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Die Leitfrage der „Agrarimpulse“ hätte aktueller gar nicht sein können: „Landwirtschaft und Lebensmitteleinzelhandel – Partner oder Gegner?“, lautete sie. Rund zwei Wochen vor dem vom Genossenschaftsverband Bayern (GVB) und von der BayWa organisierten Branchentreff für die Landwirtschaft hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel die vier großen deutschen Lebensmittelhändler „zum Rapport“ einbestellt – so zumindest interpretierten es mehrere Medien. Bei dem Spitzentreffen ging es vor allem um den Preisdruck bei Lebensmitteln und unlautere Handelspraktiken.

Eine ungleiche Beziehung

Das ungleiche Verhältnis zwischen Landwirten und Handel griff auch GVB-Vorstand Alexander Büchel in seiner Eröffnungsrede auf den Agrarimpulsen auf: „Es ist davon auszugehen, dass in der Beziehung zwischen Erzeugern und Lebensmitteleinzelhandel etwas nicht stimmt“, sagte er vor etwa 700 Gästen aus Landwirtschaft und Politik sowie Vertretern der bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken. Der strukturelle Wandel, der Preisdruck und die hohe Marktkonzentration stellten alle Beteiligten vor große Herausforderungen. „Landwirte und Genossenschaften müssen wirtschaftlich erfolgreich sein und langfristig nachhaltig produzieren können“, erklärte Büchel. „Voraussetzung dafür ist eine faire Partnerschaft zwischen Handel, Erzeugern und Verarbeitern.“

Der BayWa-Vorstandsvorsitzende Klaus Josef Lutz erinnerte in seinem Impulsvortrag daran, dass die Qualität der von deutschen Landwirten produzierten Erzeugnisse sehr hoch sei. „Leider lassen die vielen Billigangebote speziell bei Frischeprodukten die Hochwertigkeit heimischer Nahrungsmittel oft in den Hintergrund treten“, gab Lutz zu bedenken. „Hier wünsche ich mir eine bessere Aufklärung der Verbraucher über die modernen und nachhaltigen Produktionsmethoden unserer Landwirte hier vor Ort sowie ein generelles Umdenken der Gesellschaft. Die Frage ist: Was sind wir bereit für hochwertige und sichere Lebensmittel zu bezahlen?“

EU-weite Standards als Ausgleich

„In der Agrar- und Lebensmittelversorgungskette bestehen oft erhebliche Ungleichgewichte in Bezug auf die Verhandlungsmacht von Lieferanten und Käufern von Agrar- und Lebensmittelerzeugnissen“, erklärte die Europaabgeordnete Ulrike Müller von den Freien Wählern. Eine EU-Richtlinie, über deren Umsetzung in deutsches Recht zurzeit diskutiert wird, will dieses Ungleichgewicht mit einem EU-weiten Mindeststandard beseitigen: Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette sollen so vor unlauteren Handelspraktiken geschützt werden.

Die Mitgliedsstaaten könnten trotz der EU-Vorgaben nationale Vorschriften für unlautere Handelspraktiken erlassen oder beibehalten, die über die in der Richtlinie aufgeführten Praktiken hinausgehen, erklärte Müller. „Wir haben eine soziale Verantwortung für den ländlichen Raum, der sich alle in der Wertschöpfungskette Beteiligten bewusst sein müssen“, forderte die Politikerin aus Schwaben.

Wie es die Praktiker sehen

„Erzeugerpreise folgen Angebot und Nachfrage“, erklärte Matthias Zwingel, Vizepräsident des Bundesverbands des Deutschen Lebensmittelhandels. Je mehr Unternehmen an der Wertschöpfungskette beteiligt sind, desto komplexer sei die Preisgestaltung. Was faire Preise sind, könne man nicht allgemeingültig definieren. Für Zwingel wäre es wichtig, die Gräben zwischen Landwirten und klimabesorgten Stadtbewohnern zu schließen. „Dafür sind Verbraucherbildung und ein breiter gesellschaftlicher Konsens wichtig“, betonte er.

Aus Sicht von Bernhard Pointner, geschäftsführender Vorstand der Milchwerke Berchtesgadener Land-Chiemgau eG, sind Preisgestaltung und Vermarktung häufig eine Frage des Marketings. Für Kunden seien heute Themen wie Nachhaltigkeit und Tierwohl relevant. „Wir müssen das produzieren, was Kunden wollen und dort gelistet sein, wo die urbane Gesellschaft einkauft“, erklärte Pointner. „Der Lebensmitteleinzelhandel ist nicht generell Verramscher landwirtschaftlicher Produkte. Der Handel stellt das ins Regal, was der Kunde kauft“, stellte er fest. Sein Appell an die landwirtschaftlichen Betriebe: die Weichen für die Digitalisierung stellen, in Markforschung investieren, vom Kunden aus denken, sich Veränderungen stellen und diese akzeptieren.

Auftakt zu den „Agrarimpulse 2020“: GVB-Vorstand Alexander Büchel eröffnet den Agrartag der bayerischen Genossenschaftsorganisation in Erlangen. Fotos: Christian Strohmayr/4creations

„Wir werden nicht konfrontativ weiterkommen, sondern nur partnerschaftlich“: Der BayWa-Vorstandsvorsitzende Klaus Josef Lutz bei seinem Impulsvortrag.

Gruppenbild mit allen Beteiligten (von links): Bernhard Pointner, Jörg Migende, GVB-Bezirkspräsident Manfred Göhring, Ulrike Müller, Alexander Büchel, Matthias Zwingel, Florian Wolz, Simon Michel-Berger und Klaus Josef Lutz.

Die Europaabgeordnete Ulrike Müller erläuterte, was die EU für einen faireren Handel und zur Stärkung der Erzeuger tun kann.

„Wir leben vom Verkaufen, nicht vom Produzieren“: Bernhard Pointner, geschäftsführender Vorstand der Milchwerke Berchtesgadener Land-Chiemgau eG, fand in seiner Rede deutliche Worte.

„Vom Partner zum Konkurrenten – Alles frisch?“: Darüber sprach Florian Wolz, Geschäftsführer der Franken-Gemüse Knoblauchsland eG.

Laut Matthias Zwingel, Vizepräsident des Bundesverbands des Deutschen Lebensmittelhandels, können Landwirtschaft und Lebensmitteleinzelhandel von einer Partnerschaft profitieren.

Die Referenten bei der Podiumsdiskussion.

Der Moderator: Simon Michel-Berger, Chefredakteur von „Agrarheute“, führte durch die Veranstaltung.

Musikalische Untermalung: Die Damen von „Dramadama“ bei einer Einlage.

Wegen des Preiswettbewerbs und Konkurrenzdrucks sei es unerlässlich, Erzeugung und Vermarktung in Gemeinschaften zu bündeln. Das stellte Florian Wolz, Geschäftsführer der Franken-Gemüse Knoblauchsland eG, heraus. „Die landwirtschaftlichen Unternehmen müssen sich Gedanken machen, wie sie ihre Produkte gegenüber dem Handel platzieren“, empfahl er – zum Beispiel mit Labeln wie „regional“ oder „Premiumqualität“. Außerdem müssten sie die Produktinformationen transparent gegenüber dem Kunden darstellen.

Die Podiumsdiskussion mit Ulrike Müller, BayWa-Experte Jörg Migende, Matthias Zwingel, Bernhard Pointner und Florian Wolz fasste Moderator Simon Michel-Berger, seit Kurzem Chefredakteur des Fachmagazins „Agrarheute“ so zusammen: Austausch und Dialog innerhalb der Landwirtschaft seien wichtig. „Wir müssen gemeinsam überdenken, wie wir die Beziehung zwischen Erzeugern und Lebensmitteleinzelhandel mehr auf Augenhöhe stellen können – so wie jetzt geht es für viele Erzeuger nicht weiter.“
 

Erika Henger ist Senior-Beraterin im Bereich Beratung Ware und Dienstleistung des Genossenschaftsverbands Bayern.

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