Unabhängigkeit: Mit Wero können sich die Banken in Europa im Geschäft mit dem Zahlungsverkehr unabhängiger machen, sagt GVB-Präsident Stefan Müller.
Herr Müller, die Europäische Zentralbank treibt das Projekt eines digitalen Euros voran. Wie stehen Sie grundsätzlich zu dieser Digitalwährung?
Stefan Müller: Mit erheblicher Skepsis. Der digitale Euro hat das Potenzial, das europäische Geldsystem zu modernisieren und in das digitale Zeitalter zu führen. Womöglich wäre er ein Beitrag zu mehr europäischer Souveränität im Zahlungsverkehr. Das alles darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass noch viele Fragen offen sind. Niemand weiß, ob und in welcher Form der digitale Euro tatsächlich kommt. Und der Teufel steckt im Detail. Diese Details können erhebliche Auswirkungen auf Banken und das gesamte Finanzsystem haben. Es ist entscheidend, dass die Einführung wirtschaftlich tragfähig, technologisch effizient und marktkonform erfolgt. Ein Konkurrenzsystem zu privatwirtschaftlichen Lösungen lehne ich jedenfalls entschieden ab.
Was ist aus Ihrer Sicht die dringendste Frage, die derzeit zu klären ist?
Müller: Die Einführung eines digitalen Euro ergibt nur Sinn, wenn klar ist, welches Problem damit gelöst werden soll. Viele Fragen sind offen: Welche konkreten Anwendungsfälle gibt es, die heute nicht schon von privaten Lösungen abgedeckt sind? Welche Lücke schließt der digitale Euro? Ich habe oft den Eindruck, die EZB will mit dem digitalen Euro Lösungen für Probleme bieten, die es in der Praxis gar nicht gibt. Es gibt bereits zahlreiche, gut funktionierende digitale Bezahlverfahren.
„Die EZB sollte sich auf die Herausgabe von Zahlungsmitteln konzentrieren, nicht darauf, eine neue Zahlungsinfrastruktur zu schaffen.“
Wo sehen Sie die größten Probleme?
Müller: Der digitale Euro darf keinesfalls zu teuren und überflüssigen Doppelstrukturen führen. Es ist nicht Aufgabe der EZB, in Konkurrenz zu privaten Akteuren zu treten. Privatwirtschaftliche Lösungen sollten immer Vorrang haben. Die EZB sollte sich daher auf die Herausgabe von Zahlungsmitteln konzentrieren, nicht darauf, eine neue Zahlungsinfrastruktur zu schaffen. Denn dies birgt die Gefahr, dass private Innovationskraft und Investitionen gehemmt werden. Zudem könnten außereuropäische Anbieter von digitalen Schnittstellen profitieren, da die neue Infrastruktur allen offenstehen müsste.
Was bedeutet das konkret für Banken?
GVB-Präsident Stefan Müller fordert ein Haltelimit von 500 Euro pro Nutzer, um die Kreditversorgung der Wirtschaft nicht zu gefährden. Foto: GVB/ Hendrik Steffens
Müller: Der digitale Euro sollte in bestehende Systeme integriert werden, also über die Apps der Banken nutzbar sein und auf privatwirtschaftliche Zahlungsinfrastruktur aufsetzen. Eine eigene EZB-App, wie sie derzeit diskutiert wird, würde in direkte Konkurrenz zu den Geschäftsbanken treten und eventuell sogar das Vertrauen in Geschäftsbanken negativ beeinflussen. Ein digitaler Euro mit Kontofunktion würde zudem einen Geldtransfer weg von den Banken bedeuten – mit erheblichen Auswirkungen auf Eigenmittel und die Kreditvergabe an Privatleute und Mittelstand. Das kann die Finanzstabilität gefährden. Deshalb sollte es Haltelimits geben, damit nicht zu viele Einlagen von Geschäftsbanken in den digitalen Euro abwandern. Wir fordern ein Haltelimit von 500 Euro pro Nutzer, um die Kreditversorgung der Wirtschaft nicht zu gefährden.
„Wero ist ein Gemeinschaftsprojekt europäischer Banken und Zahlungsdienstleister und gewinnt an Fahrt – nicht nur im Person-zu-Person-Bereich, sondern nach und nach auch im Onlinehandel.“
Wie passt der digitale Euro zu privatwirtschaftlichen Lösungen wie Wero?
Müller: Der digitale Euro steht nach aktuellen Planungen der EZB in Konkurrenz zu Lösungen wie Wero. Mit Wero macht sich Europa unabhängiger von US-amerikanischen Zahlungsabwicklern. Wero ist ein Gemeinschaftsprojekt europäischer Banken und Zahlungsdienstleister und gewinnt an Fahrt – nicht nur im Person-zu-Person-Bereich, sondern nach und nach auch im Onlinehandel. Damit leistet die Privatwirtschaft einen wichtigen Beitrag für die Zahlungsinfrastruktur der Zukunft. Ein digitaler Euro mit eigenem Zahlungssystem würde die bestehenden Abhängigkeiten nicht beheben, sondern könnte sogar neue schaffen, wenn er nicht richtig ausgestaltet wird.
Welche Funktionalität sollte der digitale Euro aus Ihrer Sicht haben?
Müller: Wenn der digitale Euro sinnvoll sein soll, muss er als Offline-Version kommen. Dann käme er auch den Bargeld-Eigenschaften am nächsten. Entscheidend ist, dass er in bestehende privatwirtschaftliche Infrastrukturen integriert wird und keine staatlichen Doppelstrukturen entstehen. Diese wären sehr teuer. Schätzungen zufolge würden diese mit einem zweistelligen Milliardenbetrag zu Buche schlagen. Nur so kann die Akzeptanz bei Bürgerinnen und Bürgern sowie Unternehmen erreicht werden.
Im EU-Parlament gibt es ja auch kritische Stimmen. Wie bewerten Sie die aktuelle politische Diskussion?
Müller: Im EU-Parlament gibt es erhebliche Zweifel am digitalen Euro. Der Berichterstatter Fernando Navarrete fordert die Priorisierung der Offline-Variante und dass die Online-Variante nur eingeführt werden sollte, wenn bis zum Abschluss der Arbeiten an der Offline-Variante kein pan-europäisches privatwirtschaftliches Zahlungssystem existiert. Viele Abgeordnete sehen kein Marktversagen im Zahlungsverkehr und lehnen staatliche Markteingriffe daher ab. Die Diskussionen werden intensiv geführt, und es ist noch offen, wie sich das Parlament positionieren wird. Festzuhalten ist, dass die Diskussion nun endlich dort angekommen ist, wo sie hingehört: in der europäischen Volksvertretung.
„Die EZB sollte sich auf die Ausgabe der Offline-Variante des digitalen Euro beschränken und ihn in bestehende privatwirtschaftliche Infrastrukturen integrieren.“
Was sind Ihre Kernforderungen an die Politik?
Müller: Unsere Kernforderungen sind klar: Der digitale Euro darf nicht zu staatlichen Doppelstrukturen führen. Die EZB sollte sich auf die Ausgabe der Offline-Variante des digitalen Euro beschränken und ihn in bestehende privatwirtschaftliche Infrastrukturen integrieren. Die Ausgabe muss über kontoführende Institute erfolgen, um die strategische Autonomie Europas im Zahlungsverkehr zu stärken. Außerdem fordern wir ein Haltelimit von 500 Euro pro Nutzer, damit die Umschichtung von Bankeinlagen begrenzt bleibt und die Kreditversorgung der Wirtschaft nicht gefährdet wird. Schließlich ist eine stärkere demokratische Kontrolle und politische Steuerung der Rahmenbedingungen notwendig, um die Stabilität des Finanzsystems und die Innovationskraft der Privatwirtschaft zu sichern.
Herr Müller, vielen Dank für das Gespräch!