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„Koalitionsvertrag: Booster für die dezentrale Energiewende?“

Eckhard Ott, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Genossenschafts- und Raiffeisenverbands (DGRV):

„Klimawandel und Energiewende werden auch in der neuen Legislaturperiode eine zentrale Rolle spielen. Sichtbares Zeichen ist schon jetzt die inhaltliche Neuausrichtung und personelle Besetzung der Leitungspositionen im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Allerdings konnte man schon während der Koalitionsverhandlungen deutlich wahrnehmen, dass auch weiterhin über das Ausmaß und die konkrete Ausgestaltung der Energiewende hart gerungen wird. Insoweit überrascht es etwas, dass sich die neuen Koalitionspartner teilweise sehr detailliert zu den energie- und klimapolitischen Plänen geäußert haben. Eigentlich sollte der Koalitionsvertrag nur generelle Leitplanken enthalten.

Fakt ist, dass mit den schon jetzt geltenden Klimazielen ein verstärkter Ausbau der erneuerbaren Energien erfolgen muss. Die nackten Zahlen des weiteren Ausbaupfads sind aber nur eine der Herausforderungen. Ein Mehr an Erneuerbare-Energien-Anlagen wird schließlich auch die Debatte um die Akzeptanz in den Regionen weiter anheizen. Deshalb liegt es auf der Hand, die Menschen vor Ort konkret an der Energiewende zu beteiligen, indem sie beispielweise über eine Energiegenossenschaft Solaranlagen, Windräder oder Nahwärmenetze betreiben. Diese Binsenweisheit muss ich im Magazin des Genossenschaftsverbands Bayern nicht näher erläutern. Sie hat aber Konsequenzen für die konkrete Ausgestaltung der Energiepolitik. Und diesbezüglich hat der Koalitionsvertrag einiges zu bieten.

Für Energiegenossenschaften enthält er viele positive Vereinbarungen. Die gute Nachricht vorweg: Bürgerenergie soll als wichtiges Instrument für mehr Akzeptanz gestärkt werden. Mit dieser Zielrichtung sollen zukünftig das Energy Sharing ermöglicht sowie die europäischen De-minimis-Regelungen ausgeschöpft werden. Dies sind übrigens zwei der Kernforderungen, die wir als Bundesgeschäftsstelle Energiegenossenschaften beim DGRV im Vorfeld der Bundestagswahl an die Politik adressiert hatten. Ferner soll die Einführung eines Risikoabsicherungsfonds geprüft werden. Schließlich enthält der Koalitionsvertrag auch zahlreiche positive Maßnahmen zur Wiederbelebung der Solarenergie, das wichtigste Geschäftsfeld der Energiegenossenschaften, für die wir uns ebenfalls eingesetzt haben.

Energy Sharing ist eine Vorgabe aus der Erneuerbare-Energien-Richtlinie. Auf nationalstaatlicher Ebene sollen Regelungen erlassen werden, die es den Erneuerbaren-Energien-Gemeinschaften – damit sind unter anderen Energiegenossenschaften gemeint – ermöglicht, den Strom aus eigenen Erneuerbare-Energien-Anlagen gemeinsam zu nutzen. Anders gewendet: Die genossenschaftliche Mitgliederversorgung mit regenerativ erzeugtem Strom soll erleichtert werden. Dies ist derzeit vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht nicht möglich.

Der Hinweis zu den europäischen De-minimis-Grenzen bezieht sich auf die in den Klima-, Umweltschutz- und Energiebeihilfeleitlinien festgelegten Grenzen. Sie bestimmen, ab welcher Größenordnung Ausschreibungen für erneuerbare Energien verpflichtend durchzuführen sind. Diese Grenze liegt derzeit bei einem Megawatt installierter Leistung. Zum Vergleich: In Deutschland müssen beispielsweise Solar-Freiflächenanlagen ab einer Größe von 750 Kilowatt ausgeschrieben werden. Da kleinere Akteure wie Energiegenossenschaften bei Ausschreibungen kaum zum Zuge kommen, wird dieser erweiterte Spielraum die Geschäftsmöglichkeiten deutlich verbessern.

Ferner könnte noch ein Risikoabsicherungsfonds eingeführt werden. Vorbild könnte der Bürgerenergiefonds in Schleswig-Holstein sein. Wenn sich beispielsweise eine Energiegenossenschaft an einer Ausschreibung beteiligt, hat sie zuvor – wie alle anderen auch – Planungs- und Projektierungskosten in erheblichem Umfang zu tragen. Kommt die Genossenschaft nicht zum Zug, werden diese Kosten bis zu einem Betrag von maximal 200.000 Euro über den Fonds ersetzt. Damit wird der strategische Nachteil von kleineren Akteuren teilweise kompensiert.

Die angesprochenen Vereinbarungen im Koalitionsvertrag stimmen uns sehr positiv für die neue Legislaturperiode. Sie sind allerdings nicht als Sonderförderungen für Energiegenossenschaften und deren Mitglieder zu verstehen. Die Vorhaben muss man übergreifender einordnen: Wenn die Bedingungen für eine dezentrale Energiewende verbessert werden, dann profitieren auch die ländlichen Regionen von den erweiterten Investitionen. Die Projekte von Energiegenossenschaften werden üblicherweise mit lokalen Handwerksbetrieben oder den Volksbanken und Raiffeisenbanken umgesetzt. Insoweit kann das neue politische Programm für Bürgerenergie auch ein Booster für die regionale Wirtschaft sein.“

„Dezentrale Banken bürgen für Wachstum in den Regionen“

Marija Kolak, Präsidentin des Bundesverbands der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR):

„Es ist gut, dass Deutschland wieder eine handlungsfähige Regierung hat, nicht nur mit Blick auf die anhaltende Pandemie, sondern für die Zukunft unseres Lands. Nun muss die Koalition ihre Arbeit mit Geschlossenheit und Tatkraft angehen. Mit dem Koalitionsvertrag gibt es eine gute Grundlage für die nächsten Jahre. Bundeskanzler Olaf Scholz, aber auch die Ressortchefs für Finanzen und Klima sowie das gesamte Kabinett stehen vor großen Aufgaben. Der Mittelstand ist und bleibt das Herz unserer Volkswirtschaft, er ist die Triebfeder für Wachstum, Beschäftigung und Innovation. Dies darf auch in den herausfordernden Transformationsprozessen hin zu mehr Nachhaltigkeit und Digitalisierung nicht vergessen werden.

Auch in Europa steht die Koalition vor großen Herausforderungen, um Stabilität und Wachstum zu sichern. Der BVR wird weiter darauf achten, dass Risiko und Haftung auch bei der Bankenunion nicht auseinanderfallen.

Die Forderung im Koalitionsvertrag nach mehr Proportionalität in der Bankenregulierung und zum Erhalt des deutschen Drei-Säulen-Systems sind erfreulich, beide Aspekte müssen aber auch in der anstehenden Regulierung mit Leben erfüllt und mit praktischen Maßnahmen unterlegt werden. Dezentrale Banken bürgen für Wachstum in den Regionen.“

„Landwirtschaftliche Betriebe nicht alleine lassen“

Franz-Josef Holzenkamp, Präsident des Deutschen Raiffeisenverbands (DRV):

„Der Deutsche Raiffeisenverband (DRV) unterstützt das im Koalitionsvertrag gezeichnete Zielbild für die Landwirtschaft, und wir sehen gute Ansätze für eine konstruktive Begleitung der Landwirtschaft bei der Umsetzung der nachhaltigen Transformation. Wichtig: Wir starten nicht bei null, sondern haben mit der Zukunftskommission Landwirtschaft und der Borchert-Kommission gut vorgelegt. Der DRV hat sich dort intensiv und mit dem Know-how der ländlichen Genossenschaften eingebracht. Deshalb erwarte ich von der Politik, dass sie bei der Umsetzung der im Koalitionsvertrag skizzierten Ziele die Ergebnisse der Kommissionen konsequent berücksichtigt.

Ein großes gesellschaftspolitisches Thema ist das Tierwohl. Ich begrüße, dass die Ampelkoalition höhere Tierschutzstandards realisieren will. Allerdings bleibt der Koalitionsvertrag an vielen Stellen vage, vor allem mit Blick auf die Finanzierung. Die landwirtschaftlichen Betriebe dürfen bei der Bewältigung der Aufgaben nicht allein gelassen werden. Sie brauchen Planungssicherheit durch klare Aussagen der Politik und durch ein verlässliches Finanzierungskonzept. Das gilt auch für den Energiehandel, der schon heute einen wichtigen Beitrag zum Gelingen der Energiewende im ländlichen Raum leistet. Viele Genossenschaften entwickeln sich gleichermaßen zu Händlern, Projektierern und Dienstleistern für Energie aus alternativen Quellen.

Bauchschmerzen habe ich bei der Vorgabe, dass bis zum Jahr 2030 der Anteil des Ökolandbaus auf 30 Prozent ausgeweitet werden soll. Unsere genossenschaftlich orientierten Unternehmen der Agrar- und Ernährungswirtschaft sind spartenübergreifend erfolgreich in diesem Marktsegment unterwegs. Aber die Bundesregierung muss hier die Gesetze des Markts im Blick behalten. Angebot und Nachfrage müssen im Einklang stehen. Die Ausweitung des Ökolandbaus kann nicht einfach vom Schreibtisch aus verordnet werden. Ist die Vermarktung nicht gesichert, fehlt die wirtschaftliche Tragfähigkeit. So würde die Regierung letztlich dem Ökolandbau, den sie ja gerade fördern möchte, einen Bärendienst erweisen.

Gut ist die Aussage im Koalitionsvertrag, dass die Rahmenbedingungen für Genossenschaften verbessert werden sollen. Ich wünsche mir den Mut, dass sowohl die Zusammenarbeit in einer Genossenschaft als auch die Finanzierungsmöglichkeiten tatsächlich gestärkt werden. Das gelingt bereits durch Lockerung des aus meiner Sicht zu engen kartellrechtlichen Korsetts, das das Bundeskartellamt in seinen Maßstäben anlegt. Gerade die erzeugergetragenen landwirtschaftlichen Genossenschaften müssen die Möglichkeiten des Genossenschaftsrechts ausschöpfen können. Hier kann die Ampelkoalition der Auslegungspraxis des Bundeskartellamtes eine Stärkung entgegensetzen. Gleiches gilt auch für die Finanzierungsmöglichkeiten, die gesellschaftsintern nicht an Regulierungsgrenzen stoßen dürfen, beispielsweise bei Gesellschafterdarlehen. Die engen Grenzen des Kreditwesengesetzes sollten nicht auf dieses Innenverhältnis übertragen werden.

Bei unfairen Handelsbedingungen muss zudem dringend im Rahmen der Evaluierung eine Ausnahme für erzeugergetragene Unternehmen geschaffen werden. Hier die gleichen Parameter wie im Verhältnis der Lieferanten zum marktmächtigen Lebensmittelhandel anzulegen, ist absurd und stärkt nicht die Position landwirtschaftlicher Erzeuger. Andere Mitgliedsstaaten haben dies schon erkannt.

Kritisch sehe ich Ankündigungen wie die Weiterverfolgung des Unternehmenssanktionengesetzes oder die Ausweitung der steuerlichen Mitteilungspflicht auf nationale Steuergestaltungen. Das Strafrecht sollte grundsätzlich nur bei persönlichem Fehlverhalten ansetzen und nicht bei Unternehmen. Die Ausweitung der Mitteilungspflicht führt zu einem hohen, nicht gerechtfertigten Bürokratieaufwand und ist mit der großen Unsicherheit verbunden, wann eine Gestaltung als Steuergestaltung angesehen wird.“

„Quälende Bürokratie spürbar abbauen“

Eckhard Schwarzer, Präsident Der Mittelstandsverbund – ZGV e.V.:

„Der Mittelstandsverbund gratuliert der neuen Bundesregierung zu ihrem Amtsantritt, wünscht für die Umsetzung des Koalitionsvertrags viel Erfolg und bietet bei der Bewältigung der kommenden großen Aufgaben seine Unterstützung an. So diszipliniert und zügig sich die neue Regierung aufgestellt hat, so rasch müssen nun dringliche Themen angepackt werden – ganz getreu dem Ampel-Motto ,Mehr Fortschritt wagen‘.

Hoffnung macht dabei, dass Nachhaltigkeit und Digitalisierung in der neuen Legislaturperiode neben der Pandemiebekämpfung ganz oben auf der Agenda stehen – allein das Wort ,digital‘ taucht im Koalitionsvertrag 188-mal auf, noch übertroffen vom Begriff ,Klima‘ mit stolzen 198-mal.

Inhaltlich zeigt der Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und der FDP einige Lichtblicke und geht längst überfällige Baustellen bei der Verwaltungsdigitalisierung, der digitalen Transformation der Wirtschaft und dem Infrastrukturausbau an. Hier fordert der Mittelstandsverbund seit Langem drastische Anstrengungen. Die Möglichkeiten der Digitalisierung kann der Mittelstand wegen seiner dezentralen Standorte nur mit leistungsfähigen Glasfaseranschlüssen beziehungsweise Funknetzen erschließen und nutzen. Dass die Budgets für solche Digitalvorhaben zukünftig aufgestockt werden sollen, ist deshalb ausdrücklich zu begrüßen. Nicht minder wird es aber auch auf die Geschwindigkeit von Genehmigungsverfahren und auf den Datenzugang für kleine und mittlere Unternehmen ankommen. Auch hier weckt der Koalitionsvertrag Hoffnungen.

Den niedergeschriebenen Bekenntnissen der Koalitionäre müssen nun schnellstens Taten folgen, wenn Deutschland seinen Rückstand im globalen Wettbewerb aufholen und in den kommenden Jahren wieder eine Spitzenposition einzunehmen gedenkt. Fest steht, dass dies nur im Zusammenspiel mit dem Mittelstand als gleichermaßen Motor wie Rückgrat der deutschen Wirtschaft gelingen kann. Die Politik ist schlecht beraten, wenn sie ihn mit flächendeckenden Lockdowns oder längst nicht mehr zeitgemäßen gesetzlichen Restriktionen für die überbetriebliche Zusammenarbeit kleiner und mittlerer Unternehmen in genossenschaftlich organisierten Verbundgruppen ausbremst. Jede Blockade des kooperierenden Mittelstands kann sich rasch zum Konjunkturkiller für die gesamte Volkswirtschaft auswachsen und dringend nötige Innovationen im Keim ersticken.

Bei der digitalen und ökologischen Transformation braucht vor allem der Mittelstand jetzt das eindeutige Signal der Politik, dass er eine tragende Säule des ,Masterplans‘ ist und der in Aussicht gestellte gewaltige Investitionsschub nicht an ihm vorbeigeht.

Ein wichtiges Thema hierbei ist, dass die Modernisierung der Verwaltung, die jahrelang nur im Schneckentempo vorangeschritten ist, nun in Bewegung kommt. Richtschnur hierbei muss sein, die Verfahrenswege und Prozesse für Unternehmen zu vereinfachen und damit einen spürbaren Abbau der quälenden Bürokratie zu schaffen.

Neben den bürokratischen Hemmnissen lasten aber noch viele andere Bürden auf den Unternehmen. Seit Jahren beklagt der Mittelstandsverbund die mittelstandsfeindliche EEG-Umlage, die nun gemäß Koalitionsvertrag 2023 endlich abgeschafft werden soll. Gut so – aber die im internationalen Vergleich in Deutschland herrschenden Rekordpreise für Strom sind Ergebnis verschiedener staatlicher Verteuerungseingriffe auch jenseits des EEG, die alle auf den Prüfstand gehören.

Dass die neue Bundesregierung die Rahmenbedingungen für fairen Wettbewerb verbessern und dabei den Erfordernissen des Mittelstands Rechnung tragen möchte, ist positiv zu werten, sofern dem nun auch Taten folgen. Längst überfällig ist es, die massive Benachteiligung der in Verbundgruppen organisierten kleinen und mittleren Unternehmen in ihren Marketingaktivitäten und in der Gestaltung ihrer Verkaufspreise gegenüber Filialunternehmen, globalen Internetplattformen und sonstigen integrierten Systemen zu beenden. Ziel muss ein Level Playing Field im Wettbewerb zwischen Großunternehmen und den lokal verwurzelten Unternehmen sein.

Die Bundesregierung hat ihre Ziele hochgesteckt und wird für die erfolgreiche Umsetzung der ambitionierten Vorhaben engmaschig mit dem Mittelstand zusammenarbeiten müssen. Wir sind dazu bereit und reichen die Hand.“

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