Regionalität: Die BioRegioGenossenschaft Radis&Bona verkauft in ihrem Bio-Hofladen in Regensburg regionale Produkte. Genossenschaftsmitglieder sind sowohl Erzeuger als auch Verbraucher.
Die Frage, ob noch irgendwo ein Supermarkt aufhat, stellt sich in Auerbach und Umgebung, im südwestlichen Bayerischen Wald, nicht. Wer um drei Uhr nachts aus unerklärlichen Gründen plötzlich Heißhunger auf frisches Gebäck, Räucherschinken oder saftige Bio-Äpfel hat, kann kurz in die Dorfladenbox auf der Hauptstraße gehen. Die Tür lässt sich rund um die Uhr per App öffnen. Drinnen warten feinsäuberlich eingeräumte Regale, in denen es neben frischen Eiern, eingelegtem Gemüse und Schokolade auch handgemachte Seifen oder Brotzeitbrettl gibt. Auf einem steht „Der Mann, der Mythos, die Legende. No. 1 Grillmeister.“, auf einem anderen „Endlich Schulkind“.
Eine richtige Kasse gibt es nicht. Bezahlt wird entweder mit Karte an einem Handy, das als Kartenlesegerät dient, oder direkt in der eigenen Handy-App, mit der auch alles gescannt wird.
Es gibt keine Kasse. Bezahlt wird mit der Handy-App, mit der man auch die Einkäufe scannt.
„Der Renner ist die selbst hergestellte Pizza, die vom örtlichen Italiener handgemacht wird. Da verkaufen wir in 24 Stunden 150 Stück. Sie ist immer gleich ausverkauft. Wir wissen bei jedem Produkt immer, wo das herkommt und wer dahintersteckt. Und es macht Spaß, weil die Leute mitmachen. Unsere Genossenschaft ist ein Garant dafür, denn viele im Ort sehen das als ihren Laden und kaufen da gerne und regelmäßig ein“, erklärt Gerhard Weber.
Lange stand das Gebäude mitten im Ort leer
Weber ist der Vorstand der Genossenschaft Heimatwinkel, die die Dorfladenbox seit einem Jahr betreibt. Gleichzeitig ist er auch der Bürgermeister von Auerbach im Bayerischen Wald. Der Laden war früher mal eine Metzgerei, die zu einem Wirtshaus gehörte. Als der Wirt zumachte, stand das zentral gelegene große Gebäude lange leer.
Ein Phänomen, das in Orten wie Auerbach öfter vorkommt. Ostbayern gehört neben Teilen Frankens zu den strukturschwachen Regionen, aus denen mehr Menschen in die großen Ballungszentren ziehen. Für Weber und die Bürgermeister der umliegenden neun Gemeinden aus den drei Teilregionen Lallinger Winkel, Sonnenwald und Ohetal, ein großes Problem, das sich langsam bessert: „Wenn ich mich mit jungen Menschen unterhalte, habe ich das Gefühl, dass sie vor allem seit Corona den ländlichen Raum wieder mehr schätzen, und zwar unabhängig von der Genossenschaft. Junge Menschen entdecken seit ein paar Jahren, was ihnen ihre Heimat bietet und was wir für eine Lebensqualität haben. Wir unterstützen das auf unsere Art und Weise“, sagt Weber. Durch digitales Arbeiten im Homeoffice sei heute auch nicht mehr jeder gezwungen, in eine große Metropole außerhalb der Region zu ziehen. Und das „Heimatviertel“ — so nennen die Genossenschaftler ihre Region — bietet mit der Donau und dem umliegenden Wald eine idyllische Umgebung, die auch bei Touristen immer beliebter wird.
Tagsüber kommen neben Kundinnen und Kunden auch regelmäßig Landwirte mit großen Körben voller Produkte in den Laden, um die Regale wieder aufzufüllen. Sie sind Erzeuger, Lieferanten und Ladenpersonal in einem und natürlich Mitglieder der Heimatwinkel. Das ist Voraussetzung, wenn man seine Produkte im Laden verkaufen will.
49 Betriebe aus der Region bestücken den Dorfladen
Mittlerweile besteht das Sortiment aus über 500 Produkten, die von 49 unterschiedlichen Betrieben aus der Region stammen. Darunter Hofläden, Imkereien, Fischzuchten und Brauereien. Am Anfang fragten sich die Genossenschaftler, ob man für den Laden auch festes Personal brauche, das wäre jedoch für die Mitglieder ein zeit- und kostenintensives Problem geworden, erklärt Weber: „Wir wollen mit unserer Dorfladenbox ländlichen Erzeugern einen Plattform bieten. Wir wussten aber, dass es schwierig wird, es wirtschaftlich hinzukriegen, wenn das personalintensiv betrieben werden muss. Deswegen haben wir uns entschieden, dass unsere Kundinnen und Kunden dort digital einkaufen können. So haben wir uns für die Dorfladenbox-App und das dazugehörige Konzept entschieden.“
Die Genossenschaft Heimatviertel ermöglicht mit den Dorfladenboxen regionalen Betrieben und Erzeugern, ihre Produkte zu verkaufen.
Die Idee der „Dorfladenbox“ als unabhängige, regional belieferte Dorfläden, die mit der dazugehörigen App betrieben und verwaltet werden, stammt von drei oberösterreichischen Gründern, die die App entwickelt haben. Inzwischen gibt es über 40 solche „Boxen“ in Österreich, Deutschland und der Schweiz. Alle werden unabhängig voneinander von Genossenschaften, Vereinen und Privatleuten betrieben und unterscheiden sich im Sortiment. Gerade im ländlichen Raum bietet sich so ein digitales Geschäftsmodell an.
Dass die Heimatwinkel-Dorfladenbox wegen guter Absatzzahlen teilweise sogar auf Platz eins im App-Ranking lag, macht Gerhard Weber stolz: „Das Ziel ist, Regionalität vor Ort zu unterstützen, aber dass man das auch wirtschaftlich und nachhaltig umsetzen kann. Darum ist dieses digitale Model von Erfolg gekrönt. Augenblicklich sind wir aber die Nummer zwei. Ein Laden in Wien ist ein bisschen stärker als wir.“
Ein Konzept mit großer Außenwirkung
Der Dorfladen ist auch das Ergebnis jahrelanger Arbeit des Gemeindeverbunds ILE Sonnenwald, der gewissermaßen den Dachverband der Genossenschaft bildet. ILE steht für „Integrierte Ländliche Entwicklung“. Seit rund fünfzehn Jahren schließen sich Gemeinden in ganz Bayern auf Anraten der Landesregierung zu ILEs zusammen mit dem Ziel, ihre Regionen zu stärken.
Im Mai 2024 wurde nach verschiedenen Projekten die Genossenschaft Heimatviertel gegründet, ein halbes Jahr später am 30. November folgte die Eröffnung der Dorfladenbox: „Aus diesem Zusammenschluss ist die Marke Heimatviertel entstanden, mit der wir inzwischen eine Außenwirkung bis in die Nachbarlandkreise haben. Deshalb werden wir die ILE Sonnenwald demnächst in ILE Heimatviertel umbenennen“, erklärt Weber.
Für die Sichtbarkeit der Marke sorgen unter anderem Genossenschaftsmitglieder, die Reiterhöfe und Dorfcafés betreiben und dort Events wie Konzerte und Yogakurse veranstalten. Auf regionalen Wochenmärkten ist die Genossenschaft mit einem Stand und dem „Heimatviertel on Tour“-Anhänger vertreten: „Wir haben hier in der Region 25.000 Einwohnerinnen und Einwohner. Da versuchen wir den ländlichen Raum durch dieses Thema —jeder hat eine Heimat und jeder hat sein Viertel — zu stärken. Das geht am einfachsten über die Erzeugung regionaler Produkte, aber es kann auch über Energie, Events und andere Dinge weitergeführt werden“, sagt Weber, der auch zweiter Vorsitzender der ILE ist. Hierfür soll bald ein Heimatviertel-Quartier entstehen. Im Augenblick erwägt Heimatwinkel, dafür eine eigene Energiegenossenschaft zu gründen, falls sie sich nicht in eine umwandeln kann.
Der Vorstand und der Aufsichtsrat der Heimatviertel eG.
Vorstandsmitglied Weber ist wegen der vielfältigen Projekte sehr froh, dass viele Mitglieder tatkräftig mithelfen. Ganz besonders seine vier Stellvertreter: Karin Bernauer, Albert Straßer, Tamara Posch und Konrad Kroiß. „Wichtig ist eine gut funktionierende Vorstandschaft. Wir sind fünf Vorstände. Wir machen alles ehrenamtlich. Unser Aufsichtsrat macht das auch ehrenamtlich. Darüber hinaus braucht man viele Akteure vor Ort, die mithelfen. Auch wenn man zum Beispiel nur eine Heimatviertel-Ü40-Party ausrichtet. Wir haben ein paar Hundert Mitglieder und generell gilt bei uns, dass wir einander helfen.“
Gegenseitige Wertschätzung und gemeinsames Mitanpacken sind das A und O des Heimatviertels. Frei nach dem genossenschaftlichen Grundgedanken: „Was einer allein nicht schaffen kann, schaffen viele gemeinsam.“ So wird die Heimatviertel-Region am südlichen Rand des Bayerischen Walds auch wieder wachsen können.