“ zu propagieren, hat in einer Marktwirtschaft mit Verbraucherschutz nichts zu tun.

Eingriffe in Vertragsbeziehungen

Eine Vielzahl von Initiativen von Verbraucherschützern steht derzeit im Raum, mit denen unter dem Deckmantel des Verbraucherschutzes in Vertragsbeziehungen eingegriffen werden würde. Ein kurzer Überblick:

Verbot von Negativzinsen

Die Verbraucherschutzminister der Länder haben die Bundesregierung in ihrer Frühjahrskonferenz aufgefordert, ein Verbot von Negativzinsen auf Girokonten zu prüfen. Zur Begründung hieß es, „eine durch Negativzinsen bewirkte Verringerung des Guthabens widerspricht nicht nur dem Wesen eines Sparvertrages, sondern auch dem für Girokonten typischen Element der Verwahrung“.

Deckelung von Dispozinsen und Kontogebühren

Verbraucherschützer fordern sowohl eine Begrenzung der Dispozinsen als auch von Entgelten für Konten und Abhebungen am Geldautomaten. Auch Parteien wie die Grünen oder die Linke sprechen sich für einen staatlichen Deckel aus. Die Bürgerbewegung Finanzwende startete sogar eine eigene Kampagne, um eine Senkung der Dispozinsen zu erzwingen. Befürworter eines Dispo-Deckels suggerieren, dass Banken sich am Überziehungskredit bereichern.

Provisionsdeckel für Restschuldversicherungen

Dass die Forderungen nach einer Deckelung von Zinsen, Provisionen und Gebühren nicht nur Wahlkampfgeplänkel sind, zeigt die Begrenzung der Abschlussprovision für sogenannte Restschuldversicherungen auf maximal 2,5 Prozent der versicherten Darlehenssumme. Diese hat der Gesetzgeber Anfang Juni 2021 im Rahmen des sogenannten Schwarmfinanzierung-Begleitgesetzes beschlossen. Die Deckelung gilt ab 1. Juli 2022. Eine Restschuldversicherung springt ein, wenn der Kreditnehmer arbeitslos beziehungsweise arbeitsunfähig wird oder stirbt. Durch die Deckelung der Abschlussprovision könnte es sein, dass der Vertrieb dieser Versicherungen für Banken und andere Anbieter nicht mehr attraktiv ist und diese deshalb künftig nicht mehr angeboten werden.

Zinsobergrenze in neuer Richtlinie über Verbraucherkredite

Die Forderung nach Obergrenzen für Zinsen und Gebühren findet nicht nur in Deutschland viele Unterstützer, sondern auch in der EU: So will die EU-Kommission die Richtlinie über Verbraucherkredite überarbeiten, um den Umgang mit Konsum- und Verbraucherkrediten auf europäischer Ebene neu zu regeln. Die Vorschläge sehen vor, bei Verbraucherkrediten in jedem Mitgliedsland Obergrenzen für Zinssätze einzuführen. Damit würde die EU-Kommission in Marktmechanismen eingreifen. Außerdem will die EU-Kommission bei der Kreditwürdigkeitsprüfung für einen Verbraucherkredit ähnliche Maßstäbe und Dokumentationspflichten einführen, wie sie auch für Immobilienkredite gelten.

Abschaffung der provisionsbasierten Finanzberatung

Im linken Parteienspektrum gibt es Bestrebungen, provisionsbasierte Finanzberatung abzuschaffen. So haben sich beispielsweise Grüne und Linke in ihren Bundestagswahlprogrammen dafür eingesetzt. Das Programm der SPD ging in dieselbe Richtung. Würden solche Pläne von einer neuen Regierungskoalition umgesetzt, würde das faktisch das Ende der abschlussbasierten Beratung bedeuten.

Machen wir es mal an Beispielen fest. Da gibt es den Vorstoß, Gebühren auf Abhebungen bei Geldautomaten zu deckeln. Wo liegt das Problem?

Gros: Die Versorgung mit Bargeld kostet Geld. Abschreibungen und Betrieb, Miete, Befüllung, Wartung und Reinigung der Automaten – da kommen für einen Geldautomaten schnell mittlere fünfstellige Beträge im Jahr zusammen. In Gesprächen stelle ich immer wieder fest, dass diese Kosten vielen Kundinnen und Kunden, aber auch politischen Entscheidungsträgern oder Medienvertretern nicht klar sind. Dass von Kunden der Bankengruppen Gebühren erhoben werden, die selbst keine teure Automaten-Infrastruktur unterhalten, ist doch völlig nachvollziehbar. Warum sollen solche Bankengruppen und deren Kunden bei den Volksbanken und Raiffeisenbanken gebührenfrei oder zu staatlich verordneten Dumpingpreisen Trittbrett fahren dürfen?

„Käme der Preisdeckel, dann würde das Betreiben von Geldautomaten endgültig zu einem reinen Draufzahlgeschäft.“

Und an welcher Stelle ist hier nicht zu Ende gedacht?

Gros: Wenn ein Preisdeckel auf Geldautomatengebühren kommen würde, dann begünstigt das die Gruppen ohne eigene Automaten. Also die, die sich der genossenschaftlichen Infrastruktur bedienen. Dass sich da manche Genossenschaftsbank intensiv mit der Frage beschäftigt, das eigene Netz auszudünnen, liegt auf der Hand. Käme der Preisdeckel, dann würde das Betreiben von Geldautomaten endgültig zu einem reinen Draufzahlgeschäft. Das wiederum hätte negative Folgen auf die Bargeldversorgung. Um es klar zu sagen: Die Genossenschaftsbanken wollen das nicht. Aber derartige Eingriffe könnten ihnen keine andere Wahl lassen. Und das ist sicherlich nicht im Sinne der Verbraucher, die man mit so einem Vorstoß angeblich schützen will.
 

Gilt dasselbe auch in Bezug auf Forderungen nach einem Deckel für Dispozinsen, wie sie von Verbraucherschützern und Parteien wie den Grünen und der Linken erhoben wird?

Gros: Ja, auch das stellt einen Markteingriff dar. Es kommen aber weitere Punkte hinzu. Der Zins für Dispokredite ist in den vergangenen Jahren stark gesunken – ebenso wie die Nachfrage nach einem Dispo. Daran sieht man, wie populistisch diese Forderung im Kern ist. So wird dem alten Feindbild Banken gefrönt. Was auch viele gerne übersehen: Die Höhe der Dispozinsen ist Teil der Konditionen, die Banken und Kunden untereinander aushandeln. Die Zinsen, die die Banken in ihren Preisaushängen ausweisen, sind daher meist gar nicht die Zinsen, die Bankkunden tatsächlich zahlen…
 

Aber der Zins für einen Dispo ist immer noch signifikant höher als für andere Kreditformen…

Gros: Es ist ja auch ein anderes Produkt. Der Dispo ist ein Konstrukt, das es Verbraucherinnen und Verbrauchern ermöglicht, unvorhersehbare Liquiditätslücken zu überbrücken. Mit Verbraucherkrediten, über die der Kunde mit seiner Bank verhandelt und den die Bank nach einer Kreditprüfung gewährt, ist er daher nur bedingt vergleichbar. Wenn bei einem Dispo Zahlungsverzug eintritt, ist der regulatorische Aufwand größer als bei anderen Kreditvarianten. Eine Dauerlösung sollte der Dispo nicht sein. Wer eine größere Anschaffung plant und dafür Geld von der Bank braucht, ist gut beraten, mit seinem Institut darüber zu sprechen und sich andere Kreditmodelle erklären zu lassen. Wie bei fast allen Finanzfragen gilt auch hier: Der Wettbewerb funktioniert. Den Sparerinnen und Sparern stehen viele Anbieter zur Verfügung. Staatliches Eingreifen ist in keiner Weise notwendig.

„Wer Negativzinsen abschaffen will, der muss dafür sorgen, dass die Notenbank umdenkt.“

Viele Banken verlangen von ihren Kundinnen und Kunden Negativzinsen auf ihre Einlagen. Die Verbraucherschutzministerkonferenz hat sich in ihrer Frühjahrssitzung für ein Verbot von Negativzinsen auf Sparguthaben ausgesprochen. Was spricht dagegen?

Gros: Dass diese Überlegung an der völlig falschen Stelle ansetzt. Negativzinsen gibt es, da die Europäische Zentralbank sie erhebt. Sie hat ein Zinsumfeld geschaffen, das die Banken unter Druck setzt, weil sie selbst kaum noch rentierliche Anlagen finden und selbst Negativzinsen bezahlen müssen. In einer solchen Situation folgt es betriebswirtschaftswirtschaftlicher Logik, Negativzinsen zu erheben – zum einen, um weiteren Einlagenzufluss abzuwehren und zum anderen, um eigene Kosten zu decken. Wer also Negativzinsen abschaffen will, der muss dafür sorgen, dass die Notenbank umdenkt. Denn die EZB-Negativzinspolitik ist verfassungswidrig.
 

Woran machen Sie das fest?

Gros: Ich halte mich hier an den früheren Bundesverfassungsrichter Paul Kirchhof. In seinem Buch „Geld im Sog der Negativzinsen“ hat er die Negativzinspolitik der EZB unter die Lupe genommen. Das Urteil ist eindeutig: Mit den Negativzinsen enteignet die Notenbank die Sparer. Dieser Eingriff in das Eigentum ist verfassungswidrig und die EZB agiert außerhalb ihres Mandats. Daraus folgt: Wer Sparer von Negativzinsen befreien will, muss dafür sorgen, dass die EZB wieder innerhalb ihres Mandats agiert. Es handelt sich folglich um eine politische Aufgabe, nicht um eine der einzelnen Banken. Ein Verbot von Negativzinsen bei Kundeneinlagen wäre auch ordnungspolitisch falsch.

Warum das?

Gros: Da schließe ich mich der Begründung der bisherigen Bundesregierung an. Sie hat das Ansinnen der Verbraucherschutzminister abgewiesen. In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage aus dem Deutschen Bundestag schrieb die Bundesregierung vor einigen Wochen, dass der Markt funktioniere und es jeder Bank überlassen bleibe, ob sie Negativzinsen einführt oder nicht und ab welcher Höhe. Es handelt sich also um eine geschäftspolitische Entscheidung der einzelnen Bank.
 

Vorhin sagten Sie, es sei Verbraucherschützern ein Dorn im Auge, wenn jemand mit der Vermittlung von Leistungen Geld verdient. Sie spielten damit auf Überlegungen zu einem Verbot der Provisionsberatung an. Was stört sie an diesen Gedankenspielen?

Gros: Das ist ein Beispiel für nicht zu Ende gedachte Politik. Der Ansatz findet sich in den Programmen der Linken, der Grünen und im Kern auch in dem der SPD zur zurückliegenden Bundestagswahl. Sie wollen die abschlussbasierte Beratung verbieten und durch die Honorarberatung ersetzen. Die Idee dahinter ist: Wenn jemand ein Produkt verkauft und dafür eine Provision erhält, dann ist das verwerflich. Stattdessen sollen Verbraucher für Beratung bezahlen. Diese Vorstellung ist weltfremd.

„Wer einem Systemwechsel zur Honorarberatung das Wort redet, treibt in Wahrheit die Kunden von den beratenden Banken hin zu digitalen Anbietern, die keine Beratungsleistung erbringen.“

Wieso das? Irgendeiner bezahlt immer für die Leistung.

Gros: Das stimmt. Ein Verbot der Provisionsberatung würde aber viele Sparerinnen und Sparer de facto von Beratungsleistungen ausschließen. Wer so einem Systemwechsel zur Honorarberatung das Wort redet, treibt in Wahrheit die Kunden von den beratenden Banken hin zu digitalen Anbietern, die keine Beratungsleistung erbringen. Nicht jeder kann und will sich, insbesondere bei niedrigen Anlagebeträgen, Honorarberatung leisten und wäre in der Folge sich selbst überlassen. Das ist das glatte Gegenteil von Verbraucherschutz. Es wäre fatal, diese Kundengruppen den Angeboten im Internet ohne Beratung zu überlassen. Ein Verbot der abschlussbasierten Beratung widerspricht zudem der Logik eines freien Markts, auf dem mehrere verschiedene Beratungsformen parallel nebeneinander existieren und die Verbrauchinnen und Verbraucher die Wahl haben. Wer Honorarberatung in Anspruch nehmen will, soll das gerne tun. Es gibt eine Vielzahl von Angeboten. So geht freier Markt.
 

Wie stellen sich in diesem Umfeld die Volksbanken und Raiffeisenbanken auf?

Gros: Sie sind und bleiben mit ihrem vielfältigen Angebot ein zentraler Ansprechpartner in Sachen Finanzen. Denn sie genießen das Vertrauen der Kundinnen und Kunden, das zum Teil über Generationen gewachsen ist. Sie sind stark in ihrer Region verwurzelt und an langfristigen Geschäftsbeziehungen interessiert. Die Volksbanken und Raiffeisenbanken sind im Sinn der Verbraucher ein Lotse auf dem komplexen Feld der Finanzprodukte.
 

Die Bundestagswahl ist vorüber. Was erwarten Sie insgesamt seitens der Politik, beim Verbraucherschutz?

Gros: Verbraucherschutz ist selbstverständlich ein zentrales Anliegen. Er wird aber dann verwässert, wenn er als reines Wahlkampfthema missbraucht wird. Das Thema darf nicht zum Spielball politischer Interessen werden. Ich erwarte, dass Verbraucherschutz praxistaugliche Lösungen in den Blick nimmt, die den Regeln der freien Marktwirtschaft folgen. Schutz vor Betrug und unseriösen Geschäftspraktiken, ja. Eine ständig schleichende Ausweitung des staatlichen Einflusses hinein in Vertragsbeziehungen, nein. Dazu ist es nötig, den Blick verstärkt auf langfristige Folgen von Eingriffen und Verboten zu richten. Und es gilt, den Verbrauchern mehr Mündigkeit zuzutrauen, statt sie zu bevormunden.
 

Herr Gros, vielen Dank für das Interview!



Dr. Jürgen Gros ist Präsident des Genossenschaftsverbands Bayern (GVB). Er twittert als @JGros_GVB und ist Mitglied des Netzwerks LinkedIn.

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