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Herr Weber, Sie treten als Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei EVP zur Europawahl an. Für was für ein Europa setzen Sie sich ein?

Manfred Weber: Für ein positives Europa und für ein Europa, das näher an den Menschen ist. Mich stört, dass wir – bei allen Problemen – zu wenig über die Erfolge Europas reden. Wenn wir uns vergegenwärtigen, was uns in den letzten zehn Jahren gelungen ist, dann können wir stolz sein: Die Krisen wurden gemeistert oder zumindest gestoppt und Europa ist zurück auf der Erfolgsspur. Der Durchschnitt der Neuverschuldung der Euro-Staaten lag 2018 bei 0,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, wir hatten zwei Prozent Wirtschaftswachstum, der Euro ist stabil und in zehn Jahren wurden 13 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen. In der Steuerung und Begrenzung der Migration kommen wir voran. Und beim Klimaschutz sind wir weltweit Vorreiter. Das sind doch auch einmal gute Nachrichten, die die einzelnen EU-Staaten offensichtlich allein nicht erreicht hätten. Europa hat das gemeinsam geschafft. Aber wir müssen die EU mehr aus der Perspektive der Menschen denken. Das fehlt ab und zu.

Sollte die EVP die Europawahl gewinnen, was werden Sie dann vordringlich auf die Tagesordnung der europäischen Politik setzen?

Weber: Wir müssen endlich wieder Lust auf Zukunft haben. Deshalb stehen für mich Zukunftsthemen im Vordergrund. Zum Beispiel: Mir ist die Versöhnung von Ökologie und Ökonomie wichtig. Es ist gut, dass die EU Vorreiter im Umweltschutz ist. Das darf aber nicht zur Blockade unserer Technologien oder Industrien führen. Ich sehe darin sogar eine Chance, weil wir nur dann in der Welt von morgen eine Chance haben, wenn wir auch zu unseren europäischen Technologien stehen und sie gezielt zukunftsfähig machen. Eine wertgebundene soziale Marktwirtschaft gibt es sonst nirgendwo auf der Welt. Ein anderes Thema: Forschung und Innovation. Ich habe vorgeschlagen, dass wir einen europaweiten Masterplan gegen Krebs vorlegen. Wir nutzen Ressourcen nicht optimal, da Forschung und Medizin in Europa derzeit noch nicht gut aufeinander abgestimmt sind. Aber was wäre das für ein grandioses Ziel? Wir Europäer könnten die ersten sein, die aufgrund gezielten Mitteleinsatzes, gemeinsamen Forschungsplattformen und Datenvernetzung den Krebs zumindest beherrschen. Der Kampf gegen Krebs könnte das Airbus-Projekt des nächsten Jahrzehnts sein.

Einer Ihrer Slogans für die Europawahl lautet: Sie wollen Europa den Menschen zurückgeben. Was meinen Sie damit?

Weber: Ich bin derzeit bei einer Zuhörtour durch ganz Europa unterwegs. Mein Eindruck ist, die EU wird als kaltes Projekt, als Projekt der Technokraten und Eliten wahrgenommen. Und die Menschen empfinden die Entscheidungsstrukturen der EU als fremd und unnahbar. Diesen gefühlten Graben zwischen Brüssel und den Menschen möchte ich überwinden. Europa muss ein Projekt für die Menschen werden. Und daher muss im Zentrum unseres politischen Handelns die Frage stehen, welche Themen die Menschen umtreiben. Das sind aus meiner Sicht vor allem die Themen Sicherheit, Stabilität und Wohlstand. Wir müssen mit den Diskussionen raus aus den Hinterzimmern und auf die Markplätze und Straßen, ins Internet, an die Stammtische, in die Parlamente.

„Ich möchte ein Europa, das sich um die großen Fragen kümmert und aus den kleinen raushält.“

Sehen Sie derzeit die Grundprinzipien der EU wie Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit ausreichend gewahrt?

Weber: Ich möchte ein Europa, das sich um die großen Fragen kümmert und aus den kleinen raushält. Alles, was auf lokaler, regionaler oder nationaler Ebene genauso gut oder besser gemacht werden kann, sollte dort auch gemacht werden. Was die Stärkung der Subsidiarität betrifft, erlebe ich gerade einen Stimmungswechsel in Europa – zum Positiven. Die Kommission von Jean-Claude Juncker hat in der Binnenmarktregulierung viel mehr auf das Prinzip gesetzt, nicht das Kleinklein zu regeln. Es wurden ganz bewusst viel weniger Gesetze verabschiedet als in der letzten Legislatur. Aber wir müssen dranbleiben. Wenn ich Kommissionspräsident werde, will ich die nationalen Parlamentarier zu einem Dialog einladen, um zu klären, in welchen Bereichen sich die Kommission in den nächsten fünf Jahren zurückhält. Eine von mir geführte Kommission wird viel Respekt gegenüber nationalen und regionalen Interessen haben. Als Bayer liegt mir das am Herzen.
 

Wo mangelt es der EU an Transparenz und demokratischer Legitimation?

Weber: Das Europäische Parlament hat in Sachen Demokratie im Vergleich zu anderen Parlamenten keinen Nachholbedarf. Aber es fehlt ein Stück das Bewusstsein und auch die Öffentlichkeit. Der Schlüssel ist, die Europawahlen und das Europäische Parlament zum wesentlichen Ort der Entscheidungen zu machen. Die Menschen müssen wissen, was sie bekommen, wenn sie CSU wählen oder andere. Deshalb ist der Spitzenkandidatenprozess so wichtig. Ich zeige Gesicht und mein Programm. Die Alternativen werden am 26. Mai klar auf dem Tisch liegen. Der nächste Kommissionspräsident wird ein Kandidat des Parlaments sein. Ebenso wird kein Kommissar ins Amt kommen, der nicht die Unterstützung des Parlaments hat. Die EU parlamentarisiert sich, wird transparenter. Und das ist dringend notwendig.

Der aktuelle Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat bereits eine „Agenda für eine bessere Rechtsetzung“ in Europa angestoßen. Dennoch erleben Unternehmen und Bürger die EU nach wie vor häufig als zu bürokratisch und realitätsfern. Ein Beispiel ist aus Sicht der bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken der überbordende finanzielle Verbraucherschutz. Wie lassen sich Überregulierung und unnötige Bürokratie vermeiden?

Weber: Die Bürokratie ist ein Dauerproblem, keine Frage. Das liegt aber auch daran, dass alle eine gewisse Rechtssicherheit wollen. Und gerade wir Deutsche sind in dieser Hinsicht überkorrekt. Die Regeln sind überall gleich, doch im Vollzug, in der Umsetzung, übertreiben wir es manchmal. Die Stoiber-Kommission hat beim Thema Bürokratie-Abbau einiges vorangebracht. Auf die Maßnahmen von Kommissionspräsident Juncker habe ich schon hingewiesen. In Deutschland plädiert die CSU schon lange für eine Eins-zu-eins-Umsetzung von EU-Gesetzen. Als Kommissionspräsident werde ich Vorschläge machen, wie wir Gesetze auch wieder abschaffen und Bürokratie beschränken können. Wir dürfen die EU aber nicht zum Sündenbock für alles machen. Oft sind es nämlich gerade die Staaten oder einzelne Interessensgruppen, die Brüssel auffordern, tätig zu werden, wenn sie auf nationaler Ebene nicht weiterkommen.

„Klimafreundliche Investitionen zu fördern, ist unterstützenswert. Für uns ist aber auch klar, dass das nicht auf Kosten der Finanzstabilität geschehen darf.“

Im März 2018 hat die EU-Kommission einen Aktionsplan für ein nachhaltiges Finanzwesen vorgelegt, um klimafreundliche Investitionen in Europa zu fördern. Kritiker befürchten neue Ökobürokratie und Stabilitätsrisiken für die Finanzwirtschaft, wenn „grüne Investitionen“ bei der Kreditvergabe unabhängig von tatsächlichen Risiken bevorzugt werden. Wie bewerten Sie diese Pläne?

Weber: Das Konzept, klimafreundliche Investitionen zu fördern, ist im Rahmen der Bekämpfung des Klimawandels natürlich sehr unterstützenswert. Für uns ist aber auch klar, dass das nicht auf Kosten der Finanzstabilität geschehen darf. Deswegen sollten sich Eigenkapitalunterlegungspflichten genauso wie die Intensität der Aufsicht allein am Risiko orientieren und nicht wegen der Einstufung als „grüne Investition“ aufgeweicht werden. Andernfalls besteht das Risiko einer Blasenbildung. Grundsätzlich muss „Sustainable Finance“ so ausgestaltet werden, dass es auch für die Marktteilnehmer leistbar und umsetzbar ist – nur dann wird es ein Erfolg. Deswegen müssen wir den bürokratischen Aufwand in Grenzen halten. Andernfalls tun wir dem Thema Nachhaltigkeit keinen Gefallen.


Die von der EU-Kommission geplante europäische Einlagensicherung soll die Bankenunion vollenden. Die Pläne sind hoch umstritten. Kritiker fordern, dass in Europa zunächst einmal die noch immer hohen Bestände an faulen Krediten abgebaut werden müssen und wirksame Mechanismen gegen das Entstehen neuer Risiken etabliert werden sollten – zum Beispiel in Form einer risikogerechten Regulierung von Staatsanleihen. Wie stehen Sie dazu?

Weber: Bevor eine europäische Einlagensicherung kommt, müssen die Bankbilanzen bereinigt werden. Das ist beispielsweise bei den Bankbilanzen in Italien offensichtlich nicht der Fall. Deshalb kann es keine Vergemeinschaftung von Haftungsrisiken im Bankenbereich geben, solange die Risiken nicht in genügendem Maße abgebaut worden sind. Das ist die Haltung der gesamten EVP-Fraktion. Und ich bin mir sicher, dass wir uns damit durchsetzen.

In den vergangenen Monaten ist viel über eine Vertiefung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion diskutiert worden, zum Beispiel über eine europäische Arbeitslosenversicherung, einen EU-Finanzminister oder ein gemeinsames Fiskalbudget. Was von diesen Vorschlägen wird Ihrer Meinung nach am Ende tatsächlich umsetzt?

Weber: Der Euro gibt Europa Gewicht in der Welt, er ist stabil, er sorgt für niedrige Inflationsraten und geringere Neuverschuldung. Aber ich warne davor, dass wir damit zu selbstzufrieden umgehen. Unser Ziel muss sein, dass wir den Euro dauerhaft krisenfest machen. Das ist noch nicht der Fall. Dafür müssen die gemeinsam beschlossenen Regeln von allen Staaten eingehalten und der Stabilitätspakt gestärkt werden. Dafür stehen die EVP und ich. Zentral ist für mich der Aufbau eines Europäischen Währungsfonds. Bei der letzten großen Eurokrise war es notwendig, den IWF um Geld und um Know-how zu bitten. Bei künftigen Krisen möchte ich nicht, dass wir Europäer von Dritten abhängig sind. Wir müssen eigenständig unsere Probleme lösen können. Und deswegen brauchen wir diesen Europäischen Währungsfonds. Ein Wort zur europäischen Arbeitslosenversicherung: Solange die Arbeitsmarktpolitik national ist, kann nicht die Solidarität europäisiert werden. Deshalb sind wir strikt gegen eine Vergemeinschaftung in diesem Bereich.


Aktuell wird in der EU die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) für die Jahre 2021 bis 2027 diskutiert. Wie wollen Sie sicherstellen, dass die vielen bäuerlichen Familienbetriebe in Bayern auch in Zukunft von der Landwirtschaft leben können?

Weber: Die Landwirtschaft braucht die Unterstützung durch die EU. Europa muss sich einerseits eigenständig mit gesunden Nahrungsmitteln versorgen können. Eine klassische Liberalisierung dieses Marktbereichs ist also nicht das Ziel. Unser Leitbild bleibt die bäuerliche Landwirtschaft. Bäuerinnen und Bauern bewirtschaften ihre Flächen teilweise in Regionen, in denen Landwirtschaft mit besonderen Erschwernissen belegt ist. Dass unsere Landschaft so wunderbar gepflegt ist, ist auch das Verdienst der Bauern. Diese Leistungen muss man einfach ernst nehmen und man muss sie honorieren. Deshalb stehe ich sowohl zu den Direktzahlungen wie auch zur zweiten Säule. Dieses Grundprinzip darf bei der Agrarreform nicht wegfallen. Ich bin aber beispielsweise dafür, dass wir bei den Direktzahlungen über eine Kappungsgrenze reden und mit dem Geld, dass wir dadurch einsparen, gerade die kleinen Betriebe vor allem in benachteiligten Regionen besser unterstützen.

Die EU hat sich im Pariser Klimaschutzabkommen ehrgeizige Ziele gesetzt. So soll bis 2030 ein Drittel der in der EU genutzten Energie aus erneuerbaren Quellen stammen. Wie kann die EU die dezentrale und regenerative Energieversorgung in Europa fördern?

Weber: Der Klimaschutz ist eine der wichtigsten Aufgaben unserer Generation. Wenn wir versagen, hinterlassen wir der nächsten Generation eine katastrophale Ausgangssituation. Ich finde gut, dass die EU Vorreiter beim Klimaschutz ist. Und deshalb müssen wir auf erneuerbare Energien setzen. Die EU kann im Wesentlichen auf zwei Wegen helfen: durch Strukturförderung mit einem Schwerpunkt auf Umwelt und Energie und durch Forschungsmittel. Beides ist wichtig. Bei der Ausgestaltung der Förderkriterien wird dies eine größere Rolle spielen.
 

Sie sind mit Leib und Seele Europäer und bekennender Niederbayer zugleich. Welchen Einfluss haben Ihre bayerischen Wurzeln auf Ihre Arbeit in Brüssel?

Weber: Bayern ist meine Heimat. Bayern prägt mich. Hier fühle ich mich wohl und geerdet. Und dieses Gefühl, dieses Bewusstsein bringe ich nach Brüssel und Straßburg mit. Die Perspektive meiner Heimat hat natürlich prägenden Einfluss auf meine Arbeit. Und: Die Bayern haben eine gewisse Gelassenheit im Blut. Das hilft mir gerade jetzt sehr.
 

Herr Weber, herzlichen Dank für das Interview!

Zur Person

Manfred Weber (46) ist bei den Europawahlen im Mai europaweiter Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei (EVP) für das Amt des Kommissionspräsidenten sowie Spitzenkandidat von CDU und CSU in Deutschland. Seit 2014 führt er die EVP-Fraktion im Europäischen Parlament und ist Stellvertretender Vorsitzender der CSU. Die EVP ist eine europäische politische Partei, die sich aus christlich-demokratischen und konservativ-bürgerlichen Mitgliedsparteien in der Europäischen Union zusammensetzt. Aus Deutschland sind die CDU und die CSU Mitglied. Im Europäischen Parlament stellt die EVP (Christdemokraten) seit 1999 die größte Fraktion. Derzeit gehören 217 von 751 Abgeordneten der EVP-Fraktion an, darunter 34 aus Deutschland und fünf aus Bayern. In der ablaufenden Legislaturperiode stellt die EVP 14 von 28 Mitgliedern der Europäischen Kommission einschließlich des Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker und des Präsidenten des Europäischen Rats Donald Tusk.

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