Rückgrat: Neben zahlreichen genossenschaftlichen Unternehmen sind es vor allem die Volks- und Raiffeisenbanken, die zum wirtschaftlichen Rückgrat Bayerns gehören, sagt GVB-Präsident Stefan Müller.
Als US-Präsident Donald Trump vor wenigen Wochen Strafzölle auf Importe verhängte und sie ebenso plötzlich für zunächst 90 Tage aussetzte, gerieten die Märkte weltweit ins Wanken. Innerhalb von Stunden wurden an den Börsen Milliardensummen vernichtet. Ein Blick ins Depot machte schwindelig: Wo sonst nur gemächliche Ausschläge zu beobachten sind, bewegten sich Kurse in beide Richtungen um zehn, teils 15 Prozent und mehr. Für Unternehmen bedeutet dies Unsicherheit: Investitionen werden zurückgestellt, Lieferketten infrage gestellt, Absatzmärkte destabilisiert. Und was nach den 90 Tagen oder auch zwischendrin passiert? Völlig offen.
Angewiesen auf langfristige Planung
Besonders betroffen von solchen wirtschaftspolitischen Husarenritten ist der Mittelstand. Gerade kleine und mittlere Unternehmen – häufig eigentümergeführt – sind auf langfristige Planung und stabile wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen angewiesen. Auch genossenschaftlich organisierte Betriebe gehören zu dieser Gruppe. Wenn zentrale Handelspartner wie die USA sprunghaft und völlig unberechenbar agieren, wirkt sich das bis in die kleinsten wirtschaftlichen Strukturen aus. Zulieferer wissen nicht mehr, ob ihre Waren noch benötigt werden. Abnehmer zögern mit Aufträgen. Die Auswirkungen sind real – und sie sind gravierend.
Betroffen von den Trump’schen Handelskapriolen
Genossenschaftliche Betriebe sind zum Teil direkt betroffen. Sie exportieren Milchprodukte, Wein und einzelne Getreidesorten im stark international geprägten Agrarhandel, oder beziehen Rohstoffe und weitere Produkte aus anderen Teilen der Welt. Volks- und Raiffeisenbanken sind zwar kaum international tätig – ihre mittelständischen Kunden, die häufig beispielsweise als Zulieferer aktiv sind, können dagegen von den Trump’schen Handelskapriolen unmittelbar betroffen sein.
Unsicherheiten gab und gibt es immer. Natürlich lassen sich geopolitische Erschütterungen wie eine Pandemie oder der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine nicht vorhersagen. Das sich anpassen an neue Gegebenheiten ist normal. Aber wenn politische Unsicherheiten hausgemacht sind – und das in der größten Volkswirtschaft der Welt – dann wird aus Unkalkulierbarkeit ein systemisches Risiko. Die jüngste Entwicklung in den USA stellt die Verlässlichkeit eines Partners infrage, auf den viele Jahrzehnte lang Verlass war. Denn Trump könnte die Zoll-Keule jederzeit wieder schwingen.

Neue Märkte müssten erschlossen und bestehende Handelsbeziehungen gestärkt werden – in Südamerika, Afrika und Asien, sagt GVB-Präsident Stefan Müller. Foto: picture alliance / M.i.S.-Sportpressefoto
Was folgt daraus?
Erstens: Die deutsche und europäische Wirtschaft muss sich breiter aufstellen. Diversifizierung ist kein Modewort, sondern eine Notwendigkeit. Neue Märkte müssen erschlossen und bestehende Handelsbeziehungen gestärkt werden – in Südamerika, Afrika, Asien. Dort versteht man die europäische Zurückhaltung und Konzentration auf einige weniger Partner ohnehin kaum. Zugleich gilt es, neue Abhängigkeiten, etwa von China oder Indien, tunlichst zu vermeiden. Das erfordert strategisches Handeln auf politischer Ebene und unternehmerische Offenheit gegenüber neuen Partnern.
Zweitens: Es braucht wieder eine ernsthafte Debatte über Freihandel. Das transatlantische Handelsabkommen TTIP ist vor allem an europäischer Symbolpolitik und eine völlig aus dem Ruder gelaufene Debatten über „Chlorhühnchen“ gescheitert. Doch in Zeiten globaler Umbrüche wäre ein solches Abkommen ein Stabilitätsanker. Voraussetzung dafür ist gegenseitiges Vertrauen, das derzeit erschüttert ist. Freihandelsabkommen mit anderen Partnern müssen forciert, bestehende Verträge modernisiert werden. Europa sollte hier selbstbewusst auftreten – als Hüter eines regelbasierten Welthandels. Denn wer sich abschottet, verliert an Einfluss und Attraktivität.
Drittens: Die neue Bundesregierung sollte selbst zum Stabilitätsfaktor werden. Gerade der für unsere Wirtschaft so wichtige Mittelstand braucht Planbarkeit, effiziente Verfahren und Investitionssicherheit. Statt ständig neuer Regeln und Berichtspflichten braucht es Raum für Unternehmertum. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Deutschlands steht auf dem Spiel. Bürokratieabbau, beschleunigte Genehmigungsverfahren und ein innovationsfreundliches Klima brauchen nach vielen Bekenntnissen nun eine entschlossene Umsetzung. Hierzu ist eine umfassende Standortstrategie nötig, die wirtschaftliche Stärke, technologische Exzellenz und soziale Stabilität vereint. Der Koalitionsvertag der neuen Regierung gibt hier an vielen Stellen wertvolle Hinweise. Doch die gab es auch schon vorher. Jetzt geht es ums Handeln.

Um in einer multipolaren Welt zu bestehen, muss die EU geschlossener auftreten. Foto: picture alliance / CHROMORANGE /Michael Bihlmayer
Viertens: Europa muss gemeinsam agieren. Nur wenn die EU geschlossen auftritt, kann sie in einer multipolaren Welt bestehen. Es braucht Impulse für Innovation, Wettbewerbsfähigkeit, mehr Freihandel – und weniger Regulierung sowie nationale Egoismen. Europa darf sich nicht durch nationale Alleingänge schwächen, sondern muss als ein starker, verlässlicher Partner wahrgenommen werden. Einheit und Entschlossenheit sind die Währung geopolitischer Relevanz – das gilt auch für die Wirtschaft. An dieser Stelle hat Europa noch viele eigene Hausaufgaben zu erledigen. Der große Binnenmarkt hat da an der einen oder anderen Stelle etwas träge gemacht. Dabei ist es der große Binnenmarkt, der Europa so stark macht.
Nur so kann der Mittelstand auch in Zukunft bestehen. Nur so kann Europa attraktiv bleiben – für Investitionen, für Handelspartner, für die Menschen. Nur so kann wirtschaftliche Stärke mit gesellschaftlichem Zusammenhalt verbunden werden.
Inmitten dieser Umbrüche haben Genossenschaften eine klare Stärke: Sie denken langfristig, handeln regional verwurzelt und setzen auf nachhaltiges Wirtschaften. Das macht sie in vielen Bereichen krisenfest und zu einem stabilen Partner – für ihre Mitglieder, für die Region, für die Gesellschaft. Ihr Modell bietet konkrete Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit – ohne große Worte, ohne ständig bis zum Anschlag aufgedrehten Lautsprecher aber mit nachhaltiger Wirkung.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der Sonderbeilage „Finanzplatz München“ der Börsen-Zeitung vom 14. Mai 2025.