Fundament unserer Wirtschaft: Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger über die Bedeutung des Mittelstands für den Freistaat und welche Rolle Genossenschaften dabei spielen.
Kaum eine wirtschaftspolitische Sonntagsrede kommt ohne ihn aus: den deutschen Mittelstand, seine Stärke und seine Bedeutung für die Gesamtwirtschaft. „Der Mittelstand in Deutschland bildet das Rückgrat der deutschen Wirtschaft“, so bringt es Klaus-Heiner Röhl, Experte für Mittelstandpolitik und Regionalpolitik beim IW Köln, auf den Punkt.
Neben den bloßen Zahlen ist es aber auch ihre Art zu wirtschaften, die das Bild vom Rückgrat der Wirtschaft für den Mittelstand rechtfertigt, betont Röhl: „Mittelständische Unternehmen zeichnen sich durch ihre Flexibilität und Krisenresistenz aus. Gerade in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit erweisen sie sich als stabilisierende Kraft für die Wirtschaft und Gesellschaft.“
Dr. Klaus-Heiner Röhl, Senior Economist für Mittelstandspolitik und Regionalpolitik beim Institut der Deutschen Wirtschaft (IW Köln).
Er belegt dies mit beeindruckenden Zahlen: 99 Prozent der knapp 3,5 Millionen Unternehmen in Deutschland zählen zum Mittelstand, sie beschäftigen mehr als zwei Drittel der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, 80 Prozent der Auszubildenden und erwirtschaften über die Hälfte der Nettowertschöpfung in Deutschland.
Diese Einschätzung teilt auch Carsten Clemens, Vorstandsvorsitzender der VR-Bank Landau-Mengkofen. Er erlebt in der Praxis, wie die besondere Haltung der mittelständischen Firmenkunden seiner Bank sie verlässlich und resilient gegen Krisen macht: „Die mittelständischen Unternehmen zeichnet ihre enge Verbindung zur Region und zu den Menschen aus. Entscheidungen werden mit Augenmaß und langfristiger Perspektive getroffen. Unternehmerinnen und Unternehmer fühlen sich nicht nur dem wirtschaftlichen Erfolg verpflichtet, sondern auch ihren Mitarbeitenden, der Gemeinschaft und der Region.“
Carsten Clemens ist Vorstandsvorsitzender der VR-Bank Landau-Mengkofen.
Dem gegenüber stehen die aktuellen Nachrichten aus den Wirtschaftsmedien. Kaum eine Woche vergeht ohne neue Hiobsbotschaften vom Arbeitsmarkt. Automobilhersteller und große Zulieferbetriebe, aber auch Großunternehmen im Luft- und Bahnverkehr kündigen Stellenabbau im vier- oder fünfstelligen Bereich an. Sie reagieren damit auf mangelnde Nachfrage, globale Unsicherheiten und weitere widrige wirtschaftliche Rahmenbedingungen. Das wirtschaftliche Umfeld betrifft die mittelständische Wirtschaft natürlich ebenso. Aber sie geht anders mit den Herausforderungen um. Bernhard Werner, Vorstandssprecher der VR Bank Mittlere Oberpfalz, beschreibt es so: „Der Mittelstand ist sehr bedacht auf Kontinuität. Er hält solange es geht an den Mitarbeitern fest, an den Fachkräften, weil er weiß: Wenn man sie heute freisetzt, kriegt man sie morgen nicht mehr zurück.“
Bernhard Werner ist Vorstandssprecher der VR Bank Mittlere Oberpfalz.
Werners Bank betreut Kunden im gesamten Landkreis Schwandorf. Die Region steht wirtschaftlich gut da. Die Arbeitslosenquote im Landkreis liegt bei rund 3,7 Prozent, und damit unter dem bayerischen Schnitt (4,2 Prozent) und deutlich unter der bundesweiten Quote von 6,3 Prozent. Der Grund ist die mittelständische Wirtschaftsstruktur der Region: „Wir haben einen guten Branchenmix im Landkreis, keine Monokulturen, das hilft uns. Wir haben keine riesengroßen Player, sondern kleinere, mittelständische Betriebe, die in der Regel sehr stark kapitalisiert sind“, so beschreibt es der Bankvorstand. Durch die starke Eigenkapitalbasis haben Mittelständler einen längeren Atem, um schwierige Zeiten durchzustehen. Und viele kleine Betriebe ergeben eine dichtere und stabilere Wirtschaftsstruktur als wenige Großunternehmen. Sie sind flexibler, anpassungsfähiger und weniger anfällig für geopolitische Krisen. All das macht die mittelständischen Unternehmen unverzichtbar.
„Genossenschaften sind ein wesentlicher Pfeiler der mittelständischen bayerischen Wirtschaft.“
Stefan Müller, GVB-Präsident
So wie der Mittelstand zu Deutschland gehört, gehören Genossenschaften zum Mittelstand. Entsprechend versteht sich der Genossenschaftsverband Bayern (GVB) als Sprecher für mittelständische Interessen, wie GVB-Präsident Stefan Müller betont: „Unsere Mitglieder sind ein wesentlicher Pfeiler der mittelständischen bayerischen Wirtschaft. Die genossenschaftlichen Unternehmen haben selbst entsprechende Strukturen und auch ihre Mitglieder, Partner und Kunden sind Unternehmen aus dem Mittelstand. Das gilt für die Volks- und Raiffeisenbanken, aber auch für produzierende Genossenschaften wie Molkereien oder beispielsweise für Großhandelsgenossenschaften. Sie sind unverzichtbar, damit ihre Mitglieder mit ihrer Unternehmung erfolgreich sein können. Deshalb sehen wir es als wichtige Aufgabe des Verbands, dass wir uns für gute Rahmenbedingungen für den bayerischen Mittelstand einsetzen.“
„Der genossenschaftliche Gedanke spiegelt genau das wider, was den bayerischen Mittelstand prägt.“
Carsten Clemens, Vorstandsvorsitzender der VR-Bank Landau-Mengkofen
„Mittelstand und Genossenschaften teilen die gleichen Grundwerte: Eigenverantwortung, Solidarität, Nachhaltigkeit und regionale Verbundenheit. Sie denken langfristig und stellen den Menschen in den Mittelpunkt ihres Handelns“, so beschreibt es Bankvorstand Carsten Clemens. „Der genossenschaftliche Gedanke ,Was einer allein nicht schafft, das schaffen viele' spiegelt genau das wider, was den bayerischen Mittelstand prägt: gemeinschaftliches Denken, Handschlagqualität und Verantwortungsbewusstsein."
Angesichts gemeinsamer Werte und Haltungen ist es kein Wunder, dass die Volks- und Raiffeisenbanken gefragte Partner bei der Mittelstandsfinanzierung sind. In etwa ein Viertel des gesamten Volumens an Krediten an Unternehmen wird in Bayern von einer Volks- und Raiffeisenbank ausgereicht. Die Rolle der Genossenschaftsbanken geht allerdings weit über die reine Kreditversorgung hinaus. Clemens beschreibt es so: „Wir verstehen uns als langfristiger Partner, der unternehmerisches Handeln begleitet, regionale Wertschöpfung stärkt und Verantwortung übernimmt. Damit leisten die bayerischen Volks- und Raiffeisenbanken einen wesentlichen Beitrag zur wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Stabilität im Freistaat.“
4.757 kleine und mittelgroße Unternehmen (KMU) pro 100.000 Einwohner: In keinem Flächenland ist die Dichte an mittelständischen Unternehmen größer als in Bayern. Grafik: Institut für Mittelstandsforschung IfM Bonn
Die Nähe zu den Kundinnen und Kunden und zur Region ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor der Genossenschaftsbanken. Wenn Bernhard Werner von der VR Bank Mittlere Oberpfalz mit seinen Firmenkundenberatern spricht, berichten diese ihm, dass die persönliche Beratung immer stärker nachgefragt wird. „Neben dem Steuerberater sind wir als Genossenschaftsbank ein wichtiger Ratgeber und wirtschaftlicher Wegbegleiter der Unternehmen. Und das wird sehr geschätzt und honoriert. Dadurch entstehen langfristige Kundenbeziehungen.“
Die Beratung der Kunden wird allerdings zunehmend komplizierter. Als Grund nennt Werner die ständig steigenden Anforderungen im Meldewesen und anderen Bereichen der Regulatorik. „Das hat sich hochgeschaukelt in den vergangenen Jahren, sowohl in Brüssel als auch in Berlin. Wir müssen hier wieder ein Gang runterschalten, um insgesamt effizienter und auch wirtschaftlicher arbeiten zu können. Es geht heute viel zu wenig um das Kerngeschäft der Bank, um die Kunden und darum, die Region weiterzuentwickeln. Das Kerngeschäft ist aber wirklich wichtig, um am Schluss den Mittelstand als Rückgrat der Wirtschaft zu stärken.“
Wenn es dem Mittelstand gut geht, geht es der regionalen Wirtschaft gut. Aber was passiert bei Beschwerden am Rückgrat? Man kennt es aus persönlicher Erfahrung: Rückenschmerzen können in den gesamten Körper ausstrahlen, die Flexibilität, Stabilität und Produktivität leiden. Ähnlich ist es auch beim Mittelstand. Läuft es dort nicht mehr rund, hat das Auswirkungen auf die gesamte Region. Ein Blick auf den Mittelstandsindex der Datev, den die Genossenschaft monatlich anhand von Realdaten erstellt, gibt Anlass zur Sorge. „Die wirtschaftliche Lage in mittelständischen Unternehmen in Deutschland bleibt angespannt. Eine nachhaltige Erholung ist nicht in Sicht. Im September sank der Umsatz im Vergleich zum Vorjahr um 2,7 Prozent, er ging in allen Branchen zurück – selbst bei den mittleren Unternehmen, die sich jüngst positiver entwickelt hatten“, berichtet Robert Mayr, CEO der Datev (siehe Beitrag in dieser Ausgabe).
Der DATEV-Mittelstandsindex zeigt seit 2022 rückläufige Umsätze. Grafik: DATEV
Angesichts der Herausforderungen für den Mittelstand drängt GVB-Präsident Stefan Müller auf eine spürbare Entlastung. „Dringend nötig ist eine Agenda, die Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit stärkt, und ein Klima, das Unternehmertum belohnt. Außerdem sind jetzt mutige Schritte zum Abbau unnötiger Bürokratie notwendig: Genehmigungsverfahren beschleunigen sowie Dokumentations- und Berichtspflichten vereinfachen“, fordert er. Denn einen Nutzen kann er in vielen dieser Auflagen und Vorschriften nicht erkennen.
„Wir werden nicht erfolgreicher werden in Deutschland, wenn immer noch mehr Regulatorik draufgepackt wird.“
Bernhard Werner, Vorstandssprecher der VR Bank Mittlere Oberpfalz
Auch Bankvorstand Bernhard Werner erhofft sich ein Ende der sich immer schneller drehenden Regulierungsspirale. „Wir werden nicht erfolgreicher werden in Deutschland, wenn immer noch mehr Regulatorik draufgepackt wird. Das gilt für uns Banken, aber genauso für unsere Firmenkunden. Egal, ob das im Bereich Gesundheitswesen, Bauwirtschaft oder in anderen Branchen ist.“ Viele seiner Firmenkunden berichten, sie wären frustriert davon, wie viel Zeit sie darauf verwenden müssen, die Regulatorik zu erfüllen. „Die Menschen haben ja nicht Spaß an der Regulatorik, die möchten ihrer eigentlichen Tätigkeit in ihrer Branche nachgehen.“
Verlässliche Rahmenbedingungen – dieser Wunsch steht neben Bürokratieabbau ganz oben auf der Liste vieler Mittelständler, wenn man sie nach ihren Forderungen an die Politik fragt. „Unsicherheit ist Gift für die Wirtschaft“, betont Werner. „Investitionen werden bei kleinen und mittelgroßen Unternehmen auf eine lange Perspektive ausgerichtet. Da möchten die Unternehmen sich darauf verlassen können, dass die Rahmenbedingungen dann nicht von heute auf morgen geändert werden.“
Wenn das Umfeld stimmt, sind die mittelständischen Unternehmen offen für Investitionen und Innovationen. Entsprechend optimistisch blickt Bankvorstand Carsten Clemens auf die Zukunft der mittelständischen Unternehmen: „Viele Betriebe sind über Generationen gewachsen und dennoch offen für Neues – sei es in der Digitalisierung, im Klimaschutz oder in der Mitarbeiterentwicklung. Sie sind hier bereits engagiert unterwegs, doch sie benötigen verlässliche Partner, die sie auf diesem Weg begleiten. Wir sehen uns genau in dieser Rolle: als Partner auf Augenhöhe, der wirtschaftlich denkt, regional handelt und gesellschaftlich Verantwortung übernimmt. Wir möchten Mut machen, Chancen zu erkennen und Veränderungen aktiv zu gestalten – damit der bayerische Mittelstand auch künftig Motor für Wohlstand, Innovation und Zusammenhalt bleibt.“