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Olympische Sommerspiele 1972: Die ganze Welt schaut auf München. Tausende Sportlerinnen und Sportler, Zuschauer und Funktionäre besuchen die bayerische Landeshauptstadt. Da müssen die Taxler doch das Geschäft ihres Lebens machen? „Es waren zwei sehr durchwachsene Wochen“, sagt Hans Meißner. Der gebürtige Münchner fuhr zur damaligen Zeit selbst Taxi mit seinem Mercedes 220 SE. Später war er 35 Jahre im Aufsichtsrat und Vorstand der Taxi München eG, davon 25 Jahre als Vorstandsvorsitzender. „Der mächtigste Mann des deutschen Taxigewerbes“, nannte ihn die Süddeutsche Zeitung 2010, als Meißner in den Ruhestand ging. Für das Gespräch mit „Profil“ über die Olympischen Spiele in München ist er an seine alte Wirkungsstätte zurückgekehrt, die Zentrale der Taxigenossenschaft in der Engelhardstraße.
 

Herr Meißner, es gibt wahrscheinlich keine bayerische Genossenschaft, die bei den Olympischen Sommerspielen 1972 so stark eingebunden war wie die Taxi München eG. Wie haben Sie die damalige Zeit erlebt?

Hans Meißner: Es waren turbulente Zeiten. Nachdem München 1966 den Zuschlag für die Olympischen Spiele bekommen hatte, herrschte Goldgräberstimmung. Die ganze Stadt war eine Baustelle. In der Folge kam es zu Dauerstaus, in der Innenstadt brach der Verkehr ab 15 Uhr zusammen. Besonders schlimm war es dort, wo die U-Bahn gebaut wurde, also beispielsweise in der Ludwigstraße. Die ganze Straße wurde aufgerissen, der Verkehr wurde auf Stahlbrücken über die Baugruben geleitet. Insgesamt dauerte das Verkehrschaos fünf Jahre, von 1967 bis zur Eröffnung der Spiele 1972. In dieser Zeit war es ein Grauen, Taxi zu fahren.
 

Wie war denn die Stimmung unter den Taxifahrern?

Meißner: Die Stimmung war miserabel. Das lag jedoch nicht nur am Verkehrschaos, sondern auch an einem generellen Umbruch im Taxigewerbe. 1960 hatte das Bundesverfassungsgericht die sogenannte Bedarfsprüfung gekippt. Bis dahin musste man nachweisen, dass in der Stadt Taxis fehlen, um eine Taxikonzession zu bekommen. Diese Praxis hat das Gericht damals als kartellrechtlich nicht zulässig bewertet. In der Folge hat die Stadt München hunderte Taxigenehmigungen erteilt. 1960 gab es etwa 700 Zulassungen, sieben Jahre später bereits 2.900. Bis zu den Olympischen Spielen waren es 3.500 Taxikonzessionen. Somit gab es ein massives Überangebot. Die Umsätze waren mickrig, wir Fahrer haben vom Prinzip Hoffnung gelebt.

„Wir haben uns auf zentrale Verkehrs-Knotenpunkte gestellt und in aller Seelenruhe Reifen gewechselt.“

Was haben sie dagegen unternommen?

Meißner: Wir haben protestiert gegen die Neuzulassungen, indem wir den Verkehr in der Innenstadt lahmgelegt haben. Mit rund 150 Autos haben wir uns an einem Tag um 10 Uhr morgens auf zentrale Verkehrs-Knotenpunkte wie den Odeonsplatz oder die Bayerstraße vor dem Holzkirchner Bahnhof gestellt und in aller Seelenruhe Reifen gewechselt. Daraufhin gab es über 100 Anzeigen von der Polizei wegen Landfriedensbruch.
 

Was ist dann passiert?

Meißner: Die Stadtverwaltung hat angeboten, über die Missstände zu sprechen. Unsere Bedingung: Wir verhandeln, aber nur, wenn die Anzeigen fallen gelassen werden. Darauf ist die Stadtverwaltung eingegangen. Im Gegenzug haben wir zugesagt, bis zu den Olympischen Spielen stillzuhalten.
 

Haben Sie sich daran gehalten?

Meißner: Ja, bis zum Vorabend der Spiele. Ich war damals frisch in den Vorstand der Taxivereinigung gewählt worden. Während einer Sitzung am Abend wurden wir informiert, dass es am Max-Joseph-Platz vor der Oper einen großen Tumult mit Taxifahrern geben würde. Wir sind sofort hingefahren, um uns einen Überblick zu verschaffen. Die Situation war folgende: In der Oper gab es eine Sonder-Aufführung, an der unter anderem IOC-Präsident Avery Brundage teilnahm. Vor dem Gebäude standen Bundeswehrsoldaten mit fabrikneuen Wagen bereit, um die Gäste anschließend gratis zu fahren. Die Taxifahrer durften nicht, wie gewohnt, vor der Oper halten. Dagegen protestierten sie lautstark, es lag Mord und Totschlag in der Luft. Nach langen Diskussionen hat sich die Situation dann entschärft. Aber gefahren sind an dem Abend nur die Soldaten, die Taxler blieben ohne Fahrgäste zurück.

Dann gingen die Spiele los…

Meißner: Ja, aber für uns Taxifahrer kam es dann knüppeldick. Die Straßen waren wie leergefegt, da Geschäftsleute und Touristen die Stadt gemieden haben. Damals gab es noch kein Public-Viewing oder ein Begleitprogramm in der Innenstadt. Die Offiziellen wurden von den Bundeswehrsoldaten gefahren und die rund 12.000 Sportler waren im Olympischen Dorf untergebracht und brauchten keine Taxis. Die Zuschauer von außerhalb schliefen größtenteils in Turnhallen oder in Zeltlagern, für sie gab es einen Shuttleservice mit Bussen. Es war also tote Hose. Ein weiteres Problem: Die Planer haben beim Olympiapark, obwohl wir sie mehrfach darum gebeten hatten, auf Taxistände verzichtet. Diese wurden in den Wochen vor den Spielen hektisch auf einer Wiese nördlich des Geländes eingerichtet. Das war fernab von den Stadien, es kamen keine Fahrgäste. Viel schlimmer: Da es vor den Spielen stark geregnet hatte, blieben einige Kollegen im Morast stecken und mussten abgeschleppt werden.
 

Oje. Ging das so bis zum Ende der Spiele weiter?

Meißner: Die zweite Woche lief deutlich besser. Immer mehr der Offiziellen sind von sich aus mit dem Taxi gefahren, da die Soldaten nicht ortskundig waren und sich häufig verfahren haben. Zweitens schieden immer mehr Sportler aus und genossen ihre Freiheit und das Nachtleben. Viele wollten sich zudem vergnügen. Besonders beliebt war ein Etablissement in der Dachauer Straße sowie ein Laufhaus in der Hohenzollernstraße 112. Wer dorthin wollte, sagte dem Fahrer einfach „One, One, Two“, dann wusste er, was gemeint ist. Mittlerweile gibt es das Laufhaus nicht mehr, heute steht dort ein schönes Gebäude im Jugendstil.
 

Dann kam das Attentat…

Meißner: … ja, und die Olympischen Spiele wurden unterbrochen. Wir alle rechneten damit, dass sie ganz abgebrochen werden würden. Aber IOC-Präsident Brundage sagte ,The game must go on‘. Die Stimmung war anschließend sehr gedrückt, die Spiele beschädigt.
 

Wie ist Ihr Fazit zu den Olympischen Spielen?

Meißner: Die Bauarbeiten im Vorfeld haben dem Taxiverkehr massiv geschadet. Zudem kämpft das Gewerbe bis heute mit den damals zu viel erteilten Taxikonzessionen. Es gibt aber auch mehrere positive Entwicklungen, vor allem die neue Verkehrsinfrastruktur. Durch diese stieg München von einem Kaff – oder nennen wir es nett Millionendorf – zu einer Metropole auf. Ohne die Spiele und die massive finanzielle Unterstützung durch Freistaat und Bund hätte München den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur nicht geschafft. Man möchte sich nicht ausmalen, wie der Verkehr heute ohne die damals getätigten Investitionen laufen würde. Ebenfalls positiv: Der Stadtverwaltung ist bewusst geworden, dass es wichtig ist, uns Taxler einzubinden. Bei späteren Großveranstaltungen wie der Fußball-Weltmeisterschaft 1974 hat die Zusammenarbeit deutlich besser funktioniert. Die damals gegründete Taxikommission gibt es noch heute. Letztlich waren die Olympischen Sommerspiele auch eine tolle PR für München und Bayern, wovon wir noch heute profitieren.
 

Herr Meißner, vielen Dank für das Gespräch!

Gehen München die Taxis aus?

Die Taxiunternehmen in München kämpfen – wie viele andere Branchen – mit einem Personalmangel. Während sich das Geschäft im dritten Corona-Jahr normalisiert hat, gibt es deutlich weniger Fahrerinnen und Fahrer als vor der Pandemie. Viele von ihnen haben in der Zeit auf andere Jobs umgeschult, beispielsweise im Paketdienst. Thomas Kroker, Vorstandsvorsitzender der Taxi München eG, erzählt, dass es in München rund 3.200 Taxen gibt. Rund 1.000 davon werden von Einzelunternehmern gefahren. Die übrigen 2.200 Fahrzeuge gehören zu größeren Unternehmen mit mehreren Taxen. „Diese finden kaum mehr Fahrer“, sagt Kroker. Als Konsequenz seien weniger Taxis als üblich unterwegs, pro Tag würden rund 200 bis 300 Taxis fehlen. Auswirkungen für die Fahrgäste hat der Personalmangel bisher noch nicht: „In der Regel kriegt man binnen wenigen Minuten ein Taxi. Zu Spitzenzeiten, etwa nach Veranstaltungen, kann es aber zu längeren Wartezeiten als üblich kommen“, sagt Kroker.

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