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Herr Ferber, was sind aus Ihrer Sicht die zentralen Erkenntnisse der Studie?

Markus Ferber: Die Studienergebnisse zeigen deutlich, dass die zunehmenden ESG-Regulatorien erhebliche Auswirkungen auf kleine und mittlere Unternehmen (KMU) und deren Finanzierung haben. Der Mittelstand ist eine tragende Säule unserer Volkswirtschaft. Es ist hinreichend bekannt, dass die Unternehmen aufgrund des aktuellen Umfelds in Deutschland derzeit vor erheblichen Herausforderungen stehen – zu nennen sind hier insbesondere der Fachkräftemangel sowie die hohen Energie- und Rohstoffpreise. Seit Jahresbeginn rückt ein weiteres Problem für KMU in den Fokus: die Ausweitung der ESG-Regularien auf diese Unternehmen.


Wo sehen Sie bei der Ausweitung der ESG-Regulatorik die größten Probleme für den Mittelstand?

Ferber: Wir befürchten, dass durch die neuen gesetzlichen Regularien und Berichtspflichten zu Nachhaltigkeit, sozialem Engagement und guter Unternehmensführung (kurz ESG) erheblicher weiterer bürokratischer Aufwand im Mittelstand entsteht und dass dies auch zu Problemen bei der externen Finanzierung beziehungsweise Kreditvergabe durch gegebenenfalls schlechtere Rankings führt. Damit gibt es dringenden Handlungsbedarf für die Politik, damit es nicht zu einer Benachteiligung von KMU durch die ESG-Berichtspflichten kommt. Stellen Sie sich beispielsweise mittelständische Handwerks- oder Bäckereibetriebe vor, die nicht über Controlling-Abteilungen von Großunternehmen verfügen – ein entsprechender zusätzlicher Aufwand ist für diese meist Inhaber-geführten Unternehmen praktisch nicht darstellbar.

„Die Ergebnisse der Studie verdeutlichen die dringende Notwendigkeit für die Politik, mögliche Benachteiligungen von KMU durch die ESG-Berichtspflichten zu verhindern.“

Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie aus den Ergebnissen der Studie?

Ferber: Ziel der Studie war es, auf die möglichen Finanzierungsschwierigkeiten von KMU hinzuweisen, die sich sowohl aus der ESG-Gesetzgebung wie auch aus den Bedingungen der sogenannten Green Asset Ratio ergeben. Die Ergebnisse der Studie verdeutlichen die dringende Notwendigkeit für die Politik, zu handeln und mögliche Benachteiligungen von KMU durch die ESG-Berichtspflichten zu verhindern. Die Einführung praktikabler und einheitlicher Standards für die ESG-Berichterstattung von KMU ist essenziell, um die Unternehmen auf die neuen Herausforderungen vorzubereiten. Insbesondere vor dem Hintergrund der steigenden Berichtspflichten ab dem Jahr 2026 sollten die Standards rechtzeitig formuliert und kommuniziert werden, damit sich die betroffenen KMU angemessen darauf einstellen können. Es liegt in der Verantwortung des Gesetzgebers, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass die Transparenz- und Berichtspflichten für KMU umsetzbar sind und eine faire und nachhaltige Finanzierung ermöglichen.


Wo müssen der europäische und auch der deutsche Gesetzgeber reagieren, damit sich der Mittelstand den Herausforderungen der Nachhaltigkeit adäquat stellen kann?

Ferber: Der Gesetzgeber sollte möglichst schnell praktikable und einheitliche Standards für eine angemessene ESG-Berichterstattung von KMU formulieren. Denn nur so können sich die betroffenen KMU adäquat auf die neuen Herausforderungen vorbereiten und dem zusätzlichen Informationsbedarf von Kreditinstituten, Großunternehmen, Konsumenten und weiteren Stakeholdern in der Wertschöpfungskette gerecht werden. Eine frühzeitige Kommunikation und klare Richtlinien sind unerlässlich, um den Mittelstand vor ungerechtfertigten Nachteilen zu schützen und sicherzustellen, dass die Unternehmen nachhaltige Finanzierungsmöglichkeiten erhalten, die zu ihrem langfristigen Wachstum und Erfolg beitragen können.


Herr Ferber, vielen Dank für das Interview!
 

Nachhaltigkeitsregularien im Mittelstand: Gesetzgeber hat akuten Handlungsbedarf

Im Auftrag der Hanns-Seidel-Stiftung haben Maximilian Blaschke, Markus Frank und Professor Gunther Friedl vom Lehrstuhl für Controlling der Technischen Universität München die Studie „Nachhaltigkeitskriterien im Mittelstand: Werden aktuelle Regulatorien im Bereich Nachhaltigkeit zu Finanzierungsschwierigkeiten im deutschen Mittelstand führen?“ erstellt. Professor Gunther Friedl stellt die Schlussfolgerungen der Studie vor:
 

ESG-Regularien treffen Unternehmen in vielerlei Hinsicht

„Aktuelle Regularien im ESG-Bereich werden mittelständische Unternehmen in vielerlei Hinsicht treffen. Zunächst werden KMU mit der schrittweisen Ausweitung der EU-Gesetzgebung auf Großunternehmen bereits durch ihre Rolle als Zulieferer mittelbar immer weitreichendere Transparenz- und Berichtspflichten erfüllen müssen. Spätestens mit der Ausweitung der Verpflichtungen auf KMU wird dies dann auch unmittelbare Effekte haben.


Benachteiligungen bei der Green Asset Ratio eliminieren

Die damit einhergehenden finanzwirtschaftlichen Herausforderungen dürften KMU jedoch bereits früher spüren: Zunächst ist es für Banken bis 2025 unattraktiver, Kredite an mittelständische Unternehmen zu vergeben. Kredite an KMU werden bei der Berechnung der „Green Asset Ratio“ (GAR) nur im Gesamtvolumen berücksichtigt. Mit steigendem Anteil an Krediten an mittelständische Unternehmen sinkt somit die GAR. Vor allem durch den gestiegenen Bedarf an Fremdkapital birgt dies Finanzierungsschwierigkeiten für kleine und mittelgroße Unternehmen im Wettbewerb um Kapital. Kleinere Unternehmen benötigen vergleichsweise mehr Fremdkapital. Bei den Mittelständlern ist dagegen der absolute Bedarf an Fremdkapital höher. Inwieweit kleinere oder mittelgroße Unternehmen innerhalb der Gruppe der KMU unterschiedlich betroffen sein könnten, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abschließend feststellen. In jedem Fall sollte der Gesetzgeber möglichst kurzfristig auf diesen Missstand reagieren und die systematische Benachteiligung in der GAR eliminieren.


Frühzeitig etwaige Berichtspflichten ankündigen

Mittel- bis langfristig bleibt jedoch noch ein viel grundsätzlicheres Problem für alle KMU: Bisher verfügen nur wenige Mittelständler über eine ausreichende ESG-Berichterstattung und die bestehenden Berichtssysteme sind gegebenenfalls nicht auf diese Warenflussberechnungen ausgelegt. Viele Mittelständler sind sich zudem nicht darüber bewusst, dass eine ESG-Berichterstattung einen immer höheren Stellenwert einnehmen könnte und verpassen gegebenenfalls den Zeitpunkt, um in derartige Infrastruktur zu investieren. Auch hier sollte der Gesetzgeber unterstützen und frühzeitig etwaige Berichtspflichten ankündigen, damit KMU ihre Bestrebungen intensivieren und sich entsprechend vorbereiten können.


Investitionen in ESG-Initiativen langfristig zwingend notwendig

Kurz- bis mittelfristig können sich aus einer umfangreichen ESG-Performance noch Vorteile für mittelständische Unternehmen hinsichtlich der Fremdkapitalkosten ergeben. Viele Unternehmen erhalten durch die höhere Transparenz im Rahmen einer umfassenden ESG-Berichterstattung geringere Risikoaufschläge und erzielen, unabhängig von der tatsächlichen ESG-Performance, bereits verringerte Zinskosten. Langfristig ist allerdings davon auszugehen, dass die tatsächliche ESG-Performance in der Kreditvergabe an Bedeutung gewinnen wird und entsprechende Investitionen in ESG-Initiativen zur Steigerung der ESG-Performance für Unternehmen zwingend notwendig werden. In Abgrenzung zu allgemeinen Unternehmensfinanzierungen durch öffentliche Kreditinstitute muss bei der Inanspruchnahme von (branchenspezifischen) Förderkrediten der KfW oder Förderinstituten der Bundesländer das der Finanzierung zugrundeliegende Investitionsvorhaben bereits den ESG-Anforderungen des Förderinstituts entsprechen. Diese Förderungen äußern sich etwa in Form von verbesserten Finanzierungskonditionen oder Zuschüssen.


Unternehmen sollten schnell damit beginnen, ESG-Daten zu erheben

Um diese Vorteile auszunutzen – und um in keine längerfristigen Finanzierungsschwierigkeiten zu geraten – sollten mittelständische Unternehmen schnellstmöglich die Erhebung von ESG-Daten zum Zweck der umfassenderen ESG-Berichterstattung umsetzen. Einen besonderen Fokus sollten KMU hierbei auf Umweltthemen legen, da dieser Bereich sowohl von Seiten des Gesetzgebers als auch von den Kreditinstituten vergleichsweise stark gewichtet wird. Da die tatsächliche ESG-Performance langfristig an Stellenwert gewinnen wird, sollten KMU ihr unternehmerisches Handeln frühestmöglich hinsichtlich diverser ESG-Kriterien bewerten. Insbesondere bei größeren, mittelständischen Unternehmen empfiehlt es sich, möglichst bald entsprechende KPIs in die Unternehmenssteuerung und Performancebewertung aufzunehmen.


Frühzeitig eigene Lieferanten und Drittunternehmen informieren

KMU sollten außerdem frühzeitig die eigenen Lieferanten und andere Drittunternehmen zu Vorhaben bezüglich ESG-Datenerhebung, insbesondere zur Erhebung von CO2-Werten, informieren, damit auch diese in eine entsprechende Infrastruktur zur Erhebung, Aufbereitung und Kommunikation der Daten innerhalb ihrer Unternehmen investieren können. Nur mit der rechtzeitigen Kenntnis und Klarheit über die zukünftigen Berichtspflichten sowie einen transparenten Einblick in die Bewertung der entsprechenden Daten seitens der Kreditinstitute, lassen sich die jeweiligen ESG-Reportings und Berichtstrukturen erfolgreich aufbauen.


Einheitliche Standards für ESG-Berichterstattung

Für den rechtzeitigen Aufbau der Controlling-Systeme muss der Gesetzgeber schnell Klarheit schaffen. Dazu müssen möglichst zügig einheitliche Standards für die ESG-Berichterstattung von mittelständischen Unternehmen formuliert und im Voraus angekündigt werden. Nur so können sich KMU adäquat auf die neuen Herausforderungen vorbereiten und dem zusätzlichen Informationsbedarf von Kreditinstituten, Großunternehmen, Konsumenten und weiteren Stakeholdern in der Wertschöpfungskette gerecht werden. Mithilfe derartiger Standards könnten auch Redundanzen bei der Aufbereitung von ESG-Daten für verschiedene Stakeholder vermieden werden. Damit könnte der Gesetzgeber den einhergehenden zusätzlichen Verwaltungsaufwand sowie die Personalkosten der Unternehmen massiv reduzieren.


Balance zwischen ESG-Zielen und Unternehmenserfolg finden

Entsprechende Standards, welche in Umfang und Komplexität der geringeren Größe der Unternehmen Rechnung tragen sollen, sind von der Europäischen Kommission im Rahmen der EU-Richtlinie zur Unternehmens-Nachhaltigkeitsberichterstattung (Corporate Sustainability Reporting Directive, CSRD) bis zum 30. Juni 2024 zu erlassen. Hierbei obliegt es neben den Kreditinstituten vor allem dem Gesetzgeber, eine Balance zwischen der Förderung von ESG-Zielen und der Aufrechterhaltung sowie dem finanziellen Erfolg mittelständischer Unternehmen zu gewährleisten. Schafft es der Gesetzgeber hier nicht, adäquate Standards rechtzeitig zu formulieren und zu kommunizieren, könnten diese neuen Berichtspflichten gegebenenfalls fatale Auswirkungen auf die Finanzierungssituation des Mittelstandes haben. Die Folgen wären verringerte Investitions- und Innovationskraft aufgrund mangelnden Kapitals, bis hin zu Insolvenzen, wenn beispielsweise Folgefinanzierungen aufgrund fehlender ESG-Berichterstattung plötzlich nicht mehr genehmigt werden können. Eine nicht sorgsamst geplante Berichtspflicht würde den Mittelstand und damit den Wirtschaftsstandort Deutschland hart treffen.


Akuter Handlungsbedarf für den Gesetzgeber

Mit der aktuellen Benachteiligung von KMU in der Green Asset Ratio und den dringenden Fragen bei den Berichtspflichten und möglichen Standards, hat der Gesetzgeber akuten Handlungsbedarf, um die Finanzierungssituation von KMU in den nächsten Jahren nicht zu gefährden.“


Zur Person

Prof. Dr. Gunther Friedl ist Professor für Betriebswirtschaftslehre und Inhaber des Lehrstuhls für Controlling sowie Dekan an der TUM School of Management der Technischen Universität München. Seine Forschungsinteressen liegen in den Bereichen Corporate Governance und Vorstandsvergütung, Performancemessung und Unternehmens- sowie Patentbewertung.

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