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Frank Dietrich steht zwischen zwei Reihen von Rebstöcken im Weinberg. Der Boden zu seinen Füßen ist dicht mit Blumen, Kräutern und Klee bewachsen, und ein leichter Wind lässt die weißen Blüten einer Schafgarbe hin und her schwingen. Zwei Hummeln schwirren um eine blühende Esparsette, eine Feuerwanze kämpft sich durch das feuchte Dickicht. Wo Dietrich steht, geht es bergab, aber ein Stück weiter unten wird es flacher und der Weinberg geht in die Mainaue über. Die grünen Trauben schimmern matt in der Sonne. „So stellen wir uns bei der Winzerkeller Sommerach eG einen idealen Weinberg vor: Naturbelassen, vielfältig, mit Lebensraum für Tiere und Pflanzen“, sagt Dietrich, Vorstandsvorsitzender der Genossenschaft.

Ein Mitglied der Winzergenossenschaft baut dort, am Sommeracher Katzenkopf, die alte Rebsorte Adelfränkisch an. Früher sahen viele Weinberge so aus. Doch ab den 1970er Jahren wandelte sich das Landschaftsbild: Mit Unkrautvernichtern wie Glyphosat, der Bodenfräse, oder auch per Hand gingen die Winzerinnen und Winzer den Wildpflanzen an den Kragen. Nun sahen die Weinberge zwar ordentlich gepflegt wie Golfplätze aus, aber sowohl Bienen als auch Reptilien wie Mauereidechsen oder Vögel wie der Neuntöter suchten das Weite.

„Wir wollen den Trend umkehren und die Biodiversität fördern“, betont Dietrich. Anstatt zu spritzen oder zu mulchen, walzen die Weinbauern mittlerweile die Fläche zwischen den Rebstöcken. Dabei knicken die Halme der Wildpflanzen ab, sie leben aber weiter, schützen den Boden, und bieten Lebensraum für Tiere. Diese Methode biete viele Vorteile, sagt Dietrich. So ist etwa die Schlupfwespe in die Weinberge zurückgekehrt. Nützlinge wie sie bekämpfen Schädlinge wie den Traubenwickler. Außerdem kommen Weinberge ohne tief im Erdreich verwurzelte Pflanzen schlechter mit klimatischen Veränderungen zurecht. Bei Starkregen etwa versickert das Wasser nicht, sondern fließt oberirdisch ab, nimmt die oberste Erdschicht mit und sorgt so für Erosion. Zudem sind einige Pflanzenarten wie Leguminosen ein natürlicher Stickstofflieferant für den Boden und ergänzen oder ersetzen sogar den mineralischen Dünger.

Die Biodiversität in den Weinbergen zu fördern ist eine Herausforderung. Und doch ist es nur ein kleiner Teil einer Mammutaufgabe, der sich die Winzerkeller Sommerach eG stellt. Die Genossenschaft will nachhaltiger werden. Dazu hat sie sich einem ganzheitlichen nachhaltigen Wirtschaften verpflichtet und messbare Nachhaltigkeitsziele in den Bereichen Ökologie, Ökonomie und Soziales aufgestellt. Um die Entwicklung festzuhalten, gibt es für das Geschäftsjahr 2020 erstmals einen Nachhaltigkeitsbericht. „Ziel ist es, jedes Jahr ein Stückchen besser zu werden, damit wir die einzigartige fränkische Kulturlandschaft bewahren und eine artenreiche Landschaft mit lebendigen und gesunden Böden hinterlassen. Schließlich denken wir nicht in Jahrgängen, sondern in Generationen“, sagt Dietrich.

Strukturwandel erreicht Winzer

Die Anstrengungen für mehr Nachhaltigkeit sollen den langfristigen Fortbestand der Genossenschaft sichern. Vorstand und Mitglieder treiben vor allem drei Motive an. Erstens der Strukturwandel: Was in vielen Bereichen der Landwirtschaft bereits weit fortgeschritten ist – die kleinen Betriebe geben auf, die großen Betriebe wachsen weiter – findet sich zunehmend auch bei den Winzern. Nach Statistiken der bayerischen Staatsregierung ist die Anzahl der Weinbaubetriebe im Freistaat auf rund 3.300 gesunken, ein Minus von über 3.000 Betrieben in den vergangenen zwei Jahrzehnten. Bei der Winzerkeller Sommerach eG gibt es aktuell 90 Winzerfamilien, die hauptsächlich im Nebenerwerb tätig sind. „Wir alle wollen die kleinstrukturierten, traditionellen Strukturen bewahren und der nächsten Generation eine attraktive Perspektive bieten. Das geht aber nur, wenn wir einerseits weiterhin qualitativ hochwertige Weine produzieren sowie andererseits Verantwortung für die Umwelt übernehmen und die vorhandenen Ressourcen erhalten“, betont Dietrich.

Zweitens reagiert die Genossenschaft auf die Wünsche vieler Verbraucherinnen und Verbraucher. Diese fragen immer stärker nach, unter welchen Bedingungen der Wein entsteht und welche Pflanzen- sowie Insektenschutzmittel zum Einsatz kommen. Deshalb verzichtet die Genossenschaft zunehmend auf chemische Wirkstoffe, das umstrittene Herbizid Glyphosat ist in Sommerach seit 2018 verboten. Als natürliche Alternative bietet sich der Einsatz von Spezialmaschinen an, die das Unkraut im Unterstock entfernen, ohne dabei die Reben zu beschädigen. Da diese Geräte teuer sind, lohnt sich für kleine Weingüter so eine Investition nicht. Die Winzerkeller Sommerach eG setzt deshalb auf die Kraft der Genossenschaft und hat einen Weinbautraktor mit der nötigen Ausrüstung gekauft. Die Mitglieder können diesen zum Selbstkostenpreis anfordern.

Drittens möchte die Genossenschaft die Einzelentscheidungen, die sie in den vergangenen Jahren stets im Sinne der Nachhaltigkeit getroffen hat, in ein ganzheitliches Konzept einbinden. Beispielsweise wird die 2006 neugebaute Vinothek von Beginn an mit Strom aus regenerativer Energie versorgt. Und auf dem Dach des Flaschenlagers ist eine PV-Anlage mit einer Spitzenleistung von 220 Kilowatt installiert. Sie produziert rund ein Drittel des benötigten Strombedarfs. „Wir haben uns in den vergangenen Jahren also kontinuierlich in Richtung Nachhaltigkeit bewegt. Es fehlte aber die Entscheidung, diesen Weg in der gesamten Genossenschaft konsequent einzuschlagen und zu verfolgen“, sagt Dietrich.

Die Mitglieder entscheiden

Den Beschluss, den Weg für mehr Nachhaltigkeit zu gehen, traf nicht der Vorstand, sondern ein Anfang 2019 eingerichteter Arbeitskreis. Dieser bestand aus allen Vollerwerbsbetrieben sowie mehreren Nebenerwerbsbetrieben der Genossenschaft, die zusammen rund 85 Prozent der Rebfläche repräsentieren. Nach einigen – laut Dietrich teils sehr kontroversen – Diskussionen entschied der Arbeitskreis im August 2019 nahezu einstimmig, dem Verein „Fair’n Green“ beizutreten. Dieser entwickelte Grundsätze für nachhaltigen Weinbau und hilft damit Winzerbetrieben, Nachhaltigkeitsziele objektiv mess- und überprüfbar zu machen. Fair’n Green ist der wichtigste Standard im nachhaltigen Weinbau. „Natürlich kann man auch seine eigenen Regeln aufstellen. Aus unserer Sicht lohnt es sich jedoch aus zwei Gründen, dem Verein beizutreten. Erstens tritt man so nach außen glaubwürdig auf, zweitens gibt es Leitplanken, an denen wir uns intern orientieren können“, betont Dietrich.

Bereits den Jahrgang 2019 ließ sich die Genossenschaft von Fair’n Green zertifizieren, seitdem tragen die Weine der Winzerkeller Sommerach eG das entsprechende Siegel auf dem Etikett. „Wir hatten bereits vorher die meisten Bedingungen erfüllt und beispielsweise umweltschützende sowie bodenfördernde Maßnahmen in unseren Traubenerzeugungsbedingungen und Qualitätsregeln verbindlich festgeschrieben. Deswegen war der Zusatzaufwand für das erste Audit nicht so hoch. Generell ist der administrative Aufwand jedoch nicht zu unterschätzen, vor allem da wir Wert darauf legen, 100 Prozent der Daten zu erfassen“, betont Dietrich.

Der Nachhaltigkeitsstandard von Fair’n Green umfasst vier Richtlinien zu Betriebsführung, Umwelt, Gesellschaft und Wertschöpfungskette. In ihnen ist festgehalten, welche Maßnahmen eine nachhaltige Entwicklung des Betriebs und der Region fördern. Ein Beispiel: Weingüter dürfen ausschließlich auf die Verwirrmethode zur Bekämpfung des Traubenwicklers setzen. Der Traubenwickler ist ein Schädling, dessen Larven die Blüten und Trauben von Rebstöcken befallen und dadurch den Ertrag mindern. Eine Option, um den Wickler zu bekämpfen, sind Insektizide. Es gibt jedoch umweltschonende Möglichkeiten wie die Verwirrmethode. Dabei werden Sexual-Duftstoffe in Plastikkapseln ausgebracht. So können die Männchen die Weibchen nicht mehr lokalisieren, die Fortpflanzung ist gestoppt.

Grundsätzlich sind Schutzmittel jedoch nicht verboten: Die Mitglieder der Winzerkeller Sommerach eG setzen nach wie vor auf chemische und biologische Wirkstoffe, um beispielsweise gegen Pilz-Krankheiten wie den Echten Mehltau vorzugehen. Dazu arbeiten sie mit Wissenschaftlern zusammen, die die Giftigkeit der Inhaltsstoffe analysieren und einen sogenannten „Toxic Load Indicator“ berechnen. „Wichtig ist uns, möglichst umweltverträgliche Lösungen zu nutzen“, sagt Dietrich.

Leichte Flaschen sparen CO2

Dabei tragen nicht nur die Winzer zur nachhaltigen Entwicklung bei. Auch die Genossenschaft selbst hat ihre Prozesse auf den Prüfstand gestellt. Einige Beispiele: Die eG füllt die Weine seit 2019 in leichte Glasflaschen ab und spart dadurch 50 Tonnen CO2 pro Jahr. Das für die Etiketten und Kartonagen verwendete Papier ist FSC-zertifiziert und wird aus Holz nachhaltig bewirtschafteter Wälder hergestellt. Der Versand der Weinflaschen per Post erfolgt klimaneutral. Und die eingesetzten Verschlüsse sind zu nahezu 100 Prozent aus recyceltem Aluminium beziehungsweise aus FSC-zertifiziertem Kork.

Zum ganzheitlichen Nachhaltigkeitsansatz der Winzerkeller Sommerach eG gehört, Verantwortung für die Mitglieder zu übernehmen und sie angemessen zu entlohnen. So setzen sich die jährlichen Traubengeldzahlungen aus den Ansprüchen aus verschiedenen Jahrgängen zusammen. Einen Jahrgang zahlt die Genossenschaft über drei Jahre hinweg aus. Dieses System sorgt für einen gleichmäßigen Mittelzufluss und gleicht Schwankungen aus, beispielsweisen in Jahren mit geringen Erntemengen. Zudem bildet die Genossenschaft in guten Jahren Rückstellungen, um Betriebe in schlechten Jahren zu stützen. Dietrich: „Unser System der Traubengeldzahlungen ist ein sehr solides Instrument, damit die Winzer auch dann ein Einkommen haben, wenn ihnen das Wetter einen Strich durch die Rechnung macht.“ Die Mitglieder können auf diese Weise auch ein Jahr wie 2020 mit verheerenden Frostschäden überstehen.

Mit dem bisherigen Prozess auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit ist Frank Dietrich sehr zufrieden. Gleichzeitig verweist er darauf, dass die Genossenschaft noch einige Hürden zu meistern hat. „Aktuell ist die Situation sehr herausfordernd, einfach, weil 2021 ein extrem schwieriges Jahr ist“, betont er. Nicht endende Niederschläge, Pilzbefall, üppiges Wachstum der Pflanzen und die Einschränkungen durch die Corona-Pandemie sind nicht spurlos an den Winzerinnen und Winzern vorbeigegangen. Die Arbeit im Weinberg ist nun jedoch getan, bald beginnt die Lese. „Wir hoffen inständig, dass uns die Natur einen versöhnlichen Jahrgang schenkt. Dann könnten wir im Dezember auf eine harte, aber erfolgreich bestandene Bewährungsprobe zurückblicken“, sagt Dietrich.

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