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Herr Professor Heydenreuter, Sie haben die Chronik „125 Jahre Genossenschaftsverband Bayern – Genossenschaften machen Geschichte“ geschrieben. Was hat es mit dem Titel auf sich?

Reinhard Heydenreuter: Bereits die Überschrift soll die Bedeutung der Rechtsform Genossenschaft für die Gesellschaft deutlich machen. Genossenschaften sind ja keine von äußeren Umständen unabhängige Institutionen, sondern ganz im Gegenteil Organisationformen, die ihre Umwelt massiv geprägt und gestaltet haben. Wo sie auch über die Jahrhunderte auftauchen, stets tragen sie einen wichtigen Teil dazu bei, gesellschaftliche und soziale Fragen ihrer Zeit zu beantworten. Das reicht von den Brückenbaugenossenschaften im Mittelalter, in Regensburg wurde von einer solchen zum Beispiel die Steinerne Brücke errichtet, über die Kreditgenossenschaften, die im 19. Jahrhundert den verarmten Bauern mit Darlehen geholfen haben, bis zu den Energiegenossenschaften, die heute die Energiewende in Bürgerhand vor Ort umsetzen. Diese Entwicklung wird mit dem Buch einer breiten Öffentlichkeit präsentiert.

Die Festschrift basiert zum Großteil auf Archivalien des Historischen Vereins Bayerischer Genossenschaften sowie dem Archivbestand von einzelnen Volksbanken und Raiffeisenbanken im Freistaat. Wie beurteilen Sie die Quellenlage?

Heydenreuter: Die Quellen zur Geschichte des GVB und seiner Vorgängerorganisationen, beispielsweise die Gründungsdokumente oder die Sitzungsprotokolle, sind sehr gut erhalten. Das ist wichtig, denn ohne die Originaldokumente wäre es schwierig gewesen, die Prozesse nachzuzeichnen. Zudem bin ich glücklich darüber, dass viele Volksbanken und Raiffeisenbanken ein historisches Bewusstsein haben und die Materialien entweder selbst in einem kleinen Archiv unterhalten oder dem Historischen Verein überlassen haben. Diese Sammlungen waren eine große Schatzkiste für das Buch. Ergänzend dazu habe ich Unterlagen aus den staatlichen Archiven eingesehen. Für die Festschrift sind viele Quellen – vor allem Bildmaterial aus der Zeit vor 1945 – zum ersten Mal überhaupt genutzt worden.

GVB-Festschrift

Der GVB überreicht die Festschrift zum 125-jährigen Jubiläum allen Gästen des Verbandstags am 12. Juli in Unterschleißheim als Präsent. Alle anderen Interessierten können eine elektronische Ausgabe im Nachgang des Verbandstags online abrufen. Der Link wird ab dem 13. Juli auf der GVB-Homepage www.gv-bayern.de zur Verfügung gestellt.

Die zahlreichen Abbildungen fallen auf. Inwieweit helfen sie dabei, die Geschichte der bayerischen Genossenschaften zu verstehen?

Heydenreuter: Abbildungen sind eine ganz, ganz wichtige Quelle. Erstens weil sie die Möglichkeit bieten, geschriebene Sachverhalte nachzuprüfen. Zweitens sind Menschen sehr visuell veranlagt. Ein Plakat etwa lässt sich schneller begreifen als eine Beschreibung. Auf diese Weise gewinnen auch diejenigen Betrachter, die weniger Zeit zum Lesen haben, einen guten Eindruck der bayerischen Genossenschaftswelt. Deshalb sind ganz bewusst Bilder der allgemeinen Geschichte, also etwa vom Münchner Hauptbahnhof im 19. Jahrhundert oder von den Zerstörungen der Städte im Zweiten Weltkrieg, eingebaut, da die Genossenschaftsgeschichte eben nicht isoliert betrachtet werden soll.
 

Inwieweit haben Sie Quellen der einzelnen Banken eingebunden?

Heydenreuter: Ich habe mich bemüht, möglichst viel Material der einzelnen Volksbanken und Raiffeisenbanken einzubinden. Schließlich machen erst Details historische Werke lebendig. Im Buch gibt es dafür viele schöne Beispiele. Eines ist etwa ein Aufruf der Gewerbebank Passau, die achte Kriegsanleihe während der Zeit des Ersten Weltkriegs zu zeichnen. Ein anderes sind die Werbeplakate der Volksbanken und Raiffeisenbanken aus der Zeit des Wirtschaftswunders.
 

Die Arbeit an der Festschrift hat von der ersten Idee bis zum fertigen Buch rund drei Jahre gedauert. Wie sind Sie angesichts der Materialfülle an das Schreiben herangegangen?

Heydenreuter: Die Chronologie des Buchs orientiert sich eng an den einschneidenden Ereignissen der bayerischen Geschichte, also zum Beispiel der Prinzregentenzeit an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert oder der Aufbauzeit nach dem Zweiten Weltkrieg. In dieses Gerüst ist die Geschichte der Genossenschaften eingearbeitet. Einen großen Teil nimmt natürlich die Gründung des Bayerischen Landesverbands landwirtschaftlicher Darlehenskassenvereine 1893 ein, schließlich ist er die erste Vorgängerorganisation des GVB.

Der Historische Verein und die Festschrift

Der Historische Verein bayerischer Genossenschaften hat Reinhard Heydenreuter bei den Arbeiten an der Festschrift tatkräftig unterstützt. Geschäftsführerin Silvia Lolli Gallowsky und Projektmitarbeiterin Sana’a Wittmann prüften alle Archivbestände auf Verwendbarkeit. Sie sichteten Dokumente über die Entstehung und den Werdegang des Genossenschaftsverbands Bayern ebenso wie die Sammlung historischer Bilder oder Werbeplakate. Zusammen mit Heydenreuter wählten sie die Materialien für das Buch aus. Außerdem griffen sie auf die zahlreichen und vielfältigen Dokumente aus Archivbeständen einzelner Volksbanken und Raiffeisenbanken zurück, die der Historische Verein in den vergangenen Jahren geordnet und archiviert hat. Ohne die Vernetzung mit den Mitgliedern und dem Wissen über die Existenz dieser „Schätze“ wäre es nicht möglich gewesen, die Arbeiten an der Festschrift mit so vielen Originalquellen zu unterstützen.

Sie beschäftigen sich seit den 1960er Jahren mit Genossenschaften. Warum?

Heydenreuter: Das hängt mit meinem Geschichtsstudium zusammen: Bereits im Mittelalter haben sich Genossenschaften als Gegenentwurf zu den hierarchischen Strukturen gebildet. Beispielsweise schlossen sich Kaufleute zusammen, um eine Stadt zu gründen oder Gläubige suchten einen Ort auf, um eine Klostergemeinschaft ins Leben zu rufen. Das zeigt, dass es für Menschen seit jeher wichtig ist, sich gemeinschaftlich zu organisieren. Dieser Antrieb, füreinander für einen höheren Zweck einzustehen, zieht sich wie ein roter Faden bis heute durch die Geschichte. Mich hat das schon seit meinem Studium fasziniert.
 

Vielen Dank für das Gespräch!

Reinhard Heydenreuter kam erstmals während seines Studiums der Rechtswissenschaft, Geschichte und Philosophie in den 1960er Jahren an der LMU München mit Genossenschaften in Kontakt. Eine seiner ersten Seminararbeiten befasste sich mit Otto von Gierke, dem „Vater des Genossenschaftsgeschichte“. Diesem Themenfeld ist Heydenreuter bis heute treu geblieben, wenngleich er auf zahlreichen Arbeitsgebieten wirkte. Unter anderem war der gebürtige Penzberger Direktor am Bayerischen Hauptstaatsarchiv sowie Leiter des Archivs der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Heute ist Heydenreuter als Rechtsanwalt sowie als Professor für Neuere und Neueste Geschichte und Bayerische Landesgeschichte tätig.

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