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Wie sieht die Welt in zehn, 20 oder 50 Jahren aus? Professor Volker Deville orakelt darüber nicht, sondern geht der Frage wissenschaftlich nach. Er ist Zukunftsforscher und war bis 2016 Leiter für Zukunftsthemen beim Versicherungskonzern Allianz. Gemeinsam mit Mitstreitern hat er dazu im vergangenen Jahr eine Genossenschaft gegründet – die F/L Think Tank eG. Bereits der Firmenname verdeutlicht die Ausrichtung des Unternehmens: F/L steht für „future of living“, also die Zukunft des Lebens.

Neue Technologien verändern rasant den Alltag der Menschen. Beispiele aus den Bereichen Wohnen, Arbeiten und Mobilität sind Null-Energie-Häuser, autonomes Fahren sowie kooperative Strukturen bei Arbeit, Lernen und Finanzieren wie etwa Crowdfunding. Die Genossenschaft hat sich deshalb zum Ziel gesetzt, die Komplexität, Vernetzung und Folgen dieser Technologien auf unser tägliches Leben zu verstehen und zu analysieren. Dazu entwirft sie unter anderem Szenarien und organisiert Workshops.

Die F/L Think Tank eG hat derzeit zehn Mitglieder. Bei der Wahl der Rechtsform habe es Überlegungen von der GmbH bis zum eingetragenen Verein gegeben, so Deville. Als Honorarprofessor für Governance und Internationales Management an der Universität Bayreuth kennt er sich bestens mit den rechtlichen Grundlagen aus. Dass es schließlich die eG wurde, war Ergebnis eines Ausschlussverfahrens. „Unser Produkt ist Denken“, sagt der Zukunftsforscher. „Der Kapitalbedarf ist limitiert und wir haben kaum Geschäftstätigkeit.“ Das habe gegen die GmbH gesprochen. „Gleichzeitig wollten wir unsere Sache ernsthaft, also nicht zum Freizeitvergnügen betreiben. Daher war der eingetragene Verein für unser Vorhaben nicht ideal“, erläutert Deville. Die zwei zentralen Ziele einer Genossenschaft – Mitgliedernutzen zu schaffen und einen Beitrag fürs Gemeinwohl zu leisten – ließen die Entscheidung für die eG fallen. Letzteres sei auch der Grund, so Deville, warum F/L Think Tank einen Antrag auf Gemeinnützigkeit gestellt hat.

Wenn das Auto den Tisch reserviert

Wie sich die Genossenschaft Zukunftsthemen nähert, zeigt Deville anhand einer Beispielfrage: Wie wird sich die Finanzwelt in den nächsten zehn Jahren verändern? Bereits heute sei Sachbearbeitung weitgehend von Computerprogrammen übernommen worden, erklärt der Wissenschaftler. „Die entscheidende Frage ist, welche Art von Dienstleistungen die Bank über ihre Kernangebote rund um Geld, Vermögen, Sicherheit und Vorsorge hinaus ihren Kunden anbieten kann?“, so Deville.

Denkbar sei folgendes Szenario, das dafür Anknüpfungspunkte für die Institute liefert: Eine Person steigt in ein Auto ein, das vor der Tür steht. Einem virtuellen Assistenten teilt sie mit, dass sie nach Starnberg gefahren werden möchte. Auf dem Weg recherchiert das Assistenzsystem für sie, welches Restaurant Seeblick und das Menü meiner Wahl auf der Speisenkarte hat. Die Person lässt sich einen Schattenplatz im vorgeschlagenen Lokal reservieren und gibt schon einmal ihre Bestellung auf. Auf die Frage, welche Unterhaltung sie möchte, entscheidet sie sich für die aktuellen Finanznachrichten. Der Assistent verbindet sie mit ihrer Hausbank. Auf dem Bildschirm des Bordcomputers erscheint die persönliche Bankberaterin, die sie über die aktuelle Börsenlage informiert. Mithilfe eines Chips, der der Person implantiert oder an ihrer Armbanduhr befestigt ist, wird schließlich das Geld für die erbrachten Dienste automatisch vom Konto abgebucht.

„Das Szenario zeigt: Es gibt viele Schnittstellen für künftige Bankdienstleistungen“, erklärt der Zukunftsforscher. Die Genossenschaft versuche nicht Antworten auf diese komplexen Fragen, sondern Methoden für eine systematische Diskussion von Zukunftsthemen anzubieten.

Mit digitaler Technik verantwortungsvoll umgehen

Deshalb sind die Workshops als kleine, hochrangig besetzte und interdisziplinäre Treffen mit intensivem Austausch der Teilnehmer konzipiert. Sie unterscheiden sich damit deutlich von klassischen Konferenzen. Die Genossenschaft arbeitet eng mit Partnern aus aller Welt zusammen, meist aus Hochschulen und Forschungsinstituten. Zuletzt organisierte sie gemeinsam mit der Universität Bayreuth, zwei Fraunhofer-Instituten und dem weltweit tätigen Tata-Konzern aus Indien einen Workshop über den verantwortungsvollen Umgang und die gesellschaftliche Akzeptanz von neuen digitalen Technologien.

Derzeit bereitet Deville eine Tagung vor, die im August in Venedig stattfindet. Die Herausforderung, der sich die Teilnehmer stellen werden: einen neuen Blick auf die Evolution werfen. Diskutiert werden unter anderem neue Erkenntnisse der Biologie und Biotechnologie.

Simone Briechle-Rauch ist Leiterin des Referats Verbandskommunikation beim Genossenschaftsverband Bayern.

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