Diese Website verwendet Cookies. Wenn Sie unsere Seiten nutzen, erklären Sie sich hiermit einverstanden. Weitere Informationen

Viele Unternehmen können schlecht einschätzen, ob sie wegen der Corona-Krise auf einen finanziellen Engpass zulaufen. Die Berater der Volksbanken und Raiffeisenbanken rennen folglich offene Türen ein, wenn sie ihre Firmenkunden aktiv auf Schwierigkeiten hinweisen und passende Lösungen vorschlagen. Nur: Woher sollen die Bankmitarbeiter mit vertretbarem Aufwand ermitteln, welcher Unternehmer bald finanzielle Nöte bekommen könnte? An dieser Stelle setzen immer mehr Kreditinstitute auf Datenanalysen. Sie ermöglichen es den Beratern, einen schnellen und ausführlichen Überblick über die finanzielle Lage und Prognose ihrer Kunden zu erhalten und entsprechend zu reagieren. Die Raiffeisen-Volksbank Aschaffenburg und die VR-Bank Memmingen machen vor, wie es funktionieren kann.

Raiffeisen-Volksbank Aschaffenburg: Dynamische Kundenlisten dank Data Warehouse

Das Kreditinstitut mit einer Bilanzsumme von über 2,8 Milliarden Euro betreibt seit Ende 2014 ein eigenes Data Warehouse der Firma Prompt Software Systems. In der Datenbank führt die Bank Daten aus verschiedenen Quellen – vor allem aus dem Kernbankensystem agree21 – zusammen und speichert sie zentral ab. Das hilft den Mitarbeitern im Alltag enorm weiter: Sie können beispielsweise ihre zugeordneten Kunden nach diversen Kriterien dynamisch betrachten, Kunden unkompliziert an Kollegen weitergeben oder ihre Beratungskapazitäten optimal planen. „Ursprünglich haben wir das Data Warehouse angeschafft, um die Datenqualität zu verbessern, was eine vollständige Kontrolle über unsere Daten voraussetzt. Die Möglichkeiten des Systems gehen aber weit darüber hinaus – und wir nutzen immer mehr davon“, sagt Stefan Sinsel, der das Controlling der Bank verantwortet.

Die Vorteile eines eigenen Data Warehouse

Für die Raiffeisen-Volksbank Aschaffenburg lohnt es sich aus mehreren Gründen, ein eigenes Data Warehouse zu betreiben. Die sechs wichtigsten Argumente laut Stefan Sinsel, Leiter Controlling:

  1. Sämtliche Daten aus verschiedenen Quellen liegen zentral gebündelt auf hausinternen Servern.
  2. Da keine Abfragen von externen Servern nötig sind, profitiert die Bank von kurzen Zugriffszeiten.
  3. Ein Konzept für die Nutzerrechte stellt sicher, dass die Mitarbeiter nur die Informationen erhalten, für die sie Zugriffsrechte besitzen. Somit lassen sich die Datenschutzbestimmungen gut einhalten.
  4. Die Auswertungsmöglichkeiten der Daten sind vielfältiger als bei der Nutzung von Standardlösungen.
  5. Es entstehen keine Zusatzkosten bei Datenabfragen.
  6. Das Data Warehouse „Prompt BRP“ ist modular aufgebaut. Zusatzpakete können flexibel hinzugebucht werden.

Mithilfe des Data Warehouse lassen sich Daten nach bestimmten Mustern analysieren und Rückschlüsse ziehen. Konkret erhalten die Bankberater sogenannte dynamische Kundenlisten. Bei jedem Aufruf werden die Daten aktuell berechnet und können mit zahlreichen vertrieblichen Informationen angereichert werden. Ein Beispiel hierfür sind Kunden, die einerseits Kindergeld beziehen und andererseits keinen Vertrag über eine Riester-Rente abgeschlossen haben. „Mit den Listen aus unserem Data Warehouse erhalten die Mitarbeiter mundgerecht genau diejenigen Informationen, die sie für die Kundenansprache benötigen“, sagt Sinsel.

Die Listen helfen der Raiffeisen-Volksbank Aschaffenburg gerade in der Corona-Krise enorm weiter. Bereits Mitte März diskutierten die Führungskräfte darüber, welche Informationen sie benötigen, um die entstehenden Kreditrisiken aus dem Kundengeschäft frühzeitig zu erkennen und den Kunden während der Pandemie bestmöglich weiterzuhelfen. Auf dieser Basis entstanden bis Ende März vier Listen, eine fünfte Liste wurde im Juli erstellt. Angezeigt werden jeweils:

  1. Die Kontoentwicklung von gewerblichen Kunden mit einem eingeräumten Überziehungslimit über 50.000 Euro und einem negativen Saldo.
  2. Die Kontoentwicklung von gewerblichen Kunden mit einem eingeräumten Überziehungslimit zwischen 10.000 und 50.000 Euro sowie einem negativen Saldo.
  3. Privatkunden mit rückläufigen Gehältern, bei denen das Gehalt niedriger als üblich ist oder die jüngste Gehaltszahlung mehr als 35 Tage her ist.
  4. Alle seit Jahresanfang vereinbarten Tilgungsaussetzungen.
  5. Mietausfälle und -reduzierungen von Vermietern, die nicht die übliche Miete erhalten haben.

„Wir haben uns immer tiefer in das System eingearbeitet und können nun die Stärken deutlich besser ausspielen.“

Stefan Sinsel, Leiter Controlling bei der Raiffeisen-Volksbank Aschaffenburg

In der Praxis profitieren Mitarbeiter aus mehreren Abteilungen von den Listen. Beispielsweise bei der Liste für die gewerblichen Kunden: Dort sehen einerseits die zuständigen Berater, welche Unternehmen ansteigende Sollsalden aufweisen und eventuell in Zukunft das eingeräumte Überziehungslimit erreichen könnten. Sie haben nun die Möglichkeit, die Kunden anzusprechen und etwa einen Überbrückungskredit zu vermitteln. Andererseits sind die Informationen wichtig für die Mitarbeiter im Risiko-Controlling des Instituts. Sie können besser identifizieren, ob Kreditrisiken drohen, und dadurch entscheiden, ob die Risikovorsorge erhöht werden muss. Zudem lässt sich gut überblicken, welche Branchen betroffen sind.

Die Listen wurden von den Mitarbeitern bereits vor Corona rege genutzt – nun ist das Interesse noch einmal gestiegen. „Aktuell gibt es viele Unsicherheiten. Da hilft es, Entscheidungen zusätzlich anhand einer ausführlichen Datenanalyse zu treffen“, sagt Sinsel. Anderen Kreditinstituten, die ebenfalls an einem Data Warehouse interessiert sind, rät er dazu, dieses Stück für Stück mit einem kompetenten Partner aufzubauen. „Bei uns im Haus gab es keine geborenen Experten. Deshalb haben wir uns in den vergangenen Jahren immer tiefer in das System von Prompt Software Systems eingearbeitet und können nun die Stärken deutlich besser ausspielen. Die Investition hat sich definitiv gelohnt“, so Sinsel.

Interview: Chancen für Banken durch Datenanalyse

Christoph Gschnaidtner von der TU München ist einer der Referenten des ABG-Spezialprogramms „Zertifizierter Datenanalyst“ (siehe Kasten am Ende des Texts). Im Interview mit „Profil“ berichtet er, was Daten so wertvoll macht, wie Unternehmen von Datenanalyse profitieren und wie Bankmitarbeiter vom Lehrgang profitieren können. „Sie erhalten das Methodenwissen sowie die Fähigkeit, das Rohöl des 21. Jahrhunderts zu veredeln und für die Fortentwicklung des eigenen Kreditinstituts einzusetzen", betont Gschnaidtner. Das komplette Interview gibt es auf der Webseite des Genossenschaftsverbands Bayern (GVB).

VR-Bank Memmingen: Digitale Liquiditätsvorschau

Bereits seit 2017 setzt die VR-Bank Memmingen Algorithmen im Vertrieb ein („Profil“ berichtete). Die Software des Aachener Unternehmens MIT GmbH hilft den Beratern dabei, das Potenzial der Kunden zu beurteilen. Somit können sie passgenau die richtigen Produkte und Leistungen anbieten. Außerdem ermöglicht es die Software, den Liquiditätsbedarf der Firmenkunden zu analysieren.

Diese ausführlichen Datenanalysen erweisen sich für das schwäbische Kreditinstitut auch in der Corona-Krise als äußerst hilfreich. Anstatt für den Vertrieb nutzen die Mitarbeiter die Software nun für die Risikobetrachtung. „Der Liquiditätsindikator setzt das sogenannte Working Capital – also das Umlaufvermögen abzüglich der kurzfristigen Verbindlichkeiten – in Beziehung zum Umsatz. So ermitteln wir, wie viel Liquidität ein Unternehmen benötigt“, sagt Vorstand René Schinke. Das ist beispielsweise für Restaurants relevant: Das Tool gibt an, wie sich die Liquidität entwickelt, wenn die Einnahmen wegbrechen, aber sonstige Kosten für Miete oder Versicherungen weiterlaufen. Auf dieser Grundlage erstellt die Software Handlungsempfehlungen – beispielsweise, den Kunden sofort zu kontaktieren. Ebenso rechnet es individuell die mögliche Kreditlinie aus. Mit diesen Informationen können die Berater in die Offensive gehen und den Unternehmen passende Lösungen präsentieren. Dadurch gewinnen die Kunden Zeit, die sie etwa dafür nutzen können, die für einen Kreditantrag nötigen Unterlagen zusammenzustellen.

Die Software ist nicht nur für die Firmenkundenberater interessant. Auch die Vorstände sowie die Mitarbeiter im Risiko-Controlling profitieren. Sie erhalten tagesaktuell eine genaue Übersicht über die aktuelle Risikoeinschätzung für die Gesamtbank. „Somit sind wir jederzeit auf dem aktuellen Stand. Das ist ein großer Vorteil, wenn beispielsweise die Prüfung oder die Aufsicht kurzfristig entsprechende Informationen anfragt“, sagt Schinke.

„Viele Kunden sind erleichtert, dass wir auf sie zukommen und gemeinsam nach Lösungen suchen möchten.“

Rene Schinke, Vorstand der VR-Bank Memmingen

Mit der vorausschauenden Kundenansprache möchte die VR-Bank Memmingen zeigen, dass sie auch in Krisenzeiten zu ihren Firmenkunden steht. Das funktioniert laut Vorstand Schinke sehr gut: „Die Kunden reagieren ausnahmslos positiv. Viele sind erleichtert, dass wir auf sie zukommen und gemeinsam nach Lösungen suchen möchten.“ Die Bank plant, die Software auch in Zukunft verstärkt einzusetzen. „Erstens ist ein Ende der Krise noch nicht absehbar, die Folgen werden uns noch länger beschäftigen. Zweitens können wir die Software unverändert für den Vertrieb nutzen“, sagt Schinke.

Joint Venture gegründet

Die VR-Bank Memmingen stellt die Software sowie weitere Dienstleistungen im Bereich Vertriebsmanagement für interessierte Volksbanken und Raiffeisenbanken zur Verfügung. Dazu hat das Kreditinstitut Anfang 2020 gemeinsam mit der MIT GmbH das Joint Venture VR.FinanzConsult GmbH gegründet. Aus Sicht von Vorstand Schinke lohnt sich der Einsatz der Software für alle Banken, denen folgende Prämissen wichtig sind:

  1. Geringe administrative Tätigkeiten im Vertriebsmanagement,
  2. keine Abhängigkeit von hoch qualifizierten Mitarbeitern,
  3. potenzialorientierter Vertrieb.

„Der Einsatz der Software hat uns erfolgreicher im Vertrieb gemacht, wir haben unsere Ziele übertroffen. Dazu kommt, dass wir im Rahmen der Corona-Pandemie unsere Firmenkunden optimal unterstützen und das Risiko gut überblicken können. Wir können nur empfehlen, die Möglichkeiten der Datenanalyse zu nutzen“, sagt Schinke.

ABG Spezialprogramm „Zertifizierter Datenanalyst“

Welche Bedeutung haben Datenhoheit und Kundenschnittstellen? Wie lassen sich Erkenntnisse der Datenanalyse mit gezielten Vertriebs- und Beratungsimpulsen vernetzen? Welche rechtlichen Rahmenbedingungen gibt es? Und welche Potenziale ergeben sich durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz? Solche und zahlreiche weitere Fragen zum Themenfeld Datenanalyse bietet das Spezialprogramm „Zertifizierter Datenanalyst“, welches die ABG in Kooperation mit der bwgv-Akademie anbietet.

Das Programm besteht aus drei Bausteinen, die ersten beiden Teile sind auch einzeln buchbar:

  1. Grundlagen der Datenanalyse (21. bis 22. September 2020),
  2. Informatik, Data Science und Computer Science (23. bis 25. September 2020),
  3. Kompetenznachweis ABG-Webinar (Abschluss bis 31. Dezember 2020 möglich).

Weiterführende Informationen zum Programm gibt es auf der Webpräsenz der ABG.

Artikel lesen
Topthema