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Seit Ende Juni brennt in der Bäckerei in Lohr-Wombach nachts wieder Licht. Dann stehen Simon Riethmann und sein Team in der Backstube und backen Brote, Semmeln, Brezen, Kuchen und Teilchen. Besonders wichtig ist der „Eierweck“: Das Gebäck in der Form eines Hörnchens ist eine regionale Spezialität. „Mit dem Eierweck sind ganz viele Menschen im Ort aufgewachsen. Den muss man im Sortiment haben“, betont Hilmar Ullrich, Vorstand bei der Dorfgenossenschaft Wombach. Die Genossenschaft wurde gegründet, um die Bäckerei in dem rund 2.000 Einwohnerinnen und  Einwohner zählenden Ort in Unterfranken, knapp 50 Kilometer nordwestlich von Würzburg gelegen, weiterzuführen. Damit ist der „Wombicher Beck“, so der neue Name des Betriebs, die bayernweit erste Bäckerei in Bürgerhand.

Die vorigen Inhaber, Gerhard und Silvia Endres, hatten den knapp einhundert Jahre alten Familienbetrieb im März kurzfristig aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben. Einen Nachfolger gab es nicht. „Das war ein Schock für die Menschen im Dorf“, betont Ullrich. Sie wollten weiterhin vor Ort traditionell gefertigte, hochwertige Backwaren kaufen und sorgten sich um die Infrastruktur. Noch gibt es in Wombach neben der Bäckerei eine Metzgerei, eine Raiffeisenbank, eine Sparkasse sowie zwei Gaststätten. „Aber wenn eine der Einrichtungen wegbricht, dann kann das eventuell einen Domino-Effekt nach sich ziehen“, sagt Ullrich.

Die Geburtsstunde der Genossenschaft

Doch wie kam es überhaupt zur Gründung der Genossenschaft? Das Aus für die Bäckerei war im März das bestimmende Thema in Wombach. Einige besonders engagierte Bürger wollten sich damit nicht abfinden. Sie suchten nach Alternativen. Eine Idee war, eine Bäckereikette anzulocken. „Das hätte vielleicht funktioniert, glücklich war mit dieser Lösung aber niemand“, sagt Ullrich. Eine andere Idee traf auf deutlich mehr Zustimmung bei den Initiatoren: Die Bäckerei als Genossenschaft weiterzuführen. Ullrich: „Auf diese Weise konnten wir die Menschen aktiv einbinden und die Bäckerei gemeinsam erhalten.“

Als die Idee geboren war, ging es rasend schnell: Mitte April gab es eine Info-Veranstaltung für die Bürgerinnen und Bürger. Dort stellten Ullrich und die weiteren Initiatoren ihr Vorhaben vor. „Wir waren sehr nervös, ob überhaupt ein paar Leute kommen“, räumt er ein. Doch die Angst war unbegründet, als das Treffen losging, standen die Menschen sogar in der Vereinshalle, weil es nicht genügend Stühle gab. Mitte Mai wurde die Dorfgenossenschaft Wombach gegründet und am 20. Juni die Bäckerei wiedereröffnet, keine drei Monate nach der Schließung.

Blick auf das Sortiment der Bäckerei: Brote wie das Hausbrot, …

… Semmeln, …

… und Zwetschgenkuchen gibt es im „Wombicher Beck“ zu kaufen.

Die Genossenschaft wird von knapp 700 Mitgliedern getragen. Sie haben insgesamt 1.600 Anteile à 150 Euro gezeichnet. Somit sind rund 240.000 Euro zusammengekommen. Als Mindeststumme hatten die Initiatoren einen Betrag von 100.000 Euro angesetzt. „Ansonsten hätten wir die Umsetzung nicht gestartet“, betont Ullrich. Der Großteil der Mitglieder kommt aus Wombach, doch es gibt auch Teilhaber aus den Nachbarorten oder sogar aus anderen Bundesländern. Diese haben zumeist einen familiären Bezug zu Wombach und beispielsweise in der Kindheit beim Bäcker eingekauft.

Erste Investition: Ein neues Kassensystem

Das Geld hat die Genossenschaft investiert, um die Bäckerei samt Backstube vom ehemaligen Inhaber zu pachten. Das Inventar wurde abgelöst, neu angeschafft wurden beispielsweise eine moderne Spülmaschine und ein Kassensystem. Damit lassen sich die Umsätze in Echtzeit anzeigen. Zudem möchte die eG weiter investieren. Geplant ist unter anderem auch noch ein neues Gefriersystem zu installieren, um mehr vorbereitete Teigwaren für die Weiterverarbeitung am nächsten Tag bereitzustellen. Dabei hilft eine Förderung des Amts für Ländliche Entwicklung. Die Behörde unterstützt Neuanschaffungen zu rund 45 Prozent, der Förderdeckel liegt bei 85.000 Euro. Die insgesamt acht Mitarbeiter – ein Bäckermeister, eine Bäckermeisterin, zwei Gesellen und vier Verkäuferinnen – sind bei der Genossenschaft fest angestellt.

Offen für weitere Projekte

Warum heißt das Unternehmen Dorfgenossenschaft Wombach und nicht Dorfbäckerei Wombach? „Wir haben uns diesen Namen gegeben, um in Zukunft vielleicht noch weitere Projekte durchführen zu können. Aktuell ist aber nichts geplant“, erklärt Vorstand Hilmar Ullrich.

Rund 80 Prozent des bisherigen Sortiments führt die Bäckerei weiter. „Wir haben uns bewusst dafür entschieden, einerseits bewährte Produkte beizubehalten und andererseits neue Impulse zu setzen“, betont Ullrich. Ein Beispiel für eine Neuerung ist das dänische Roggenbrot. Dieses hat Simon Riethmann kreiert. Der Bäckermeister hat längere Zeit in Nordeuropa gelebt. Neben den Backwaren gibt es sowohl Kaffee zum Mitnehmen als auch eine Auswahl an gekühlten Getränken, Lebensmitteln sowie Zeitschriften zu kaufen. Bald soll zudem ein DHL-Paketshop integriert werden.

Die Bäckerei bietet nicht nur Backwaren an, sondern auch Zeitschriften …

… gekühlte Getränke …

… und Lebensmittel, bevorzugt in der Region hergestellt.

Gefragt nach den Erfolgsfaktoren für die Gründung und den reibungslosen Start der Bäckerei in Bürgerhand führt Ullrich vier Punkte auf:

  1. Die hohe Bereitschaft der Einwohner, sich sowohl finanziell als auch emotional an der Genossenschaft zu beteiligen. „Einige Menschen aus den Nachbargemeinden haben uns gesagt: Ihr in Wombach habt so einen tollen Zusammenhalt, wenn ihr es nicht schafft, dann schafft es niemand. Das war sehr motivierend“, betont Ullrich.
  2. Mit Simon Riethmann wurde ein neuer Bäckermeister gefunden, die bisherigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter konnten übernommen werden. „In der aktuellen Zeit ist es nicht leicht, geeignete Fachkräfte zu finden. Ohne einen Bäckermeister wäre das Projekt gestorben“, erklärt Ullrich.
  3. Die Bäckerei musste nicht neu aufgebaut werden, sondern es wurde ein erfolgreich laufendes Geschäft mit Stammkundschaft übernommen. Wichtig war zudem die gute Zusammenarbeit mit den bisherigen Inhabern. Diese haben etwa einen Einblick in die betriebswirtschaftlichen Zahlen gewährt.
  4. Das Know-how der Initiatoren ergänzte sich ideal. Für alle Bereiche wie Finanzen, Personal, Controlling oder Marketing gab es einen Spezialisten. Um die Last auf mehrere Schultern zu verteilen, gibt es in der Genossenschaft fünf ehrenamtliche Vorstände. Dennoch sei die Arbeit nicht zu unterschätzen, betont Ullrich: „Neben den Sitzungen hat sich jeder von uns mindestens acht Stunden pro Woche eingebracht.“

Wie die Mitglieder zum Erfolg beitragen können

In den ersten Wochen nach der Neueröffnung ist der „Wombicher Beck“ bei den Menschen gut angekommen. Die Zahlen stimmen. Ob das Projekt langfristig Erfolg hat? Die gleiche Frage habe der Vorstand auf der Info-Veranstaltung gestellt bekommen, erzählt Ullrich. „Darauf haben wir geantwortet, dass alle Mitglieder ihren Teil dazu beitragen können, wenn sie ihre Brötchen und ihr Brot weiterhin in der Bäckerei kaufen und nicht beim Supermarkt aus dem Automaten. Dann wird es auch langfristig in Wombach eine Bäckerei geben“, betont der Genossenschaftsvorstand. Er selbst ist überzeugt, dass die Botschaft angekommen ist. Dann wird auch weiterhin nachts in der Backstube in Lohr-Wombach das Licht brennen, wenn Simon Riethmann und sein Team Eierweck & Co. backen.

Anfahrt und Öffnungszeiten der Bäckerei „Wombicher Beck“

  • Adresse: Wombacher Str. 90, 97816 Lohr am Main
  • Öffnungszeiten (Stand: 1.9.2022): montags, mittwochs, donnerstags und freitags 6 bis 18 Uhr, samstags 5:30 bis 12 Uhr.
  • Ruhetage (Stand: 1.9.2022): dienstags und sonntags.
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