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Die Genossenschaft ist eine organisatorische Innovation, die wir Friedrich Wilhelm Raiffeisen verdanken. Ohne die Ideen und Aktivitäten von Zeitgenossen, Vordenkern und Vorläufern zu vernachlässigen, steht er in der ersten Reihe der genossenschaftlichen Pioniere. Seine Innovation hat sich als nachahmenswert und als nachhaltig herausgestellt.

Dass es Genossenschaftsbanken immer wieder geschafft haben, überzeugende Antworten auf unterschiedlichste Herausforderungen zu finden, ist der äußere Ausdruck von ihrer Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit. Dies gelingt einer Organisation nur dann, wenn sie ihre Identität trotz kontinuierlicher Anpassung von Leistungen und Strukturen erhalten kann. Diese Anforderung enthält einen inhärenten Widerspruch. Ihn aufzulösen setzt den Wunsch voraus, etwas weitergeben zu wollen, und die Fähigkeit, mit Risiken aller Art verantwortungsbewusst umzugehen. Die Sensibilität, neue Entwicklungen früh zu erkennen, muss ebenso dazukommen wie die Bereitschaft, sein Innenleben immer wieder zu optimieren und damit effiziente Wertschöpfung zu ermöglichen. Den Volksbanken und Raiffeisenbanken ist es über einen langen Zeitraum hervorragend gelungen, diese Voraussetzungen für Wettbewerbsfähigkeit zu schaffen. Doch wie sieht es für die Zukunft aus?

Plattform für dezentrale Lösungen

Um diese Frage zu beantworten, ist es hilfreich, auf jene grundlegenden Elemente Bezug zu nehmen, die Raiffeisens Innovation ausmachen. Zuallererst ist dies sein Ansatzpunkt für „Sozialreformen“, die zu seiner Zeit große Bedeutung erlangten: „… das Selbstdenken und die Selbsttätigkeit der Bevölkerung anzuregen, so dass sie mit allem, was sie ist und hat, auch mit Freudigkeit an der Verbesserung ihrer Lage arbeitet.“ Nicht der Ruf nach dem Staat und um externe Hilfe, sondern die Findigkeit zu eigenständigen Lösungen und die Bereitschaft, Verantwortung dafür zu übernehmen, stehen im Vordergrund. Dabei wird anerkannt, dass der Staat für die grundlegenden Weichenstellungen im politischen und regulativen Rahmen zuständig ist. Doch dies lässt breiten Raum für dezentrale Lösungen und Eigeninitiative.

Genossenschaftsbanken können dafür heute Plattformen bieten. Ihre Wettbewerbsfähigkeit wird nämlich auch davon abhängen, wie gut es ihnen in Zukunft gelingt, die Ideen und Wünsche der Menschen in die Bank zu holen, zu prüfen und umzusetzen. Beispielsweise geht es um die Initiierung, Konzipierung und Finanzierung von Projekten mit lokaler oder regionaler Verankerung. Studien über die Präferenzen und Einstellungen junger Menschen zeigen, dass diese Generationen bereit sind, Verantwortung für konkrete Projekte zu übernehmen, dass sie lösungsorientiert sind und dass sie in ihrer Herangehensweise Tradition und Innovation – letztere immer stärker digital ausgeprägt – verbinden. Zudem achten sie auf Marken. Dies lässt bereits erahnen, wie wichtig eine gute Digitalisierungsstrategie für die Genossenschaftsbanken ist.

Ein weiteres genossenschaftliches Kernelement ist das kooperative Geschäftsmodell, also die Kombination aus dezentralen und zentralen Leistungen, die heute vor allem in der Arbeitsteilung innerhalb der genossenschaftlichen FinanzGruppe umgesetzt wird. Dabei handelt es sich – sowohl theoretisch begründet als auch empirisch bestätigt – immer dann um ein überlegenes Modell der Wertschöpfung, wenn lokale Verwurzelung und Informationsvorteile kleinere Einheiten, Risiko-, Kosten- und Kompetenzeffekte jedoch größere Organisationen erfordern. Wie wettbewerbsfähig Genossenschaftsbanken in Zukunft sein werden, hängt davon ab, wie gut es gelingt, die Arbeitsteilung in der Gruppe kontinuierlich auszutarieren und im Umfeld weitreichender Veränderungen zu optimieren. „Was einer allein nicht schafft, das schaffen viele“ erzwingt eine kontinuierliche Anpassung der Zusammenarbeit.

„Genossenschaften sind immer das, was menschliche Einsicht, geistige Kraft und persönlicher Mut aus ihnen macht.“

Das kooperative Geschäftsmodell zeichnet bereits die Strategie vor: die Orientierung an den Mitgliedern. Eine gute Strategie des Mitgliedernutzens – dem sogenannten „MemberValue“ – ist die Grundlage zukünftiger Wettbewerbsfähigkeit. Diese setzt voraus, seine Mitglieder nicht nur zu kennen, sondern zu erkennen, wie sie sich verändern. Dies gilt im Privatkundengeschäft ebenso wie im Firmenkundengeschäft. Es sind die demografischen Veränderungen und die Digitalisierung, die den größten Einfluss auf die MemberValue-Strategien der Genossenschaftsbanken haben werden.

Die Persönlichkeit von Friedrich Wilhelm Raiffeisen, seine Überzeugungen und Werte sind untrennbar mit seinem Wirken verbunden. Dennoch sollte man sich vor Schwarz-Weiß-Denken hüten, das dazu führt, den Genossenschaftsbanken ein umfangreiches Werte-Portfolio zuzuschreiben und dieses den Wettbewerbern abzusprechen. Aus dem genossenschaftlichen Geschäftsmodell mit der MemberValue-Strategie leiten sich jedoch direkt werterelevante Fakten ab, die konkret zu benennen sind: langfristige Orientierung, Verantwortung für Angelegenheiten, die als wichtig eingeschätzt werden und für die Abhängigkeit abgelehnt wird, eine realwirtschaftliche Verankerung der Aktivitäten, die auch einer regionalen Verankerung entspricht. Es ist diese Korrespondenz von Geschäftsmodell und Werten, die den Genossenschaftsbanken eigen ist, die sie auszeichnet, die letztlich auch ihre Identität ausmacht.

Raiffeisens Innovation behutsam weiterentwickeln

Menschen suchen seit jeher Hinweise, an denen sie festmachen können, ob sie einer Bank vertrauen können. Dies sind der persönliche Kontakt mit dem Bankberater und die dabei gewonnenen Erfahrungen. Doch dazu muss ein Anker kommen, der unabhängig von einzelnen Personen ist. Ein solcher Vertrauensanker kann die Identität einer Bank oder einer Bankengruppe sein. Das genossenschaftliche Geschäftsmodell mit seinem inhärenten Wertegerüst ist ein solcher Anker, der eine lange Tradition für sich beanspruchen kann. Dennoch gibt es keine Erfolgsgarantie für die Zukunft. Es gilt, die Innovation von Friedrich Wilhelm Raiffeisen behutsam für die Zukunft weiter zu entwickeln und dabei vor allem die Konsequenzen von demografischen Umbrüchen sowie Digitalisierung offensiv anzugehen. Auch für diese Aufgabe kann Raiffeisen Orientierung geben: „Genossenschaften sind immer das, was menschliche Einsicht, geistige Kraft und persönlicher Mut aus ihnen macht.“

Theresia Theurl ist Professorin für Volkswirtschaftslehre und Geschäftsführende Direktorin des Instituts für Genossenschaftswesen an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören die Ökonomik genossenschaftlicher Kooperationen und die Merkmale eines zeitgemäßen genossenschaftlichen Geschäftsmodells. Theurl ist unter anderem Mitglied im Kuratorium der Friedrich-Wilhelm-Raiffeisen-Gesellschaft e.V.

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